Dossier 21 - Das Gleiche in Grün | Uruguay

Privatisierung statt gerechter Transformation

Interview mit dem Gewerkschafter Jhony Saldivia über Energiewende und grünen Wasserstoff in Uruguay

Uruguay ist in den vergangenen Jahren zum Vorbild in Sachen Energiewende geworden: 2023 kamen über 80 Prozent des im Land verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen, vor allem Wasser- und Windkraft. Expert*innen und Gewerkschaften kritisieren jedoch, dass die Energiewende einer breiten Privatisierungswelle im Energiesektor den Weg bereitet habe. Das Problem würde sich mit neuen Energieträgern noch verschärfen, erklärt der Gewerkschafter Jhony Saldivia im Interview.

Interview: Susanne Brust

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Welche Bedeutung hat der grüne Wasserstoff aktuell in Uruguay?
Aus energiepolitischer Sicht noch gar keine, denn es gibt keine Aussichten darauf, dass er hier genutzt werden könnte. Es ist zwar die Rede von Produktion, aber alles deutet darauf hin, dass diese zu 100 Prozent für den Export sein wird. Aus wirtschaftspolitischer Sicht hat er also eine große Bedeutung und die letzten Regierungen haben sich darum bemüht, Auslandsinvestitionen anzuziehen.

Genau wie andere lateinamerikanische Länder scheint Uruguay gerade sehr attraktiv zu sein, um in Wasserstoff zu investieren. Warum?
In Uruguay gibt es drei Faktoren, die die Projekte anziehen. Erstens ist das die politische Stabilität. Zweitens gibt es einen Regulierungsrahmen für die Produktion elektrischer Energie, wenn auch noch nicht beim Wasserstoff. Und drittens hat Uruguay in den vergangenen zehn Jahren einen großen Sprung bei der Energiewende gemacht. Es gibt erneuerbare Energien, um Projekte ins Rollen zu bringen und auch die Kapazitäten, sich hier anzusiedeln.

Im Juli hat die Regierung einen Fahrplan für die Produktion von grünem Wasserstoff bis 2040 vorgelegt. Was besagt er?
Darin wird vor allem ein exponentielles Wachstum der elektrischen Leistung im Land prognostiziert. Das besorgt uns als Gewerkschaft und Unternehmen sehr. Erstens wissen wir nicht, ob unsere Infrastruktur das technisch aushalten wird. Hier werden ganz sicher Investitionen in Übertragungsleitungen fällig. Es ist die Rede davon, die bestehenden erneuerbaren Energien – vor allem Biomasse, Windkraft und Solarenergie – bis 2040 zu veracht- oder sogar zu verneunfachen.
Daraus ergeben sich Fragen, denn es geht um ausländisches Kapital und private Energieerzeuger, die sich an die bestehende staatliche Infrastruktur anschließen werden. Wie viel wird der Staat geben, damit die Investitionen kommen? Dann wird es natürlich auch Debatten um Land und Boden geben. Die Produktion von Wasserstoff braucht nicht viel Fläche, aber die dafür nötige Stromproduktion schon.

Welche Projektvorhaben für grünen Wasserstoff sind jetzt schon bekannt?
Es gibt keine Pilotprojekte, die schon aktiv sind, stattdessen wird viel spekuliert. Man spricht von Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und von Ammoniak. Es ist noch nicht einmal entschieden, welches am Ende das Produkt wird. Es gibt auch noch große Unsicherheiten bei der Logistik: Wie soll der Wasserstoff transportiert werden, wie kommt er zu einem Hafen?
Alle Projekte, die es heute in Uruguay gibt, befinden sich in der Machbarkeitsprüfung und in der Beantragung von Umweltgenehmigungen. Dazu zählt ein Vorhaben des Unternehmens HIF, das sich auch schon in Chile angesiedelt hat und hinter dem US-amerikanisches Kapital steckt. Auch ENERTRAG aus Deutschland hat ein Projekt im kleinen Ort Tambores. Dort wissen wir bereits von Problemen mit den Anwohner*innen.

Worum geht es dabei?
Das Projekt in Tambores will Grundwasser aus dem Guaraní-Grundwasserleiter nutzen, eine Süßwasserquelle, die bisher immer geschont wurde. Bei dem Projekt von HIF geht es um Wasser aus dem Río Uruguay, den wir uns mit Argentinien teilen, auch da wird es zu Diskussionen kommen. Die südamerikanischen Regierungen liefern sich ein Rennen: Argentinien, Chile, Brasilien – alle konkurrieren darum, wer die besten Bedingungen für Vertragsabschlüsse stellt und wer die billigste Tonne Wasserstoff verspricht.
Auch deswegen gibt es noch viel Zweifel daran, ob die Projekte am Ende tatsächlich in Uruguay umgesetzt werden. Falls später doch kein Wasserstoff erzeugt werden sollte, bleiben uns private Stromerzeuger, die ihre Ware verkaufen wollen.

Ihre Gewerkschaft kritisiert schon seit Jahren die Privatisierungen im Energiesektor…
Als Gewerkschaft kämpfen wir schon seit 75 Jahren für den Zugang zu Energie und dafür, dass dieser als Recht für alle in der Verfassung verankert wird. Dabei versuchen wir die Privatisierung in der Stromerzeugung zu stoppen. Seit 2010 wird in Uruguay der Wechsel in der Energiematrix vorangetrieben, seit etwa 2015 laufen die ersten Windparks. Damals hatte man Hoffnung, dass Energie bezahlbarer wird. Nach zehn Jahren beobachten wir das Gegenteil: Sie wird immer teurer.
Seit zehn Jahren machen wir in einer Kampagne darauf aufmerksam, dass die Stromtarife ungerecht sind. Denn der, der am meisten hat, bezahlt am wenigsten. Und der, der am wenigsten hat, zahlt am meisten. Eine unserer Forderung ist daher die Kostensenkung der Energie für Privathaushalte. Außerdem fordern wir eine Sozialpolitik, die jedem und jeder Zugang zu Energie garantiert.
Im Kontext der Energiewende sind wir in einem ständigen Streit darüber, wer von der Energie profitiert. Warum erzeugen wir so viel Energie und für wen? Außerdem sehen wir das Problem, dass Kleinkund*innen heute auf dem Markt keine Stimme und keine Wahl haben. Es ist immer der Mehrheitsmarkt der großen Erzeuger und Verbraucher, die die Vorgaben machen.

