„Prodeco betrügt uns immer wieder“
Interview mit Gewerkschafter*innen über die Rückgabe von Kohleschürfrechten in El Cesar
Prodeco hat im Jahr 2021 seine Schürfrechte im César zurückgegeben. Wie ist der aktuelle Stand?
Claudia Blanco (CB): Prodeco spricht von einer Minenschließung, aber das Unternehmen kauft weiterhin Kohle aus anderen Regionen, bringt sie mit Lastwagen zur Calenturitas-Mine und exportiert sie von dort auf dem normalen Weg mittels Zug und Schiff.
Auf der Glencore-Hauptversammlung in der Schweiz im Mai habe ich den CEO Gary Nagle damit konfrontiert: „Den Aktionären erzählt ihr etwas von Dekarbonisierung und Minenschließung, aber vor Ort operiert ihr weiter und erzielt Gewinne damit. Ihr habt Angestellte entlassen und stellt sie dann unter schlechteren Bedingungen wieder ein, ohne Recht auf gewerkschaftliche Organisation.“ Gary Nagle hat mir geantwortet, dass sie weiter mit Kohle handeln werden, solange es rentabel ist. Zum Beispiel auch mit Israel, weswegen es auf der Versammlung viel Protest gab. In schönen Videos präsentieren sie sich als Dekarbonisierer und schweizer Vorzeigebürger, aber in Kolumbien, Peru oder Afrika machen sie etwas ganz anderes, das ist scheinheilig.
Welche Folgen hatte die Schließung für die Menschen der Region?
CB: Als die Minen geschlossen wurden, haben mehr als 7.000 Menschen ihre Arbeit verloren, die direkt oder indirekt von der Kohleförderung abhing. Dazu kommt noch die informelle Arbeit vor allem von Frauen – sie haben die Wäsche der Bergarbeiter gewaschen, für sie gekocht und geputzt, ihnen Zimmer vermietet oder waren als Sexarbeiterinnen tätig. Die meisten Arbeiter stammten nicht aus dem Cesar und kehrten in ihre Heimatregionen zurück. Die Siedlungen nahe der Minen sind zu Geisterdörfern geworden.
Das Unternehmen erkennt noch nicht einmal an, dass es für chronische Erkrankungen seiner Angestellten verantwortlich ist, die in den Minen vielen Risiken ausgesetzt waren. Sie wollen auch sie widerrechtlich entlassen.
Minenschließungen sind in Kolumbien Neuland – für die Regierung, die Gemeinden und auch für uns als Gewerkschaft. Es gibt keine Garantien für einen Dialog, für einen transparenten Prozess mit dem Unternehmen und dafür, dass es seiner Verantwortung nachkommt. Den staatlichen Kontrollstellen fehlt es an Durchsetzungskraft.
Wie sieht die gewerkschaftliche Arbeit aus, was sind Formen des Kampfes?
CB: Auf lokaler und Bundesebene haben wir Demonstrationen organisiert – vor dem Arbeitsministerium, vor Gerichten oder dem Sitz des Unternehmens. Und auch bei der Glencore-Hauptversammlung in der Schweiz haben wir uns dieses Jahr sehr gut mit Nichtregierungsorganisationen, anderen Gewerkschaften und sogar Aktionär*innen vernetzt.
Robinson Moreno (RM): Letztes Jahr waren wir auch bei einer öffentlichen Anhörung im Abgeordnetenhaus. Mit unserem Aktivismus wollen wir Kolumbien und der Welt zeigen, was bei der Energiewende schiefläuft. Gegen die Angriffe der Firma auf die Gemeinde und die Arbeiter beschreitet die Gewerkschaft beständig den Rechtsweg. Auch die Medienarbeit ist Teil unseres Kampfes, wie jetzt dieses Interview.
Es gibt auch einen runden Tisch verschiedener betroffener Gruppen, was hat er bewirkt?
