Migration | Nummer 354 - Dezember 2003

Peruanerinnen sind billiger

Arbeitsmigration und Rassismus in Chile

Die meisten peruanischen ArbeitsmigrantInnen in Chile sind Frauen; oft arbeiten sie als Hausangestellte. So haben sie zwar eigene Einkünfte, sind aber keineswegs unabhängig. Denn einen Großteil des Geldes schicken sie ihren Familien in Peru. Einen bessern Job bekommen sie nur schwer. Benachteiligt sind sie vor allem wegen des verbreiteten Rassismus in Chile.

Sandra Grünninger

Wenn man an einem Sonntag die Plaza de Armas, den zentralen Platz Santiagos de Chile besucht, fallen vor allem die Peruaner auf, die neben der Kathedrale in Gruppen zusammen stehen, um an ihrem freien Tag Landsleute zu treffen, nach Hause zu telefonieren, Arbeit zu suchen, oder um einfach aus ihren dunklen Zimmern oder beengten Wohnungen herauszukommen.
Um die 15.000 PeruanerInnen spazieren an einem Sonntag durch die Straße Catedral. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen. Die Feminisierung der peruanischen Einwanderung ist ein interessantes Phänomen. Es zeigt, dass die Nachfrage groß ist nach rechtlosen „Gastarbeiterinnen“, die willige, billige und unterwürfige Arbeitskräft sind.
60 Prozent der peruanischen EinwandererInnen sind Frauen. Sie arbeiten häufig als Hausangestellte. Von ihren Arbeitgebern bekommen sie in der Regel freie Kost und Logis. Den Großteil ihres Einkommens schicken sie aber an ihre Familien in Peru, wo ihre Kinder oftmals bei den Großeltern leben. Laut einer Umfrage haben 66 Prozent der PeruanerInnen, die in Chile leben, Kinder, von denen jedoch 80 Prozent in Peru leben oder zwischen Chile und Peru aufgeteilt sind. Nur knapp ein Viertel leben bei ihren Eltern.

Malochen für die Familie
Das bedeutet, dass viele PeruanerInnen zwar durch ihre Arbeit in die chilensiche Gesellschaft integriert sind, ansonsten jedoch auf Peru fixiert sind, wo sich mit ihren Familien noch immer ihr Lebensmittelpunkt befindet. Für die Frauen bedeutet dies auch, dass sie zwar durch ihre Berufstätigkeit und ihr Einkommen mehr Eigenständigkeit und Selbstvertrauen gewinnen, andererseits aber den Großteil ihres Einkommens an ihre Familien schicken und somit nicht wirklich unabhängig sind und auch in Chile kein eigenes Leben aufbauen können. Um möglichst viel Geld sparen zu können, ziehen es viele verheiratete Paare vor, die Woche über getrennt zu leben, an ihren Arbeitstellen zu schlafen und sich nur am Wochenende tagsüber oder bei Bekannten zu treffen, während die Kinder in Peru leben.
Neben den ArgentinierInnen (etwa 90.000) sind die PeruanerInnen (etwa 70.000) die zweitgrößte Einwanderungsgruppe in Chile. Während sich erstere aufgrund ihres Ausbildungsniveaus und Aussehens rasch in die chilenische Gesellschaft integrieren, haben die Peruaner mit ihrer dunkleren Haut und den markanten indigenen Gesichtszügen und dem oft niedrigeren Bildungsniveau mit dem Vorurteil des „armen illegalen Einwanderers“ zu kämpfen. Das bietet ihnen beruflich – unabhängig von ihrer Ausbildung – nur wenige Alternativen: Der Großteil der Frauen arbeitet als Hausangestellte, die meisten der Männer auf dem Bau, der Rest versucht sich im Straßenverkauf.
Eine Untersuchung hat einen interessanten Zusammenhang zwischen Diskriminierung und Nachfrage nach peruanischen Hausangestellten aufgezeigt: Die Zahl der Chileninnen, die bereit sind, als feste Hausangestellte praktisch auf ein eigenes Leben zu verzichten und bis zu zwölf Stunden täglich für die Familie ihres Arbeitgebers zu sorgen, geht stetig zurück.
Dagegen sind die Peruanerinnen meistens bereit, für ein niedrigeres Gehalt und ohne soziale Leistungen zu arbeiten. Ihre Rechte in Chile kennen sie nicht. Außerdem stammen sie aus einem Land mit einem traditionelleren System, in dem Machismo, Misshandlung und vertikale Machtverhältnisse noch an der Tagesordnung sind. Peruanische Hausangestellte seien damit „gehorsamer und beherrschbarer“, erklären chilenische Hausfrauen.

