Mexiko | Nummer 297 - März 1999

Patriotisches Himmelfahrtskommando

Oppositionelle Offiziere protestieren gegen Menschenrechtsverletzungen innerhalb der mexikanischen Bundesarmee und landen dafür im Knast

Der scheinbar monolithische Block, den die mexikanische Bundesarmee bisher darstellte, hat Risse bekommen. Mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion beklagten oppositionelle Militärs Willkürjustiz und Schikanen innerhalb der Armee. Auch wenn der Protest mittlerweile unterdrückt wurde, hat er doch eines bewirkt: In Mexiko wird erstmals öffentlich über die politische Rolle und den inneren Zustand der Armee diskutiert.

Boris Kanzleiter

Verschwörungstheorien erfreuen sich in Mexiko ungemeiner Beliebtheit. Dafür gibt es einen einfachen Grund: In einem Land, das sieben Jahrzehnte lang von nur einer Partei regiert wurde, deren interne Machtverhältnisse und Fraktionskämpfe zudem immer hinter verschlossenen Türen verborgen blieben, liegt es für den politischen Beobacher nahe, hinter jedem politischen Ereignis eine finstere Macht zu wähnen, die die Marionetten auf der öffentlichen Bühne tanzen läßt. So war es denn kein Wunder, daß ein illustrer vierstündiger Aufzug von 51 Militärs, die am 18. Dezember letzten Jahres über die hauptstädtische Magistrale Paseo de la Reforma marschierten, für großes Aufsehen sorgte und wilde Spekulationen auslöste. Denn es handelte sich keineswegs um eine der zahlreichen offiziellen Militärparaden, sondern um eine regelrechte politische Demonstration bewaffneter Uniformträger.
Ein Novum in Mexiko, drang doch bisher über das Innenleben der Bundesarmee kaum etwas an die Öffentlichkeit. Unter der Führung des Oberstleutnant Hildegardo Bacilio Gómez protestierte das selbsternannte Patriotische Kommando zur Bewußtseinsbildung des Volkes (CPCP) mit der Aktion gegen die Verletzung elementarer Menschenrechte innerhalb der Armee. Sogleich wurde darüber gemutmaßt, welche der unzähligen politischen Fraktionen oder Cliquen innerhalb des Staatsapparates und der Regierungspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) mit dem Manöver welches politisches Ziel erreichen und wer wem warum eine Ohrfeige verpassen wolle. Letztlich scheinen sich alle Spekulationen als Luftblase erwiesen zu haben: Hinter dem CPCP steht tatsächlich nur eine Gruppe von inkonformen Soldaten, die die unhaltbaren Zustände innerhalb der Bundesarmee anprangern wollten.

Willkürjustiz

Die CPCP-Mitglieder beklagten, daß etwa 1.500 Angehörige der Streitkräfte wegen angeblicher Vergehen wie Befehlsverweigerung oder Ungehorsam in Militärgefängnissen inhaftiert seien. Bei den Verurteilungen würde teilweise willkürlich vorgegangen und rechtsstaatliche Prinzipien mißachtet. So säßen viele Soldaten langjährige Strafen für Taten ab, die sie gar nicht begangen hätten. Bacilio Gómez und seine Anhänger forderten daher, daß die armeeinterne Rechtssprechung (fuero militar) aufgehoben und die Armee der zivilen Jurisdiktion unterworfen werden solle. „Für Militärs existieren keine Menschenrechte und sie kommen auch nicht in den Genuß der Garantien, die die Verfassung gewährt. Arm dran ist im Militär derjenige, welcher versucht, auf seine Bürgerrechte zu pochen“, erklärte Ende Februar Enriquez del Valle, ein ehemaliger Hauptmann, der als zweiter Anführer des CPCP gilt.
Bisher drang über die internen Verhältnisse in der Bundesarmee wenig nach außen. Lediglich der Fall des General José Francisco Gallardo wurde in der Presse öfter erwähnt. Wenn man dem CPCP Glauben schenkt, kann er als symptomatisch gelten. Gallardo hatte sich 1993, ähnlich wie das Patriotische Kommando heute, über das innermilitärische Justizsystem beklagt und einen Ombudsmann für die Soldaten gefordert. Dieser sollte Beschwerden über Willkürhandlungen von Offizieren entgegennehmen und ihnen nachgehen. Doch Gallardo wurde schnell selbst zum Opfer der Militärgerichtsbarkeit. Unter einer fadenscheinigen Anklage wurde er zu 28 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Er soll Pferdefutter aus einem Armeestall gestohlen haben. Gallardo und seine Angehörigen ließen sich durch das Urteil nicht entmutigen und führen seit Jahren eine unermüdliche Kampagne für seine Freilassung. Mittlerweile hat amnesty international Gallardo zum „Gefangen aus Gewissensgründen“ erklärt. Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission, die der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) untersteht, bezeichnet ihn als „politischen Gefangenen“.
Den Angehörigen des CPCP ergeht es nach ihren Protesten nicht viel besser. Mittlerweile sitzen acht Mitglieder im Militärknast. Oberstleutnant Hildegardo Bacilio konnte diesem Schicksal bis jetzt entgehen und verbirgt sich irgendwo in Mexiko. Er beschränkt sich momentan auf die Forderung nach Freilassung seiner Gesinnungsfreunde.