Beim Diskurs um die Energiewende geht es im Globalen Norden immer um die Nord-Süd-Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“. Was Sie erzählen klingt eher danach, dass sich die Nord-Süd-Ungleichheiten weiter verschärfen…
Unter dem Etikett „grün“ und „erneuerbar“ kommen im Krieg der Kommunikation alle Projekte als gute Nachrichten daher: Wir produzieren Wasserstoff, um zu dekarbonisieren. Es geht um Investitionspakete von vier oder sechs Milliarden Dollar und das Versprechen von Arbeitsplätzen.
Alle Projekte, die wir jetzt beobachten, sind aber purer Extraktivismus. Das Kapital kommt, richtet sich im Land ein, produziert mit dem Wasser und den erneuerbaren Energien vor Ort Wasserstoff und exportiert diesen. Was bleibt Uruguay davon? Sehr wenig. Wir haben mit den Papierfabriken und Zellstoffanlagen ähnliche Erfahrungen gemacht. Auf lange Sicht ist klar, dass die Arbeitsplätze nicht bleiben. Wir dekarbonisieren für andere, denn alles geht in den Export und am Ende sehen wir, dass die Unternehmen sogar ihre eigenen Techniker mitbringen.

Welche Handlungsspielräume hat AUTE?
Dieses Jahr gibt es in Uruguay Wahlen. Es ist möglich, dass es einen Regierungswechsel gibt und sich uns ein Fenster für Diskussionen über die geplanten Projekte öffnet. Aber wir wissen, dass es sehr schwierig ist, solche Projekte zu stoppen, wenn das Kapital einmal da ist – unabhängig davon, wer an der Regierung ist.
Was wir vor allem kritisieren ist, dass diese Projekte nicht mit der Gesellschaft diskutiert wurden und die Regierung übereilt und hinter verschlossenen Türen Verträge abgeschlossen hat. In den betroffenen Ortschaften organisieren sich die Einwohner*innen, veranstalten Demonstrationen und stellen Forderungen an die Unternehmen und den Staat nach mehr Informationen. Aber diese Diskussion hat sich noch nicht überall verbreitet. Wir als AUTE reden schon lange darüber. Nun bringen wir das Thema aber auch vor die PIT-CNT, die landesweite Vereinigung von Arbeiter*innen. Wir werden es auch mit Arbeiter*innen von ANCAP, des staatlichen Kraftstoffunternehmens und von OSE, dem staatlichen Wasserunternehmen, besprechen, um unsere Kräfte zu bündeln und im Landesinneren stärker zu werden – denn dort sollen die Projekte angesiedelt werden. Im November werden wir versuchen, mit Nachbar*innen aus Paysandú ins Gespräch zu kommen, denn dort ist das Projekt des Unternehmens HIF geplant. Wir wollen unseren Blick auf das Thema vermitteln, Ideen austauschen und über die möglichen mittel- und langfristigen Auswirkungen dieser Projekte diskutieren. Wir wissen, dass diese Projekte kurzfristig und während des Baus keine großen Auswirkungen haben werden. Aber schon in fünf Jahren könnte sich das auf verschiedene Arten und Weisen zeigen. Wir wissen, dass es schwierig wird, die Projekte zu stoppen, denn es gibt bereits unterschriebene Verträge. Wir müssen aber versuchen, wenigstens die Bedingungen zu verbessern und dafür sorgen, dass diese Projekte auch einen Vorteil für Land und Leute mit sich bringen.

Was braucht es aus Ihrer Perspektive für eine gerechte Transformation?
Früher wurde bei uns fast der Strom abgestellt, weil wir so wenig Energie hatten. Heute sind wir zwar nicht mehr so abhängig vom Erdöl, dafür aber von privaten Energieerzeugern. Der Staat erzeugt nicht einmal mehr 40 Prozent der Energie im Land, es gibt also einen bedeutenden Souveränitätsverlust. Deswegen sagen wir, dass zur gerechten Transformation auch eine Energie­souveränität auf Landesebene gehören muss.
Damit die Transformation gerecht wird und diese Projekte zu sozialer Gerechtigkeit im Land beitragen, muss sich der Staat viel mehr einbringen. Das Geschäft darf nicht in der Hand von Privaten bleiben, denn dann bleibt es 100 Prozent reiner Extraktivismus. Wir kämpfen also dafür, dass sich der Staat beteiligt und das Geschäft reguliert, dass Teile der Gewinne in die Sozialpolitik oder sonstige nötige gesellschaftliche Maßnahmen fließen, um etwas Gerechtigkeit zu schaffen. Gleichzeitig sprechen wir hier von natürlichen Gütern, die endlich sind. Der Grundwasserleiter Guaraní ist endlich und wir müssen ihn schonen. Aber damit der Staat sich mehr einmischt, damit es einen gerechten Wandel gibt, damit Energie keine Ware mehr ist, braucht es den entsprechenden politischen Willen. Und den sehen wir heute in Uruguay nicht.