Argentinien | Nummer 488 - Februar 2015

Rätselhafter Tod mit politischen Folgen

Der Tod des AMIA-Sonderermittlers Nisman hält Argentinien in Atem

Seit der Generalstaatsanwalt Alberto Nisman unter ungeklärten Umständen am 18. Januar tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, ist die politische Sommerpause in Argentinien beendet. Die Opposition hat das Wahljahr eingeläutet und Präsidentin Kirchner hat auf die augenscheinliche Verwicklung der Geheimdienste in den Fall Nisman mit umfassenden Reformankündigungen reagiert.

Christian Rollmann

Es ist ein klassisches Problem der Kriminalliteratur: Ein Toter wird mit Kopfschuss in seiner verschlossenen Wohnung aufgefunden, Spuren auf Fremdeinwirkung gibt es nicht. Edgar Allen Poe hatte dies schon vor über 150 Jahren zum Gegenstand seiner Erzählung „Doppelmord in der Rue Morgue“ gemacht. Bei dem Toten in dem aktuellen realen Fall in Buenos Aires handelt es sich um Alberto Nisman, den Chefermittler im immer noch laufenden Verfahren zum Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina) im Jahr 1994.
Der ungeklärte Tod des am 18. Januar verstorbenen Sonderermittlers hat die argentinische Politik vorzeitig aus der Sommerpause geholt. Seither vergeht kein Tag, an dem nicht in den Medien über die Hintergründe des Todes spekuliert wird. Selbstmord, erzwungener Selbstmord oder Mord – bislang konnte keine Variante bestätigt werden. Der „Fall Nisman“ ist politisch brisant: Einen Tag, nachdem der Jurist tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, sollte er seine schweren Vorwürfe gegen die politische Spitze des Landes vor dem Abgeordnetenhaus erläutern. Der 51-Jährige behauptet in seiner Anklage, Christina Fernández de Kirchner, ihr Außenminister Héctor Timerman und andere Funktionär*innen des links­peronistischen Regierungsbündnisses hätten die Aufklärung des Attentats wissentlich behindert. Die Regierung CFKs, wie die Staatspräsidentin gemeinhin genannt wird, habe die Auslieferung mutmaßlicher Drahtzieher aus dem Iran verhindert – zur Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen und zugunsten eines Erdölgeschäfts. Der für die Anklage zuständige Richter Rodolfo Canicoba Corral schmetterte die 300-seitige Anklageschrift jedoch umgehend ab und kommentierte, diese verfüge über „wenig bis gar keinen Beweisgehalt“. Zwar unterhält Argentinien, wie auch andere südamerikanische Linksregierungen, gute Kontakte zum Regime in Teheran, aber konkrete Beweise für seine Anschuldigungen oder aktuelle Öl-Deals konnte Nisman nicht liefern. Der ehemalige Interpol-Generalsekretär Ronald Noble reagierte postwendend und bezichtigte den Staatsanwalt sogar der Lüge. Nobel betonte, Außenminister Timerman habe im Gegenteil ausdrücklich darauf bestanden, dass durch das zwischen Argentinien und Iran Anfang 2013 vereinbarte Memorandum die Haftbefehle nicht aufgehoben würden.
Dass Nisman am Tag vor seiner Anhörung Selbstmord begehen sollte, erscheint vielen Argentinier*innen jedoch unglaubwürdig. Bislang sind allerdings keine Indizien öffentlich geworden, die ein Fremdverschulden bestätigen würden. In dem spektakulärsten Todesfall der jüngeren argentinischen Geschichte ist bis dato einzig klar, dass es Beweise weder für einen Selbstmord noch für einen Mord gibt. Früher als gedacht hat die Causa Nisman so das argentinische Wahljahr 2015 eingeläutet. Einmal mehr ist das Land in stark polarisierte politische Lager gespalten. Die Frage nach Suizid oder Mord ist längst zu einer politischen Glaubensfrage geworden.
Die Opposition hegte von Anbeginn starke Zweifel an der Freitodbehauptung. Der Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, zugleich aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der konservativen Opposition, berief umgehend eine Pressekonferenz ein, in der er seine Betroffenheit erklärte. Seine Parteikollegin Gabriela Michetti gab zu Protokoll, es sei „sehr schwierig sich mit der Idee anzufreunden, dass der Staatsanwalt sich selbst zum Schweigen bringen wollte.“ Sergio Massa, ein möglicher Präsidentschaftskandidat des rechten Flügels des Peronismus, verlautbarte, als Nebenkläger in der Aufklärung des Todes auftreten zu wollen. Am Tag nach dem Tod des Generalstaatsanwalts demonstrierten viele Tausend vor dem Regierungspalast gegen die Präsidentin. Einender Slogan war in Anlehnung an die Solidaritätsbekundungen mit Charlie Hebdo: „Yo soy Nisman.“ – „Ich bin Nisman.“ Viele der Demonstrierenden machten CFK persönlich für den Tod Nismans verantwortlich und nicht wenige wünschten der Präsidentin plakativ, sie möge ihrem verstorbenen Ehemann folgen. Auf Twitter wurde #CFKAsesina („#CFKMörderin“) zum trending topic.
