Alternative Medien | Nummer 372 - Juni 2005

„Poetisch, solidarisch, kämpferisch“

Die Forderung nach einem neuen Mediengesetz in Mexiko

Für freie Radios gibt es in Mexiko keine juristische Grundlage. Oft besitzen sie keine offizielle Lizenz oder werden willkürlich geschlossen. Besonders in ländlichen und indigenen Gemeinden sind die Basisradios für die Verbreitung alternativer Informationen, auch in indigenen Sprachen, jedoch von großer Bedeutung.

Kristin Gebhardt

Endlich bewegt sich auch in Mexiko etwas. Ende April diesen Jahres bekam Radio Calenda, ein radio comunitaria in einer zapotekischen Gemeinde im Bundesstaat Oaxaca, von der zuständigen Behörde die Sendeerlaubnis erteilt. Im Mai konnte dann auch Radio La Voladora in Amecameca im Bundesstaat Mexiko das lang erwartete Dokument in Empfang nehmen. Neun Radios, die bei der mexikanischen Vertretung des Weltverbandes für Communityradios AMARC organisiert sind, konnten damit in den letzten Monaten legal auf Sendung gehen. Ein Viertel der circa 100 im Land existierenden „illegalen“, also ohne Erlaubnis arbeitenden Basisradios, sind in dem Verband vertreten, der sich weltweit für das Recht auf Kommunikation und die rechtliche Anerkennung von Communityradios einsetzt. Leer ausgegangen sind bisher die Sender in Mexiko-Stadt. Hier gebe es keinen Platz mehr auf dem Äther, so die Antwort auf den Antrag von Radio Neza, einem Stadtteilradio in Ciudad Nezahualcóyotl, einer der größten suburbanen Ansiedlungen der Megametropole.
Im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Staaten, in denen nichtkommerzielle Basisradios auf gesetzlicher Grundlage arbeiten, gibt es in Mexiko keine juristische Garantie für die auf Partizipation setzenden Sendestationen. In Brasilien wurde 1998 ein Gesetz über radios comunitarias verabschiedet, in Chile gibt es ein Gesetz für „Radios mit minimaler Reichweite“. In der ecuadorianischen Verfassung ist „das Recht auf Kommunikation, sowie das Recht, soziale Kommunikationsmedien zu gründen und Zugang zu den Rundfunkfrequenzen zu haben“, festgeschrieben.

Kein Recht auf Partizipation

Je nach Eigendefinition nennen sich die nichtkommerziellen Projekte Basisradios, Community- oder Bürgerradios, freie oder alternative Radios. Oft sind sie aus den Bedürfnissen sozialer Bewegungen und indigener Gemeinden nach selbst verwalteten Medien entstanden. Viele dieser lokalen Sender befinden sich in ländlichen Gebieten und übertragen Bildungs- sowie Kulturprogramme für die indigene und bäuerliche Bevölkerung. Besonders für Indígenas, die etwa zwölf Prozent der mexikanischen Bevölkerung ausmachen, sind die Communityradios oft das einzige Medium, das Informationen und Unterhaltung in den entsprechenden indigenen Sprachen bietet. In abgelegenen Gemeinden, in denen es kaum Telefone gibt, wird das eigene Radio auch als Kommunikationsmedium zwischen den Orten eingesetzt. Nachrichten für Freunde und Familienmitglieder oder der Termin für das nächste Treffen einer Organisation werden übermittelt.
Kommerzielle Radios sind dort oft gar nicht zu empfangen, und in deren Programmen kommt die indigene Lebensrealität sowieso kaum zur Sprache. Für Menschen, die kein spanisch sprechen, sind sie zudem nicht zu verstehen. Zwar gibt es 25 so genannte „Radios Indigenistas“, die von der staatlichen Nationalen Kommission für Entwicklung der indigenen Völker verwaltet werden. Diese übertragen ihre Sendungen in 31 indigenen Sprachen und sind in 15 mexikanischen Bundesstaaten präsent. Wegen ihrer Abhängigkeit vom Staat sind sie aber nur bedingt den radios comunitarias zuzurechnen.
Im mexikanischen Mediengesetz ist es bisher nicht vorgesehen, zivilgesellschaftliche Organisationen trotz dieser Situation den Zugang zu Rundfunklizenzen zu gewähren. Die Sender werden zwar meist geduldet, leben jedoch ständig mit der Gefahr einer willkürlichen Schließung. Das Gesetz aus dem Jahr 1965 unterscheidet bei der Vergabe von Hörfunklizenzen zwischen Konzessionen, die an kommerzielle Anbieter vergeben werden und Genehmigungen für Sender, die nicht Gewinn orientiert arbeiten. So etwa Universitäten oder kulturelle Einrichtungen.
Faktisch ist die mexikanische Medienlandschaft jedoch durch die Konzentration der Lizenzen in den Händen Weniger monopolisiert. Nach Angaben der Zeitung Financiero teilen sich 15 Familien die Macht über die größten Medien des Landes. Die beiden privaten Fernsehkanäle Televisa und Televisión Azteca besitzen demnach zusammen 87 Prozent der Lizenzen für Fernsehkanäle. Die insgesamt 1149 zugelassenen Radiostationen gehören laut Financiero 14 Konzernen.

