Kolumbien | Nummer 535 - Januar 2019

PARAMILITARISMUS UND POLITIK NAMENS URIBE

Daniel Prado über die Hoffnung auf Gerechtigkeit im kolumbianischen Postkonflikt

Im September 2016 beendeten die Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und die Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos den 52 Jahre währenden bewaffneten Konflikt. LN sprachen mit dem Menschenrechtsanwalt Daniel Prado über den Einfluss von Korruption und Paramilitarismus auf die juristische Aufarbeitung.

Von Interview: Madlen Haarbach

Herr Prado, wie schwer ist die Suche nach Gerechtigkeit in diesem Moment in Kolumbien, im sogenannten Postkonflikt?
Vor und nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den FARC hat sich eigentlich nicht viel verändert. Die Interessen der Machthaber dominieren weiterhin. Und es gibt viele Vorfälle aus den 80er, 90er und 2000er Jahren, die immer noch nicht aufgeklärt wurden. Der Justizausschuss funktioniert in der Realität nicht, es gibt sehr wenige Fälle, in denen überhaupt ermittelt wurde. Und es ist eindeutig, dass das am fehlenden Willen des Staates liegt, die Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte aufzuklären.

Seit August ist Iván Duque Präsident Kolumbiens. Er gilt als politischer Ziehsohn, manchen Kritiker*innen gar als Marionette des ehemaligen Präsidenten und heutigen Senators Álvaro Uribe Vélez. Hat der Regierungswechsel Ihre Arbeit beeinflusst?
Nein, es hat sich nichts verändert. Die Tatsache, dass die Regierung wechselt, bedeutet nicht, dass die generelle Situation sich ändert. Das liegt vor allem daran, dass Álvaro Uribe Vélez und seine politische Gruppe Teil jener Menschen sind, die von der Straflosigkeit in Kolumbien profitieren. Daher haben wir keine Resultate in keinerlei Hinsicht erlebt.

Als Iván Duque das Amt als Präsident antrat, versprach er, gegen Paramilitarismus und Korruption aktiv vorzugehen. Welchen Einfluss hat der Paramilitarismus auf die kolumbianische Politik?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es von Seiten der Regierung Duque eine ernsthafte Politik gegen den Paramilitarismus gibt – eben weil die Inkarnation der Verflechtung von Paramilitarismus und Politik Álvaro Uribe Vélez heißt. Seit den 1980er Jahren haben er und sein Bruder Santiago eine Strategie auf ihren Haciendas entwickelt, aus der die aktuelle Generation von paramilitärischen Gruppen hervorgegangen ist. Was in Kolumbien nötig ist, ist einerseits der Kampf gegen eben jene paramilitärischen Gruppen – aber auch ein Kampf gegen die Straflosigkeit. Es ist wichtig, dass umfassend erforscht wird, wer die paramilitärische Gewalt in Kolumbien verursacht, unterstützt und finanziert hat. Und genau deswegen glaube ich nicht, dass die Regierung von Iván Duque für diese Aufgabe geeignet ist: Denn dieser Präsident wurde durch Álvaro Uribe Vélez ins Amt gehoben. Uns muss klar sein, dass derjenige, der die politische Macht ausübt, Álvaro Uribe Vélez heißt – und nicht Iván Duque. Iván Duque ist nur die Person, die die Dinge ausführt, die Uribe Vélez plant.

