Mexiko nach dem Kollaps

Das “Wirtschaftswunder” Mexikos schien die neoliberale Doktrin des Inter­na­tio­nalen Währungsfonds (IWF) und Welt­bank endlich einmal in der Praxis zu be­stä­tigen. Privatisierungen, Subventions- und Sozialabbau wurden seit Jahren mit ei­ner Konsolidierung der Wirtschaft und traum­haften Wachstumsraten belohnt. Die seit 65 Jahren regierende Staatspartei PRI ga­rantierte die Durchsetzung dieser neuen Po­litik. Der Bevölkerung wurde verspro­chen, daß die Oberschicht reicher würde, um die Massenarmut effektiver be­kämp­fen zu können. Wo der Regierung den­noch die Folgschaft versagt blieb, ver­hiel­fen ihr Wahlbetrug und Repression zur Le­gitimation, zuletzt in Chiapas.
Boom auf Pump
Wie wenig ausgereift die in den acht­zi­ger Jahren durch die Strukturanpas­sungs­programme des Internationalen Wäh­rungs­fonds (IWF) eingeleitete Wachs­tums­politik war, zeigt jetzt die Krise. Sie er­innert an einen zweiten Auf­guß von al­ten Fehlern. Denn der “Boom” lebte auf Pump. Die Modernisierung der Wirtschaft wurde durch Auslandskredite und eine maßlose Überbewertung des Pesos fi­nan­ziert. Was die Binnenindustrie ruinierte, war dem NAFTA-Partner im Norden ge­ra­de recht: Die mexikanischen Ex­port­pro­duk­te waren überteuert und we­nig kon­kur­renz­fähig, Importe aus den USA dagegen künst­lich verbilligt und ab­setzbar. Die re­sul­tierenden Importüber­schüsse Mexikos lie­ßen das Leistungsbi­lanzdefizit be­droh­lich anschwellen und konnten nur durch Kredite bezahlt werden. Kreditgeber war der Exporteur USA selbst, zu lukrativen Zin­sen selbst­verständlich: Mexiko muß al­lein in die­sem Jahr kurzfristige Schulden in Höhe von 28 Milliarden bedienen, zu Zins­sätzen um 40 Prozent.
Der IWF und die Weltbank wollten die wachsenden Probleme ihres “Mu­ster­lan­des” nicht registrieren. So platzte die Il­lu­sion vom neoliberalen Ent­wicklungsweg über Nacht wie eine Sei­fenblase: Nach­dem die Stützung des über­bewerteten Pesos die Devisenreserven Mexikos zum Jahres­ende ganz zu ver­schlingen drohte, zog die Regierung die Notbremse und gab am 20. Dezember den Wechselkurs frei. Der Peso stürzte in den Keller und wurde in einem Tag um 40 Prozent abgewertet, um in Folge weiter an Wert zu verlieren. Die AuslandsanlegerInnen von mexi­ka­ni­schen Wertpapieren verloren auf einen Schlag 10 Milliarden. US-Dollar, und der darauf fol­gende Rückzug von Investitionen ma­chte den 10. Januar 1995 zum “schwarzen Diens­tag” des Kontinents: Die Börsen von Mexiko bis Buenos Aires verzeichneten extreme Kurseinbrüche. Mexiko stand vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Gewitter­wol­ken über den internationalen Finanz­märk­ten verhießen Sturm. Erst als Präsi­dent Clinton am nächsten Tag sein Schatz­amt anwies, alles zu unternehmen, um “diese kurzfristige Finanzkrise” bei­zu­le­gen, war das weitere Vorgehen sowie die ent­sprechende Sprachregelung geklärt. Schnelle Stützungskredite des IWF und der Bank für internationalen Zah­lungs­aus­gleich (BIZ) von 18 Milliar­den US-Dollar ver­hinderten den Zusam­menbruch des mexi­kanischen Wirtschafts­systems. Das Ge­spenst der Krise wurde kurzerhand ein­ge­kauft und als Normalität gehandelt. Ein am 21. Februar verab­schiedetes Hilfspaket der USA in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar soll Mexiko nun endgültig aus der Fi­nanzkrise helfen. Bislang jedoch ohne Erfolg. Der Peso verlor am nächsten Tag flugs wieder an Wert. Ein Dollar kostete 6,2 Pesos, satte 35 Centavos mehr als am Vortag.
Neuauflage gescheiterter Konzepte
An Mexikos Rückkehr in die Wirklich­keit ist nicht überraschend, daß, sondern wie sie stattfand. Schon einmal mußte das Land seine Zahlungsunfähigkeit und da­mit das Scheitern einer entwicklungspoli­ti­schen Strategie verkünden: Nachdem das Kon­zept der Importsubstituierenden Indu­stri­alisierung (ISI), das auf eine Abkopp­lung vom Weltmarkt und eine Binnenin­du­strialisierung setzte, zu Beginn der sieb­ziger Jahre in die Stagnation mündete, orien­tierten sich die neuen als “cepalismo” be­kannten Konzepte an einer Grundbe­dürf­nisbefriedigung und keynesianischen Lenkungsmechanismen. Um die Stagna­tion zu überwinden, wurde der Aufbau ein­heimischen Gewerbes und sozialer Sek­toren gefördert. Im bescheidenen Maße konnten die krassen Einkommens­un­terschiede auf dem Kontinent verringert werden. Dabei wurde bei den Umstruktu­rierungen ebenfalls auf eine Finanzierung durch Auslandskredite und die Überwer­tung der Landeswährungen gesetzt. Als aber die Schuldenlast die Länder zu er­drücken begann und 1982 eine mit der jetz­tigen vergleichbare Finanzkrise auslö­ste, war dies gleichzeitig eine Krise der Strategie: Bedürfnis- und nachfrageorien­tierte Entwicklungstheorien galten als von der Realität widerlegt.
Für die Überwindung der Krise wurde die Abkehr von den eigenen Entwick­lungsideen verlangt: Vorbereitet durch die berüchtigten Struktur­an­passungs­maßnah­men des IWF mußte sich Lateinamerika dem Weltmarkt öffnen. Die Neu­orien­tier­ung endete in den achtziger Jahren mit ei­ner sozialen Polari­sierung und einer existenziellen Ver­schlechterung der Le­bens­verhältnisse. Nach Angaben einer Stu­die der staatlichen Hilfsorganisation Pro­nasol (Programma nacional de soli­dari­dad) lebte 1990 “die Hälfte der Mexi­kanerInnen (42 Millionen) in Armut und 18 Millionen litten unter den Bedingungen extremer Armut”. Über den Beitritt zur NAFTA versuchte das Schwellenland Mexi­ko, sich an den rei­chen Norden an­zu­kop­peln. Die erfolgrei­che Modernisierung der Exportsektoren, ein kontinuierliches Wirt­schaftswachstum sowie die gelungene Be­kämpfung der In­flation und ein aus­geglichener Staatshaus­halt übermalten das Aus­einanderklaffen der Ein­kommens­sche­re und verhießen als letzte Hoffnung, daß die wirtschaftliche Stabilität letztendlich auch den Massen zugute kommen wird. Erst im August wurde die mexikanische Re­gierung durch Wahlen bestätigt, als sie der Bevölkerung “wachsenden Wohlstand je­des einzelnen und seiner Familie” versprach.
Katerstimmung
Seitdem diese Hoffnung verpuffte, zeichnet eine nüchterne Bestandsauf­nah­me ein düsteres Bild von der Hoch­burg neo­liberaler Entwicklung: Die Be­völ­ker­ung ist verarmt, die einheimische Bin­nen­in­dustrie chronisch geschwächt, das Wirt­schafts­wachstum wird in diesem Jahr gegen Null tendieren, die Verschul­dung ist massiv gestiegen und von einer makro­öko­nomischen Stabilität redet nie­mand mehr.
Doch was vor zwölf Jahren zum Para­digmen- und Systemwechsel führte, ist heu­te nur ein “Sommergewitter”. Statt um­zudenken, ist eine neuerliche Struktur­an­passung angesagt: Mexiko mußte für die Milliardenhilfe mit einem beschleu­nig­ten Privatisierungsprogramm bürgen, das rasch auf die strategisch wichtigen Staats­monopole der Eisenbahnen/Häfen und der Telekommunikation ausgeweitet wird. International wird die Krise herun­ter­gespielt. Die Erfolge der auf den Welt­markt ausgerichteten wirtschaftlichen An­pas­sung Mexikos sollen nicht infrage ge­stellt werden. Die erworbene Konkurrenz­fähig­keit auf dem Weltmarkt ist jetzt durch die Peso-Abwertung noch größer ge­worden, denn sie degradiert Mexiko noch stärker zum Billiglohnland.
Krisengewinnler
NutznießerInnen dieser Abwertung sit­zen auch vor unserer Haustür: Während Deutsche und Dresdner Bank noch über die Höhe ihrer Kredithilfen an Mexiko ver­handelten, äußerten sich deutsche Un­ter­nehmen in der FAZ “sehr gelassen, und se­hen auch die möglichen Chancen der Ab­wertung”. Und das Handelsblatt ver­weist darauf, daß “industrienahe Krei­se…ihren lokalen Zulieferern Härte zeigen wol­len” und abwertungsbedingte Preis­erhöhungen ablehnen. Nicht nur die mexi­kanische Arbeiterschaft muß um die Kauf­kraft ihrer Löhne fürchten: Auch auf den ein­heimischen Mittelstand sollen die teureren Dollar-Importe abgewälzt wer­den.
Somit stehen die VerliererInnen der Krise schon fest. Der neoliberale Traum, den Kuchen solange wachsen zu lassen, bis für jeden mehr als Krümel übrigblei­ben, wird jetzt zum Alptraum.
Die hochschnellende Teuerungsrate über­springt Existenzgrenzen: Dort, wo es um das blanke Überleben geht, können die erwarteten vier Prozent weniger Konsum tödlich sein. Und von einem Staat, der sich verpflichtet hat, seine Ausgaben in diesem Jahr um ein Viertel zu reduzieren, ist wenig Hilfe zu erwarten.
Die Arbeiterschaft, die schon vorher deutlich niedrigere Reallöhne als 1980 er­hielt, muß jetzt weitere Einbußen hinneh­men. Von den Milliardenkrediten, die zwecks Umschuldung gleich bei den Gläu­bigern bleiben, wird sie nur wenig spüren.
Auch das einheimische Kleingewerbe und der Mittelstand geraten unter massi­ven Druck. Die aus dem Ausland heran­rol­lende Kostenwelle können nicht alle ver­kraften. Viele der kleinen und mittel­stän­dischen Betriebe, die 80 Prozent der ländlichen Arbeitskraft Mexikos beschäf­ti­gen, stehen vor dem Aus. Eine Kre­dit­auf­nahme bei realen Zinssätzen von rund 24 Prozent lassen jede Investition zum exis­tenziellen Wagnis werden. Ohne In­ve­stitionen droht jedoch der Verlust an Kon­kur­renzfähigkeit. Die Gefahr der Zah­lungsunfähigkeit steigt in beiden Fäl­len, ob zu hohe Ausgaben oder zu geringe Einnahmen: Beide erhöhen das Konkurs­riskiko – der Ruin droht.
Der “pacto social”, die mexikanische Va­riante von Sozialpartnerschaft, ist jetzt vor seine größte Belastungsprobe gestellt. Denn Mexiko nähert sich einer sozialen Ka­tastrophe und /oder einer politischen Explosion.

Ein Feldzug auf Wall Streets Geheiß?