Forderung nach neuem Mediengesetz

VertreterInnen von NGOs fordern seit langem ein neues Gesetz. So soll ein Medienrat nach für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Kriterien die Lizenzvergabe regeln. Bisher ist dafür der Präsident zuständig. Und es sollen Grenzen der Medienkonzentration und der bezahlten Parteienwerbung in Rundfunk und Fernsehen festgelegt werden. Die Parteienwerbung gilt als eine der wichtigsten Einnahmequellen für große Sender. In einem untergeordneten Punkt soll in dem Gesetz auch die juristische Grundlage für nichtkommerzielle Basisradios geschaffen werden. Allerdings wird die Gesetzesreform bereits seit Jahren ohne Ergebnis diskutiert, vor allem, weil die großen Medienunternehmen alles daran setzen, eine Veränderung zu verhindern.

Jahre des Aufbegehrens

Die Geschichte der unabhängigen Radios ist relativ jung. Sie begann im Jahr 1994. In diesem Jahr des zapatistischen Aufstandes machten AktivistInnen aus der Stadtteilorganisation „Asamblea de Barrios“ und der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) in Mexiko-Stadt das erste Mal mit Piratenradios auf sich aufmerksam. Mit einem Fünf-Watt-Sender übertrug Televerdad aus einem Zelt auf einer Straßenkreuzung im Stadtzentrum einige Wochen lang täglich 17 Stunden. Schon Televerdad kämpfte gegen das Monopol der privaten Konzessionen. Kurz zuvor hatte die Rolle der Medien im Kampf um die Präsidentschaft zu harscher Kritik geführt. Die RadiomacherInnen forderten dazu auf, weitere demokratische Medien zu gründen. In der direkten Folge entstanden Radio Pirata und Radio Vampiro als Stadtteilsender.
In den ersten Wochen des studentischen Streiks an der Nationalen Autonomen Universität UNAM im Jahr 1999 begann Ké Huelga seine Übertragungen von der größten Hochschule Lateinamerikas aus. Das Radio wurde zum Sprachrohr der StudentInnen, die für die Verteidigung einer öffentlich organisierten und finanzierten Bildung als soziales Recht fast zehn Monate lang den Unibetrieb lahm legten. Die RadiomacherInnen legten Wert darauf, nicht nur ein Campus-Radio zu sein und bezeichneten sich als „ anarchistisch, poetisch, großartig, ordentlich, bizarr, solidarisch, kämpferisch, unerfahren und experimentell, eben genauso wie die Bewegung selbst“. Am 6. Februar 2000 war zunächst Schluss mit der Übertragung. Die Polizeieinheit PFP stürmte das Unigelände. Drei Monate später begann Ké Hulega wieder zu senden. Mit Unterbrechungen arbeitet das Radio bis heute. Zudem entstanden aus Ké Huelga weitere freie Medienprojekte.
Ein anderer fester Bestandteil der alternativen Radioszene in der Hauptstadt ist Radio Zapote. Dieser Sender entstand, als die Zapatistas im März 2001 nach einem mehrwöchigen Marsch in Mexiko-Stadt ankamen und dort auf dem Gelände der anthropologischen Hochschule ENAH untergebracht wurden. Da die kommerziellen Medien die indigenen Forderungen kaum zum Thema machten, gründete man gemeinsam mit Studierenden Radio Zapote. Die Zapatisten gingen, der Sender blieb.
Nicht einem politischen, sondern einem Naturereignis schuldet Radio La Voladora seine Entstehung. Als im Dezember 2000 der Vulkan Popocatépetl ausbrach, starteten in dem nahe Mexiko-Stadt gelegenen Amecameca einige linke RadioaktivistInnen ein Bürgerradio, das seine Mikrofone für alle EinwohnerInnen offen hielt. Damals gab es kein Medium, das die 25.000 BewohnerInnen des Ortes mit aktuellen Informationen versorgte und das Alltagsleben nach dem Vulkanausbruch koordinierte. Bei La Voladora kamen und kommen tatsächlich fast alle zu Wort, auch politische Parteien und KirchenvertreterInnen. Diese Zugangsoffenheit wird von anderen alternativen RadiomacherInnen oft kritisiert. Schließlich hätten PolitikerInnen ja genügend Möglichkeiten, sich in den Medien zu äußern. La Voladora-Gründerin Esperanza Rascón hält dagegen: „Für uns besteht die Gemeinschaft nicht nur aus Personen, die eine Affinität zu uns haben.“ Zwar gebe es auch bei La Voladora Grenzen, etwa gegenüber Faschisten, aber „wir nehmen das zapatistische Motto ernst, eine Welt zu schaffen, in die viele Welten passen“. Man respektiere die Haltung der freien Radios, einen gegenhegemonialen Diskurs schaffen zu wollen, ergänzt La-Voladora-Direktor Daniel Iván. Wer aber wie diese Radios für eine bestimmte politische Agenda kämpfe, müsse automatisch bestimmte Akteure ausschließen. „Die Antwort auf die Kritik des hegemonialen Diskurses kann aber nicht die Schaffung eines anderen hegemonialen Diskurses sein, sondern ist der Dialog,“ sagt Iván.

