Paradies abzugeben
Der Tourismus ist bei Panamas autonomen Indígenas angekommen
Einmal am Tag gibt es auf Playon Chico Nervenkitzel vom Feinsten. Immer dann, wenn früh um kurz vor sieben Uhr das kleine Flugzeug zur Landung auf der unwesentlich größeren Insel aufsetzt. Nervenkitzel, denn die Passagiere sehen die Landebahn schnell vorbei und sich selbst direkt aufs offene Meer zurasen. Aber jeden Morgen können sie aufatmen: Der Pilot hat das Flugzeug – von einigen ängstlichen MitfliegerInnen als „Bus mit Tragflächen“ klassifiziert – sicher zu Boden gebracht.
Kleinflugzeuge sind das einzige Transportmittel, das die zahlenmäßig größte indigene Gruppe Panamas, die Kuna, mit dem Rest des Landes verbindet. Anders ist das „San Blas Archipel“, das sich über die nordöstliche Karibikküste Panamas erstreckt, nicht zu erreichen. Und diese Kleinflugzeuge bringen nicht nur Lebensmittel und die Verwandten aus der Hauptstadt zurück in ihre Dörfer, sondern mittlerweile auch regelmäßige Wellen von TouristInnen, die sich nach dem Erlass einer Gesetzesinitiative vom letzten Jahr zu einem konstanten Strom entwickeln könnten. Schließlich leben die Kuna – gemessen an den Beschreibungen der Reiseprospekte – mitten im Paradies.
Fast 400 Inseln gehören zu „Kuna Yala“, wie die Kuna ihr Land selbst nennen, und nur wenige davon sind bewohnt. In Playon Chico, wo sich eine der wenigen Landepisten für Flugzeuge befindet, leben ungefähr 2.000 Menschen. Eine von ihnen ist Isadelda. Sie arbeitet im „Centro de Salud“, im Gesundheitszentrum des Örtchens, und teilt sich mit ihrem Mann und den fünf Kindern eine Hütte aus Holz und Palmenblättern.
Die beiden älteren Kinder studieren in der Hauptstadt, was in den Gemeinden eher die Ausnahme als die Regel ist. „Ich fühle mich wie eine Kuna“, erklärt Isadelda, und scheint Probleme mit ihrer Identität nicht zu kennen. Ihre 5-jährige Tochter Lidiet wächst wie alle Kinder des Stammes zweisprachig auf. Bei der Alltagskommunikation wechseln sich die Kuna-Sprache und das Spanisch der ehemaligen Kolonialherren im wahrsten Sinne fließend ab.
„Bildung ist das wichtigste, das wir unsern Kindern zukommen lassen können“, meint Arnelio, Lidiets Vater. „Die Eltern hier entscheiden selber, wann sie ihre Kinder in die Vorschule schicken. Mit drei, vier oder fünf Jahren“. Etwa 200 Schüler gibt es in Ukupseni, wie der Ort in der Sprache der Kuna genannt wird. „Die jungen Schüler“, erläutert Arnelio, „ kommen früh in die Schule und gehen am Mittag. Die Älteren lernen nachmittags. In der Frühe müssen sie noch ihren Familien bei der Arbeit helfen.“
Arbeit, das ist bei den Kuna vor allem zweierlei: Fischfang und Kunsthandwerk. Fast alle Kuna-Männer fahren in ihren Einbäumen aufs Meer und fischen wie ihre Vorfahren. Die Frauen fertigen derweil „molas“ an, künstlerisch bestickte eckige Tücher, die auf die Vorder- und Rückseite der traditionellen Blusen der Frauen genäht werden. Oder für 25 Dollar das Stück an den Touristen verkauft werden.
Revolution für Autonomie
Alle Kuna haben Verwandte, die in der Hauptstadt leben und Molas verkaufen – am besten ohne Zwischenhändler, die teure Provisionen verlangen. Einer von ihnen ist Felix. Felix ist 25, und seine Augen leuchten, wenn er den historisch interessierten BesucherInnen des traditionellen Marktes von der „Revolution“, wie er es nennt, erzählt. Anfang und Mitte des letzten Jahrhunderts sei das gewesen, als sich die Indianer nicht länger von den Nachfahren der weißen Eroberer unterdrücken lassen wollten. Die Kämpfe gingen gut aus für die Gemeinschaft der Kuna: 1938 schuf die panamaische Regierung das „Comarca de Kuna Yala“, indianisches Gebiet, auf dem die Kuna fortan als autonomste indianische Bevölkerungsgruppe Lateinamerikas selber über ihr Leben und ihr Land entscheiden konnten. Hier herrschen eigene Gesetze, gibt es spezielle Regeln der Obersten des Stammes, an die sich jeder und jede Kuna zu halten hat. Nur den Indígenas selbst steht darüber hinaus das Recht zu, eigenes Land zu erwerben. Dieses „Anman Igar“, das „Fundamentale Gesetz“, ist einer der Grundpfeiler, auf dem das starke Selbstbewusstsein der indianischen Gemeinschaft gründet. Für Hotelketten und findige TouristenschleuserInnen ist das „Comarca“ somit tabu. Bisher.
