Argentinien | Nummer 399/400 - Sept./Okt. 2007

Presidenta Cristina

Argentinien geht einer großer Koalition und der Neuordnung der Parteienlandschaft entgegen

Cristina Fernández de Kirchner und Julio Cobos treten für die Regierungspartei von Präsident Néstor Kirchner bei der Präsidentschaftswahl am 28. Oktober 2007 an. Mit Julio Cobos als Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten ist Néstor Kirchner einen wichtigen Schritt zur Bildung eines neuen Mitte-Links-Bündnisses vorangekommen.

Jürgen Vogt

Argentinien steht eine große Koalition mit einer Frau als Präsidentin bevor: Cristina Fernández de Kirchner, die Frau des amtierenden Staatsoberhauptes, geht mit Julio Cobos als Kandidat für die Vizepräsidentschaft ins Rennen. Der ist erst aufgrund dieser Kandidatur aus der zweiten großen Partei Argentiniens, der Radikalen Bürgerunion UCR, ausgeschlossen worden. Cristina-Cobos lautet also die Kandidatenformel der Regierungspartei von Präsident Néstor Kirchner für die Präsidentschaftswahl am 28. Oktober 2007.
Cristina Fernández de Kirchner hatte ihre Kandidatur bereits Mitte Juli bekannt gegeben. Die derzeitige Senatorin der Provinz Buenos Aires will die Nachfolge ihres Mannes Néstor Kirchner im Präsidentenamt antreten. Lange war darüber spekuliert worden, ob Präsident Kirchner oder seine Frau zur Wahl antreten. Die Verfassung hätte Kirchner eine direkte Wiederwahl zu einer zweiten Amtszeit gestattet.
Cristina und Néstor sind nicht nur verheiratet, sie sind auch politisch ein Team. Dabei waren die Rollen bisher klar verteilt: Er ist die Exekutive, sie die Legislative. Als Néstor Kirchner Bürgermeister in Río Gallegos war, der Hauptstadt der Provinz Santa Cruz, leitete sie den Planungsrat der Stadt. Später saß sie als gewählte Abgeordnete im Provinzparlament von Santa Cruz und übernahm das Amt der Vizeparlamentspräsidentin. Néstor war Gouverneur von Santa Cruz. Im Jahr 1995 ließ sie sich zur Senatorin von Santa Cruz wählen. Die Amtzeit endete als sie 2005 das Senatorenamt der bevölkerungsreichen Provinz Buenos Aires antrat. Dort leben rund 35 Prozent der argentinischen Wahlberechtigten. Cristina hatte im Oktober 2005 45 Prozent der Stimmen geholt. Auch dieses Amt diente der Unterstützung ihres Mannes, der seit Mai 2003 Präsident der Republik ist.
Der letzte Test vor der Entscheidung der Kirchners war die Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt Buenos Aires. Dabei war Kirchners Kandidat, Bildungsminister Daniel Filmus, bei der Stichwahl im Juni gegen den rechten Unternehmer und Präsident des Fußballclubs Boca Juniors, Mauricio Macri, mit 39 zu 61 Prozent der Stimmen klar unterlegen. Nach der herben Schlappe war erwartet worden, dass Néstor Kirchner nun selbst antreten werde. In Umfragen kam Cristina auf 46 Prozent. Néstor dagegen auf knapp 54 Prozent. Er mobilisiert und erreicht die unteren und armen Schichten, sie die Mittelklasse und Intelligenz. Néstor kann eine Menschenmenge schon mal mitreißen, Cristina kommt über die Rolle der toughen Anwältin im Gerichtssaal jedoch selten hinaus.
Warum sich die Kirchners letztlich für Cristina entschieden haben, ist schwer nachzuvollziehen. Um länger an der Macht zu bleiben, könnten sie sich abwechselnd die Präsidentschaft zuspielen. Die schlechteren Umfrageergebnisse Cristinas konnten sie bei ihrer Entscheidung weitgehend außer Acht lassen, da die Kandidaten der Opposition weit abgeschlagen unter 20 Prozent liegen.