Politische Opposition im Militär?

Daß eine Organisation wie die mexikanische Armee, die beschuldigt wird systematischer Menschenrechtverletzungen beschuldigt wird, auch innerhalb ihrer Strukturen nicht zimperlich gegen Kritiker vorgeht, verwundert kaum. Interessant ist dagegen, daß die Äußerungen Oberstleutnants Bacilio Gómez einen deutlich politischen Anstrich hatten. So listete er eine Reihe politischer Vorbilder auf. Darunter befanden sich Che Guevara, der Subcomandante Marcos von den Zapatistas in Chiapas, Gerry Adams von der IRA-nahen Partei Sinn Fein aus Nordirland und der kürzlich zum Präsident gewählte Ex-Putschist und Linkspopulist Hugo Chávez aus Venezuela. Doch nicht nur für bewaffnete Freiheitshelden – oder solche, die sich dafür halten – schlägt sein Herz, sondern auch für Samuel Ruiz, den als Befreiungstheologen bekannten Bischof aus Chiapas.
Auf einer – mittlerweile wieder verschwundenen – Internetseite, die das CPCP einrichtete, fanden sich nicht nur Links zur Homepage der südmexikanischen Guerilla EZLN, sondern auch zur Seite von Rosario Ibarra, die momentan im Auftrag der Zapatistas eine Volksbefragung über deren Gesetzesvorschlag über indianische Rechte und Kultur organisiert. Rosario Ibarra ist eine der bekanntesten MenschenrechtsaktivistInnen in Mexiko. Ihr Sohn wurde als Mitglied einer Stadtguerilla in den 70er Jahren vom Militär entführt und ist seitdem verschwunden. In Interviews erkärte Bacilio Gómez außerdem, daß er nicht damit einverstanden sei, daß die Bundesarmee dazu eingesetzt werde, protestierende Indígenas und Menschenrechtsaktivisten zu ermorden.
Diese Äußerungen sind vor allem vor dem Hintergrund interessant, daß schon seit geraumer Zeit über eine angebliche oppositionelle Strömung in der mexikanischen Armee gemunkelt wird. Sie soll sich in der Tradition des postrevolutionären Linksnationalismus verorten, der über Jahrzehnte von Teilen der PRI gepflegt wurde und heute von der oppositionellen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) weiter repräsentiert wird. Immerhin soll PRD-Kandidat Cuauhtémoc Cárdenas bei den Präsidentschaftswahlen 1988 über die Hälfte der Stimmen der Armeeangehörigen gewonnen haben.
Dies ist durchaus plausibel, war doch sein Vater, der Revolutionsgeneral Lázaro Cárdenas, nach seiner durch Sozialreformen geprägten Präsidentschaftsperiode von 1934-40 noch jahrelang Verteidigungsminister. Auch der General und Rektor der Armeeuniversität im Ruhestand Luis Garfias Magaña meint: „Das mexikanische Militär identifiziert sich mehr mit dem Volk als mit den hohen Klassen.“
Obwohl man getrost davon ausgehen kann, daß die mexikanische Armee sich nicht auf einmal der EZLN anschließen wird, zeigt doch allein die Diskussion über den inneren Zustand der Armee, daß es dort rumort. Es wäre keine Überraschung, würde irgendwann ein mexikanischer Hugo Chávez auf den Plan treten und das Vaterland retten wollen. Das meinen zumindest die Militärsoziologen José Luis Piñeros und Guillermo Garduño. Sie erklärten in der Tageszeitung Excelsior: „Die Militärs, die auf die Straße gegangen sind, um ihre Differenzen innerhalb der Streitkräfte zu manifestieren, könnten in absehbarer Zeit auch soziale Anliegen auf ihre Fahnen schreiben und als Führer auftreten. Anlaß dazu gibt die wirtschaftliche, politische und soziale Krise im Land, vor allem aber das Fehlen rechtmäßiger Führer, die sich an die Spitze des Kampfes für die Umgestaltung stellen.“

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