RM: Daran sind bäuerliche, Indigene, gewerkschaftliche und Umweltgruppen aus der Minenregion beteiligt, auch Tierra Digna und weitere Nichtregierungsorganisationen. Gemeinsam haben sie die für Umweltgenehmigungen zuständige Behörde ANLA gebeten, das Unternehmen aufzufordern, sich mit ihnen zu treffen, um den Schließungsplan für die Minen zu erläutern. Ein Gericht hat dies auch angeordnet, aber das Unternehmen hat es nicht umgesetzt.
CB: Prodeco setzt solche Anordnungen meist nicht um und versucht immer wieder zu täuschen und zu betrügen. Vor Behörden und Gerichten behauptet die Firma, dass sie die Anordnung umgesetzt hat, aber das stimmt nicht. Das Gleiche ist ja auch den Indigenen Yukpa wiederfahren (siehe LN 597).
Was folgt aus alledem für das Ziel einer gerechten Energiewende?
RM: In Deutschland gibt es positive Beispiele wie im Ruhrgebiet, wo versucht wurde, den Verlust an Arbeitsplätzen und die sozialen Folgen zu kompensieren. Hier bei uns sieht das ganz anders aus. Die Lizenzgebühren und Steuern aus dem Bergbau sind für die betroffenen Gemeinden die Haupteinnahmequelle. Aber die von der Firma verantwortete Umweltzerstörung wiegt viel schwerer – abgesehen davon, dass diese Einnahmen wegen der Korruption oft gar nicht bei den Gemeinschaften ankommen.
Die Energiewende ist hier weder für die Gemeinschaften noch für die Arbeiter und die Umwelt gerecht. Ein multinationaler Konzern darf die Gemeinschaften und Arbeiter nicht unvorbereitet lassen, wenn es um die enormen wirtschaftlichen Transformationen nach einer Minenschließung geht. Und der Staat sollte auch keine Verträge abschließen, die nur auf die Interessen solcher Konzerne zugeschnitten sind.
Man darf auch nicht von einem fossilen zu einem grünen Extraktivismus übergehen, ohne die Energieversorgung zu demokratisieren und die Armut zu beenden. Weniger als zehn Kilometer von den Minen im César entfernt liegt zum Beispiel der größte Solarpark Kolumbiens, der der italienischen ENEL gehört. Aber das ein oder zwei Kilometer entfernte Dorf hat keine gute Energieversorgung.
Welche Erwartungen und Forderungen haben Sie an Prodeco und den Staat?
CB: Wir brauchen alle Bergbau-, Umwelt-, Arbeitsrechts- und Rentenreformen, die die derzeitige Regierung gerade plant. Denn im Moment gibt es für Gemeinschaften und Arbeiter keine Garantien. Die Unternehmen werden nicht die Folgen von 25 Jahren Bergbau kompensieren, indem sie schnell ein paar Pflanzen aussäen. Im Moment versuchen sie nämlich den Behörden weiszumachen, dass das als Ausgleich ausreicht, bevor sie die Minen an den Staat zurückgeben.
Prodeco verheimlicht Informationen und vernachlässigt seine Sorgfaltspflicht. Wir wollen dagegen einen offenen, transparenten, inklusiven und demokratischen Dialog mit allen Betroffenen: Indigene, Afrokolumbianer, Frauen, Arbeiter. Prodeco muss mit allen zusammenarbeiten, statt sich davonzustehlen. Denn was machen wir mit der Armut, was mit der Umweltverschmutzung, wenn sie jetzt gehen? An vielen Orten ist die Luft zu dreckig zum Atmen, das Wasser zu dreckig zum Trinken.
RM: Die Gewerkschaften schlagen einen Fonds zur Wiedergutmachung mit Blick auf soziale, Arbeits- und Umweltaspekte vor, was aber nicht einfach ist. In Kolumbien machen die Firmen nur dann etwas, wenn sie durch Gesetze, Urteile, öffentlichen Druck oder kollektive Aktionen dazu gezwungen werden. Die Regierung Petro bemüht sich zwar sehr um unsere Region: Sie soll der neue „Korridor des Lebens” werden, es gibt Unterstützung für selbstverwaltete comunidades energéticas (dt. Energiegemeinschaften, z.B. Dörfer oder Stadtviertel, die ihre Energie mit Solarzellen selbst erzeugen können, Anm. d. Red.). Aber all das reicht nicht.