Rassismus und Ausländerhass
In Chile, wo die indigene Bevölkerung aufgrund ihrer Gesichtszüge und dunkleren Hautfarbe diskriminiert und für zweitranging angesehen wird, ist es nahezu selbstverständlich dass Peruaner, die ähnliche physiologische Raster aufweisen, als Menschen und Arbeiter zweiter Klasse angesehen werden. Das verleiht ihren Arbeitgebern, vor allem den Hausfrauen der Mittel- und Oberschicht zusätzliche Macht. Argentinieren oder Europäern gegenüber fühlen sie sich dagegen unterlegen.
Der Großteil der EinwanderInnen in Chile kommt derzeit aus Lateinamerika und viele ChilenInnen beklagen, dass zuviele Ausländer im Land wohnen. Dabei machen die knapp 200.000 Ausländer in Chile gerade einmal 1,3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Die Einwanderungswelle hat vor allem in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zugenommen, als sich im Land demokratiche Stabilität und wirtschaftlicher Aufschwung abzeichneten. Zwischen 1990 und 1995 kamen etwa 10.000 PeruanerInnen nach Chile, die meisten mit abgeschlossener Berufs- oder Hochschulausbildung. Seit 1996 hat die Zahl der peruanischnen Einwanderer stark zugenommen, während ihr Ausbildungsniveau abgenommen hat.
73 Prozent der peruanischen Männer und 79 Prozent der peruanischen Frauen sind erst in den letzten Jahren nach Chile gekommen. Viele kommen illegal ins Land.1998 hat Chile mit einer Amnestie die Situation von 23.000 Ausländern regularisiert, davon waren 18.500 Peruaner. Heute leben wieder schätzungsweise zehn bis 30 Prozent der PeruanerInnen “illegal” im Land.
Der Großteil der peruanischen MigrantInnen ist zwischen 36 und 55 Jahre alt, gehört also zur berufstätigen Bevölkerung und versucht über seine Arbeit in Chile die Familie in Peru zu versorgen. Viele bleiben zwei, drei Jahre, sparen und gehen dann wieder zurück nach Peru, bis ihnen die Mittel wieder ausgehen. Demgegenüber ist die Zahl der peruanischen politischen Flüchtlinge, die in den 90er Jahren nach Chile gekommen sind, minimal – wahrscheinlich weniger als 300. Weitere wichtige Einwanderungsgruppen sind BolivianerInnen, EcuatorianerInnen und KolumbianerInnen, deren Anzahl jedoch bei weitem nicht an den der PeruanerInnen heranreicht.
Die Wirtschaftskrise in Argentinien hat nicht zu einer massiven Migrationswelle armer Argentinier geführt. Die eingewanderten qualifizierten argentinischen Arbeitskräfte wurden problemlos integriert. Allersdings sind viele Chilenen, die in den 90er Jahren ihr Glück im wirtschaftlich erfolgreichen Argentinien versucht hatten, nach Chile zurückgekehrt.
Während die Ressentiments mit Argentinien auf Grenzstreitigkeiten in den 70er Jahren zurückgehen, hat die „historische Feindschaft“ mit Peru, die heute auf die Einwanderer übertragen wird, ihre Wurzeln im Pazifikkrieg, in dem das siegreiche Chile Ende des 19. Jahrhunderts peruanische und bolivianische Gebiete in das chilenische Territorium eingegliedert hatte. Diese Feinschaft ist noch immer latent spürbar.
Chile wird sich auch in Zukunft an ImmigrantInnen gewöhnen müssen, die aufgrund der wirtschaftlichen Situation in ihren Ländern ihr Überleben im wirtschaftlich stabilen und besser gestellten Chile zu sichern suchen. Doch Rassismus und Diskriminierung gegenüber den benachbarten Neuankömmlingen und die damit einhergehenden prekären sozialen und Arbeitsbedingungen führen zu einem Leben am Rande der Legalität. Und so gibt es nicht wenige unter den PeruanerInnen auf der Plaza de Armas, die gerne wieder in ihr Land zurückkehren würden, aber nicht einmal das Geld für die Busfahrt in ihre Heimat haben.

Migration und Drogenschmuggel
Die meisten Latinos kommen nach Chile, um dort Arbeit zu finden und Geld zu verdienen. Aber es gibt auch diejenigen, die als so genannte „Maulesel“ Drogen transportieren und damit Geld verdienen. Das Kokain ist entweder direkt für den chilenischen Markt bestimmt oder gelangt über den Umweg Chile nach Europa. Transportiert wird es in raffinierten Verstecken im Gepäck, in der Kleidung oder aber direkt im Körper. Die daumengroßen Kapseln werden geschluckt, im Magen transportiert und wenige Tage später im Zielland wieder ausgeschieden. Oder sie werden in die Vagina oder in den After eingeführt.
Als „Lasttiere“ dienen vorwiegend diejenigen, die nichts mehr zu verlieren haben: Arme Frauen und änner, die – wenn es klappt – gut daran verdienen, ihren Körper als Transportmittel für Drogen zur Verfügung zu stellen und die, wenn es schief geht, bis zu 15 Jahren in chilenischen Gefängnissen verbringen müssen und damit zu einer Art unfreiwilligen ImmigrantInnen werden. Dieser Drogenschmuggel trägt dazu bei, dass das schlechte Image der lateinamerikanischen Einwanderer noch verschärft wird. Die Folge ist eine weitere Verschärfung der Einreisekontrollen.
So sitzen beispielsweise im Santiagoer Frauengefängnis 20 Peruanerinnen Haftstrafen zwischen vier und 15 Jahre wegen Drogenschmuggels ab. In den Gefängnissen in der Grenzregion im Norden Chiles sind Drogentransport und -handel der Hauptgrund dafür, dass Peruanerinnen und Chileninnen inhaftiert sind.

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