Die Chase Bank gibt sich nicht der Illu­sion hin, daß die ZapatistInnen die allei­nige Ursache für den Peso-Crash vom De­zember sind. Der Zusammenbruch der mexikanischen Wirtschaft wurde durch die Überbewertung des Pesos verursacht, und dies hatte es US-InvestorInnen – wie z.B. der Chase Bank selbst – ermöglicht, mexikanische Schatzbriefe totzuspekulie­ren und dann in sichere US-Dollars anzu­legen.
Ein Jahr NAFTA – Wall Street ist verschnupft
Die gesamte US-Finanz und das Lager der PolitstrategInnen befürchten jetzt, daß eine von dem Neuling Ernesto Zedillo ge­führte mexikanische Regierung – anders als der alte Vertraute Washingtons, Ex-Präsident Carlos Salinas – ins Wanken ge­raten wird, im Konflikt mit den Zapatistas Zeit gewinnen will und versuchen wird, die Unzufriedenen im Lande zu besänfti­gen. Aber jede Art von Beschwichti­gungspolitik gegenüber einer schäumen­den Öffentlichkeit wird den InvestorInnen sicherlich nicht gefallen. Die ökonomi­sche Sicherheit, die ihnen gewährt wurde, war ein Eckpfeiler der NAFTA-Vereinba­rungen.
Für die Regierung besteht die Notwen­digkeit, mit Subcommandante Marcos und seinen GenossInnen Schluß zu machen. Die Chase Bank drückt dies so aus: “Während unserer Meinung nach Chiapas keine fundamentale Bedrohung der politi­schen Stabilität in Mexiko darstellt, wird es als eben solche von einer Vielzahl von InvestorInnen wahrgenommen”.
Die Option einer Lösung des Chiapas-Konfliktes am Verhandlungstisch wird von der Chase Bank heruntergespielt: “Es ist schwer vorstellbar, daß die gegenwär­tigen Umstände eine friedliche Lösung zulassen würden”. Zedillo wird nicht in der Lage sein, das Vertrauen der Zapa­tistInnen und ihrer AnhängerInnen zu er­langen, da “die Währungskrise alle ver­fügbaren Ressourcen für ökonomische und soziale Reformen begrenzt”. Mit an­deren Worten: Die ausländischen Investo­rInnen haben ein Vorrecht auf die schwin­denden Reserven der mexikanischen Staatskasse; für die Anti-Armut Pro­gramme, die Zedillo für Chiapas verspro­chen hatte, bleibt dann nichts mehr übrig.
Riordan Roett – ein Mann sieht Krieg
Autor des Memos, das aus der Markter­schließungsabteilung der Chase Bank stammt, ist ihr Berater Riordan Roett. Als ehemaliger Leiter der Lateinamerika-Stu­dien an der John Hopkins School of Ad­vanced International Studies, ist er beur­laubt. Roett soll besonders verbittert über die Vorfälle südlich des Rio Grande ge­wesen sein: hatte er doch leitenden Be­amten der Chase Bank versichert, daß auf Zedillo – seinem langjährigen Ge­sprächs­part­ner – Verlaß sei, wenn es um die In­teressen der ausländischen Inve­storInnen gehe. Beruhigt hatte die Chase Bank dar­aufhin ihre Investitionen in Me­xiko er­höht. Als ein riesiges Handelsdefi­zit Ze­dillo zwang, den Peso abzuwerten, er­wischte es die Chase eiskalt.
Eine harte Gangart der mexikanischen Regierung fordert Roett auch bei anderen Schwierigkeiten, die dieser Regierung ins Haus stehen. Bei den in fünf Bundesstaa­ten für dieses Jahr vorgese­henen Wahlen hat die in Mexiko regie­rende PRI nur dü­stere Aussichten. Roett schlägt vor, die PRI solle sich Wahler­folge auf anderem Wege sichern. “Die Regierung Zedillo muß sorgfältig prüfen, ob sie von der Op­position fair an den Ur­nen erzielte Wahl­siege zuläßt oder nicht.” Weiter schreibt er: “Korrekt erzielte Wahlerfolge der Op­position nicht anzuer­kennen, wäre ein ernsthafter Rückschlag in Zedillos Strate­gie der Wahlrechtsre­form. Ein Verlust der PRI-Kontrolle würde aber das Risiko ei­ner Spaltung der Partei in sich bergen.”
Roett hat in Washington an allen Lobby-Fäden gezogen, um Unterstützung für seine Politik der “verbrannten Erde” in Mexiko zu erhalten. Er forderte den Kon­greß auf, Clintons 40 Milliarden Spritze aus Geldern der Chase Bank und anderen InvestorInnen schnellstens zu bewilligen. Clinton selbst griff angesichts einer siche­ren Niederlage im Kongreß zur Präsidial­macht und drückte sein Paket ge­gen den Willen des Kongresses durch.
Roett’s Strategie ist die des Lobbyisten: Er versorgte Bob Dole, den einflußreichen Sprecher der Republikaner im Senat mit ausgewählten Informationen, sprach vor dem Richtlinienausschuß des Senats und er beriet Beamte des Außenministeriums. Am 11. Januar 1995 sprach er vor mehre­ren hundert Führungskräften aus Politik und Wirtschaft auf einem vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) organisierten Seminar.
Ein Seminar wird zum Fanfarenstoß
Bei dieser Gelegenheit soll Roett am Rande der Hysterie gewesen sein. Kunden würden ihn permanent fragen – so Roett -, warum die mexikanische Regierung die ZapatistInnen nicht unter Kontrolle be­kommt. Roett meinte, aus der Sicht der InvestorInnen sei es wichtig, das Thema Chiapas so schnell wie möglich abzuha­ken. Er räumte dabei ein, sein Aufruf zum Krieg, sollte Zedillo sich danach richten, könne negative internationale Auswirkun­gen haben. Aber bei kühnen Taten fielen immer politische Kosten an.
Die Ausführungen von Roett fanden geneigte ZuhörerInnen. Die Kolumnistin Georgie Anne Geyer schrieb wenige Tage später in einem Artikel: “Niemand auf diesem Seminar hat die mexikanische Si­tuation besser erklärt als Roett.” Die an­wesenden Fachleute und Finanzmanager­Innen – so die Kolumnistin – schienen sich einig, daß die ZapatistInnen zwar nicht für eine breite Revolte in ganz Mexiko stün­den, sie aber der entscheidende Indikator, der Lack­mustest für die Stabilität in Mexiko seien.
Dalal Baer, der Moderator der Veran­staltung, dankte Roett für seine Ausfüh­rungen und beklagte das “mexikanische Dilemma” zutiefst. Die mexikanische Re­gierung stehe unter dem Druck, daß politi­sche System öffnen zu müssen. Die Fi­nanzmärkte reagierten auf eine solche Zu­nahme der Demokratie nicht unbedingt positiv, da diese oft auch eine Zunahme an Instabilität nach sich ziehe, so Baer.
Auf dem Seminar forderte David Mal­pass, Direktor eines großen Finanzunter­nehmens, von Zedillo im Austausch für die von der US-Regierung organisierte Milliardenhilfe, eine Beruhigung der aus­ländischen InvestorInnen durch eine “gigantische Wiederherstellung des Ver­trauens”. So schlugen Malpass und andere zum Beispiel weitere Privatisierungen vor, AusländerInnen sollten auch zu 100 Pro­zent Banken besitzen dürfen. Die Öffnung der mexikanischen Ölindustrie war ein weiterer Vorschlag.
Zedillo und die Mehrheit der PRI lehn­ten die “finale” Lösung des Riordan Roett zu diesem Zeitpunkt offiziell noch ab. Ein Beamter des mexikanischen Innenministe­riums, der auch am Seminar teilnahm, be­zeichnete den Kriegsaufruf Roetts als “nicht statthaft”.
Aber mexikanischen Finanzlobbyisten dürfte es bei Roett’s Analyse wahrschein­lich warm ums Herz geworden sein. Denn am 18.Dezember des vergangenen Jahres hatten sich schon mexikanische Ge­schäftsleute mit Zedillo getroffen, um von der neuen Regierung eine Offensive in Chiapas zu fordern.

Originaltitel: “Major U.S. Bank Urges Zapatista Wipe-Out: ‘A Litmus Test for Mexico’s Stability’, in:”Counterpunch”, Vol. 2. Nr. 3 vom 1. Februar 1995.

Memo der Chase Manhattan’s Emerging Markets Group

Zusammenfassung:
Die größte Bedrohung für die politische Stabilität Mexikos ist unseres Erachtens nach die augenblickliche Finanzkrise. So- lange die Regierung von Staatspräsident Ernesto Zedillo nicht geeignete Maßnah­men ergreift, den Peso zu stabilisieren und eine unkon­trollierte Inflation zu vermei­den, wird es fast unmöglich sein, sich Themen wie Chiapas oder der Justiz- und Wahlreform zu widmen. Eine Verlänge­rung der Krise mit ihren ne­gativen Aus­wirkungen auf den allgemeinen Lebens­standard wird vielmehr Arbeitskämpfe und soziale Unzufriedenheit provozieren.
Die Regierung Zedillo
Als Zedillo am 1. Dezember 1994 das Amt des mexikanischen Präsidenten an­trat, schien dies ein neues Kapitel auf dem Weg zur Modernisierung der mexikani­schen Poli­tik einzuläuten… Der neue Prä­sident forderte eine Reform des Justiz- und Wahlrecht und eine friedliche Lösung des ein Jahr alten Aufstandes im südlichen Bundesstaat Chiapas. Er betonte, wie wichtig die Transparenz von Regierungs­geschäften und die Erziehung und Ausbil­dung der mexikanischen Bevölkerung sei. Zedillos Kabinett, das sich aus den­selben Kreisen zusammensetzt wie das seines Vorgängers Salinas de Gortari, vermittelte den Eindruck von Kompetenz und Enga­gement… ( Chronologie der Peso-Krise) … Nur wenn die Regierung erfolgreich den Peso stabilisiert, ein sprunghaftes Anstei­gen der In­flation verhindert und das Vertrauen der Investoren zurückgewinnt, wird es unserer Mei­nung nach für Zedillo möglich sein, sich der Agenda von Re­formen zu widmen, die er am 1. Dezem­ber aufgestellt hatte. Es gibt drei Felder auf denen die augenblickliche Wäh­rungskrise die politische Stabilität in Mexiko untergraben kann. Das erste ist Chiapas, das zweite sind die kommenden Wahlen in den Bundesstaaten und das dritte die Gewerk­schaften, ihr Verhältnis zur Regierung und zur PRI.
1. Chiapas
Der Aufstand im südlichen Bundesstaat Chiapas ist jetzt ein Jahr alt und offen­sichtlich ist man noch immer keiner Lö­sung näher gekommen … Zwar neigt Ze­dillo zu einer fried­lichen Lösung des Patts in Chiapas auf dem diplomatischen Weg, aber es ist schwer vor­stellbar, daß die au­genblicklichen Umstände eine friedliche Lösung zulassen. Mehr noch: je mehr die Währungskrise die Regierung in ihren Vorhaben sozio-ökonomischer Refor­men beschränkt, desto schwieriger wird es für sie werden, breite Unterstützung für ihre Vorhaben in Chiapas zu gewinnen. Noch wichtiger: Marcos und seine Anhänger könnten beschließen, die Regierung mit einem Anstieg lokal begrenzter, gewalttä­tiger Aktionen in Verlegenheit zu bringen und die Regierung zu zwingen, den zapa­tistischen Forderungen nachzugeben, die eine politische Niederlage, die sie völlig bloßstellen würde mit, sich brächte.
Die Alternative ist eine militärische Offensive zur Niederschlagung des Auf­stands. Das hätte einen internationalen Auf­schrei zur Folge: Protest gegen den Einsatz von Gewalt und die Unter­drückung indígener Rechte. Wäh­rend un­serer Meinung nach Chiapas keine funda­men­tale Bedrohung der politischen Sta­bi­li­tät in Mexiko darstellt, wird es als eben so­lche von einer Vielzahl von Inve­storen wahr­genommen.
Die Regierung wird die Zapatisten aus­schal­ten (eliminate) müssen, um zu de­mon­strie­ren, wie wirksam ihre Kon­trolle über nationales Territorium und na­tionale Sicherheit ist.
2. Wahlen in den Bundesstaaten
Präsident Zedillo bekannte sich in sei­ner Ansprache zur Amtseinführung noch einmal zur Öffnung des parlamentarischen Systems auch für Oppositionsparteien. Das war in den vergangenen Jahren eines der Hauptthemen zwischen der PRI-domi­nierten Regierung ei­nerseits und der PAN und der PRD andererseits. Der konserva­tive Flügel der PRI bezog gegen eine po­litische Liberalisierung Position, während der Flügel um Zedillo die Öff­nung als un­vermeidlich und auch gerechtfertigt be­trachtete. Die augenblickliche Wäh­rungskrise wirft die Frage auf, ob Zedillo und die Reformer die Stärke haben wer­den, die Ergebnisse der Wahlen von 1995 zu respektieren. Die Konservativen wer­den behaupten, die Krise rechtfertige eine Fortsetzung der Einparteienherrschaft, selbst wenn dies nur durch Wahlbetrug möglich sei. Die Opposition, die ohnehin die Wahlsiege der PRI gene­rell anzwei­felt, … wird ermutigt werden, dies weiter zu tun. Zedillo wird vor einer schwierigen Situation stehen: Er muß die Konservati­ven seiner eigenen Partei neutralisie­ren und gleichzeitig sein Bekenntnis auf­rechterhalten, die Opposition auch gewin­nen zu lassen, wenn sie das legitim getan hat…
Die Regierung Zedillo muß sorgfältig prüfen, ob sie von der Opposition fair an den Urnen erzielte Wahlsiege zuläßt oder nicht.
Korrekt erzielte Wahlerfolge der Oppo­sition nicht anzuerkennen, wäre zwar ein ernst­hafter Rückschlag in Zedillos Strate­gie der Wahlrechtsreform. Ein Verlust der PRI-Kon­trolle würde aber das Risiko ei­ner Spaltung der Partei in sich bergen.
Wir glauben, daß die Fähigkeit der Re­gierung Zedillo, die inhärenten Konflikte in der Agenda der Wahlen von 1995 zu lösen, letztendlich entscheidend sein wird. Nämlich, ob es der Regierung gelingt, ihr Versprechen zu halten, die mexikanische Politik zu liberali­sieren.
3. Die Arbeiterbewegung
Die Arbeiterbewegung war über Jahr­zehnte das Rückgrat der PRI. Die Bereit­schaft der Arbeiterführung sich nach der PRI zu richten, war ein fundamentaler Be­standteil der Stabilität in Mexiko seit den 30er Jahren. Die augenblickliche Wäh­rungskrise droht diese Unterstützung we­gen den negativen Auswirkungen auf Le­bensstandard und Löhne zu unterlaufen. Der Wertverfall des Peso macht sich für den durchschnittlichen mexikani­schen Arbeiter schon beim Erwerb der Güter für den alltäglichen Bedarf heftig bemerkbar …Die starken, strukturellen Ver­knüpfungen zwischen Regierung und Ge­werk­schaften haben sich in den letzten Jahren abgeschwächt. Die Regierung hat zwar noch Einfluß, aber keine völlige Kon­trolle mehr. Wenn sich die Krise fort­setzen sollte, wären zwei Op­tionen für die Regierung denkbar: 1. sie weist die Forde­rung der Arbeiter nach mehr Lohn zurück – mit der Möglichkeit von Demonstratio­nen oder 2. sie gibt den Forderungen der Arbeiter nach und verschärft damit die ökonomische Krisensituation.
Schlußfolgerungen
Die mexikanische Währungskrise hat das Bekenntnis der Regierung Zedillos zu einer neuen Welle von Reformen überschattet – Reformen, die politische Verhandlungen zur Lösung der Chiapas-Krise und die Garantie fairer Wahlen auf Bundesstaats- und Ge­meindeebene ein­schlossen. Offen bleibt, ob die mexikani­sche Arbeiterklasse eine länger anhaltende Periode von Lohnverlust und sinkendem Lebensstandard akzeptieren wird. Diese sozialen und politischen Fragen, die für den Präsidenten eine hohe Priorität haben, werden unvermeidlich zurückgestellt wer­den, solange bis die ökonomische Situa­tion ge­klärt ist. Solange die Regierung Zedillos unfähig ist, den Peso zu stabili­sieren und Infla­tion zu vermeiden, läuft sie Gefahr mit sozialen und politischen Unruhen konfrontiert zu werden.

