Präsident Zedillo provoziert Krieg
Drei Jahre Verhandlungen – Friedensprozeß droht zu scheitern
Ein kurzer Blick auf den Verlauf der noch immer – fast – ergebnislosen Gespräche von San Cristóbal, San Andrés Larráinzar und La Realidad zwischen Regierung und Guerilla rechtfertigt den Pessimismus, in den EZLN-Sprecher Marcos in einem Kommuniqué Mitte letzten Jahres verfiel: “Dreißig Monate später, 912 Tage später und wir kommen nicht weiter. Wie lange werden die Zapatistas weitermachen? Bis wohin? Wann werden wir müde werden, Friedensinitativen für Demokratie, Freiheit und Justiz zu entwerfen? Wann werden wir aufhören, der Regierung Magenschmerzen zu verursachen? Wann werden wir aufhören, Zapatistas zu sein?”
Seit drei Jahren laufen die Dialoge. Und wann immer es aussah, als kämen die Delegationen endlich einen Schritt weiter, gefährdeten Provokationen der Bundesarmee, die Arroganz und Verlogenheit der Regierung oder schwerwiegende nationale Ereignisse alles. Die Dialoge standen still oder wurden unterbrochen und es mußte wieder von vorne begonnen werden. Ob es nun die Ermordung des PRI-Präsidentschaftskandidaten Luis Donaldo Colosio (März 1994) war, den die EZLN als verhandlungsbereit und friedenswillig bezeichnet hatte, oder die Militäroffensive und die Haftbefehle (Februar 1995), die der neugewählte Präsident Ernesto Zedillo veranlaßte, nachdem er noch wenige Tage zuvor öffentlich für eine friedliche Lösung des Konfliktes plädiert hatte. Immer wieder war es die Regierung, die log, auswich und die Verhandlungen torpedierte. Und immer wieder mußte sich die EZLN neue Strategien einfallen lassen, um die Zivilgesellschaft ein weiteres mal auf die Straßen und die Verhandlungen erneut auf den Weg zu bringen.
Teilerfolge ohne bindenden Charakter
Und erstaunlicherweise gelang dies den zapatistas doch, trotz der fortschreitenden Militarisierung von Chiapas und den umliegenden Bundesstaaten, den Infiltrierungs-, und Einschüchterungsversuchen durch regierungstreue Kaziken, Weiße Garden und die Bundesarmee. Mit ihren bislang vier Deklarationen und Initiativen wie, der Gründung des Nationalen Demokratischen Konvents CND in Aguascalientes (August 1994), der Nationalen Umfrage (August 1995), der nachfolgenden Bildung der FZLN oder den kontinentalen und interkontinentalen Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus, konnte nach kritischen Momenten immer wieder verlorenes politisches Terrain zurückerobert werden.
Mit der im Februar 1996 durch die Delegationen der Regierung und der EZLN erfolgten Unterzeichnung der Vereinbarung über Indigene Rechte und Kultur schien ein erster Schritt hinsichtlich einer politischen Lösung des Konfliktes getan. Für die EZLN bedeutete das Abkommen einen Teilerfolg, da der erarbeitete Kompromiß die hochgesteckten Erwartungen der er-sten Monate nicht erfüllte. Die Vereinbarungen über Indigene Rechte und Kultur und die Modifizierungen der Artikel 4 (über den multiethnischen Charakter der mexikanischen Nation) und 115, auf die sich die Regierung Zedillo einließ, blieben nicht nur weit hinter den ursprünglichen Forderungen der EZLN zurück, sie waren außerdem lediglich einer von mehreren zur Diskussion stehenden Punkten, die die Verhandlungen insgesamt vorsahen. Und sie hatten überdies – auch wenn die ursprüngliche Vereinbarung ihre unveränderte Einfügung in die mexikanische Verfassung beinhaltete – in ihrer ersten Formulierung keinerlei bindenden Charakter.
Um diesen zu erlangen, war zunächst eine detaillierte Formulierung der einzelnen Inhalte durch EZLN und Cocopa, einer aus Parlamentariern der Parteien PRI, PAN und PRD zusammengesetzten Vermittlergruppe, notwendig, die dann Präsident und Abgeordnetenkammer zur Absegnung vorgelegt werden sollte.
