Brasilien | Kultur | Nummer 565/566 - Juli/August 2021

RECHTER KULTURKAMPF

Brasiliens Rechte will Stiftung für afrobrasilianische Kultur ideologisch säubern

Rund 9.000 renommierte Werke sollten aus der staatlichen Kulturstiftung Fundação Cultural Palmares entfernt werden. Ende Juni wurde dies vom zuständigen Gericht in Rio de Janeiro untersagt.

Von Claudia Fix

Am 11. Juni kündigte der Präsident der Fundação Cultural Palmares, Sérgio Camargo, an, rund 9.000 Werke aus Literatur und politischer Theorie aus dem Archiv der Einrichtung zu entfernen. Laut einer internen Analyse der staatlichen Stiftung zur Förderung der afrobrasilianischen Kultur seien nur fünf Prozent aller Titel konform mit dem institutionellen Auftrag. Unter den beanstandeten Publikationen gehören viele zum brasilianischen Bildungskanon, wie die des afrobra-*silianischen Schriftstellers Machado de Assis (1839-1908) oder des Anthropologen und Folkloreforschers Luís da Câmara Cascudo (1898-1986). Auch international Anerkanntes, zum Beispiel Werke von H. G. Wells, der Frankfurter Schule und alle Bücher von oder über Karl Marx, sollten aussortiert werden.

In der Analyse namens Darstellung der Sammlung – drei Jahrzehnte der marxistischen Vorherrschaft in der Stiftung Fundação Cultural Palmares hat das Institut 14 Kategorien angewandt, um den „kulturellen Marxismus“ zu beenden. Sie lesen sich wie das ABC der Kampagnen der Neuen Rechten: „Sexualisierung von Kindern“, „jugendliche Straftäter“, „Techniken der Viktimisierung“, „obsolete Werke“.

Inzwischen hat das zuständige Gericht in Rio de Janeiro der Stiftung untersagt, die indizierten Werke aus dem Archiv auszuschließen. Der Vorgang ist dennoch höchst relevant, weil er der jüngste Versuch der brasilianischen Neuen Rechten ist, die Freiheit von Forschung, Bildung, Kunst und Meinungsäußerung zu beschränken. Mit der Verschwörungstheorie hinter dem Kampfbegriff „kultureller Marxismus“ werden erfolgreich ideologische Umdeutungen in der Öffentlichkeit verbreitet. Im Kern geht es darum, Begriffe wie Vaterland, Familie oder Erziehung in ihrer konservativen Deutung als „unideologisch“ und „natürlich“ zu definieren, während andere Definitionen als „ideologisch“ gebrandmarkt werden, zum Beispiel als „Gender-Ideologie“.

Die Diktatur darf in Schulbüchern nicht mehr Diktatur heißen

Unter Präsident Jair Bolsonaro werden staatliche Mittel so umgeleitet, dass dieser Diskurs unterstützt wird. Das betrifft nicht nur die finanziell ausgebluteten Umweltbehörden, was erheblich zu den gestiegenen Waldrodungen beiträgt, sondern auch Universitäten und (Schulbuch-)Verlage. Welche Verschiebung dort gerade stattfindet, lässt sich an der Weisung des Bildungsministeriums ablesen, nach der die brasilianische Militärdiktatur in den Geschichtsbüchern nicht mehr als Diktatur bezeichnet werden darf (siehe Artikel auf der nächsten Seite).

Eine der ersten erfolgreichen Kampagnen der Neuen Rechten ist die escola sem partido, in etwa „Schule ohne Partei(nahme)“. 2004 gegründet vertritt sie angeblich Eltern und Schüler*innen, die sich gegen die „ideologische Indoktrinierung“ der Linken in den Schulen wehren. Im Fokus der Kritik steht immer wieder der international anerkannte brasilianische Pädagoge Paulo Freire (siehe Artikel auf Seite 53), dessen egalitäre Pädagogik schon 1964 von der Militärdiktatur geächtet wurde. Heute wird er von offiziellen Amtsträgern, wie Bolsonaro und seinen Bildungsministern, diffamiert.

Auch wenn die „kritische Öffentlichkeit“ und die Justiz in vielen Fällen Angriffe abwehren konnten, sind Aktionen gegen einzelne Kunstwerke oder Veröffentlichungen weiter zu erwarten.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren