Poesie des Peripheren
In Iván Funds enigmatischem Roadmovie El Mensaje wird ein Kind zum Medium für die Botschaften von Tieren

„Draußen steht ein Typ mit einer Schildkröte“ informiert Roger (Marcelo Subiotto) seine Familie. Im Inneren eines Wohnmobils, das irgendwo in der argentinischen Provinz auf einem verlassenen Feldweg steht, sitzen seine Partnerin Myriam (Mara Bestelli) und deren neunjährige Enkelin Anika (Anika Bootz). Die hat eine spezielle Gabe: Sie kann mit Tieren kommunizieren. Das machen sich Roger und Myriam zunutze. Ihre Geschäftsidee ist es, besorgten Haustierbesitzer*innen durch Vermittlung von Anika Botschaften ihrer Lieblinge zukommen zu lassen. Was nach Scharlatanerie klingt, ist in Iván Funds Berlinale-Wettbewerbsfilm El Mensaje (Die Botschaft) magische Realität. Ein Betrug ist unwahrscheinlich, denn Anika übermittelt keine Allgemeinplätze, die ihre Kundschaft zufriedenstellen. Häufig sind es stattdessen überraschende und sogar unangenehme Wahrheiten, die die Haustiere ihren menschlichen Mitbewohner*innen mitteilen. Dem Geschäft tut das keinen Abbruch: In bar oder per Überweisung landet das Geld in den Händen von Roger und Myriam.
Chloé Zhaos Oscar-prämiertem Film Nomadland hat die Kultur von Arbeitsnomad*innen, die auf der Suche nach Jobs ohne festen Wohnsitz mit Wohnmobilen durch das Land fahren, einem breiten Publikum bekannt gemacht. Ob die Protagonist*innen von El Mensaje ihr Lebensmodell wie in Nomadland aus Ablehnung genormter Lebensweisen oder aus Not gewählt haben, bleibt unklar. In jedem Fall vermittelt der Film zusammen mit den Aufnahmen der menschenleeren ländlichen argentinischen Peripherie abseits der großen Städte einen Kontrast zum hektischen und genormten Puls des Wachstums- und Profitstrebens. Oft wirkt die Gruppe wie eine Zirkustruppe (Roger ist ein ehemaliger Clown), die von Auftritt zu Auftritt reist. Dabei nutzen sie aber auch moderne Medien wie Fernsehen oder Ferndiagnose per Fotos und Sprachnachrichten für ihren Service. Wobei das Geschäftsmodell der tourenden Patchwork-Familie je nach Betrachtungsweise aber auch Fragen aufwirft: Anika spricht zwar gerne mit den Tieren, leistet aber dadurch unbezahlte Kinderarbeit, die sie erschöpft. Freundschaften, Geschwister, ja Schulbesuche – all das gibt es für Anika nicht. Und auch die Zahnfee scheint Probleme zu haben, den rastlos umherfahrenden Bus ausfindig zu machen. So scheinen manche Botschaften der Tiere („Wo sind meine Geschwister?“ „So viel zu Fressen, alles für mich alleine“) nicht nur ihren eigenen Zustand, sondern auch den ihres Mediums Anika auszudrücken. Die Stärke des Films liegt jedoch nicht in der oft nur angedeuteten Storyline, sondern vielmehr in seiner träumerisch-poetischen Ästhetik. Iván Fund und seinem Kameramann Gustavo Schiaffone gelingt in El Mensaje mit wunderschönen Schwarz-Weiß-Aufnahmen eine magische Umdeutung der kargen argentinischen Provinz, die von der wirtschaftlichen Dauerkrise des Landes hart getroffen zu sein scheint (auch die Menüs im Wohnmobil gehen nicht über Tankstellen-Sandwiches oder geklaute Maiskolben hinaus). Das weckt Erinnerungen an Filme von Größen wie Jim Jarmusch oder Federico Fellini. Dazu ertönen Klänge von Flügelhörnern sowie – ein stilistischer, aber kein atmosphärischer Bruch − mehrfach prominent die Version der Pet Shop Boys von Always on my Mind. „Melancholische Zartheit“ erzeugt das in den Worten des Regisseurs Iván Fund und lässt über die vielen Rätsel in der Geschichte hinwegsehen: Warum hat Anika die Gabe, mit Tieren zu sprechen (die nach Myriams Aussage „in der Familie liegt“) und ihre Großmutter nicht? Wieso fährt die Familie durch die verarmte Provinz und lässt sich nicht in einer Stadt nieder, wo sie mehr und regelmäßigere Klient*innen bedienen könnte? Von modernem Marketing über Soziale Medien, die sich auf ein Phänomen wie Anika nur so stürzen dürften, ganz zu schweigen. El Mensaje ist eine Erfahrung, die mehr gefühlt als verstanden werden sollte. Die vielen unglaublich süßen Tiere und das erfrischende und herzerwärmende Spiel von Anika Bootz tragen einen großen Teil dazu bei, dass das gelingt. Aber auch sonst kann es sich lohnen, sich auf das langsame Tempo und die oft melancholische Stimmung in El Mensaje einzulassen. Ein Kino, das eine andere Gesellschaft fern des Leitungsdrucks propagiert, hat auch eine gewisse Verpflichtung, sich auch stilistisch nicht deren Konventionen und Erwartungen unterzuordnen.
El Mensaje // Iván Fund // Argentinien 2025 // 91 Minuten // Berlinale Wettbewerb, Spanisch mit Englischen Untertitel
LN-Bewertung: 4/5 Lamas
Vorführtermine auf der Berlinale:
Donnerstag, 20.2., 21:30 h, Haus der Berliner Festspiele
Sonntag, 23.2., 12:45 h, Berlinale Palast