Profit statt Frauenrechte
Interview mit den Frauenrechtlerinnen Suyapa Martinez, Daysi Flores und Dilcia Zavala
Sie waren zuletzt in Genf, wo Sie im Rahmen des Universal Periodic Reviews (UPR) an Sitzungen des UN-Menschenrechtsrats teilgenommen haben. Gab es aus Ihrer Sicht Erfolge?
Suyapa Martínez: Der Einfluss auf internationaler Ebene erscheint uns sehr wichtig. Wenn wir, die Bevölkerung, die Feministinnen, es nicht schaffen, Veränderungen im Land zu bewirken und mit unseren Forderungen bei der Regierung auf taube Ohren stoßen, dann ist dies die einzige Alternative.
Ein Erfolg ist, dass die Regierung die Absicht bekundet hat, eine Ermittlungseinheit für Frauenmorde innerhalb der Technischen Einheit der kriminologischen Untersuchungen einzurichten und eine „Ciudad Mujer“ zu schaffen. Damit ist ein Ort der umfassenden Betreuung von Frauen gemeint, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Dort soll es Richter, Staatsanwälte und sogar einen Zugang zu Krediten geben. Es ist eine Kopie des gleichnamigen Programms in El Salvador. Wir hatten uns zuvor mit dem Rat für Schutz und Sicherheit in Honduras getroffen und betont, dass Frauen nicht von einem Ort zum anderen geschickt werden können, um häusliche Gewalt anzuzeigen.
Mit den öffentlichen Erklärungen der Regierung vor dem Menschenrechtsrat haben wir einen Fuß in der Tür, um weitere Forderungen zu stellen, so dass sie diese Erklärungen auch einhalten. Es ist für uns als Organisationen allerdings schwierig zu verfolgen, ob die Empfehlungen des UPR umgesetzt werden, weil die Arbeit der Regierung intransparent ist und es ein Geheimhaltungsgesetz gibt.
Welche Empfehlungen der anderen Staaten hat der honduranische Staat nicht angenommen?
Daysi Flores: Insbesondere jene, die die Anpassung an internationale Menschenrechtsstandards betreffen. Alles, was mit dem Abkommen 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte zu tun hat oder mit der Ausrichtung auf internationale Mechanismen über ökonomische Rechte. Im Grunde geht es um alles, was ihrem Projekt, aus Honduras Profit zu schlagen, schaden könnte.
S.M.: Des Weiteren ging es um ein Gesetz über die Geschlechtsidentität, das Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexen (LGBTI) betrifft und auch den Waffenhandel. In Honduras werden die meisten Opfer von Frauenmorden mit Schusswaffen getötet. Hier kommen auf jede Person fünf Waffen, aber die Regierung weigert sich, den Waffenhandel zu beschränken.
Welche Institution tritt für die Frauenrechte ein? Und welche Bedeutung hat das Institut für Frauen und Familien noch, nachdem es einem neuen „Superministerium“ untergeordnet wurde?
S.M.: Die Regierung von Juan Orlando Hernández hat eine Reihe von Umstrukturierungen vorgenommen, wobei unter anderem die „Superministerien“ geschaffen wurden. Das Nationale Fraueninstitut (INAM) wurde damit unter dem Dach des Sozialministeriums angesiedelt. Auch wenn sich Ana Aminta Madrid, Chefin des INAM, weiterhin Ministerin nennt, kann sie nicht die gesamte Frauenpolitik bestimmen. Mit einem kargen Budget von 21 Millionen Lempiras, circa 840.000 Euro, kann das INAM die Funktionen, für die es einst geschaffen wurde, nicht erfüllen.
Eine 2008 geschaffene Sondereinheit für Tötungsdelikte gegen Frauen bei der Staatsanwaltschaft für Frauen hat die jetzige Regierung wieder herausgelöst und sie mit allen Tötungsdelikten in einen Topf geworfen. Damit ist auch das Budget von etwa 16 Millionen Lempiras an die Staatsanwaltschaft für Tötungsdelikte übergegangen. Außerdem wurde die Telefonnummer 114 abgeschafft, eine Notrufnummer speziell für Frauen.
Die Regierung will nicht verstehen, dass in einem Land, in dem sich die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit zuspitzt, Institutionen, Hilfsmaßnahmen und spezielle Budgets für Frauen nicht verschwinden dürfen.
D.F.: Die Institutionen im Allgemeinen sind brüchig, aber insbesondere die Institutionen, die mit Menschenrechten, mit Frauenrechten, mit den Rechten der Gemeinden, von LGBTI und der indigenen Bevölkerung befasst sind, machen die schlimmste Krise durch. Es gibt eine Politik, alle positiven Entwicklungen zunichte zu machen. Wir sind an einem Punkt, an dem wir erneut für das kämpfen müssen, was wir vor einigen Jahren bereits erreicht hatten.
S.M.: Seit 2009 kämpfen wir um die „Pille danach“, da nach dem Putsch den Frauen die sexuellen und reproduktiven Rechte verweigert werden. Notfallkontrazeptiva wurden unter Strafe gestellt. Jedes Mal, wenn wir die Stimme erheben, kommen rechte Gruppen und sagen: Das ist Abtreibung, das schadet der Familie.