Kampf um Legalisierung

Nicht nur über unterschiedliche Konzepte, auch über die Bedeutung der Legalisierung von unabhängigen Radios wird in Mexiko viel diskutiert. Während die bei AMARC organisierten Projekte auf eine gesetzliche Grundlage hinarbeiten, spielt dies für andere wie etwa Radio Zapote keine Rolle. Zwar habe man nichts gegen die Bemühungen von AMARC, aber die Priorität von Zapote liege nicht darauf, mit Abgeordneten und MenschenrechtlerInnen zu sprechen, sagt El Monito Vodoo („Das Voodoo Äffchen“) vom Zapote-Kollektiv. „Unser Schwerpunkt ist es, über den Sender direkt mit den Leuten zu arbeiten und nicht, eine Sendeerlaubnis zu bekommen.“ Maru Chávez vom Frauengesundheitszentrum Sipam, das auch Radioprogramme erstellt und bei AMARC organisiert ist, hält dagegen den Kampf um Legalisierung für entscheidend. Dabei gehe es nicht nur um den juristisch abgesicherten Rahmen, sondern auch darum, in der Öffentlichkeit als organisierte Kraft präsent zu sein. „Durch die gesetzliche Grundlage würde auf der Makro-Ebene anerkannt werden, dass es andere Stimmen gibt,“ erklärt Chávez. „Wir sind nicht zur Marginalität berufen.“
Keine Gedanken um Lizenzen muss sich Radio Insurgente machen. Der Radiosender des Zapatistischen Befreiungsheers EZLN überträgt von mehreren Sendestationen in den Bergen des mexikanischen Südostens aus ein Programm, das „an die zapatistische Unterstützungsbasis gerichtet ist, sowie an die Aufständischen, MilizionärInnen, Comandantes und Comandantas, und an die regionale Zivilgesellschaft. Auch Soldaten und Paramilitärs gehören zum Zielpublikum. Dieses Programm wird neben Spanisch in den Indígena-Sprachen Tzotzil, Tzeltal, Chol und Tojolabal gesendet,“ heißt es in der Selbstdarstellung. Auch außerhalb von Chiapas ist Radio Insurgente zu hören. Der Sender strahlt freitags auf Kurzwelle eine einstündige Sendung aus, die auf der Insurgente-Homepage angehört oder heruntergeladen werden kann. Zudem rufen die zapatistischen RadiomacherInnen die Freien Radios in aller Welt dazu auf, ihr Programm zu übernehmen. „Das Wiederübertragen ist frei und umsonst, vorausgesetzt dass der Inhalt des Programms nicht verändert wird.”

Weitere Infos: www.lavoladora.net, www.radiozapote.cjb.net, www.kehuelga.org, www.radioinsurgente.org, www.mexico.amarc.org

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