Welche Strategien haben die Gewerkschaften für ihre künftige Arbeit?
CB: Wir müssen uns um Bildung kümmern, denn vielen Menschen fehlt es für den Strukturwandel an beruflichen Kenntnissen. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit der Universidad de Magdalena einen Lehrgang zur Erlangung des „Gerechte-Energiewende-Diploms” organisiert, an dem viele Arbeiter und engagierte Leute aus den Gemeinschaften teilgenommen haben. Wir planen mit dieser Universität und dem landesweiten Ausbildungsdienst SENA auch einen Kurs zur Solarenergie.
Wie stellen Sie sich Ihr Territorium vor, sobald der Bergbau Geschichte ist?
CB: Wir haben während des Lehrgangs dazu eine Übung gemacht: Wir können uns wieder auf Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang besinnen, aber denken auch an Tourismus. Unser Güterzug kann nicht nur Kohle transportieren, sondern auch Touristen. Wir könnten Kunsthandwerk herstellen und verkaufen, gerade die Frauen – aus Kohleklumpen lassen sich Skulpturen fertigen.
RM: Ideen gibt es viele. Bei diesen riesigen Flächen haben auch Solaranlagen ein großes Potenzial. Das Problem ist aber der Landbesitz: Glencore wird sein Land nicht den Gemeinschaften schenken, und niemand kann es der Firma abkaufen, denn das ist sehr teuer. Selbst wenn das der Staat übernehmen würde, wer tätigt dann die großen Investitionen, die für eine wirtschaftliche Wiederbelebung erforderlich wären?
DIE MINEN VON PRODECO
In den 1980er und 1990er Jahren haben Glencore und andere multinationale Konzerne in Kolumbien Minen eingerichtet. Die Aneignung von Land, die Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen, Morde und Vertreibung der Landbevölkerung waren dabei Mittel, um Verträge zur Rohstoffausbeutung zu erhalten. Diese Verträge sowie das derzeit in Kolumbien geltende Bergbaugesetz lassen soziale Verantwortung und Umweltbelange außer Acht und enthielten auch keine Bestimmungen für eine spätere Schließung der Minen, die die Gesamtheit ihrer Auswirkungen und der Betroffenen im Blick gehabt hätte.
Im Jahr 2020 beantragte Prodeco, den Betrieb der Minen La Jagua y Calenturitas aufgrund des niedrigen Kohle-Weltmarktpreises sowie Auswirkungen der Pandemie für vier Jahre ruhen zu lassen. Die damalige Regierung lehnte dies aufgrund der großen Auswirkungen auf die Region ab, daraufhin beantragte das Unternehmen im Januar 2021 die Rückgabe der Schürfrechte. Die Regierung akzeptierte die Rückgabe von drei der beantragten fünf Schürfrechtstiteln.
Prodecos Mutterkonzern Glencore hat Kolumbien wegen der Verzögerung bei der Rückgabe der Schürfrechte zudem vor dem internationalen Schiedsgericht ICSID auf Entschädigung verklagt.
Die Regierung Petro arbeitet an einem neuen Bergbaugesetz, das Entschädigungen für Gemeinschaften vorsieht sowie die soziale, arbeitsrechtliche und Umwelthaftung der Bergbauunternehmen regelt.
DIE INTERVIEWTEN
Claudia Blanco ist Lokführerin bei Prodeco sowie Schatzmeisterin der Sektion Ciénaga von Sintracarbón. Robinson Moreno ist Elektriker und Lokführer bei Prodeco, außerdem Leiter der Sektion Ciénaga von Sintracarbón. Beide sind Mitglied der ersten Energiewende-Kooperative ihrer Region, die sich auf den Strukturwandel von Arbeit und Wirtschaft konzentriert. (Fotos: privat)