Investitionen erwünscht
Da das „Comarca de Kuna Yala“ mitten in der südlichen Karibik liegt, jedes Werbeplakat namhafter Reiseveranstalter beim Anblick der paradiesischen Palmen und Strände vor Neid erblassen lassen würde und das Thermometer im Jahresschnitt Temperaturen jenseits der 30 Grad-Marke anzeigt, haben Investoren schon lange Gefallen gefunden an der Region. Im letzten Sommer traf sich einer ihrer Wegbereiter, der panamaische Tourismus-Minister Rubén Blades, mit den gewählten Vertretern der 49 Kuna-Gemeinden. Das Ergebnis des Treffens wurde von den Medien des Landes durchweg als Erfolg gefeiert: Die KongressteilnehmerInnen beschlossen, dass künftig auch Nicht-Kuna unter bestimmten Voraussetzungen Land im „Comarca“ erwerben und die Inselgruppe somit auch touristisch erschließen können. Wie diese bestimmten Voraussetzungen aussehen sollen, und wie das Abkommen konkret umgesetzt werden soll, darüber besteht noch keine Einigkeit. Verträge mit den Kuna, Gesetzesänderungen und ähnliches müssen – so lautet die Vorschrift der Indígenas – von zwei aufeinander folgenden „Allgemeinen Kongressen“ (Congresos Generales) autorisiert werden. Diese Kongresse tagen zwei Mal jährlich; jedes Kuna-Dorf entsendet Vertreter. Seit Juni diesen Jahres berät der „Congreso General“, wie die touristischen Investitionen mit den Traditionen der Kuna in Einklang gebracht werden können. Mitarbeiter der panamaischen Tourismus-Behörde IPAT unterstützen sie bei der Ideenfindung; ihre Motive könnten jedoch anders gelagert sein. Vorsitzender der IPAT, Tourismusminister Rubén Blades, versprach, dass „Kuna Yala sich nicht in ein Cancún verwandeln wird. Aber es ist eine Tatsache, dass Kuna Yala diese Investitionen braucht.“
Probleme im „Paradies“
Diese „Modifikationen“ werden sich auf die bestehenden festen Traditionen der Kuna auswirken. Wie, bleibt abzuwarten. Zu verlieren haben sie jedoch einiges. Denn allen Erfolgen und Privilegien im Vergleich zu anderen indigenen Gemeinschaften zum Trotz haben die Kuna auch ohne Horden an Foto-JägerInnen ausreichend eigene Probleme. Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sind nicht seltener als in anderen indigene Gemeinden anzutreffen. Außer dem Aggregator des Krankenhauses und einer einzelnen Glühbirne auf dem Dorfplatz gibt es keinen Strom, keine sanitären Anlagen, kein Abwassersystem. Die „Toiletten“ sind einfache Holzstege, die ins Meer führen, mit einem Verschlag als Sichtschutz gegen die Blicke der Nachbarn. Darüber hinaus sind die Machtverhältnisse der Geschlechter klar verteilt: Weibliche Kuna kommen in den seltensten Fällen aus den ihnen traditionell zugedachten Rollen heraus. Außerdem dürfen die jungen Erwachsenen nur innerhalb der Gemeinschaft heiraten, und Frauen sich ihre Partner nicht unbedingt selbst aussuchen: Eltern und Gemeinderat haben ein Mitspracherecht. Oftmals gingen Familienmitglieder die Ehe ein, erklärt Felix, 25, in Panama-Stadt: „Cousins heiraten Cousinen, Brüder heiraten Schwestern.“ Aus diesem Grund kommen viele Erbkrankheiten in Kuna Yala überdurchschnittlich häufig vor. Am offensichtlichsten kann man dies an der hohen Zahl von Menschen mit Albinismus sehen, deren pigmentlose Haut unter der karibischen Sonne zu einem Überwurf aus verbranntem Fleisch mutiert. Die Kinder dieser Verbindungen geben das Erbgut wiederum an ihre Nachkommen weiter – ein Teufelskreis, weil ursprünglich rezessive Genome dominant auftreten.
Anstatt konstruktive Lösungen für diese offensichtlichen Probleme gemeinsam mit den Indígenas zu erarbeiten hat die panamaische Regierung auf die Öffnung ihres autonomen Territoriums gesetzt. Investitionen in Hotels und touristische Infrastruktur statt Aufklärung, Krankenvorsorge und Sicherung der Grundversorgung. Dennoch sind die Gemeinschaften den Entwicklungen nicht hilflos ausgesetzt. Die ersten Wellen des globalen Massentourismus schwappen an die Strände von Kuna Yala. Doch dem neuen Abkommen und der wahrscheinlichen Änderung des „Fundamentalen Gesetzes“ zum Trotz liegt es in der Hand der lokalen Gemeinden, auf welche Weise sie externe Investoren in ihr Land und damit in ihr Leben eingreifen lassen werden.