Qué pasa con el Condor?
Andine Musik und europäische Hörerlnnen
l’d rather be a sparrow than a snail, yes I would if I only could I surely would.” Mit Simon & Garfunkel ging sie um die Welt, die Melodie „EI Condor pasa” mit dem „typischenu andinen Klang nach Wehmut und Weite und prägte die europäische Vorstellung von „authentischeri’ Andenmusik. Aber bei dieser so populären Melodie der Anden handelt es sich um eine europäisierte Adaption der charakteristischen auf-steigenden Tonleiter, die in der Tat in einem weniger bekannten peruanischen Volkslied nachzuweisen ist. Die Melodie stammt aus einer Zarzuela des peruanischen Komponisten Daniel Alomia Robles (187 1 -1942), die 19 13 in Lima uraufgeführt wurde und durchschlagenden Erfolg hatte. Dabei ging es dem Komponisten jedoch keineswegs um eine Darstellung des Inka- reiches oder der alten Mythen. Viel-mehr thematisiert das Stück die Ausbeutung peruanischer Bergarbeiter durch US-amerikanische Konzerne und war für das damalige Publikum insofern geradezu revolutionär. Die Melodie des “Condor” symbolisiert dabei den ungebrochenen Willen der Arbeiter, für ihre
Freiheit und Rechte zu kämpfen und die Vertreter der Konzerne Mister King und Mister Cup auf die Anklagebank zu bringen. Dieses so populäre Thema ist ironischer- weise vom Tongeschlecht her jedoch konventionell diatonisch, d.h. nach einem in Europa seit der griechischen Antike üblichen Ordnungsprinzip von Ganz-und Halb-tönen aufgebaut, und somit alles andere als „typische andine Musik.
Auch das Publikum der Zarzuela stammte aus der peruanischen Mittel-und Oberschicht, keinesfalls aus ländlichen Gegenden und traditionellen andinen Gemeinschaften. ,,EI Condor” weist also nicht auf die ursprüngliche andine Musik hin, sondern vielmehr auf das Rezeptionsverhalten und das Melodieverständnis westlich geprägter Hörerlnnen. Denn auch der für unsere Ohren harmonische Klang von Harmonie und Rhythmik des „Condorn wird nach den Regeln der klassischen europäischen Musik erzeugt. Die traditionelle Musik der Anden hingegen wirkt auf „europäisch” geschulte Ohren leicht ermüdend, da unter anderem die für klassische Musik charakteristische vorwärtsdrängende Rhythmikfehlt, und statt dessen eine zirkuläre, endlos erscheinende Form vorliegt.
Klang, Text und Tanz gehören zusammen
Die autochthone Musik spiegelt bis heute wesentliche Elemente eines kosmologischen Grundverständnisses wider, das von dem Konzept zweier sich zu einem Ganzen ergänzenden Gegenteilen geprägt ist: Mann und Frau, heiß und kalt, Hell und Dunkel, Tag und Nacht, Regen-und Trockenzeit usw. Diese Gegensätze, auch ira- und arka-Prinzip genannt, finden sich in der andinen Musik wieder. Zum einen repräsentieren die verschiedenen Instrumente gegensätzliche Konzepte. So sind diesikus und quenas der trockenen, „männlichenn Jahreszeit zugeordnet, pinkillos hinge-gen werden mit „weiblichern Fruchtbarkeit assoziiert und in erster Linie während der Regenzeit gespielt. Die weltanschaulichen Einheiten des andinen Denkens sind zwar von katholischen Feiertagen über-lagert worden, aber ihre kosmologische Prägung schimmert bis heute durch. So sind die wichtigen Feste der trockenen Periode männlichen Heiligen wie Santiago oder San Augustin vorbehalten, während Marienfeste in die weiblich konnotierte Regenzeit fallen.
Der Einfluß der Agrarzyklen auf Rituale, Tänze und Melodien ist in den ländlichen Gegenden nach wie vor sehr groß, und die campesinos würden die den unterschiedlichen Zeitabschnitten zugeordneten Instrumente auch kaum gemeinsam spielen. Sie werden im Ensemble gespielt, wogegen die in den Städ-ten musizierenden conjuntos die Instrumente unabhängig von ihrer kosmologischen Konnotation ein-setzen und auch miteinander spielen. Dort haben auch Saiteninstrumente wie Gitarren und Charangos, die erst mit den Spaniern in die Anden gelangten, eine andere Bedeutung zur Harmonisierung und Begleitung der Melodie.
Das ira- und arka-Prinzip bestimmt Melodie und Struktur der autochthonen Musik, wobei ira als das dominante Prinzip hier für das beginnende, führende Element steht, während arka folgt und er-
gänzt. Erst im Zusammenspiel von iro und arka ertönt die Musik voll-ständig. Hat bei zweireihigen Pan-flöten das ira-Instrument eine ungerade Anzahl von offenen und geschlossenen Röhren, zum Beispiel 7 +7, so hat das zugehörige arka-Instrument jeweils sechs Röhren. Zusammen ergänzen sie sich zu einer dreizehntönigen Spielskala in Halbtonschritten. Die Wechselwirkung und Zugehörigkeit der beiden Panflöten wurde und wird zum Teil noch heute dadurch symbolisiert, daß sie mit einer Schnur verbunden sind.
In einem Ensemble traditioneller andiner Musik gibt es, um diesem Prinzip Rechnung zu tragen, immer zwei Musiker, die zueinander komplementäre Instrumente spielen, wobei die größeren Panflöten gewöhnlich den älteren Musiker vor-behalten sind, und die kleineren von den jüngeren und unerfahrereren Mitgliedern gespielt werden. Jedoch darf in den traditionellen Dorfgemeinschaken die Musik nicht isoliert betrachtet werden. Das Wort taki bedeutet auf Quechua ‘tanzen’, ‘musizieren’ und ‘singen’. Diese drei Aktivitäten Klang, Text und Bewegung verschmelzen erst gemeinsam zu einem Ganzen.
In „EI Condor pasa” werden also eher die westlich geprägten Vorstellungen von andiner Musik befriedigt, als daß die Komplexität autochthoner andiner Musik erfaßt, geschweige denn vermittelt würde. Das soll jedoch niemanden davon abhalten, diese Musik schön zu finden …
Elisabeth Schumann
Quellen: Baumann, Max Peter: „Das ira- arka-Prinzip im symbolischen Dualismus andinen Denkens”, In: Ders. (Hrsg): Kosmos der Anden. Weltbild und Symbolik indianischer Tradition in Südamerika. München: Diederichs, 1994, Seite 274-3 16.
Huhle, Rainer: „lndiomusik?” In: Hispanorama 76, Mai 1997.
Turino, Thomas: Moving away from Silence. Music of the Peruvian Altiplano and the Experience of Urban Migration. Chicagol London: University of Chicago Press, 1993.
Berichtigungen:
In unserer Musik-Nummer (LN 2771278) haben wir den Artikel “Salsa -eine New Yorker Story” ohne Rücksprache mit der Autorin Susanne Breuer in unzulässiger Weise verändert.
In unserer letzten Nummer ist uns im Artikel “Herkules-Quasimodo im Hinterland Bahias” von Dawid Bartelt ein Fehler unterlaufen: Die Fotos stammen nicht vom Autor sondern von Flavio de Barros bzw. Berthold Zilly. Wir geloben Besserung!