Literatur | Nummer 499 - Januar 2016

Psychosomatisches Bankett

Erstveröffentlichung eines Gedichts von Nelson Neto in Deutscher Sprache

Die Lateinamerika Nachrichten freuen sich, ihren Leser*innen weiterhin aktuelle Lyrik aus Lateinamerika vorstellen zu dürfen. Wir setzen unsere Reihe von Erstveröffentlichungen zeitgenössischer lateinamerikanischer Dichter*innen in deutscher Sprache mit einem Werk aus Brasilien fort.

Nelson Neto, Übersetzung: Anna Mensch

Banquete psicossomático

Estou preso em sorriso alheio
precisando derramar minhas próprias lágrimas
que congelaram feito gelatina
e foram servidas em banquetes psicossomáticos
pagos com tíquetes nervosos por analistas gastrônomos
que jogam pôquer
apostando barbitúricos
em quartos enfumaçados de bordeis distribuidores de DST (entre elas vida) na Lapa de Darfur.

Estou com lagrima presa
precisando rir o riso dos mortos
enquanto crianças escravas
brigam por programas mais curtos
para que lhes sobre tempo
para ver desenho animado na televisão.

Faço escolhas como quem morre
e fuma vitorioso seu último cigarro
frente ao carrasco
e sigo levantando minha bandeira
com a garganta seca de riso e choro
protelado para as próximas encarnações.

Nelson Neto

 

Psychosomatisches Bankett

Ich bin gefangen in fremdem Lächeln
muss meine eigenen Tränen vergießen
die wie Gelatine gefroren sind
und in psychosomatischen Banketten serviert wurden
bezahlt mit nervösen Tickets von gastronomischen Analytikern
die Poker spielen
Barbiturate setzend
in verqualmten Bordellzimmern STI-Verteilern (unter ihnen Leben) in der Lapa1 von Darfur.

Meine Träne ist gefangen
ich muss das Lachen der Toten lachen
während versklavte Kinder
um den kürzesten Liebesdienst zanken
damit ihnen Zeit übrigbleibt
um Zeichentrickfilme im Fernsehen zu schauen.

Ich treffe Entscheidungen wie jemand der stirbt
und siegreich seine letzte Zigarette raucht
vor dem Henker
und folge meine Flagge hissend
mit von Lachen und Weinen trockener Kehle
auf die nächsten Wiedergeburten vertagt.

Übersetzung: Anna Mensch

 

1 Lapa ist ein Viertel im Zentrum Rio de Janeiros, das für Dekadenz und ein intensives Nachtleben steht. Seit den 1930er Jahren gilt es als Wiege der Bohème und ist Treffpunkt von Künstler*innen, Literat*innen und Intellektuellen.

 

Nelson Neto wurde 1979 in Rio de Janeiro geboren, auf dessen Straßen er heute selbst gestaltete Lyrik-Hefte und Zeichnungen verkauft. Mit seiner Arbeit als Straßenpoet möchte er ein Zeichen gegen die gewinnorientierte Kulturindustrie setzen (siehe LN 498).

Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Anna Mensch. Zur Zeit arbeitet sie als Lehrassistentin für den DAAD und dreht einen Dokumentarfilm über Straßenpoeten in Rio de Janeiro.

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