…und wieder herrscht Krieg

4./5. Februar 1995:
Treffen von ca. 2500 VertreterInnen linksgerichteter Bewegungen zum “Dritten Nationalen Demokratischen Kon­vent” in Querétaro/ Mittelmexiko. Es wur­de der Beschluß gefaßt, die Or­ganisa­ti­onsstrukturen der PRD zu nutzen, um durch deren Parteibasis eine “Nationale Be­freiungsbe­wegung” zu bilden, die einer po­litischen Opposi­tionsbewegung gleich­kommt, aber nicht den Status einer Partei hat. Die Forderungen nach einer Über­gangsregierung und der Abschaffung der PRI als Staatspartei wurden nochmals be­kräftigt.
8. Februar:
Razzien der Polizei in Mexiko-Stadt und Veracruz. Dabei wurden zwei Waf­fenarsenale entdeckt, die laut offiziellen Angaben Granatwaffen, Maschinen­gewehre, Handgranaten und Sprengstoff beinhalteten, laut inoffiziellen nur fünfzehn Waffen verschie­denen Kalibers und zwei Pistolen.
Verhaftungen mehrerer vermeintlicher Guerilla-FührerInnen, darunter Subcom­mandante Elisa, welche das Geheimnis des Subkommandante Marcos und anderer FührerInnen preisgegeben hätte. Elisa er­klärte später, sie sei unter Drohungen ge­zwungen worden, ein vorgefertigtes Ge­ständnis zu unter­schreiben.
9. Februar:
Fernsehansprache Zedil­los, in der die Polizei angewiesen wurde, fünf führende Personen der EZLN festzunehmen, unter ihnen Marcos, dessen Name Rafael Seba­stian Guillén Vicente sein soll.
Beginnende Offensive des Militärs ge­gen die Za­patisten; in einem Kom­munique wiederholen die Zapatisten ihr Dialogan­gebot.
10. Februar:
Etwa 2500 Soldaten der mexikanischen Armee mar­schieren in die von Za­patisten kontrollierten Gebiete ein, unterstützt durch hunderte Mili­tärfahrzeuge und Luft­einheiten. Ungefähr zwölf Orte wer­den durch Pan­zereinheiten besetzt.
Die Zapatisten zogen sich erstmal in unzu­gängliches Gebiet zurück, hunderte von Indígenas flohen aus Angst vor den Regierungstruppen.
11. Februar:
Massendemonstrationen in Mexiko-Stadt. An der größten, auf dem Zócalo, nahmen über 100 000 Per­sonen teil. Unter der Pa­role: “Wir sind alle Mar­cos”, for­derten sie ein sofortiges Ende des Krie­ges, die Freilassung aller bisherigen Gefange­nen und eine friedliche Lösung des chia­panekischen Konfliktes.
Bisherige Opfer seien offiziell ein ge­töteter ranghoher Soldat und ein Offizier des Regie­rungsheeres.
12. Februar:
Nach Angaben der EZLN wurden zwei Dörfer, Mo­relia und Las Guarrachas von vier Kampfhub­schrau­bern bombardiert. Die mexikanischen Behörden bestritten dies, gaben aber trotzdem durch das In­nenministerium bekannt, daß alle wichti­gen Po­sitionen in Chiapas wie­dererobert seien. Mili­tärsprecher sprachen von schweren Gefechten und einigen Toten auf beiden Seiten.
Währenddessen fanden Gouverneurs- und Kommu­nalwahlen im Bundesstaat Jalisco statt, bei denen die konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) die meisten Stimmen verbuchen konnte.
13. Februar:
Subcommandante Marcos meldet sich zurück und bestreitet die Enttarnung sei­ner Person durch die Regierung. Er be­hauptet, nicht Rafael Sebastian Guillén Vicente zu sein.
Inzwischen sind Tausende von Indí­genas auf der Flucht: Nationale Men­schenrechtskommissionen klagen schwere Verstöße gegen die Menschenrechte von seiten der Militärs an, es ist von Folterun­gen, Vergewaltigungen und Erschießun­gen die Rede.
Die guatemaltekische Armee verstärkt ihre Truppen auf 8000 Soldaten an der Grenze zu Chiapas, um Flüchtlingen die Ein­reise zu versperren.
14. Februar:
Der chiapanekische Gou­verneur Eduardo Robledo tritt zurück, formal bat er den Kongress um zeitweilige “Freistel­lung”. Zur selben Zeit verkündet Präsident Zedillo vor Vertretern von Indí­gena-Organisationen, daß es keine weite­ren Offensiven gegen die za­patistischen Gebiete mehr geben würde, sondern das Militär nur noch mit Pa­trouillen gegen Gewalt­taten eingesetzt würde.
16. Februar:
Amnesty international veröffentlicht eine Er­klärung, in der der me­xikanischen Armee schwere Vorwürfe wegen Men­schen­rechtsverletzungen gemacht werden. Mehrere dutzend Menschen seien will­kür­lich verhaftet und ge­foltert worden, ei­nige wären vermißt.
19. Februar:
Die dritte Großkundge­bung in einer Woche findet diesmal vor dem National­palast in Mexiko-Stadt statt. Wieder neh­men mehr als 100 000 Menschen daran teil. Verhandlungslösungen und der Rück­zug der Bun­desarmee werden gefordert.
Während der vergangenen Tage befin­den sich immer mehr Menschen aus chia­panekischen Dörfern auf der Flucht (siehe aus­führlichen Artikel in dieser Ausgabe), die zu­rückgelassenen Dörfer gleichen Geisterorten.
Die Zapatisten fordern ebenfalls den Rückzug der Bundesarmee, als Grund­vor­aussetzung für den Dialog.

Exodus in der Selva Lacandona

Die BewohnerInnen von Morelia, ei­nem Dorf unmittelbar hinter der letzten Militärsperre, wurden von einem Angriff im Morgengrauen überrascht. Alle 1300 BewohnerInnen und dort arbeitende Ärzte und LehrerInnen flohen vor den vorrük­kenden Panzern. Ohne ausreichende Klei­dung und nicht genügenden Nahrungs­mitteln versuchten sie Schutz vor den Bomben und MP-Salven in den Bergen zu suchen.
Die Erinnerungen an den Überfall der Bundesarmee am 7. Januar 1994 sind noch präsent. Damals sind EinwohnerIn­nen gefoltert und verschleppt worden, ein Dorfmitglied ist seitdem verschwunden.
Um das nackte Leben zu retten verstek­ken sich inzwischen über 6000 Menschen in den Wäldern. Ohne Kleidung und Dek­ken, der Kälte ausgeliefert, ohne Nah­rungsmittel, durch Unterernährung ge­schwächt und durch verschmutztes Was­ser erkrankt, harren sie aus, eingeschüch­tert durch Tiefflüge der Luftwaffe. Ihre Dörfer wurden von den Armeen geplün­dert, die Schule und Bibliothek in Morelia abgebrannt. In Lazare Cardenas, einem anderen Dorf aus dem die Menschen flo­hen, blieben drei Menschen zurück, die drei Tage von der Armee gefesselt und ohne Nahrung verhört wurden.
Unter den Flüchtlingen grassieren Durchfallerkrankungen, Tuberkulose, Fie­ber und Cholera. Medizinische Versor­gung gibt es nicht.
In der Nähe von Guadalupe Tepeyac sind ebenfalls nur noch verwaiste, von der Armee besetzte Orte zu finden. Das Dorf ist am 9. Februar von 2300 Fall­schirm­jägern überfallen worden. Die Dörfer sind von der Armee zu Festungen ausgebaut worden. In Morelia sind Inzwi­schen 800 Sol­daten mit Panzern vor Ort.
Die Flüchtlinge rufen in einem Appell zu sofortigen internationalen Hilfsmaßnah­men auf. Die Offensive geht weiter. Allen Versprechungen zum trotz rückt die Ar­mee, vor allem mit Panzereinheiten, weiter vor. Die EZLN soll in Kämpfe ver­wickelt werden. Bisher hat sie ihre Trup­pen allerdings angewiesen, diese zu ver­mei­den und sich zurückzuziehen.
Insgesamt liegen 2700 Haftbefehle ge­gen vermeintliche Zapatisten vor.

“Wir schaffen eine neue Realität”

In dieser Zone, in der die Zapatistische Befrei­ungsarmee EZLN militärisch nicht präsent ist, haben Campesino-Organisa­tionen ver­schiedenster politischer Rich­tungen zahlreiche Län­dereien von Groß­grundbesitzern besetzt, um dem histori­schen Ruf der landlosen Bauern nach Grund und Boden Gel­tung zu verschaffen. Eine dieser Organisatio­nen ist die “Unión de Campesinos y Po­pular Francisco Villa”, die in 14 Gemein­den der Region Fraylesca aktiv ist. Trotz mehrerer be­waffneter Räumungsversuche durch von Großgrundbesitzern aufgestellte Söldner­truppen sogenannte Guardias Blancas befinden sich weiterhin 9 Fincas unter Kontrolle der Villisten. Als erstem interna­tionalen Jour­nalisten wurde mir am 1. Februar 1995 ein Besuch der seit dem 4. August letzten Jah­res besetzten Finca Liquidambar gestattet.
“Wir sind keine Guerilla, sondern eine Campesino-Organisation, die einen unbe­waffneten Kampf für ein menschenwürdi­ges Leben auf eigenem Land führt”, er­klärte Eduardo, Füh­rungsmitglied der UCPFV auf unserem Rundgang auf der Finca. “Vielleicht werden wir ökonomisch nicht besser leben, aber in Würde. Sie nannten uns dreckige Indianer. Mit diesen Beleidi­gungen ist jetzt Schluß.” Unser er­ster Weg führt uns in das Verwaltungsge­bäude, wo ich auf Relikte bekannter und vermeintlich vergangener Zeiten treffe: Eine Wehrmachtsurkunde an der Wand, eine Bismarckbüste auf dem Schrank. Im Bücherregal entdecke ich neben “Die Schlacht von Stalingrad” und Berichten über das “Schicksal der 6. Armee” auch ein Werk des US-amerikanischen Ethno­logen Oscar Lewis ” Zeugnisse von armen Mexika­nern”. An der Zahlstelle, wo sich die KaffeepflanzerInnen ihren kargen Lohn ab­holten, prangt ein Aufkleber, der zy­nischer kaum sein kann: “Dinero en ma­nos del pobre”, übersetzt: “Geld in Hän­den der Armen – armes Geld.”
Billardtisch und Hausbar
Auf einer Anhöhe, mit Blick über die mindestens 2.000 Hektar umfas­sende Kaf­feeplantage, steht das Haus der Ex-Besit­zerInnen. Die Villa “der Rei­chen”, wie die deut­schen Finqueros hier genannt werden, ist von einem Blumengarten umgeben. Hier residierte das Ehepaar Margarita Schimpf und Laurenz Hulders mit ihrem Sohn, bis sie am 4. August letzten Jahres ange­sichts der rebellierenden Cam­pe­sinos/as fluchtartig Liquidambar ver­ließen. “Wenn die Rei­chen in ihr Haus wol­len, können sie kommen und mit uns le­ben. Aber sie wer­den nicht mehr Land er­halten als wir alle.” Eduardo begleitet mich ins Innere des leerstehenden Ge­bäudes, dessen luxuriöse Ausstattung den Villistas am Tag der Be­setzung die Sprache verschlug: Billard-Salon, Bo­dybuilding-Center, Hausbar, Weinkel­ler. “Die Getränke, vor allem Cham­pagner und französische Weine, wur­den nach der Besetzung ausgetrunken. Aber jetzt ist auf unserer Finca Alko­holverbot” erklärt Eduardo, “da das Geld der Familien für wichtigere Dinge ausge­geben werden soll.” Vorbei an zwei Swimming-Pools verlassen wir den Herr­schaftssitz und betreten die Sied­lung der Finca. Während in den weni­gen Steinhäu­sern die Verwalter lebten, waren die Kaf­fee­pflückerInnen, in der Ern­tezeit etwa 2000 Per­sonen, in Baracken untergebracht. “Hühnerställe” wurden diese etwa 120 Quadratmeter großen Holzbauten genannt, in denen ca. 100 Menschen monatelang “wohnten”. Bis vor einem halben Jahr wa­ren hier die Zustände Wirklichkeit, die B. Traven in seinem Buch “Die Rebellion der Ge­henkten” beschreibt. Neben der klei­nen Kapelle, im Zentrum der Siedlung, befand sich die “Tienda de Raya”. In diesem La­den konnten die Campesinos ihre Fichas, statt Geld für die gelei­stete Arbeit ausge­gebene Wertmarken, gegen Kleidung, Werkzeuge und billi­gen Fusel eintau­schen. Für den Ar­beitstag, der von 5 bis 20 Uhr dauerte, erhielten die Kaffeear­beiterInnen Marken im Gegenwert von 8 Pesos, die Frauen unter ihnen weniger. Das portionierte Es­sen – Tor­tillas, Bohnen und Kaffee – wurde vom Lohn abgezogen. Medizini­sche Versor­gung gab es in Liquidambar für die Peones nicht. Allerdings konnten die­jenigen, die in der Nähe über eine kleine Parzelle Land verfügten, Kredite für den Kauf der Medikamente bei den Finca-Be­sitzerInnen aufnehmen. Als Gegen­leistung mußten den Deutschen die Be­sitztitel über­lassen werden. Durch diese Methode haben sich über die Hälfte der BewohnerInnen des in der Nähe von Li­quidambar gelegenen Ortes Nueva Pale­stina verschuldet. Was mit den Menschen passierte, die über keine “Reserven” ver­fügten, läßt ein im Wald der Finca ange­legter Friedhof vermuten. Holzkreuze ohne Namen und ohne Daten symbolisie­ren das Ende der Leidenswege zerschun­dener TagelöhnerInnen. Eduardo erklärt: “Hier sind diejenigen begraben, die ohne Fami­lien gekommen waren, zum Großteil Guatemalteken, Nicaraguaner und Salva­dorianer. Diesen illegalen Wanderarbei­tern wurden bei Arbeits­beginn von den Verwaltern die Papiere abgenommen, um Auflehnungen, vor allem gegen Betrug bei den Lohnzah­lungen, vorzubeugen.” Falls es doch zu Protesten gegen die Verhält­nisse kam, oftmals am arbeitsfreien Sonn­tag, wenn die Campesinos ihr Leid im Suff er­tränkten, wurden sie von Auf­pas­sern in das Gefängnis der Finca ge­worfen. Die folgende Geldstrafe wurde vom Lohn abgezogen. Diese Zustände sind jetzt vorbei.
Arbeit unter Selbstverwaltung
Es ist Abend geworden, die Kaffee­pflückerInnen bringen die Bohnen von den Feldern. Zum ersten Mal in ihrem Le­ben arbeiten die Menschen in Li­quidambar unter Selbstverwaltung. Die Ernte ist gut und der Kaffeepreis ge­stiegen. Während der Tageslohn vor der Besetzung bei 8 Pesos lag, werden jetzt zwischen 60 und 100 Pesos (ca. 12 bis 20 US-Dollar) ausgezahlt, je nach gepflück­ter Menge Kaffee. Da die Produktionsan­lage nicht wie in vielen anderen Fincas von den Ex-Be­sitzerInnen sabotiert wurde, läuft der Wasch- und Troc­knungs­vor­gang relativ reibungslos. Auch beim Ver­kauf des zum größten Teil organischen Kaffees gibt es keine Probleme – nicht mehr. Die Boykottversuche der Groß­grund­be­sitzer sind in dieser Region ge­schei­tert, da sich die Kaffee-Aufkäufer das lukrative Ge­schäft nicht entgehen las­sen wollen. Al­lerdings werden die Vil­listas in Liquidam­bar höchstens die Hälfte des reifen Kaf­fees ernten kön­nen. Das liegt vor allem daran, daß es die UCPFV ablehnt, fremde Leute einzustellen. Eduardo: “In den von uns besetzten Fincas sind die Arbeits- und Le­bens­formen unterschiedlich. Hier in Li­qui­dam­bar wird alles kollektiv ver­waltet und be­arbeitet. Alle Menschen, die hier arbeiten, sind Mitglieder der Kooperative. Wir be­zahlen uns, Män­nern und Frauen, die glei­chen Löhne, das Essen ist für alle um­sonst, und die Häuser – die Baracken wer­den nicht bewohnt – stehen den Fami­lien zur Verfügung.”
Nach eigenen Angaben sind über 1000 Familien in der UCPFV organi­siert, über­wiegend in der Region Fraylesca. Die UCPFV existiert seit über vier Jahren, ist je­doch erst bei den Besetzungen von Li­quidambar am 4. August und Prusia am 7. September letzten Jahres öffentlich unter diesem Namen aufgetreten. Eduardo: “Un­se­re ersten Aktionen waren die Beset­zungen der Fincas Salvador Urbina und Agua Piedra Blanca am 16. Februar 1991. In den folgenden drei Jahren, wir nennen sie Etappe des Widerstandes und der Rei­fung, mußten wir lernen, mit für uns neuen Situationen fertigzuwerden. Räu­mungen, Festnahmen, Morde an unseren Mitgliedern durch Guardias Blancas, Wie­derbesetzungen wechsel­ten einander ab. In dieser Region ist die Repression ge­gen sich organisie­rende Campesinos/as durch die traditio­nell enge Verflechtung von Groß­grundbesitzerInnen, Poli­tikerIn­nen der seit über 60 Jahren regierenden PRI und dem Polizeiapparat besonders aus­geprägt. So wurden am 5. September Roberto H. Pa­niagua, ein für die Interessen der Campesinos/as ein-ge­tre­tener Politiker der PRD, und am 30. Oktober 1994 ein Mit­glied der UCPFV von Pistoleros der Fin­queros ermordet. Eduardo: “Wir schaffen eine neue Realität, ge­gen die Unterdrük­kung durch Guardias Blancas und Polizei. Dabei können wir nur auf unsere eigene Stärke, die un­bewaffnete Organisierung, ver­trauen.” Die blutigen Erfahrungen, die die Vil­listas machen mußten, erschweren die von ihnen angestrebten Legalisierun­gen der besetzten Fincas. Das Mißtrauen gegenüber den staatlichen Stellen sitzt tief. Ein nicht genauer definiertes An­gebot des Gouverneurs, ihnen im Tausch gegen Liquidambar 1500 Hektar Land in einem anderen Land­kreis zur Verfügung zu stel­len, lehnte die UCPFV ab. Eduardo: “Wir wissen nicht, wo diese 1500 Hektar sein sol­len. Dieses zu akzeptieren hieße, das Land den dortigen Campesinos wegzu­nehmen. Wir wollen keine andere Finca, sondern das Land, das seit Generationen von uns bearbeitet wird.”
Die Mütze bleibt drüber
Die Zukunft der von der UCPFV be­setzten Finca ist ungewiß. Der Bruch des mit der EZLN ausgehan­delten Waffen­stillstandes durch die mexikanische Regie­rung läßt auch ein gewaltsames Vorgehen gegen die rund 700 in Chiapas enteigneten Ländereien befürchten. Verschiedene Groß­grund­besitzervereinigungen haben die Exi­stenz einer 700 Mann starken Ar­mee von Guardias Blancas bestätigt. Jorge Constantino Kanter, Präsident der re­gionalen Landbesitzerunion, wurde am 30. Januar auf einer Pressekonferenz deutlich: “Wenn in 30 Tagen die be­setzten Fincas nicht geräumt sind, werden wir selber die Initiative ergrei­fen. Unsere Ak­tionen werden sich speziell gegen Führer von Campesino-Organisationen richten.” In der Region Freylesca operiert nach Presseangaben das Todesschwadron “Fren­te Tiburcio Fernandez”, benannt nach dem An­führer der Konterrevolution in dieser Region während der 20er Jahre. An­gesichts dieser Bedrohungen ist es ver­ständlich, daß die Villistas weder ihre Namen nennen, noch sich ohne Gesichts­schutz fotografieren lassen.