In den letzten zwei Jahren wurden 5.700 Fälle von sexuellem Missbrauch angezeigt und im Durchschnitt 1.000 Vergewaltigungen pro Jahr. Diesen Frauen verweigert man den Gebrauch von Notfallkontrazeptiva, sogar Mädchen von 10, 11 Jahren. Die Mädchen zur Mutterschaft zu zwingen, ist eine Art von Folter. Abtreibung ist im Land komplett verboten, und statt Fortschritten machen wir hier Rückschritte. Im neuen Strafgesetzbuch, das bereits im Kongress vorgestellt wurde, gibt es fünf strafbare Formen des Aborts, eine davon durch Fahrlässigkeit. Das heißt, wenn eine Frau hinfällt und eine Fehlgeburt hat, kommt sie dafür ins Gefängnis.
In der Vergangenheit hatten wir bereits erreicht, dass die „Expressbegnadigung“ aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde, was bedeutete, wenn ein Mann eine Frau vergewaltigt und sie hinterher heiratet, wurde er begnadigt. Und jetzt kommt diese Regelung zurück, für deren Abschaffung wir gekämpft hatten.
Dilcia Zavala: In Genf haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Regierung versucht, die Wahrheit zu verschleiern und Honduras als eine Art Paradies erscheinen zu lassen. Es tut weh zu sehen, dass der Menschenrechtsrat dafür benutzt wird. Ein Kommentar, den wir zu hören bekamen, war: Es gibt Fortschritte, nur nicht in den Themen, die Sie interessieren. Wer muss sich dann für die Themen interessieren? Ist das eine Frage individueller Interessen? Wir wollen Sicherheit für alle, dass alle ohne Angst leben können, das ist alles.
D.F.: Das Wichtigste im Rahmen des UPR hat sich in Honduras ergeben. 50 Organisationen haben sich in einer Plattform zusammengefunden, um zu reden, und eine Strategie zu erarbeiten. Dazu gehörte es, uns gegenseitig zu informieren und weiterzubilden. Beispielsweise haben wir uns mit diversen Organisationen zusammengesetzt, um einen Bericht über die Situation der Frauen zu erarbeiten. Als wir ihn mit allen diskutierten, wurde uns bewusst, dass wir die Situation der Landfrauen ungenügend beachtet hatten.
Wie sieht denn die Situation der Landfrauen hinsichtlich des Zugangs zu Krediten und Landtiteln aus?
S.M.: In Bezug auf Kredite hat die Regierung eine solidarische Bank geschaffen, wo sich die Frauen geringe Summen von umgerechnet ca. 40 Euro für einen Tortillastand leihen können. Mit diesen geringen Beträgen schaffen die Frauen es nicht aus der Armut zu kommen. Zusammen mit Via Campesina und anderen Organisationen wurde jüngst die Initiative CREDIMUJER ins Leben gerufen, die für den Kampf um solidarische Kredite für Landfrauen steht.
Diese versucht im Nationalen Kongress einen Gesetzesentwurf für einen solchen Fonds einzubringen, der eine Deckung von 600 Millionen Lempiras haben sollte. Ende September 2015 wurde das Gesetz verabschiedet, die Deckung jedoch auf fünf Millionen Lempiras (ca.200.000 Euro) gesenkt. Fünf Millionen Lempiras, um die enorm hohe Anzahl an Landfrauen mit solidarischen Krediten zu unterstützen? Dies war der Versuch über den gesetzgeberischen Weg zu gehen.
Die Landfrauen haben keine Kredite, keine Garantien, keine Landtitel und kein Wohneigentum.
Im Jahr 2010 wurde eine Studie von der KfW veröffentlicht, die besagte, dass gerade 4 Prozent der honduranischen Landfrauen Landtitel besitzen. Gibt es Möglichkeiten für Frauen, Zugang zu Landtiteln zu erhalten?
D.Z.: Das Land in Honduras gehört den Männern, Großgrundbesitzern und Großunternehmern. Die Landvergabe an Frauen hatte noch nie Priorität für den Staat. Die wenigen Frauen, die Land besitzen, gehören Gruppen an, die Land zurückgewonnen haben, wie z.B. im Aguantal und im Süden von Honduras. Hier sieht man, wie Frauen in Besitz von Land kamen, Zugang zu den Kreditgenossenschaften als auch zu Krediten über internationale Organisationen hatten.
Aber generell sind die Parzellen, die die Frauen besitzen, im Vergleich zu denen der Männer kleiner. Oftmals haben sie auch keine finanziellen Mittel, um dieses Land zu bewirtschaften oder ein Haus zu bauen. In der Regierung von Manuel Zelaya Rosales (2006 – 2009, Anm. d. Red.) gab es eine Annäherung im Zugang zu Land für mehrere Gemeinden, ohne speziell auf den Zugang für Frauen einzugehen.
D.F.: Frauen, die ihr absolut legitimes Recht wahrnehmen ihr Land zurückzugewinnen, werden häufig kriminalisiert. Eine Bewohnerin von Marcala sagte mir bei einer Rücknahme, dass sie einfach das Land braucht, um zu essen. Momentan gibt es in Honduras mehr als 5.000 Bäuer*innen, denen der Prozess wegen Landnahme gemacht wird. Unter diesen sind auch 875 Frauen. Es gibt auch ganze Gemeinden, gegen die Prozesse wegen widerrechtlicher Landaneignung geführt werden. Land, auf dem sie geboren wurden, auf dem ihre Eltern geboren wurden und auch schon ihre Großeltern.