Sie vertreten die Opfer im Gerichtsverfahren gegen Santiago Uribe Vélez, den Bruder des Ex-Präsidenten. Können Sie die Anklage kurz zusammenfassen?
Ende der 1980er Jahre und zu Beginn der 1990er gab es in der Region Yarumal im Departamento Antioquia viele Fälle von Gewalt. Diese Fälle wurden von der Menschenrechtsorganisation Comisión Intereclesial Justicia y Paz und Amnesty International öffentlich gemacht. Das führte zu einem ersten Ermittlungsverfahren Ende der 1980er Jahre. Die Ermittlungen wurden 1990 eingestellt, sammelten jedoch bis dahin bereits viele Indizien, die eine gewisse Zahl von Menschen mit der paramilitärischen Gruppe „Die 12 Apostel“ verbinden. In diesem Zusammenhang fiel bereits der Name Santiago Uribe Vélez. 2010 sagte ein Polizeikommandant aus Yarumal aus, dass er mit den „12 Aposteln“ kooperiert habe – und dass Santiago Uribe derjenige war, der die Gruppe leitete. Daraufhin startete die Oberstaatsanwaltschaft ein neues Ermittlungsverfahren. Nach drei Jahren wurde Santiago Uribe Vélez verhört und ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Ihm wird vorgeworfen, die „12 Apostel“ gegründet und gefördert zu haben. Außerdem ist er für den Mord an Camilo Barrientos (einem Busfahrer, der am 25. Februar 1994 in Yarumal erschossen wurde, Anm. d. Red.) angeklagt. 2017 begann der Gerichtsprozess, der Mitte Dezember endet.

Daniel Prado ist Anwalt und Menschenrechtsaktivist. Er setzt sich seit über 20 Jahren für die Opfer des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien ein. Aktuell vertritt er etwa die Opfer in dem Gerichtsverfahren gegen Santiago Uribe Vélez, Bruder des umstrittenen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, dem die Gründung einer paramilitärischen Vereinigung vorgeworfen wird. Das Urteil in dem Fall wurde für Dezember 2018 erwartet und ist mittlerweile auf dieses Frühjahr verschoben. (Foto: pbicolombia)

Wie ist der Fall Santiago Uribe an seinen Bruder Álvaro Uribe gekoppelt? Letzterer steht aktuell selbst vor Gericht, da er Zeugen manipuliert haben soll.
Die Verbindung zwischen Santiago und Álvaro ist eindeutig, da beide Miteigentümer der Haciendas sind, um die sich das Verfahren dreht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Santiago sich der Viehwirtschaft widmet und sein Bruder sich der Politik. Álvaro Uribe war nie weit entfernt von den Haciendas seiner Familie.

Sie haben an dem Verfahren gegen Álvaro Uribe nicht mitgewirkt, dennoch betrifft es auch den Prozess gegen seinen Bruder. Können Sie die Verbindungen genauer erklären?
Gut, worum geht es? Der Senator Iván Cépeda (von der linken Partei Polo Democrático, Anm. d. Red.) klagte vor einigen Monaten bei einer Debatte Álvaro Uribe, der ja mittlerweile ebenfalls Senator ist, wegen seiner Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen an. Álvaro Uribe reichte noch am selben Tag eine Klage am Obersten Gerichtshof ein, in der er Cépeda vorwarf, die Beweise gefälscht zu haben, die ihn mit dem Paramilitarismus verbinden. Im Zuge des Ermittlungs­verfahrens erklärte das Gericht, dass Cépeda keinerlei Straftat begangen hat – sondern vielmehr Álvaro Uribe, der Zeugen manipuliert haben soll, damit sie gegen Iván Cépeda aussagen. Außerdem hat Uribe offenbar einen Anwalt damit beauftragt, in Gefängnissen nach Personen zu suchen, die die Zeugen und beteiligten Juristen im Prozess gegen Santiago Uribe diskreditieren sollen.

Wie sehen Sie, in diesem Kontext, die Pläne der Regierung von Iván Duque, die Gerichtshöfe in Kolumbien zu vereinen? Dadurch würde auch der Oberste Gerichtshof, an dem die Prozesse gegen die Uribe-Brüder verhandelt werden, abgeschafft.
Für mich ist das Teil der Strategie von Álvaro Uribe, der sich von den Vorwürfen befreien und gleichzeitig Gerichtshöfe schaffen will, die nach seinen Vorstellungen funktionieren. Der Oberste Gerichtshof hat sich, unter anderem im Fall Álvaro Uribe, stets seine Unabhängigkeit bewahrt. Eben dadurch wurden viele Funktionäre und Politiker, die Teil der Regierungen von Álvaro Uribe waren, für verschiedene Straftaten verurteilt. Wenn der Gerichtshof Álvaro Uribe vorlädt, bereitet ihm das natürlich Unbehagen – denn der Gerichtshof ist eines der wenigen Organe im Land, die er nicht kontrollieren kann. Der selbe Gerichtshof hatte ihm auch vor einigen Jahren untersagt, ein drittes Mal für die Präsidentschaft zu kandidieren.