Jenseits von Chiapas…?

Während diesseits und jenseits des “gran charco” mit einer gewissen Eupho­rie über die Möglichkeit der Bildung eines me­xikoweiten zapatistisch-cardenistischen Bünd­nisses namens Mo­vimiento de Libe­ra­ción Nacional (MLN) angeregt debat­tiert wurde, beraten UnterhändlerInnen zwi­schen Weißem Haus, Wall Street und Los Pinos (dem Amtssitz des Präsidenten Zedillo) ebenfalls zeitgleich die letzten Be­dingungen und Details. Dabei ging es nicht nur um den milliardenschweren transnationalen Dollarkredit für Mexiko, sondern auch um den Frontalangriff auf das EZLN und die mit ihm “sym­pa­thi­sie­ren­de” Zivilgesell­schaft.
Im Nachhinein gesehen liegt die Be­deu­tung des Hamburger Treffens dennoch da­rin, zum einen ein Resümee der politi­schen und wirtschaftlichen Situation Me­xi­kos zu ziehen, ein Jahr nach dem “Wie­der­eintritt der Gesichtslosen, der ewig Toten in die Geschichte”, dem öf­fent­lichen Erscheinen des EZLN. Und zum an­de­ren bot das Wochenende die Gele­gen­heit, das eigene Enga­gement und die ei­ge­ne Solidarität mit einer neuartigen, zumin­dest ungewöhnlichen und vielfach mittels “Marcos-Folklore” schon wieder refunktionalisierten Bewegung zu reflek­tieren. Dem Europa-Vertreter der CND, Alejandro de la Paz, gelang es im Verlauf des Treffens, die beiden Diskussions­stränge – das schlichte Bedürfnis zu be­greifen, “qué chingaos está pasando en México”, und den Wunsch nach einer ei­ge­nen Standortbe­stimmung gegenüber dem “Phä­nomen EZLN” – aufeinander zu be­ziehen. Denn wie Alejandro aus eigener Erfahrung zeigte, steht die von den zen­tral­amerikanischen Guerri­lla­bewegungen der siebziger und achtziger Jahre stark ge­prägte bundesdeut­sche Soliszene ähnlich wie die mexikanische Zivilgesellschaft zu­nächst perplex vor einer bewaffneten Cam­pe­sino-Bewegung, die weder Avant­garde-Ansprüche hat noch bereit ist, einen heroi­schen Stellvertreterkrieg für ganz Mexiko zu führen. Stattdes­sen zwingt sie die vielfältigsten Bewegungen, Organisa­tionen, Parteien und Grüppchen dazu, ihre Einzelforderungen, Alternativen und Uto­pien in ein gemeinsames, aber plurales “neues Projekt der Nation” einzubringen.
Wie soll die Unterstützung einer Bewe­gung aussehen, die versucht, sich jeglicher Form von Globalisierung zu entziehen? Was heißt “internationale Solidarität” im Kontext von Regional­autonomie, von An­erkennung kommunaler Souveränität? Auf dem Hamburger Treffen gab es nur zag­hafte Andeutungen möglicher Antworten: Auf die Globalisierung und Transnationa­lisierung von Machtstrukturen soll mit dem Aufbau eines transnationalen Austau­sches vergangener und gegenwärtig prak­tizierter Erfah­rungen, mit Strategien des Widerstands, der “Demokratisierung von unten”, des Er-Lebens von Autonomie reagiert werden. Jenseits des Scheiterns oder Erfolgs der CND beginnt Alejandro zufolge ein derartiger, spannungsreicher und auch wider­sprüchlicher Austausch im Rahmen der verschiedensten lokalen, re­gionalen und mexikoweiten Treffen. Der Austausch von Mit­gliederInnen der Frau­enbewegung, der Slum- und Stadtteili­nitiativen, der LehrerInnen- und Student­Innenbewegungen so­wie nicht zuletzt der Campesino- und Indígena-Organisationen ist nun eingeleitet worden. Das Engage­ment bundesdeutscher Gruppen sollte sei­ner Ansicht nach diese Art der Zu­sam­men­ar­beit aufgreifen durch unter­schied­lichste Lernformen der Stif­tung von Partner­schaften zwischen Gemeinden, Schu­len, Orga­nisationen etc. sowie durch das wechselseitige Schaffen von Gegenöf­fentlichkeiten bereichern. Dies würde es den verschie­denen sozialen Bewegungen ge­statten, mittels Blick über den sprich­wörtlichen Tellerrand die eigene Isolation zu überwinden und ihren spezifischen Kampf in einen allgemeineren Kontext zu stellen.
Ein konkretes Ergebnis des Hamburger Mexiko-Treffens ist der Aufbau eines di­rekten Kontakts zwischen den bundes­deut­schen Gruppen und der CND sowie der oppositionellen, von Amado Aven­daño koordinierten chiapanekischen “Über­gangs­regierung im Widerstand”. Über dieses neue Netz sollen unterschied­liche Aktionen in verschiedenen Städten or­ganisiert werden, bei denen vor allem eine engere Zusam­menarbeit mit den hier (noch existierenden) sozialen Bewegun­gen gesucht wird. Begünstigt wird diese Zusammenarbeit durch die Heterogenität der in Hamburg anwesenden Gruppen: Zu routinierten “Profis” der internationalisti­schen Szene und Gruppen, die aus kir­chenbewegten oder akademischen Kon­tex­ten stammen und oft zu eher theo­re­tischem Debattieren neigen, treten eher stadt­teilbezogene und aus der ei­genen konkreten Lebenswelt heraus enga­gierte Gruppen. Für diese sind Kon­zep­te wie Autonomie nicht bloßer Diskus­sions­stoff, sondern vielmehr Alltags­praxis. Ob sich aus einem derart hete­rogenen Spek­trum von Gruppen neue und ef­fek­tive Ak­tions­formen ent­wickeln las­sen, muß jetzt der Kampf gegen die von den Gläubi­gerbanken “transnatio­nali­sier­te” militä­rische Repression der mexika­ni­schen Demo­kratiebewegung zeigen.

Hart an der Grenze

Wieder einmal sorgt der Londoner Ver­lag Latin America Bureau dafür, daß ein ver­nachlässigtes Thema, gründlich und in­teressant geschrieben, einem breiten Pub­likum zugänglich gemacht wird. Die Rede ist von der US-mexikanischen Grenz­re­gi­on im allgemeinen und den vielen Mexi­kanerInnen, die dort leben, im besonderen. Augusta Dwyer durchstreift in “On the Line” eine Region, die sie pro­saisch mit “verloren zwischen zwei Natio­nen” be­schreibt.
Matamoros, Reynosa, Eagle Pass, Ciu­dad Juárez, Nogales, Douglas, Ciudad Acu­na, Tijuana – klangvolle Namen, aber die Realität in diesen rasant wachsenden Städten in der Grenzregion ist hart. Der phänomenale Aufstieg der Maquiladora­indu­strie hat sie genauso geprägt wie die daraus entstandenen negativen Folgeer­schei­nungen in der Umwelt: Flüsse voll mit Schwermetallen, miserable Luft und ver­giftete Böden. In dieser Region war Dwyer unterwegs, auf der Suche nach Schick­salen hinter den eingezäunten Ma­quiladorafabriken, nach Schicksalen hinter den dünnen Wellblechen der Armensied­lung­en, wo die Hoffnung immer die Him­melsrichtung Nord hat. Und es ist ihr ge­lungen. Dwyers Buch überzeugt immer dann, wenn sie das ausgiebig macht, was sie kann: journalistisch gut aufbereitet einzelne menschliche Schicksale als Folie für die Zwänge und Nöte zu benutzen, denen mehr oder weniger alle Me­xi­ka­ner­In­nen in dieser Region ausge­setzt sind. Et­wa, wenn sie die Geschichte der schwan­ge­ren Petra erzählt, die wegen der auf­ge­bla­senen Unnachgiebigkeit des Schicht­lei­ters einer Maquiladorafabrik ihr Kind ver­liert. In diesem Sinn ist ihr Buch pathe­tisch und mitunter auch ein wenig mis­sio­na­risch. Es versucht Verständnis für die Si­tuation der MexikanerInnen zu wecken und ist auch eine Reaktion auf die an­ti­me­xi­kanischen Polemiken in den USA im Zu­sammenhang mit den NAFTA-Ver­hand­lungen. Und es proklamiert die inter­na­tionale Gemeinschaft. Immer dann, wenn Dwyer die Mühsal bei der gewerk­schaft­lichen Organisierung der mexikani­schen ArbeiterInnen beschreibt, spritzt die Tinte auch nach Norden. Ihre Hoffnung ist der Zusammenschluß über die Grenze hin­weg. “Eine Grenze, vollgepackt mit Wi­der­sprüchen, geografisch und kulturell ent­fernt von ihren jeweiligen Macht­zen­tren, trotzt einfachen Versuchen von Cha­rak­terzuweisungen. Feucht und sub­tro­pisch am einen Ende, wüstentroc­ken und ge­birgig auf der anderen schnei­det sie eine Linie quer durch zwei ver­schiedene Wel­ten. Die eine ist das Zu­hause. Die andere ist die ‘andere Seite’. Doch nach einer eingehenderen Untersu­chung beginnen die Un­terschiede zu ver­schwim­men, es ent­fal­tet sich das Bild ei­ner Region, die auf ihre Art einzigartig ist, sie ist weder USA noch Mex­iko”, schreibt Dwyer über diese Re­gion. Aber auch wenn die Grenze in den Köpfen nicht mehr da sein mag (was be­zwei­felt werden muß), so gibt es die Mauer am Rio Grande un­bestritten immer noch. Diesen Aspekt hat Dwyer nicht außer Acht gelassen. Ihr Ka­pitel über die US-amerikanische Grenz­polizei, die Bor­der Patrol ist einer der Höhe­punkte ihres Bu­ches.
Nur ein kleiner Wermutstropfen bleibt: Im Eifer der Recherche ist Dwyer mitun­ter der Sinn für das Ganze flöten gegan­gen. Anfangs beeindruckt die vorgelegte Da­tenmasse, aber mit voranschreitender Sei­tenzahl droht mensch in der Flut der ein­drucksvoll vielen Zahlen den Überblick zu verlieren, was nicht weiter schlimm wäre, hätte ihn die Autorin nicht auch selbst ein wenig verloren. In bester Stim­mung reiht sie ein Zahlenpaket ans näch­ste. Jede Episode wird, noch bevor sie zu En­de ist, abstrahiert, indem Dwyer sie mit eifrig zusammengestelltem Zahlenmaterial füttert; so lange, bis der Inhalt bricht. Das Ga­nze, so abgedroschen muß auch mal re­zen­siert werden, ist halt immer noch mehr als die Summe seiner Teile – auch wenn die Teile für sich doch alle wieder etwas Ganzes sind. Deshalb der LN-Serviervor­schlag: Häppchenweise!
Martin Ziegele
Augusta Dwyer: On the Line. Life on the US-Mexi­can Border, London 1994, zu beziehen (wie übri­gens alle Bücher des Latin America Bureau) über die Latein­amerika Nachrichten. Gneisenaustraße 2a. 10961 Berlin. 29,80 DM.