Mit Julio Cobos hat Néstor Kirchner einen wichtigen Schritt zur Bildung eines neuen Mitte-Links-Bündnisses gemacht. Der 49-jährige Cobos, Gouverneur der Provinz Mendoza, gehörte noch bis vor kurzem der oppositionellen Radikalen Bürgerunion UCR an. Nachdem sich jedoch bereits deutlich seine Kandidatur für das Regierungslager abzeichnete, war er am 7. August aus der Partei ausgeschlossen worden, „wegen Handelns im Interesse der Regierung.“ Die sozialdemokratische Unión Cívica Radical ist traditionell die zweitstärkste politische Kraft nach den Peronisten. Die Partei war nach dem fluchtartigen Abgang des früheren Präsidenten Fernando de la Rúa während der Proteste im Dezember 2001 immer weiter in die Krise geraten und in der Wählergunst abgerutscht.
Wie geschwächt die UCR noch heute ist, zeigt die Tatsache, dass sie selbst keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten präsentiert. Ein Flügel der Partei wechselte jetzt mit Cobos ins Lager der Kirchner-Anhänger. Der andere Flügel unterstützt die Kandidatur des ehemaligen Wirtschaftsministers Roberto Lavagna. Der parteilose Lavagna war im November 2006 von Kirchner entlassen worden, gründete das Bündnis Una Nación Avanzada (UNA), stellte sich als Präsidentschaftskandidat auf und holte sich den Parteivorsitzenden der UCR, Gerardo Morales, als Vizekandidaten mit ins Boot.
Präsident Kirchner selbst hatte kurz nach seinem Amtsantritt 2003 den Spaltpilz gesät, als er noch recht diffus die Bildung eines neuen Mitte-Links-Bündnisse ankündigte. Im Mai 2006 hatte er erstmals offiziell davon gesprochen ein „Mehrheitsbündnis“ (concertación plural) zu bilden. Damit hielt er die WidersacherInnen in seiner eigenen Partei in Schach, ohne sich wirklich innerparteilich in das Machtgerangel einzumischen. Gleichzeitig war es eine Einladung an die Opposition, sich mehr um die eigenen Richtungskämpfe als um eine Kontrolle der Regierung zu kümmern.
Ehemann und Ehefrau Kirchner kandierten für die Frente para la Victoria, ein eigens für die Kirchners gegründeter Wahlverein, der mittlerweile den Flügel der Kirchneranhänger unter den Peronisten repräsentiert. Nach dem Verzicht von Néstor Kirchner auf eine erneute Kandidatur zugunsten seiner Frau, wird heftig darüber spekuliert, er werde nach dem Ausscheiden aus dem Amt die Bildung einer neuen Partei unter seinem Vorsitz vorantreiben. Konkrete Schritte zu einer Parteigründung sind jedoch bis heute nicht unternommen worden.
Cobos selbst hatte im Juni die neue Partido para la Concertación Cívica y Plural gegründet, um mit der Frente para la Victoria bei den Wahlen im Oktober Bündnisse eingehen zu können. Es gehe darum ein „Scharnier“ zwischen dem Peronismus und der UCR zu bilden, sagte Cobos in seiner Antrittsrede am Dienstag. Das Bündnis hatte bereits einmal Erfolg. In der Provinz Catamarca ließ sich der Gouverneur und UCR-Mitglied Eduardo Brizuela am 11. März mit der Unterstützung der Frente para la Victoria wiederwählen.
Nach den jüngsten Umfragen kann die Formel Cristina-Cobos die Wahl bereits im ersten Durchgang für sich entscheiden, da sie mit knapp 50 Prozent über der erforderlichen 45-Prozent-Marke liegen. Im Falle einer Stichwahl hätte das Duo Lavagna-Morales die besten Chancen gegen sie antreten zu können, allerdings abgeschlagen mit knapp 19 Prozent. Alles deutet derzeit auf eine Frau im Präsidentenamt hin. „Gewöhnt Euch schon mal dran, es heißt Presidenta Cristina und nicht Presidente,“ sagte Frau Kirchner.


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