Nummer 418 - April 2009 | Queer

„Rechtsverletzungen müssen ein Ende nehmen“

Interview mit der kolumbianischen Transaktivistin Charlotte Schneider Callejas

Sebastian Henning

Wie würdest du ganz allgemein die Situation von Transleuten in Kolumbien beschreiben?
Es ist uns in den letzten Jahren gelungen, mehr Anerkennung für die Rechte von Transmenschen zu erreichen. Unsere Rechte als Bürgerinnen und Bürger werden zunehmend geschützt. Abgesehen davon gibt es nach wie vor sehr hartnäckige gesellschaftliche und kulturelle Probleme, die langfristig gelöst werden müssen. In Städten wie Bogotá, Medellín und Cali müssen wir vor allem darum kämpfen, dass die Rechtsverletzungen durch Polizei und Armee ein Ende nehmen. Innerhalb dieser Gruppen gibt es immer noch eine unglaubliche Transphobie. Immer wieder ereignen sich Übergriffe. Zumindest in Bogotá arbeiten wir allerdings gut mit der Stadtverwaltung zusammen. Dort regiert der Alternative Demokratische Pol, der auch eine LGBT-Gruppe hat, den Rosa Pol. Die Partei ist wirklich sehr progressiv und setzt sich für die bedingungslose Durchsetzung der Menschenrechte ein – auch bei Diskriminierungen aufgrund der geschlechtlichen Identität oder der sexuellen Orientierung.

Gibt es denn Statistiken über die Zahl transphober und homophober Hassverbrechen?
Die offiziellen Statistiken führen diese Verbrechen nur als ganz normale Straftaten oder „Verbrechen aus Leidenschaft“ und nicht als Hassverbrechen. Es gibt allerdings eine Studie von GerichtsmedizinerInnen, die aufgrund bestimmter Merkmale die Toten als Opfer von Hassverbrechen identifiziert. In Bogotá und Cali zusammen wurden im Jahr 2007 insgesamt 52 eindeutige Hassverbrechen an Transfrauen registriert. Bei dieser Zahl sind jedoch viele Fälle nicht berücksichtigt, bei denen andere Tatmotive nicht ausgeschlossen werden können. Im letzten Jahr gab es zumindest in Bogotá dann weniger Fälle, da sich Militär und Polizei etwas zurückgehalten haben. Dies ist vermutlich eine Folge der bewussten Menschenrechtspolitik durch die Stadt. In Cali ist das allerdings nicht so. Allein in der ersten Jahreshälfte 2008 wurden dort 19 Transmenschen ermordet.

Wie ist die Situation von Transmenschen auf dem Arbeitsmarkt?
Ich glaube, unsere Situation ist überall auf der Welt sehr komplex, und das ist in Kolumbien nicht anders. Erst einmal ist es meistens so, dass wir, wenn wir nach außen so sein wollen, wie wir sind, in Kolumbien im Prinzip auf zwei Sphären beschränkt werden: entweder du arbeitest als Hure oder als Friseurin. Oder du trittst vielleicht noch in LGBT-Szenelokalen bei Shows auf. Denn selbst wenn du in einem Beruf ausgebildet bist, gibt es viele Diskriminierungen bei der Stellensuche. Es gibt auch immer wieder Fälle, in denen Leute eine Arbeitsstelle haben und sie dann im Zuge ihrer Geschlechtsanpassung verlieren.

Welche Strategien wendet ihr dagegen an?
Wir haben in Zusammenarbeit mit verschiedenen kommunalen Verwaltungen versucht, Bildungsprogramme zu starten. Dazu gehören das Nachholen des Abiturs, aber auch Berufsausbildungen: als Friseurin, Sekretärin, Bildungs- oder Gesundheitspromotorin. Im Bereich Sicherheit haben wir in Bogotá Kontakte zu den zuständigen Behörden, bei denen wir nicht nur Anzeige erstatten, sondern diese auch für die Situation von Transmenschen sensibilisieren und Schulungen anbieten.

Die Politik auf nationaler Ebene wird ja von der Mitte-Rechts-Koalition und dem Hardliner Álvaro Uribe bestimmt. Wie läuft es da?
In einigen Städten und Departamentos haben wir Erfolge erzielt, auf nationaler Ebene ist das schwieriger. Wir mussten oft den Weg über das Verfassungsgericht nehmen, wo wir Klagen zur Durchsetzung von Grundrechten angestrengt haben: Ermöglichung von Schulbesuch, Sozialversicherung, Bewegungsfreiheit in bestimmten Landesteilen und auch Operationen. Die Regierung Álvaro Uribe öffnet sich dafür natürlich nicht von selbst. Immerhin hat das kolumbianische Außenministerium ein Kulturprojekt von Transkünstler_innen unterstützt. Auch dies haben wir durch Lobbyarbeit erreicht. Gesetzentwürfe zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder zur vereinfachten Personenstandsänderung in Dokumenten sind bislang vom Parlament nicht verabschiedet worden. Die Regierung stellt sich der Durchsetzung solcher Rechte vehement entgegen.

Welche Regelungen gelten für geschlechtsangleichende Operationen?
Intersexuelle wurden früher aufgrund der Entscheidung von Ärzten oder Eltern schon nach der Geburt operativ an das männliche oder das weibliche Geschlecht angepasst. Wir haben erreicht, dass, sofern das Leben des Kindes nicht gefährdet ist, diese Operation erst nach Erreichen der Volljährigkeit – selbstbestimmt und nur auf eigenen Wunsch – durchgeführt werden kann. Für Transsexuelle sind, abgesehen von Projekten in einzelnen Departamentos, geschlechtsangleichende Operationen und die Hormonbehandlung nicht durch das Sozialversicherungssystem abgedeckt. Die Behandlung ist dermaßen teuer, dass viele die Eingriffe nicht von ausgebildeten MedizinerInnen vornehmen lassen. Dies führt oft zu schweren gesundheitlichen Schäden.

Wie sichtbar sind Transmänner in Kolumbien?
Generell ist es erst einmal so, dass Schwule oder Lesben, deren Äußerlichkeiten den Geschlechterstereotypen entsprechen, eher akzeptiert sind. Alles, was diesen sozialen und kulturellen Normen nicht entspricht, erfährt Diskriminierungen. Transfrauen haben sich in den letzten Jahren schon eine recht große Präsenz erkämpft. Es gibt auch Transmänner, die öffentlich für ihre Rechte eintreten, vor allem in Bogotá. Für sie ist allerdings die Hürde sich zu outen viel größer, weshalb viele ihre Identität weiterhin verstecken: in ihrer Familie, ihrem Umfeld – und sogar in der LGBT-Szene. Es liegt natürlich auch an uns, Transmänner noch offener aufzunehmen und ihnen zu zeigen, dass wir für ihre Anliegen sensibilisiert sind.

Welchen Stellenwert hat das Thema Intersexualtität in Kolumbien und Lateinamerika?
Das ist eine sehr aktive Bewegung. In Bogotá arbeitet in dem Bereich beispielsweise die Kolumbianische Vereinigung der Ausprägungen von Intersexualität. Auch in Brasilien und Argentinien gibt es zahlreiche Gruppen. Transorganisationen arbeiten bereits gut mit Intersexuellen zusammen, es gibt allerdings noch viel zu tun. Es muss noch mehr Sichtbarkeit und mehr Räume für Auseinandersetzung geben.