Hörbarer Aufstand

Guatemala geriet 1986 in die Schlag­zeilen. Nach langer Militärherrschaft wurde der Christdemokrat Vinicio Cerezo in formal freien Wahlen zum Präsidenten gewählt. Die bundesdeutsche Regierung meinte, dieses Ereignis ausgerechnet durch Lieferung von Polizeifahrzeugen und -ausrüstung unterstützen zu müssen – zur Stärkung demokratischer Rechtsstaat­lichkeit.
Rufen wir uns die Ereignisse noch ein­mal in Erinnerung: Als die Militärs von 1978-1983 in Guatemala eine “Politik der verbrannten Erde” praktizierten, mußte die BRD wie viele andere Geberländer ihre finanzielle Unterstützung herunterschrau­ben, wobei bemerkenswert ist, daß sie auch unter einer SPD/FDP-Regierung nie ganz eingestellt wurde. Der “Nationale Plan für Sicherheit und Entwicklung”, der 1982 vom Generalstab der guatemalteki­schen Armee vorgelegt wurde, hatte eine gewisse Änderung der politischen Mittel zur Folge: Die Herrschaft von Militär und Großgrundbesitzern sollte nun durch ge­zielte militärische Schläge gegen die Guerrilla und durch eine breite Anti-Guerrilla-Kampagne gesichert werden, wozu ganze Dörfer zwangsweise “umerzogen” und in sogenannten Zivilpa­trouillen zu Handlangern des Militärs gemacht wurden. In diesen Plan paßte es auch, scheindemokratische Institutionen einzurichten, um gegenüber den interna­tionalen Geldgebern glaubwürdiger zu er­scheinen.
Die Leichtgläubigkeit der Bundesregie­rung jedoch war erschreckend. Das offi­zielle Konzept sah vor, die vom Präsi­denten kontrollierte Nationalpolizei als Gegengewicht zum Militär zu stärken – “zu einer wirksamen Verbrechensbekämp­fung im Interesse der Bevölkerung und zur Verbesserung der Menschenrechts­lage”, wie der Ministerialdirigent im BMZ Schweiger am 22.September 1986 schrieb. Einen Monat später hingegen war im Spiegel zu lesen, daß seit Cerezos Amtsbeginn (14. Januar 1986) bis August 551 Menschen ermordet und 198 ver­schleppt worden seien und nach Schät­zungen von Menschenrechtsorganisatio­nen ein Drittel davon “auf das Konto der staatlichen Sicherheitskräfte gehen und politisch motiviert sind.”
Dennoch übergab der deutsche Bot­schafter in Guatemala am 11. Februar 1987 120 Fahrzeuge und über 140 elek­tronische Geräte an die Nationalpolizei.
Die Hoffnungen, die in den gewählten Präsidenten gesetzt wurden, waren ver­geblich: Die Morde und schweren Menschenrechtsverletzungen ließen nicht nach, und es war offensichtlich, daß staat­liche Stellen in Guatemala einen Teil der Verbrechen zu verantworten hatten, Nach­forschungen über die Täter verhinderten und die 1985 vom Militär ausgesprochene Selbst­amnestie nicht antasteten. Im Jahre 1988 verschärfte sich die Lage, als sich Cerezo nach dem gescheiterten Militär­putsch im Mai dazu gezwungen sah, die Nationalpolizei dem Militär einzugliedern. Daß die Polizei im Sinne rechtsstaatlicher Demokratie handeln würde, war späte­stens von da an nicht mehr denkbar.
Noch im Jahre 1989 wurde ein Antrag der Grünen im Bundestag bei Enthaltung der SPD(!) abgelehnt, die Polizeihilfe ein­zustellen. Aber erst als die USA ihre Zahlungen beendete, nachdem bei einem Massaker am 2.12.1990 13 Indígenas er­mordet worden waren, zahlte auch die BRD die letzte Million nicht mehr aus.
Selbstverständlich ist die deutsche Poli­zeihilfe für Guatemala nicht das zentrale Thema des Buches. Worum geht es?
Nachdem der Rowohlt-Verlag ein für Juni 1994 angekündigtes Buch zur Lage in Guatemala (bisher immer noch) nicht her­ausgebracht hat, bietet Sterrs Buch einen tiefgründigen Einblick in die jüngste Ge­schichte des Landes und behebt damit den Mangel an einer aktuellen deutschsprachi­gen Darstellung. Es kommt Sterr vor al­lem auf die politische Geschichte an. Aber neben den sauber recherchierten, in ver­ständlicher Sprache dargebotenen Fakten und Zusammenhängen ist es ein Buch, das bewegt. Der Autor hat auf seinen Reisen selbst das Land kennenlernen können, und es bestätigt sich die alte Erfahrung: Von soundso vielen Toten und Verletzten zu hören, ist schrecklich, aber doch abstrakt, also unvorstellbar. In seinen Ausmaßen wird das Leiden ahnbarer -begreifbar wohl kaum-, wenn es um den Einzelnen und die Einzelne geht. So fügt Sterr in seinen hi­storischen Bericht zwei Reportagen ein. Hat man sie gelesen, dann bekommt auch der übrige Text ein anderes Gesicht.
Darüber hinaus ist es ihm gelungen, mit wichtigen Personen Guatemalas Inter­views zu führen. Das Buch beginnt mit ei­nem Gespräch mit Rigoberta Menchú. Später sind Interviews mit den coman­dantes der drei Untergruppierungen der Guerrilla URNG eingefügt, die für mich ganz besonders aufschlußreich wa­ren, da es sich nicht um die üblichen Sta­tements handelt, sondern die Befragten, unter ihnen der Sohn des guatemalteki­schen Schriftstellers Miguel Angel Astu­rias, über ihre Herkunft und ihr Selbstver­ständnis sprechen. Bereits 1990 führte Sterr ein Interview mit dem Ex-Diktator Ríos Montt – dem im Januar 1995 frisch gewählten Parlamentspräsidenten – ; ein Blick aus anderer Perspektive also, der sehr zu denken gibt. Trotz allem Persönli­chen verfällt Albert Sterr nicht dem Kult der Betroffenheit, sondern vermag es, fundierte Informationen und Statistiken mit dem alltäglichen Besonderen zu ver­binden.
Das Buch schließt mit einer detaillier­ten Darstellung der Friedensverhandlun­gen, die bisher noch nicht abgeschlossen sind. So sind allem die sich heute mit Guatemala beschäftigen, breite Kenntnisse an die Hand gegeben, die über das Basis­wissen weit hinausgehen.
In seinem Vorwort schreibt Sterr: “(Diese Arbeit)…wendet sich nicht in er­ster Linie an ‘Guatemala-Fachleute’, son­dern richtet sich auch an diejenigen, die zum Beispiel das Land besuchen und sich vorher einen Überblick darüber verschaf­fen wollen, welche gesellschaftliche Re­alität die Maya-Ruinen und die indiani­schen Märkte umgibt.”
Wie schön wäre es, würden sich Touri­stInnen so vorbereiten.
Valentin Schönherr
Albert Sterr: Guatemala. Lautloser Aufstand im Land der Maya, Neuer ISP Verlag, Köln 1994, 290 S., 36,- DM.

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens

Wir rufen alle sozialen und politischen Kräfte des Landes, alle aufrichtigen MexikanerInnen, alle die, die für die Demokratisie­rung des nationalen Lebens kämp­fen, zur Gründung einer BEWEGUNG FÜR DIE NATIONALE BEFREI­UNG auf, die die Nationale Demo­kratische Konvention und alle Kräfte einschließt, die unab­hängig von reli­giöser Überzeugung, Abstammung oder politi­scher Ideologie gegen das System der Staatspartei sind. Diese Bewegung für die Nationale Befreiung wird mit allen Mitteln und auf allen Ebenen für die Einsetzung einer Über­gangsregie­rung, für eine neue Verfas­sunsversammlung, für eine neue Verfas­sung und für die Zerstörung des Systems der Staats­partei kämpfen. Wir rufen die Nationale Demokratische Konven­tion und den Bürger Cuauthémoc Cárdenas Solórzano dazu auf, sich an die Spitze dieser Bewegung für die Nationale Befreiung zu stellen, die ein breites Oppositionsbündnis sein soll.
Wir rufen die ArbeiterInnen der Republik, die ArbeiterInnen auf dem Land und in der Stadt, die Colonos, die Lehrer­Innen und StudentenInnen Mexikos, die mexikanischen Frauen, die Jugendlichen des ganzen Landes, die KünstlerInnen und die aufrichtigen Intellektuellen, die konse­quenten Gläubigen, die Basismitglieder der verschiedenen politischen Organi­sationen dazu auf, in ihrem Bereich und mit den Kampfformen, die sie für möglich und für notwendig halten, für das Ende der Staatspartei zu kämpfen und sich der Nationalen Demokrati­schen Konvention anzuschließen, wenn sie keiner Partei ange­hören, der Bewegung für die Nationale Befreiung, wenn sie in einer der politischen Oppositionskräfte aktiv sind.
Im Geist der III. Erklärung des Lacandon-Urwaldes verkünden wir:
Erstens: Der Bundesregierung wird die Wache über das Vater­land entzogen. Die mexikanische Flagge, das oberste Gesetz der Nation, die mexikanische Hymne und das Nationalwappen werden ab jetzt in der Obhut der Widerstandskräfte sein, bis die Le­galität, die Legitimität und die Sou­veränität im gesamten natio­nalen Terri­torium wiederhergestellt sind.
Zweitens: Die ursprüngliche Politische Ver­fas­sung der Verei­nigten Mexi­kanischen Staaten in ihrer Fassung vom 5. Februar 1917 wird für gültig erklärt. Ihr werden die Revolutionären Ge­setze von 1993 und die Autonomiestatuten für die Indígena-Re­gionen beigefügt. Sie gilt, bis eine neue Verfassungsversamm­lung zu­sammentritt und eine neue Carta Magna verabschiedet.
Drittens: Wir rufen zum Kampf für die Aner­kennung der “Übergangsregierung zur Demokratie” auf, in die sich die ver­schiedenen Gemeinden, sozialen und poli­tischen Organisationen selber einbringen. So wird der in der Verfassung von 1917 vereinbarte Bundespakt aufrecht erhalten. Die Gemeinden und Organisationen schließen sich unabhängig von der religiösen Überzeugung, der sozialen Klasse, der politischefolgung sowie auf­grund von Krieg und Bürgerkrieg müs­sen das Recht auf Asyl begründen. Flucht auf­grund von Armut, welche die in der All­ge­mei­nen Erklärung zu den Menschen­rech­ten festgeschriebenen Mindeststan­dards ei­nes menschenwürdigen Lebens ver­letzt, muß als Asyl­grund anerkannt werden.

4. Deserteure und Kriegsdienstver­wei­gerer aus Kriegs- oder Bürger­kriegs­gebieten müssen Anspruch auf Asyl haben.

5. Die Länder Europas werden auf­ge­for­dert, Flüchtlinge und Asylsu­chende vom Visumzwang z das Wahlgesetz reformieren, damit künftig saubere Wahlen, Glaub­würdigkeit, die Anerkennung aller nationalen, re­gionalen und lokalen politischen Kräfte gesichert sind. Die Über­gangsregierung soll zu neuen all­gemeinen Wahlen in der Föderation aufrufen.
3. Sie wird eine Verfassungs­versammlung für die Schaffung ei­ner neuen Verfassung einberufen.
4. Sie muß die Besonderheiten der Indígena-Gruppen, ihr Recht auf Autonomie und ihre Staatsbürgerschaft anerkennen.
5. Das nationale Wirtschaftsprogramm muß grundlegend verän­dert werden. Lüge und Verschleierung müssen beseitigt wer­den. Die ArbeiterInnen und BäuerInnen, die die Hauptprodu­zentInnen des Reich­tums sind, den sich jedoch andere aneig­nen, müssen künftig begünstigt werden.
Mexiko, Januar 1995.”