Kirchners Regierungspartei Frente para la Victoria (Front für den Sieg) veröffentlichte als Reaktion auf die aggressiven Proteste ein Kommuniqué, in dem das Verhalten von Presse und Protestierenden als „putschistisch“ verurteilt wurde. War die Präsidentin zunächst noch öffentlich von Suizid ausgegangen, ging sie wenige Tage später dazu über, von Mord zu sprechen – aus ihrer Sicht jedoch ein Mordkomplott, geplant durch ihre politischen Gegner*innen, mit dem Ziel, ihr einen Skandal anhängen zu können. Sie kritisierte die politische Inszenierung der Anklage und bilanziert zu den Hintergründen seines Todes: „Aus Fragezeichen wird Gewissheit. Ich bin mir sicher, der Selbstmord war kein Selbstmord.“ Die eigentliche Aktion gegen die Regierung sei nicht die Anschuldigung Nismans gewesen, sondern sein Tod, für den die Regierung verantwortlich gemacht werden sollte.
Der Fall wirft mehr Fragen auf, als dass er Antworten gibt. So ist zum Beispiel bislang unklar, warum der Jurist den Europaurlaub mit seiner seiner 15-jährigen Tochter vorzeitig abbrach, um überstürzt eine Anklage ohne Beweislast gegen die Regierung zu veröffentlichen. Anders als eine politisch motivierte Kampfansage kann das Verhalten Nismans nicht verstanden werden. So äußerten sich vorige Woche verschiedene renommierte Jurist*innen des Landes erstaunt über sein Vorgehen. Der ehemalige Richter am Obersten Gerichtshof, Eugenio Zaffaroni, erklärte etwa, die Justiz sei „parteiisiert“ und interveniere in die Politik.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die enge Beziehung, die Nisman zu dem ehemaligen hochrangigen Funktionär des argentinischen Geheimdiensts SI (Secretaría de Inteligencia), Antonio „Jaime“ Stiuso, unterhält. Dieser wurde für einen der mächtigsten Männer im SI-Apparat gehalten und unlängst von der Regierung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Es gilt als sicher, dass die Täterhypothese des AMIA-Attentats und die Spur in den Iran vor allem seinen Überlegungen entsprang. Nisman und Stiuso unterhielten enge Beziehungen zu den USA, wie Wikileaks-Unterlagen offen legen. Beide frequentierten die Botschaftsräume bisweilen im Wochentakt. Kritiker*innen unterstellen Nisman und Stiuso, eine eigene Agenda zu verfolgen oder gar Strohmänner des CIA zu sein. Jenseits von diesen Vermutungen lässt sich festhalten, dass die Untersuchungen des Sonderermittlers in enger Abstimmung mit der SI und den USA erfolgt sind.
Insgesamt handelt es sich bei der Aufklärung des Anschlags von 1994, bei dem 85 Menschen ums Leben kamen, um ein beispielloses Justizversagen. Seit Jahren treten die Ermittlungen weitgehend auf der Stelle. Die Rolle Stiusos im Fall Nisman bleibt unklar. Es wird vermutet, dass er es war, der Nisman inmitten der gerichtsfreien Zeit aus dem Urlaub in Europa zurückrief. Klarheit dazu gibt es nicht. Die Präsidentin vermutet, dass die Geheimdienstbehörde auch mit dem Tod Nismans in Verbindung gebracht werden kann. Als Reaktion kündigte sie am 26. Januar in einer einstündigen Fernsehansprache die Auflösung der Institution an. Das Vorhaben soll im Eilverfahren bereits Anfang Februar verabschiedet und innerhalb von 90 Tagen umgesetzt werden. Damit zieht das Staatsoberhaupt auch die Konsequenzen aus der Verstrickung der SI in die AMIA-Ermittlungen. An die Stelle der SI soll künftig eine AFI (Agencia Federal de Inteligencia) genannte Ersatzorganisation treten, die transparenter sein und sich an die Verfassung und Menschenrechtsgrundsätze halten müsse, so Kirchner. Es handele sich um die Begleichung einer Schuld gegenüber der Bevölkerung, die seit dem Beginn der Demokratie 1983 bestünde, rechtfertigte sie den Schritt und erklärte: „Wir müssen anfangen, ein Geheimdienst-Reformprojekt zu erarbeiten, weil der bestehende nicht den nationalen Interessen dient.“ Kritiker*innen sagen, dass der bestehende Geheimdienst einen „Staat im Staat“ bildet. Unter dem Dach der SI, die von Perón in den 1950er Jahren gegründet alle folgenden Diktaturen überdauerte, existieren genau genommen mehr als zehn verschiedene Geheimdienste. Während der Diktatur nahm die SI eine führende Rolle in der Repression und Ermordung von Oppositionellen ein.
Der SI-Etat beträgt heute umgerechnet 185 Millionen Euro – 80 Prozent davon werden für Agent*innengehälter verwendet. Informationen über Strukturen und Ausgabenposten sind Mangelware. Bei der anstehenden Reformierung der Geheimdienstarchitektur geht es um einen groß angelegten Feldzug gegen die aktuellen Agent*innenstrukturen, die sich zum Teil eindeutig gegen die Regierung gewandt haben. In ihrer Fernsehansprache kommentierte die Staatsvorsteherin diesbezüglich: „Seit 2013 wurde ich vonseiten des Geheimdienstes und mit Unterstützung der Justiz in immer schnellerer Abfolge mit Vorwürfen bombardiert, und das aus den Büros der eigenen Regierung.“ Daher würden mit der Neustrukturierung auch viele Agent*innen aus dem Amt enthoben, warnte sie. In jedem Fall, verkündete sie nun der Öffentlichkeit, ließe sie sich nicht einschüchtern und erpressen.
Dass vor diesem Hintergrund bei der anstehenden Neustrukturierung des Geheimdienstes mehr als ein Kommandowechsel herauskommt, wäre wünschenswert, ist aber nicht absehbar. Ob Geheiminformationen zu dem Fall Nisman bekannt werden, ist fraglich, denn sicherlich sind mit der Auflösungsankündigung die Schredder in der SI-Zentrale heiß gelaufen.

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