Die linken Regierungen, etwa von Venezuela, Bolivien oder Ecuador, öffnen sich in ihren neuen Verfassungen für die Rechte von LGBT. Wie bewertest du diese Entwicklung?
Ich freue mich sehr, dass Präsidenten wie Hugo Chávez oder Evo Morales die Notwendigkeit erkannt haben, sich auch mit uns an einen Tisch zu setzen und unsere staatsbürgerlichen Rechte zu schützen. Trotzdem sind die Verlautbarungen mit Vorsicht zu genießen. Die Ernsthaftigkeit des Engagements wird sich erst zeigen, wenn den Ankündigungen konkrete Maßnahmen und Haushaltsmittel folgen. In Venezuela kritisieren viele zudem, dass einige Chávez-AnhängerInnen innerhalb der LGBT-Bewegung glauben, Rechte seien verhandelbar. Es besteht der Vorwurf, sie trieben die politische Vereinnahmung der Bewegung voran und erhielten im Gegenzug Posten zugeschanzt. Die Situation für Transmenschen ist aber unverändert schwierig, es ist von Doppelzüngigkeit die Rede. In Bolivien scheint es dagegen wirklich voranzugehen.
Welche begrifflichen Konzepte verwendet ihr, wenn ihr von eurer Bewegung sprecht?
Das kommt immer auf den jeweiligen Zusammenhang an. Eigentlich bezeichnen wir uns als LGBT, was die konkreten Personen, um die es geht, sichtbarer macht: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transmenschen. Für die Öffentlichkeit ist es jedoch einfacher, von „Sexueller Vielfalt“ zu sprechen. Der Begriff wurde von uns aufgegriffen, wir klammern uns nicht an die Form, sondern legen Wert auf die Inhalte: gleiches Recht für alle.

Gibt es Kontakte zur Frauenbewegung?
Wir Transfrauen arbeiten punktuell mit feministischen Gruppen zusammen, laden uns gegenseitig zu unseren Aktionen ein. Einige Transfrauen sind auch in feministischen Gruppen präsent. Im Gegensatz zur schwulen Szene sind wir in der Frauen- und Lesbenbewegung sehr akzeptiert.

Wie verhalten sich die Schwulen?
In Bogotá bekommen wir sehr viel Unterstützung, anderswo – in Medellín, Santander oder an der Atlantikküste – gibt es deutliche Widerstände der Schwulenbewegung, mit uns Bündnisse einzugehen. Es wird dann immer behauptet, wir hätten kein Interesse an der Zusammenarbeit. Das Problem ist aber ihre Unfähigkeit, eine breitere Perspektive zu entwickeln, in der auch wir einen Platz haben.

// Interview: Sebastian Henning

Kasten:
Charlotte Schneider Callejas
arbeitet für den Verein für das Recht auf kulturelle und geschlechtliche Identität von Transgendern in Kolumbien (Asociación por el Derecho a la Identidad Cultural y Sexual de los Transgeneristas en Colombia, kurz: Asociación Transcolombia). Außerdem ist sie in verschiedenen Netzwerken zum Thema „Trans“ aktiv: Unter anderem im Kolumbianischen Netzwerk von Transmenschen (Red Colombiana de Personas Trans), beim Nationalen Runden Tisch der LGBT-Bewegung (Mesa Nacional del Movimiento LGBT Colombia), dem Runden Tisch LGBT Bogotá (Mesa LGBT Bogotá). Sie ist Kolumbien- und Transverantwortliche des Lateinamerikanischen und Karibischen Bündnisses der Künstler_innen und Aktivist_innen im Bereich HIV/AIDS (Frente Latinoamericano y del Caribe de Artistas Activistas con Trabajo en VIH y SIDA).

Glossar:
Intersexuelle // Menschen, die aufgrund verschiedener körperlicher Merkmale (von Geburt an) nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.
LGBT // (engl.) Abkürzung für Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender = Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transgender.
Transgender // (Oberbegriff) = (engl.) Person, die sich nicht oder nur teilweise mit den ihrem anatomischen Geschlecht zugewiesenen sozialen Rollen und Praktiken identifizieren kann.
Trans // Der Terminus wird hier als Oberbegriff verwendet. Er umfasst dabei ausdrücklich sowohl Transgender im engeren Sinne, die das Überwinden von Geschlechterkategorien anstreben, als auch Transsexuelle, die eine Geschlechtsangleichung innerhalb der gegebenen Kategorien wünschen.
Travesti // (span.) Subkulturelle Selbstbezeichnung für Transgender mit ursprünglich männlicher Zuordnung, die selbstbestimmt ihre geschlechtliche Identität leben und definieren sowie teilweise ihre Körper modifizieren, etwa mittels der Einnahme weiblicher Hormone und der Injektion von Silikon.
_innen // Schreibweise, die im Gegensatz zur Schreibung mit großem „I“ in Texten auch jene Personen sichtbar machen will, die „zwischen den Geschlechtern“ existieren.

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