Die Seifenblase ist geplatzt

Salinas de Gortari, der erst im Dezem­ber das Prä­sidentenamt an Zedillo ab­gegeben hatte, ist davon überzeugt, daß Mexiko den Peso bereits zu einem frü­heren Zeitpunkt hätte ab­werten sollen. Seine Re­gierung habe jedoch im Vor­feld der Wahlen im Herbst aus Stabilitätsgrün­den nicht von ihrer Wechselkurs­politik abweichen wollen. Der PRI blieb so bis zum 20. Dezem­ber immer noch ihre öko­nomi­sche Er­folgsbilanz, die sich eben­falls auf Stabilität gründete: Geringe In­fla­tion, die allerdings nur wegen eines immer größer werden­den Kapitalbilanz­defizites möglich war, machte die Staatspartei, im Be­wußtsein der Wähler, zum einzigen Ga­ranten der Stabilität und sicherte ihr bei den Prä­sident­schaftswahlen den Sieg. Die Oppositionsparteien PRD und PAN wer­fen dem Ex-Präsidenten Salinas in­zwi­schen persönliche Be­reiche­rung vor. Doch die USA, de­ren Präsident Bill Clinton immer wieder die unbe­schränkten Importe von US-Waren nach Mexiko ohne ent­sprechende Peso­abwertungen lobte, för­dern die Kandida­tur Salinas zum Vorsit­zenden der GATT-Nachfolgers WTO (Welt­handelsorganisation) wei­terhin. Sa­linas zeige her­vorragende Führungs­quali­täten, erklärte US-Handels­minister Ron Brown. Der ve­nezo­lan­ische Wirtschafts­wis­sen­schaftler Moises Naim betonte dagegen, schon vor einem Jahr sei be­kannt ge­wesen, daß der We­chselkurs des Peso kor­rigiert werden mußte. Die Re­gierung habe aber nichts unternommen, weil sie sich damals durch die günstigen makroökonomi­schen Daten gut nach au­ßen habe darstellen können. Diese Seifen­blase ist jetzt geplatzt. Der PRI ist zwar ihr wichtigstes Ziel, der Machterhalt, wie­der einmal gelungen. Doch der Preis dafür ist hoch. Das Schock­programm Zedillos wird na­türlich vom In­ternationalen Wäh­rungsfond (IWF) unter­stützt, in der Be­völkerung dürfte der Rückhalt aller­dings nicht groß sein. Im Notstands­programm sind in­nerhalb der nächsten zwei Jahre le­diglich Lohnsteige­rungen von sieben Pro­zent vorgesehen. Die Unter­nehmen konn­ten nur zu dem Ver­sprechen gebracht werden, die Preise nicht “un­gerechtfertigt” zu erhö­hen. Dieses “Ab­kom­men für die Einheit”, das Anfang Januar von der Re­gierung mit dem Gewerk­schaftsdach­verband und den Unternehmen aus­gehandelt wurde, soll die Inflation 1995 nicht über 19 Prozent schnellen lassen. Auch ist vor­gesehen, die Staats­aus­gaben zu kürzen. Und die Preise bleiben für zwei Monate eingefroren, wohl vor allem, um den Sturz der mexikanischen Börse ins Bodenlose zu ver­hin­dern.
Doch inzwischen meldete die Gewerk­schaft der Elek­trizitätsarbeiter den An­spruch an, die Tarife frei auszuhandeln. Auch die Ange­stellten der staatlichen Presseagentur Notimex ver­langen eine Lohnerhöhung von 22 Prozent. Und die Natio­nale Kammer der Weiter­ver­arbei­tenden Industrie (Canacintra), die 85 Pro­zent aller industriel­len Ar­beitsplätze in Mexi­ko reprä­sentiert, for­derte ein sechs­monatiges Schuldenmo­ra­torium und die Stundung von Steuerrückständen. Außer­dem forderte der Ver­band Hilfe für Un­ternehmen, die vor der Ab­wertung Kre­dite bei ausländischen Ban­ken auf­genommen hatten. Alle Importprodukte sind we­sent­lich teurer ge­worden, ebenso Benzin. Zwar ist die Erdölge­sellschaft PEMEX seit 1938 in den Händen des Staates und soll es nach Aussagen von Regierungs­vertretern auch bleiben. Doch der Druck aus den USA, PEMEX zu pri­vatisieren, wächst. Immerhin war die mexi­kanische Regie­rung erst­mals gezwungen, Kredite der USA und Kanadas zu Stützungskäufen zu ver­wenden. Denn die Kapital­flucht setzte sofort bei der Abwertung des Peso ein. Ausländische Anleger haben angeb­lich bis zu zehn Milli­arden Dollar an der Börse in Mexiko verloren. Damit muß wieder um Kapitalanlagen in Mexiko ge­worben werden. Zwar sind diese Summen überwie­gend im nicht­produktiven Bereich ein­gesetzt worden, denn Spekulation ver­spricht höhere Gewinne, doch die Siche­rung ausländischer Ka­pitalanlagen in Me­xiko steht bei den Geberländern ganz oben.
Das Ausland fängt den Peso auf
Vertreter der mexikani­schen Regierung reisten deshalb nach New York und Tokio und priesen auch in Frankfurt am Main die Vor­züge des Standortes Mexiko. Enri­que Vilatela, Präsident der Banco Na­cional de Co­mercio Ex­terior und Leiter der vom mexikanischen Fi­nanz­mi­nis­terium nach Europa entsandten Dele­ga­tion, ver­kündete in Frankfurt, daß über kon­krete Finanz­arrange­ments nicht ge­sprochen worden sei. Doch mit der Deut­schen Bank und der Dresdner Bank, so hieß es in Bankenkreisen, be­teiligten sich zwei deutsche Großban­ken an einem Stüt­zungskredit von drei Milliarden Dollar. An diesem Kredit, über des­sen Moda­li­tä­ten nichts be­kannt wurde und der Teil ei­nes 18 Milliarden Dollar – Paketes ist, sind ins­gesamt 30 inter­na­tionale Geldinsti­tute beteiligt. Zusätzlich wollen die USA Kre­dit­bürg­schaften von bis zu 40 Mil­liarden Dollar bereitstellen, um Mexi­kos kurz­fristige Zahlungs­verpflichtungen auf einen längeren Zeitraum um­schulden zu können.
Durch diese offene Un­ter­stützung der US-Regierung stiegen die Börsenkurse am 13. Januar erstmals wieder um 4,61 Pro­zent an. Auch der Peso konnte sich um 30 Centavos auf 5,30 pro Dol­lar verbessern.
Produktion vorübergehend gestoppt
Währenddessen plant VW de México, die Auto­produktion ab dem 23. Januar für eine Woche zu unterbrechen, da die mexi­ka­nische Inlands­nachfrage zusammen­ge­brochen ist. Die Arbeiter des VW-Werkes in Puebla sollen für diese Zeit nur die Hälfte des Lohnes erhalten. Bereits jetzt wird nur noch Kurzar­beit gefahren. Auch die Mercedes-Benz AG hat die Produktion vorüber­gehend gestoppt. Der Sprecher der Bayer-AG, Friedrich Gott­schalk, betonte dagegen die Vorteile der Peso­abwertung für seinen Konzern. Mexiko sei bisher bei den Lohnko­sten “nicht un­bedingt wett­bewerbs­fähig” gewesen. Die Krise verbil­ligt die ar­beits­intensive Produktion, wie sie u.a. an Mexikos Nord­grenze besteht. In den dortigen maquiladoras werden oft unter Umgehung der Ar­beitsrechte Halb­fertigpro­dukte aus den USA zusam­mengefügt und wieder in die USA re-im­portiert. Jede Lohn­senkung erhöht die Pro­fite beträchtlich.
Börsensturz in Brasilien und Argentinien
Der Einfluß der mexi­kani­schen Krise auf ganz La­teinamerika ist wäh­renddes­sen un­über­sehbar. Mexiko als eines der größ­ten und ent­wickeltsten Länder des Sub­kontinents, das zudem durch den NAFTA-Vertrag mit den USA und Kanada verbun­den ist, symboli­sierte bis zum 1. Jn Puebla sollen für diese Zeit nur die Hälfte des Lohnes erhalten. Bereits jetzt wird nur noch Kurzar­beit gefahren. Auch die Mercedes-Benz AG hat die Produktion vorüber­gehend gestoppt. Der Sprecher der Bayer-AG, Friedrich Gott­schalk, betonte dagegen die Vorteile der Peso­abwertung für seinen Konzern. Mexiko sei bisher bei den Lohnko­sten “nicht un­bedingt wett­bewerbs­fähig” gewesen. Die Krise verbil­ligt die ar­beits­intensive Produktion, wie sie u.a. an Mexikos Nord­grenze besteht. In den dortigen maquSA, die auf die­se Weise den ge­samten Kontinent sta­bili­sieren wollen, be­ginnt nun zu wanken. Auch Brasiliens erst letztes Jahr neuge­schaffene Wäh­rung Real, die noch immer höher als der Dollar bewertet wird, wird ab­gewertet werden müssen. Bereits jetzt ist der Bör­senkurs in Sao Paulo um fast 12 Prozent ge­fallen. Ähnliches gilt für den Nach­barstaat Ar­gentinien: Dort mußte die Börse einen Sturz von 10 Prozent hinneh­men. Falls sich die Krise ausweiten sollte, könnte die von den USA geplante Aus­wei­tung des Freihandelsab­kommens NAFTA auf den ge­samten Kontinent auf Schwie­rigkeiten stoßen. Der extrem un­gleich verteilte Reichtum in Lateiname­rika erscheint zwar in den Han­delsbilanzen nicht, könnte aber langfristig die Stabi­lität der Wirtschaftsent­wicklung gefährden.

Kasten:

Situation in Chiapas eskaliert, doch der Dialog beginnt
Der Bischof von San Cristóbal de las Casas, Samuel Ruíz, der CONAI (Nationale Vermittlungskommission) angehört, verneinte einen Zusammenhang zwischen der Pesoabwertung und “dem erneuten Ausbruch von Feindseligkeiten in Chiapas und dem Beginn von einigen Gesprächen.” Der massive Polizeieinsatz am 6. Januar gegen eine Kundgebung für die Auszahlung ausstehender Löhne der Coalición Campesina Estudiantil del Soconusco (COCES) in Tapachula, bei der ein sechsjähriges Mädchen ermordet wurde, ist nur ein Beispiel für den Regierungsstil der Regierung Robledo in Chiapas. Nachdem am 10. Januar in 5 Regierungsbezirken Rathäuser von unabhängigen Campesinoorganisationen besetzt wurden, kam es in der Gemeinde Chicomuselo zu 7 Toten, darunter drei Polizisten. Bischof Samuel Ruíz äußerte dazu in einem Interview, dort sei “jetzt eine gewisse Ruhe eingetreten. So weit ich weiß, wird dort mit Verhandlungen begonnen, die dieses spezielle Feld betreffen.” Immerhin seien allerdings die ganaderos, Viehzüchter, die private Todesschwadronen befehligen, bei zwei der Besetzungen zusammen mit der Polizei aufgetaucht. Trotzdem könne nicht von einer Koordination der ganaderos mit den Sicherheitskräften gesprochen werden. Da in Chiapas zum selben Zeitpunkt und am selben Ort zwei Regierungen gebildet wurden, besteht das Problem der Übergangsregierung im Aufstand, die von Amado Avendaño repräsentiert wird, darin, anerkannt zu werden. Samuel Ruíz sagte dazu: “Ihr Programm besteht in der Ausarbeitung einer Verfassung, damit in Chiapas eine neue Verfassung verabschiedet werden kann. Dies wird ein wichtiger Impuls sein, um die mexikanische Verfassung zu ändern. Denn die Dinge, die sich hier in Chiapas ändern müssen, werden über Chiapas hinaus wichtig sein. Beispielsweise die Anerkennung der Ethnien als konstituierender Bestandteil der nationalen Realität und nicht als marginale Gruppen, die man respektieren muß. Der Kursverfall des Peso wird die indigene Bevölkerung besonders hart treffen, denn trotz Subsistenzproduktion sind sie doch auf Kredite angewiesen. Kredite, die jetzt unter erschwerten Bedingungen zurückzuzahlen sind. Denn an stabile Devisen gelangen in Chiapas nur die Viehzüchter, die in die USA exportieren und Hotelbesitzer, die vom Tourismus profitieren.
Am 15. Januar trafen sich erstmals seit den gescheiterten Gesprächen vom vergangenen März wieder VertreterInnen der Regierung und der EZLN. Innenminister Esteban Moctezuma traf auf dem Territorium der EZLN mit drei Repräsentanten der EZLN zusammen, um einen Ausweg aus der gegenwärtigen Gefahr eines erneut ausbrechenden Krieges zu finden. Zuvor hatten die Zapatistas den Waffenstillstand nochmals bis zum 18. Januar verlängert. Ergebnisse dieses Treffens wurden nicht bekanntgegeben, doch Folgetreffen sind vorgesehen. Zuvor schon hatte die EZLN nach der Besetzung mehrerer Ortschaften und dem anschließenden Eindringen von Regierungstruppen in das Territorium der Zapatistas den Waffenstillstand erst bis zum 6., dann nochmals bis zum 12. Januar verlängert. Mittlerweile verkündete die EZLN einen unbefristeten Waffenstillstand und strebt in Verhandlungen mit der Regierung einen dauerhaften Frieden an.

Ya basta!