Vor wenigen Wochen wurden Änderungen an der sogenannten Übergangsjustiz (JEP), die aus dem Friedensprozess mit der FARC-Guerilla resultiert, im Kongress verabschiedet. Wie bewerten Sie die Änderungen?
Ich glaube, auch das ist Teil der gleichen Strategie: Álvaro Uribe will nicht zulassen, dass Kolumbien von einer Periode der Gewalt in eine des Friedens übergeht. Ich sehe die Verabschiedung in dem Sinne positiv, dass die JEP nun immerhin verabschiedet wurde. Negativ ist allerdings, dass die Änderungen dafür sorgen werden, dass keine weiteren Beweise gegen Uribe und seine politische Gruppe auftauchen. Als diejenigen, die sogenannte „Dritte“ im bewaffneten Konflikt waren – insbesondere Firmeninhaber und Großgrundbesitzer – aus den Regelungen der JEP herausgenommen wurden, bewirkte der Kongress damit, dass die Wahrheit über die Finanzierung der paramilitärischen Gruppen nicht ans Licht kommt. Wenn nun auch Militärangehörige statt vor Richter der JEP vor Militärgerichte gestellt werden sollen, verstößt Kolumbien gegen diverse internationale Abkommen. Denn die Verbrechen, um die es geht, sind keine Verbrechen im regulären Rahmen des Militärdienstes. Die Idee der JEP war es, dass auch Militärangehörige, die im Rahmen des Konfliktes Straftaten und Verbrechen begangenen haben, symbolische Strafen erhalten – und dadurch den Kämpfern der Guerilla gleichgestellt werden. Dadurch sollte der Prozess der Versöhnung in Kolumbien vereinfacht werden. In diesem Moment sieht es so aus, als wenn die einzigen, die sich öffentlich erklären und Strafen ableisten müssen, die Guerilla-Kämpfer sein werden.

Was erzählen uns die von Ihnen genannten Vorgänge über die Justiz in Kolumbien?
Die kolumbianische Justiz konnte sich bislang immer ihre Unabhängigkeit bewahren. Es wurden stets heikle Ermittlungsverfahren geführt, die dazu führten, dass Vertreter der Justiz verfolgt wurden und werden. Die Tatsache, dass die Regierung von Iván Duque die Zusammenlegung aller Gerichtshöfe plant, zeigt, dass die Regierung die bisherigen Gerichtshöfe nicht kontrollieren kann. Das bedeutet, dass es aktuell ein großes Risiko gibt, dass Kolumbien das gleiche passieren könnte wie Venezuela – allerdings nicht im politischen linken, sondern rechten Sinne. Die kolumbianische Demokratie, die sehr instabil ist, konnte die Gewaltenteilung bislang aufrechterhalten. Eben diese Gewaltenteilung ist nun bedroht.

Was bedeutet es, Anwalt und Menschenrechtsaktivist*in in diesem Moment in Kolumbien zu sein? Zu einem Zeitpunkt, an dem in den vergangenen zwei Jahren mindestens 340 Menschenrechtsaktivist*innen ermordet wurden? Auch Sie wurden bereits mehrfach bedroht.
Unabhängig von den Krisen, die wir durchleben, gibt es einfach Menschen, die nicht mit eingezogenem Kopf leben können. Die Möglichkeit, die sich uns bietet, ist, die Anklagen zu erheben, die ja irgendjemand erheben muss. Mir ist bewusst, dass das Risiko hoch ist – aber damit muss ich leben. Wir müssen denjenigen, die die Macht ausüben, gegenübertreten – denn wenn wir das nicht tun, wäre die Gesellschaft dazu verdammt, in Sklaverei zu leben.

 

 

 

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