Poet der Revolution
Die Regisseurin Tina Leisch hat einen Dokumentarfilm über den salvadorianischen Dichter Roque Dalton gedreht
War es schwierig, in El Salvador Unterstützung für Ihr Filmprojekt zu finden?
Sowohl die Witwe als auch die Söhne Daltons haben das Projekt von Anfang an unterstützt. Und alle Weggefährt_innen Daltons haben mit Begeisterung ihre Erinnerungen mitgeteilt. Dalton muss wirklich ein dermaßen charmanter, witziger und humorvoller Mensch gewesen sein, dass sein Zauber die Leute bis heute entzückt. Schwierig war es nur, die Leute zu finden, die am Schluss des Films über Daltons Ermordung sprechen.
Roque Dalton ist 1975 von seinen eigenen Genossen exekutiert worden. Lange Zeit waren die genaueren Umstände seines Todes innerhalb der Linken ein Tabu. Wann und warum haben Sie sich entschlossen es aufzubrechen?
Ich habe Daltons Dichtung in den achtziger Jahren in El Salvador kennengelernt, in fotokopierten Heften und als auf die Wände der Universität gemalte Parolen. Pointierte politische Propagandapoesie aus den Poemas Clandestinos in einem sehr, sehr frechen, ironischen und selbstironischen Ton, der ein wohltuendes Gegengift gegen das allgegenwärtige Revolutionspathos darstellte. Damals wurde innerhalb der Befreiungsbewegung unter der Hand erzählt, dass die Revolutionäre Volksarmee (ERP, eine der fünf Guerillagruppen, die 1980 die Nationale Befreiungsfront FMLN gründeten; Anm. der Red.) Dalton ermordet habe. Das ist so unbegreiflich und schrecklich: Wie kann es sein, dass der radikalste und genialste Revolutionsdichter Opfer seiner Genossen wurde? Damals hat mir niemand diese Frage beantwortet, aber sie hat mich immer wieder beschäftigt, wenn mir ein weiteres der Werke Daltons begegnet ist.
In groben Zügen war ja immer bekannt, dass der mysteriös verschwundene Edgar Alejandro Rivas Mira den Tod Daltons beschlossen hat, dass Joaquín Villalobos Dalton ihn erschossen haben soll und dass Jorge Meléndez zumindest dabei war. Nicht so bekannt waren die verschiedenen Motive dafür: Eifersucht, Neid, Konkurrenz der jüngeren Guerilleros, die spürten, dass Dalton ihnen, was politischen Weitblick und Erfahrung betraf, haushoch überlegen war. Daltons Witz und Respektlosigkeit haben sich der militaristischen Engstirnigkeit der Genossen nicht unterworfen. Zudem gab es einen politischen Konflikt zwischen zwei Fraktionen. Die eine fasste einen linken Putsch mithilfe einiger linker Militärs ins Auge. Die andere setzte auf langfristige politische Arbeit mit den Massen als Grundlage für die militärischen Kämpfe. Zu ihr gehörten Dalton sowie diejenigen, die später die RN (Nationaler Widerstand, eine andere der fünf Gruppen der FMLN, Anm. der Red.) gründeten.
Dass mir die Idee, diesen Film zu machen und damit auch dieses finstere Kapitel in der Geschichte der salvadorianischen Linken in den Kamerablick zu nehmen, erst nach dem Wahlsieg der FMLN 2009 kam, das ist kein Wunder. Vorher einen Film über ein Verbrechen der Guerilla zu machen, in einem Land, in dem 95 Prozent der Kriegsverbrechen von den US-unterstützten staatlichen Sicherheitskräften begangen wurden, wäre ja fast Wahlhilfe für die Rechten gewesen. Aber jetzt, finde ich, ist die Zeit gekommen, dass auch die FMLN über ihre verdrängten und verschwiegenen dunklen Punkte nachdenken könnte.
Es gab keine juristische Aufarbeitung, angeblich ist die Tat verjährt. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich unter der neuen Regierung Sánchez Cerén daran etwas ändert?
Traurigerweise sieht es im Moment nicht danach aus: Dass Jorge Meléndez wieder in die Regierung berufen wurde, ist ein Skandal, der nicht nur die Familie Dalton zutiefst empört. Wie kann eine linke Regierung jemanden, der der Mittäterschaft am Mord des wichtigsten Dichters des Landes schwer verdächtig ist und sich weigert, auch nur die geringste Verantwortung dafür zu übernehmen, als Staatssekretär einsetzen? Ohne von ihm zumindest zu verlangen, dass er das Mögliche tut, um die Geschehnisse aufzuklären? Ohne dass er sagt, wo die sterblichen Überreste Daltons verscharrt wurden? Und ohne dass er sich bei der Familie Daltons entschuldigt?
Welche Facetten seines literarischen Schaffens konnten Sie während Ihrer Recherchen und der Arbeit am Film entdecken?
Als ich mit der Recherche begann, kannte ich, was auf Deutsch übersetzt war: Däumlings verbotene Geschichten, die Geschichte El Salvadors als Collage literarischer Fundstücke, seinen autobiographischen Roman Armer kleiner Dichter, der ich war und die Biographie des Schusters und Revolutionärs Miguel Mármol. Außerdem eine in Kuba erschienene Anthologie seiner Gedichte. Eine große Überraschung war es dann, die drei Bände seiner gesammelten Gedichte in den Händen zu halten: Ich war überwältigt zu sehen, welch umfangreiches Werk er in nicht einmal vierzig Jahren verfasst hat, welche Fülle an wunderschönen Liebesgedichten und scharfzüngigen politischen Erleuchtungen. Ich wusste zunächst auch gar nichts von seinem umfangreichen Werk als Journalist und politischer Analyst, das bis heute noch nicht vollständig herausgegeben ist.
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Roque Dalton (1935-1975)
Was für ein turbulentes Leben: Als Nachkömmling der berüchtigten Dalton-Familie aus den USA wurde Roque Dalton in San Salvador geboren. 1957 trat er der Kommunistischen Partei bei. Zweimal wurde er festgenommen und zum Tode verurteilt, zweimal entrann er nur knapp dem Tod durch Exekution. Er verbrachte Jahre des Exils in Mexiko und Kuba und arbeitete im Auftrag der Kommunistischen Partei für The International Review als Korrespondent in Prag. Unter dem ungerechtfertigten Vorwurf, seine eigene Organisation zu spalten, wurde er jedoch durch ein Tribunal der Revolutionären Volksarmee (ERP) zum Tode verurteilt. Genossen exekutierten ihn am 10. Mai 1975, vier Tage vor seinem vierzigsten Geburtstag.
Erschießen wir die Nacht!
Höchst erstaunlich, dass Daltons Gedichte bis heute nichts an Witz und provokanter Schärfe verloren haben und bemerkenswert, dass Regisseurin Tina Leisch es geschafft hat, ihren Film ebenso verwegen, zärtlich und respektlos anzulegen: Ehefrau, Prostituierte, Geliebte, revolutionärer Elan und trauriger Suff – nichts wird ausgelassen oder gerade gebügelt in diesem Film, der aus seiner eigenen undogmatisch linken Position keinen Hehl macht. Roque Dalton, ¡Fusilemos la noche! tourt seit einem knappen Jahr erfolgreich durch globale Festivals. Beim internationalen Cine Las Americas Festival in Austin (Texas) gewann er den Jurypreis für den besten Dokumentarfilm. Im November zeigt ihn das Berliner Eiszeit Kino.