Mit der Besetzung mehrerer Städte in Chiapas vermasselte die EZLN am 1. Januar 1994 der mexikanischen Regierung ihren feierlichen “Eintritt in die Erste Welt”. Nicht mehr vom NAFTA war die Rede, sondern von der Armut und Unter­drückung der indianischen Bevölkerung im Süden Mexikos. Der Aufstand mar­kier­te zugleich den Beginn der “ersten Revo­lution des 21. Jahrhunderts”, und dies, obwohl das “Ya Basta” der EZLN vor allem auch eine Absage an die Modernisierung Die Abschaffung der ejidos, des Gemeinde­landes, und die Zerstörung der lokalen Märkte durch die “neoliberale Kolonialisierung” des NAFTA ist das To­des­urteil für die traditionellen Formen kollektiven Zusammenlebens. Dieses To­desurteil wollen die Indígenas nicht hin­nehmen, wie Veronika Bennholt-Thomsen verdeutlicht: “Die Indígenas sind sehr ge­duldig, aber wenn ihnen ihre letzte Existenzbasis, der Boden für die Selbst­ver­sorgung mit Grundnahrungsmitteln, weg­genommen wird, dann reißt auch ihre Geduld: Basta! Ya Basta! Sie möchten keine Lohnarbeiter sein, denn das wider­spricht ihrer Weltsicht und Kultur, und ihre schlechten Erfahrungen damit haben sie nur bestärkt. Lohnarbeit macht nicht frei, sondern abhängig. Geld kann man nicht essen, außerdem reicht es nie und sein Wert ist prekär. Wenn die indiani­schen Rebellen Tierra y Libertad Den Sturz der ewigen PRI-Regierung hat die EZLN nicht erreicht, womit auch selbst die ZapatistInnen kaum ge­rechnet haben. Doch mit ihrem Aufstand und der Einberufung des “Demokratischen Natio­nalkonvents” haben sie vermutlich mehr erreicht als alle oppositionellen Be­we­gungen der letzten Jahrzehnte in Mexiko: “Männer und Frauen erobern ihren Platz in der Geschichte zurück, ihr Han­deln, das sie als gemeinsam und kollektiv entdek­ken. Sie sind nicht mehr anonyme Zu­schauer, sondern werden so mutige Ak­teure”, schreibt Subcomandante Marcos, Sprecher und Medienstar der EZLN, und sieht als Ergebnis der ersten Monate des Kampfes: “Etwas ist auf­gebrochen in die­sem Jahr, nicht nur das falsche Bild der Moderne, das der Neoliberalismus uns verkauft hat, nicht nur die Falschheit der Regierungsprojekte, der institutionellen Almosen, nicht nur das ungerechte Ver­gessen des Vaterlandes gegen­über seinen ursprünglichen Be­wohn­ern, auch das ri­gide Schema einer Linken, die darin ver­haftet ist, von und in der Vergangenheit zu leben.”
Genau in diesem Sinne ist der Zapati­stInnen-Aufstand auch die “erste Revolu­tion des 21. Jahrhunderts” und die EZLN die “erste Guerilla des 21. Jahrhunderts”. Sie konnte stark werden, weil sie nicht (mehr) zu der Avantgarde gehört, “die so­weit vorne gehen, daß sie allein sind”. Lange waren die ersten Kader der Guerilla allein im lacandonischen Urwald und im Hochland von Chiapas. Ohne Basis pflegten sie einige Jahre ihr politisch-mi­litärisches Avantegardekonzept und blie­ben isoliert – bis sie sich von alten Gewißheiten verabschiedeten: “Warum konnte die EZLN wachsen? Und nicht nur wach­sen, sondern in eine Explosion mün­den, die ein festgefügtes, hartes, gewalti­ges, monströses Land bis in seine Grund­festen erschütterte – Mexiko. Sie ver­mochte dies, weil sie entgegen aller Re­geln – in ihrer Entstehungsphase eine große Niederlage erlitt (und seither immer wieder erleidet), die genau ihren Erfolg begründet. Sie ließ zu, daß die Realität die Theorie zunichte machte, daß das gelebte Leben ein Den­ken überwand, das festen Strickmustern folgte, mit Kompaß und Handbuch als Anleitung.”
Auch die Topitas, das Redaktionskol­lektiv aus mehreren Lateinamerika-Solida­ritätsgruppen, haben darauf verzichtet, ein Handbuch mit fertigen Erklärungen zu er­stellen. Ihr Lesebuch ist eine gelungene Mischung aus Erklärungen der EZLN, Inter­views, Reportagen, Analysen und ei­nem Fotoessay. Ebenso werden Wider­sprüche und Zweifel (beispielsweise am Kult um die mexikanische Nationalfahne) nicht ausgespart.
Viel Raum erhält Marcos, den der me­xi­kanische Journalist Hermann Bel­linghausen als “Paradoxon” charakteri­siert: “Er ist der bescheidene Diener dieser Campesinos und gleichzeitig ihr Führer.” Doch die Marcos-Lastigkeit von Ya Basta! geht in Ordnung. Seine poetischen Ana­lysen der mexikanischen Realität, die Anek­doten aus dem Zusammenleben mit dem alten Antonio und der kleinen Toñita oder seine Briefe an Journalisten, Volks­organisationen und Kinder beeindrucken durch Klarheit und Ironie, ihr Pathos wirkt selten deplaziert. In einem Brief an ein Kind faßt er in wenigen Worten Ursache und Zweck des Aufstandes zusammen: “Hier haben wir schlimmer als Hunde ge­lebt. Wir mußten wählen: weiter wie Tiere leben oder wie würdige Menschen ster­ben. Die Würde ist das einzige, das man nie verlieren darf … nie.” Gleichsam als Ausblick auf die weiteren Kämpfe schrieb Marcos vor wenigen Monaten: “Ein neuer Wind kommt auf, er kommt mit Lüften aus der Vergangenheit und mit einer Bri­se, die unverwechselbar nach Zukunft riecht.”
Bleibt zu hoffen, daß Ya basta! das Ziel der HerausgeberInnen erfüllt: “Vielleicht sollten wir überhaupt dieses Buch zum Anlaß nehmen, über uns und unsere Ge­schichte nachzudenken, über unsere Art, Themen und Ideen solange theoretisch zu wälzen, zu zerreden, zu bezweifeln, bis es keinen Grund mehr gibt, praktisch zu werden, Ya basta zu sagen…”

Topitas (Hg.): Ya basta! Der Aufstand der Zapatistas, Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1994, 364 Seiten, 28,- DM

Eine neue Literaturgeschichte

Das Vorhaben, eine Literaturgeschichte des noch nicht zu Ende gegangenen 20. Jahrhunderts zu schreiben, bringt einige Pro­bleme mit sich. Da ist zunächst die Unmenge an AutorInnen und Büchern, aus der irgendwie ausgewählt werden muß, mit dem Ziel, den Rahmen eines Ta­schenbuchs nicht zu sprengen. So­dann stellt sich die Frage, wie diese Auswahl zu ordnen, wei­ter, wie mit den “Rändern” umzugehen sei, man denke an Autor­Innen, die in Nordamerika oder Europa leben und teilweise in anderen Sprachen schreiben. Und nicht zuletzt ist es heikel, die persönlichen Vorlieben und Vorbe­halte zugunsten einer halb­wegs objektiven Darstellung zurückzuhalten, die den Le­serInnen möglichst viele Freiräume bei der eigenen Lektüre läßt.
In seinem Vorwort geht Strosetzki auf diese Probleme ein und stellt die Prinzi­pien dar, nach denen er das Buch ge­schrie­ben und an die er sich durchgängig gehalten hat.
Die Auswahl der SchriftstellerInnen folgte dem Grundsatz, daß ihre Bedeutung in der Literaturwissenschaft Lateinameri­kas und Europas weitgehend unumstritten sein soll. Die Verkaufs­zahlen in deutschen Buchläden spielen dabei keine Rolle, denn viele AutorInnen gerade der ersten Jahr­hunderthälfte wurden und werden hier – im Gegensatz zu Amerika – kaum gelesen. Ander­er­seits geht Strosetzki nur vorsichtig auf Werke des letzten Drittels des Jahr­hunderts ein, da ihre Bedeutung für die Literaturwissenschaft oft noch nicht abzu­sehen ist. So ist zwar Isabel Allende aus­führlich, Gioconda Belli jedoch nur knapp erwähnt, und der hierzulande häufiger ge­spielte chile­nische Dramatiker Ariel Dorf­man fehlt ganz. Das bedeutet auch, daß un­bekanntere Autoren vor allem Mit­tel­amerikas und der Kari­bik keine Auf­nahme fan­den. Aber vielleicht ist das die Auf­gabe einer Literaturgeschichte, die in 20 Jah­ren geschrieben wird.
Strosetzki geht länderweise von Nord nach Süd vor, stellt je­doch Nicaragua (mit dem modernismo bei Rubén Darío) und Guate­mala (mit dem magischen Realis­mus bei Miguel Angel Asturias) an den An­fang. Tatsächlich macht die Einteilung nach Län­dern hier mehr Sinn als die tradi­tion­elle chronologische. Beson­ders deut­lich wird das dadurch, daß Strosetzki je­dem Kapitel einen knappen, ein- bis zwei­sei­tigen Geschichtsabriß voranstellt. Die The­menwahl vieler AutorInnen wird da­durch verständlicher, etwa die mexikani­sche Revolutionsliteratur oder die argenti­nische Gaucho-Literatur. Wo die Themen sich nicht auf die Ländergeschichte bezie­hen lassen, erzwingt er nichts, und die viel­fältigen Verflechtungen innerhalb La­tein­amerikas wie auch die Beziehungen zu Eu­ropa bleiben nicht unberücksichtigt.
Bei den erwähnten “Rändern” gilt – mit Aus­nahmen – die Regel, daß diejenigen AutorInnen erwähnt werden, die auf Spa­nisch beziehungsweise Portugiesisch schreiben. Genauso bleiben europäische Autoren völlig unberücksichtigt, die in Lateinamerika lebten und über lateiname­rikanische Themen schrieben, wie Anna Seghers oder B. Traven. In formaler Hin­sicht findet die testimonio-Literatur eines Miguel Barnet genauso Platz wie die Es­sayistin Elena Poniatowska und die dezi­diert historiographischen Werke Eduardo Galeanos.
Wichtig zu erwähnen ist noch der An­hang. Zunächst werden fremdsprachige Zi­tate übersetzt, wobei leider einige feh­len; für das Verständnis mancher Passa­gen ist das eine empfindliche Lücke. Da­ran schließt sich eine Liste besonderer Art: In alphabetischer Reihenfolge hat Strosetzki alle erwähnten Werke aufge­führt und die Titel übersetzt. Ist das Buch auf Deutsch erschienen, steht der entspre­chende deutsche Titel. Wenn der jeweilige Ti­tel jedoch nicht wörtlich übersetzt wurde, fügt er eine entsprechende Über­set­zung an. Beispielsweise heißt es da: “El siglo de las luces (Alejo Carpentier); in deutscher Fassung: Explosion in der Ka­thedrale; deutsch wörtl. [Das Zeitalter der Aufklärung]”.
Was für ein Buch liegt uns nun vor? Strosetzki schrieb eine “kleine” Literatur­geschichte. Sie reicht nicht aus, wenn es um Details im Werk eines Autors geht und kann die übrige Sekundärliteratur nicht ersetzen. Wenn er “Hundert Jahre Ein­samkeit” zwei thesenartige Seiten wid­met, kann das nicht befriedigend über den Rom­an Auskunft geben, und das Fehlen von Carlos Fuentes’ frühem Mei­sterwerk “Aura” mag schmerzen.
Was das Buch leistet, und zwar in vor­bildlicher Weise, ist ein gut lesbarer Überblick. Die AutorInnen werden nicht lexikon­ar­tig aufgelistet, sondern ihre the­matischen und stilistischen Zusam­men­hänge werden – manchmal artistisch – be­nutzt, um einen fortlaufenden Text zu schreiben, der von Lai­en und Fachleuten glei­chermaßen zum Nachschlagen wie zur Bett­lektüre verwendet werden kann.

Christoph Strosetzki: Kleine Geschichte der la­teinamerikanischen Literatur im 20.Jahrhundert, Beck’sche Reihe, München 1994, 360 S., 24.- DM.