Zwar wurden direkte Gespräche mit der PRI-Delegation nach zahlreichen Torpedierungsversuchen der Regierung von den ZapatistInnen als unsinnig eingeschätzt und abgebrochen, Verhandlungen zwischen EZLN und Cocopa fanden jedoch weiterhin statt. Schließlich lag im Dezember 1996 der von Cocopa und EZLN gleichermaßen akzeptierte Entwurf endlich vor.
Hardliner und Desillusionierte
Damit hatte Präsident Zedillo nicht gerechnet. Um Zeit zu gewinnen, bat sich das mexikanische Staatsoberhaupt eine Frist von zwei Wochen aus, um den Inhalt des Dokumentes “analysieren” zu können. Diese ließ er verstreichen und um weitere 14 Tage verlängern. Am 11. Januar 1997 übergab Zedillo der EZLN seine Antwort. Kaum etwas erinnerte noch an den von der EZLN und Cocopa erarbeiteten Text. Mit juristischen Spitzfindigkeiten war der Entwurf ausgehöhlt und sinnentstellt worden. Die wesentlichsten der im Vorjahr getroffenen Vereinbarungen waren gestrichen. Damit rief Zedillo nicht nur den Zorn der ZapatistInnen – Subcomandante Marcos sprach von Verhöhnung – hervor, sondern auch der Vermittlergruppe. Schließlich hatte die Cocopa von vornherein unmißverständlich klargestellt, daß es nur Zustimmung oder Ablehnung geben könne, jedoch keinerlei Änderungen des Kompromißpapieres. Juan Guerra, Mitglied der Cocopa, bringt es auf den Punkt: “Die Regierung hat das Abkommen im Februar 1996 unterzeichnet, um es nicht zu erfüllen. Sie unterschrieben es, um sich über die EZLN lustig zu machen.”
Angesichts der Sinnlosigkeit weiterer Gespräche und der zunehmenden Militarisierung und Repression in Chiapas droht wieder einmal das Ausbrechen bewaffneter Kämpfe. Doch ist die Lage nun ernster denn je. Einerseits setzen die Hardliner innerhalb der PRI ihre Strategie, politische Lösungen zu sabotieren, erfolgreich fort. Andererseits droht bei einem Scheitern – und nichts deutet auf eine andere Perspektive hin – des um eine friedliche Veränderung bemühten Verhandlungsweges der EZLN ein weiteres Abfallen ihrer Basis außerhalb von Chiapas. Daß die Einsatzbereitschaft der Zivilgesellschaft arg geschmolzen ist, wurde am dritten Jahrestag des Aufstandes mehr als deutlich. Im Gegensatz zum Vorjahr brach keine Karawane von Mexiko-Stadt auf, um mit Hilfslieferungen und massiver Präsenz in den indigenen Gemeinden Solidarität zu demonstrieren. Die zapatistas blieben unter sich. Und auch in der 23 Millionen-Metropole selbst traf sich nur ein Häuflein von etwa 200 Personen auf dem Zócalo, um ihre Verbundenheit mit den Aufständischen auszudrücken.
Die Stunde derjenigen, die weder Frieden noch eine Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Umgestaltung Mexikos anstreben, scheint angebrochen. Zum einen spielen die Militärs innerhalb des Machtgefüges eine immer stärker werdende Rolle, geduldet und gestützt von Präsident Zedillo und der US-Administration. Und: Die im Juni 1996 erstmals in Erscheinung getretene Revolutionäre Volksarmee EPR, die durch Attentate und Überfälle bisher über 40 Soldaten und Polizisten erschossen hat und jeden Dialog mit der Regierung ablehnt, gewinnt an Einfluß unter Teilen der desillusionierten und unter der Repression leidenden Bevölkerung, vor allem auf dem Lande. Ihr YA BASTA – ES REICHT impliziert einen sofortigen Stopp der Menschenrechtsverletzungen, die, wie derzeit in Teilen Guerreros und Oaxacas, an Grausamkeit kaum zu überbieten sind, egal auf welche Weise. Das Auftauchen dreier weiterer Guerilla-Gruppen innerhalb der letzten zwei Monate im mexikanischen Norden und der Südprovinz Guerrero weist hin auf eine gewalttätige Entwicklung, die allein die korrupte Herrschaftselite und ihre Hintermänner im Pentagon zu verantworten haben.