Tierra: Umwelt und Mitwelt indigener Völker

Auf der zweiten Weltkonferenz für Menschenrechte, die im Juni 1993 in Wien stattfand, wurden wichtige Ver­pflichtungen für die Vereinten Natio­nen vereinbart: eine Dekade für Indi­ge­ne Völ­ker zu starten und ein vor­aus­sichtlich permanentes Forum ein­zu­richten. Parallel dazu veranstaltete das öster­reichische La­teinamerika-In­stitut ein Symposium zu der Frage nach den Rech­ten indigener Völker, um einen Dialog zwischen Wissen­schaft­lerInnen, indi­genen VertreterIn­nen und Expert­Innen aus Entwick­lungsprojekten zu er­möglichen. In 14 Beiträgen dieses Bu­ches werden die Er­gebnisse dieses Treffens dargestellt.
Der Titel des Sammelbandes greift die zentrale Frage der internationalen Aus­einandersetzung um die Rechte der indi­genen Völker auf. “Tierra”: For­derung nach Land. Tierra, wird uns im Vor­wort erklärt, sei die “Lebens­grundlage eines je­den indiani­schen Vol­kes”, und entspre­chend sei die Forderung nach einer lega­len Basis für territoriale Ansprüche und politi­sche Auto­nomie eng mit der Ökolo­gie und den indigenen Land- und Nut­zungs­rechten verbunden.
Reale und formelle Politik
Seitdem die UNO 1982 die “Arbeitsgruppe für Indigene Völker” ein­setzte, gibt es formelle und regel­mäßige Kontakte mit VertreterInnen indigener Völker. Die Aufgabe dieser UN-Gruppe ist es, wie es im Beitrag von Julian Burger erklärt wird, “Entwicklungen, die die in­digenen Völ­ker beeinträchtigen, zu beob­achten und Standards für den Schutz ihrer Rechte auszuarbeiten”. Wie die Um­setz­ung dieser Standards auf interna­tionaler Ebene vorangeht, zeigt die Tat­sache, daß der Deklarationsentwurf der UN über die Rechte der indigenen Völ­ker, erst im Fe­bruar 1995, zwei Jahre nach seiner Verab­schiedung, von der Menschenrechtskom­mission der UN angenommen wird. Ob diese De­klaration auf die verschiedenen Re­gierungen einwirken wird bleibt noch abzuwarten.
Der tägliche Kampf der indigenen Völ­ker wird in den Beiträgen der Ex­pert­Innen aus Entwicklungsprojekten dar­gestellt. Berichte über Venezuela und Ecuador zeigen, wie die rechtliche Stellung ihrer Reservate den Indígenas keinen Schutz vor der Ausplünderung ihrer Boden­schätze seitens des Staates gibt. Durch die Militarisierung der Zone und die Zerstö­rung ihrer Le­bens­grundlage sind sie stark bedroht. Andere Beispiele dagegen zei­gen, wie in Guatemala und Brasilien sich die Indígenas gegen die Interessen des Staates wehren. In Guatemala erobern die Kekchí-Indianer die Region Petén mit Bauernsiedlungen, in denen ihre tradi­tionellen Strukturen und ihre Identität auf­rechterhalten werden. In Brasilien ist das Gebiet der Zuflüsse des oberen Rio Negro eine der weni­gen Regionen des Ama­zonasbeckens, in dem seit Jahrhunderten verschie­dene indianische Völker nahezu die ein­zigen ständigen BewohnerInnen sind. Wie die 19 Volksgruppen dieses Ge­biets zusammenleben und ihre kul­tu­relle Vielfalt aufrechterhalten, könnte ein Vor­bild für andere Gesellschaften werden…
Menschenrechte und Indianität
Ethnische Rechte der indigenen Völ­ker als speziell begründeter Anspruch inner­halb der Menschenrechte zu be­trachten, erfordert eine Definition der Indianität. Bei Rodolfo Stavenhagen wer­den die konzeptuellen Problem­fel­der, die dadurch entstehen, benannt: Individuelle und kol­lektive Rechte, ethnische Minderheiten und indigene Völ­ker auf der ganzen Welt. Als Ge­gengewicht steht der Beitrag von Leo Gabriel über die “Indianisierung” der Volksbewegungen in Lateinamerika. Er vertritt die These, daß durch die neu­en Transformationsprozesse in diesem Kon­tinent Begriffe wie Ethnie, Rasse und Klasse nicht mehr gültig sind. Als Folge der neoliberalen Wirt­schaftspolitik orga­nisiert sich die Zivil­gesellschaft in Volks­organisationen, um die Armut zu bekämp­fen. Darin ist die indianische Identität der gemeinsame Nen­ner, unter dem sich auch Mestizen und andere benachteiligte Grup­pen finden.
Natur als Mit- und Umwelt
Aus ökologischer Sicht zeigen die Be­richte der Experten über die indige­nen Auseinandersetzungen mit dem Staat eine alternative Lebensweise, in der die Natur als Mit- und Umwelt erlebt wird. Es ist beeindruckend zu er­fahren, wie in den zwei Vorträgen, die von Indianer-Vertre­tern in Wien gehalten wurden, der Kampf um die Um­welt gleichgesetzt wird mit dem Kampf um das eigene Leben. Dieses Natur­konzept ist Gegenstand der Menschen­rechtsdiskussion, weil es ein anderes Rechtsverständnis darstellt als das von Europa in die Kolonien über­tra­gene und heute international gültige. Eine Al­ternative zu diesem juristischen Problem wird von Wolfgang Dietrich analysiert, sowie im Beitrag von Otmar Höll, in dem die juristischen Hinder­nisse zu einer nachhaltigen Entwick­lung gezeigt werden.
Ob die Internationale Dekade der Indi­genen Völker, die im Dezember 1994 be­gonnen hat, dazu beitragen wird, die Lage der Indígenas zu ver­bessern, bleibt noch offen. Was der Sammelband zeigt, ist die Vielschich­tigkeit eines Problems, das durch den europäischen Kolonialismus vor 500 Jahren in den Trikont-Ländern in Gang gesetzt wurde.

Tierra: Indigene Völker, Umwelt und Recht./ Doris Cech u.a., Frankfurt a.M. 1994,. ISBN 3-86099-131-0 (Brandes und Apsel), 180S.,ca 28DM.-

“Nenn nie Chiquita nur Banane!”

“Profanes und Heiliges, Ge­schmack­loses und Hintergründiges, Albernes und Gewitztes in einem wun­derlichen Bana­nengarten vereint”, verspricht das Haus der Kulturen der Welt in seinem Programm­heft. Ge­meinsam mit einem Frank­furter Jour­nalisten und Bananen-Samm­ler namens Wulf Goebel sind rund 600 Kunstba­nanen und Bananenkunst-Objekte zusammenge­tra­gen worden. Ziel sei, so Goebel, “der Banane das zurück­zuge­ben, was sie seit alters her hat: KULTUR.”
Um die Spur der Banane durch Zei­ten und Kontinente aufzuzeigen, reiht sich Objekt an Objekt: Bananenstau­den auf jahrhundertealten Seidenma­lereien aus China und Südkorea, Ra­dierungen euro­päischer Forscher aus dem 18. Jahr­hundert, die die kuriose gelbe Frucht minutiös abbilden, kolo­rierte Postkarten von kolonialen Bana­nenplantagen und -märk­ten, Werbeta­feln aus Emaille und Bana­nenimitate aus Pappmaché und Wachs, die An­fang dieses Jahrhunderts euro­päische “Kolonialwarenläden” zier­ten. – Es ist noch gar nicht so lange her, daß die Banane in einigen Ge­bie­ten der Welt vom exotischen Luxus­artikel zum weit verbreiteten Nahrungs­mittel wurde.
Früchte, die die Welt verän­dern…
Viele unserer Landsleute halten die Kartoffel für ein sehr deutsches Ge­wächs, obwohl diese erst vor wenigen Jahr­hunderten aus Amerika nach Eu­ropa ge­bracht wurde. Ähnlich geht es wahr­scheinlich vielen Lateinamerika­ner­Innen mit einem ihrer alltäglichen Nah­rungs­mittel, der Banane. Ur­sprüng­lich aus Asien stammend, ge­langte die gelbe Frucht durch arabi­sche Kaufleute zunächst nach Afrika, bevor sie nach einem Um­weg über die Kanarischen Inseln erst An­fang des 16. Jahrhunderts von den portu­giesi­schen Eroberern nach Panama ge­bracht wurde. Mittlerweile zählen ins­be­sondere die zahlreichen Kochbana­nen­arten in Lateinamerika zu den wich­tigsten Nah­rungsmitteln. Die riesigen Monokul­turen mit Süßbananen für den Export ent­wickelten sich in diesem Jahrhun­dert in ei­nigen Ländern zum dominie­renden Fak­tor in Wirt­schaft und Politik, was einigen mittel­amerikani­schen Staaten das berüch­tigte Etikett “Bananen­republik” auf­drückte.
Als Ende des 19. Jahrhunderts die US-amerikanische “United Fruit Com­pany” in Pa­nama ihre erste große Ba­nanenplantage gründete, war die gelbe Frucht sowohl in Nord­amerika als auch in Europa noch ziem­lich unbe­kannt. Eine winzige Ladung von zwölf Büscheln Bananen, die 1902 in Bre­men eintraf, konnte nur schwer ver­kauft werden. Einer der Gründe, die lange Zeit den Import erschwerten, waren die man­gelnden technischen Möglich­keiten, die Früchte beim Transport zu kühlen. Daran scheiterten auch Be­mühungen der Deutschen, aus ihren eigenen Kolonien – ins­besondere aus Kamerun – Bananen ein­zuführen. Erst 1910 verkehrten die ersten Dam­pfer mit Kühlmaschinen zwischen den Ka­na­rischen Inseln und Europa. Von da an stiegen die Bananenimporte aus den süd­lichen Ländern nach Europa in ra­san­tem Tempo: 1937 wurden 146 800 Ton­nen Bananen ins Deutsche Reich expor­tiert, 1973 bezog die Bundesre­publik be­reits mehr als das Vierfache, nämlich 700.000 Tonnen. Im Gegen­satz zu an­deren exoti­schen Früchten ist die Banane mit extrem nie­drigen Zöllen belegt und so­gar billiger als viele einheimische Pro­dukte. Nach und nach vertrieb das krum­me Frücht­chen den Apfel vom Rang als Lieb­lingsobst im bundesdeutschen Wohl­stands­paradies.
“Deutsche, kauft deutsche Bananen!”
Aber damit war der Höhepunkt noch nicht erreicht. Der kam erst mit dem Fall der Mauer, als die Banane nicht nur zum lang entbehrten Gau­menschmaus der Ost­deutschen wurde, sondern zum Kult­objekt, zum verhei­ßungsvollen Fetisch des hem­mungslo­sen Konsums. Die Ausstel­lung doku­mentiert die Auswüchse der da­ma­ligen Bananeneuphorie, die auch zum bil­ligen geistigen Nährstoff für satirische Er­güsse westdeutscher Spöt­ter wurde. So po­sierte eine fiktive “Zonen-Gaby (17) im Glück”, nämlich “mit ihrer ersten Ba­nane”, auf dem Titelbild der Zeitschrift “Titanic”. “Birne zaubert” als Bananen­jongleur im handlichen Daumen­kino, der “ge­heime Stasi-Schatz” ist natürlich als rie­siges Bananen­depot dar­gestellt. “Jetzt wächst zusammen, was zusam­men­gehört”, höhnte Klaus Staeck und zeichnete eine Ba­na­nenschale, aus der eine fette Fleisch­wurst quillt.
Die Banane wurde als Inbegriff neu­deutschen Spießertums verwurstet, als infla­tionäres Symbol der Wiederverei­nigung als deutsch-deutsche Bana­nen­re­publik. Den absurden Wider­spruch zwi­schen Bananenkult und Ausländer­haß bringt ein Graffiti auf den Punkt: “Deutsche, kauft deutsche Bananen!”
Auf den “Schlachtfeldern” des brasi­lianischen Malers Antonio Henrique do Ama­ral wird die Banane auf ganz andere Art und Weise zur politischen Metapher: Seine Serie von sieben hy­per­realistischen Öl­bildern, die während der brasilianischen Mili­tärdiktatur ent­stand, zeigt von Gabeln durch­bohrte und zerquetschte, von Strik­ken stran­gulierte Bananen. Das in den Far­ben Brasiliens gemalte gelbe, grüne und zuweilen blutrote Fruchtfleisch, die bajonett- oder gitterartigen Metallfor­ken er­weck­en Assoziationen an Ge­fängnis und Folter.
Das obskure Objekt der Begierde
Warum regt ausgerechnet die Ba­nane die Phantasie von Kunst- und Kommerz­schaf­fenden an? Allein am exo­tischen Image kann es kaum liegen, denn dann hät­ten ja auch die Zitrone oder die Ananas recht gute Chancen. Den heimischen Ap­fel hat sie ja, wie bereits erwähnt, schon längst in vieler­lei Hinsicht aus­gestochen. Zwar nann­ten immerhin noch die Beatles ihre Plattenfirma “Apple”. Doch hatte die­ses Symbol, wenn wir der Aus­stellung glauben, längst nicht so weit­reichende Wirkungen wie die Banane, die Andy Warhol für das Plattencover seiner Freun­de von “Velvet Underground” ent­warf. Seit­dem wimmelt es von Ba­nanen und Bana­nenschalen auf den LP-Hüllen und Tourneeplakaten von Leonard Cohen, Chris Rea, “Banana Rama” und wie sie auch heißen mö­gen. – Aber eigentlich fing ja alles schon viel früher an, nämlich in den zwanziger Jahren mit Josephine Bakers neckischen Bananenröckchen oder später mit Harry Belafontes “Banana Boat”-Song.
“Wenn wir die Banane richtig be­trach­ten, wird sie schnell zu einem mysteri­ösen, fast beunruhigenden Ob­jekt”, meint Vilem Flusser, der im Pro­grammheft als “nam­hafter Philosoph unserer Zeit” aus­gewiesen wird. Liegt vielleicht in der phal­lischen Form der geheimnisvollen Frucht der Schlüssel zum tieferen Ver­ständnis des Bananen­kultes? – Die Aus­stellung präsentiert das Pin-Up für Schwule – Bananen­büschel als provoka­ti­ves Feigenblatt über kräftigen Lenden – das Werbe­plakat für “Hot Rubber-Kon­do­me”, deren Funktion am Objekt einer wehr­losen Banane demonstriert wird, und Ero­tik­büchlein mit geschmack­vol­len Titeln wie “Die Kunst, Bananen zu schälen”.
Bananeneintopf – Genuß ohne Reue?
Der schwarze Transvestit, die dicke schwar­ze Frau, das junge schwarze Mo­dell auf der Chiquita-Reklame – sie alle tra­gen auf den Fotos exotische Bananen­röck­chen und lächeln uns freund­lich und zu­traulich an. Wir lächeln zurück und gehen weiter zu den anderen Ausstel­lungsgegenstän­den, den unzähligen Ku­scheltieren, Scherz­artikeln, Schlüssel­an­hängern, Aschen­bechern, Haarspangen und Lampenschirmen – alles Banane. Für jeden modernen Geschmack ist etwas da­bei. Eine Ausstellung für die ganze Familie. Die Kinder drücken sich stau­nend die Nasen platt an den Vitrinen mit den süßen, poppigen Gegenstän­den oder kön­nen sich noch mal auf Video High­lights aus Walt Disney`s Dschungelbuch rein­ziehen. Für wis­sens­hungrige Erwachs­ene gibt es in ei­ner Ecke zumindest ein paar kritische Videos zu den Anbaubedingungen von Bananen.
“Die Ausstellung dient dem Lachen, dem Lernen, dem Genießen und manch­mal auch dem Wundern”, so die Organi­satorInnen vom Haus der Kul­turen der Welt. Bewußt wurde, laut Anna Jacobi, zu­ständig für Öffentlich­keitsarbeit, auf Tafeln mit detaillierten Hinter­grund­informationen oder gar Kom­men­taren ver­zich­tet. Wenn sich gesellschaftliche Be­züge nicht gerade aufdrängten, wie etwa bei dem Thema Wiedervereinigung, wur­de gar nicht erst versucht, Zusammen­hän­ge herzu­stellen. Dabei wäre es bei­spiels­weise interessant gewesen, das Ver­hältnis zwischen Bananenkult, Exotis­mus und ras­sistischen Stereotypen et­was genau­er unter die Lupe zu neh­men. Wie kommt denn die schwarze Frau im Bana­nen­röckchen auf die Chiquita-Reklame?
Sollte derart schwere Kost dem Aus­stel­lungspublikum nicht zugemutet wer­den? – Auch wenn die Bananen­speise in reich­haltigen aufeinanderfol­genden Gän­gen serviert wurde – Geschichte, Kunst, Pop, Kitsch usw. – kam ich aus der Aus­stel­lung mit dem Grundgeschmack heraus, einen etwas undefinierbaren Eintopf im Magen zu haben.

“Alles Banane” noch bis zum 20. Februar im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin. Tel. 030/ 397870

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