Fernsehen | Kolumbien | Nummer 576 - Juni 2022

REGGAETON UND KLASSENKAMPF

Die Netflix-Serie Ritmo Salvaje thematisiert am Leben zweier Tänzerinnen aus Bogotá Klassengegensätze in Kolumbien

In Simon Brands neuer Netflix Serie Ritmo Salvaje treffen zwei Tänzerinnen aufeinander, deren Welten nicht gegensätzlicher sein könnten. Was sie eint, ist die Leidenschaft für das Tanzen. An den beiden Protagonistinnen Antonia und Karina zeigt sich, wie bedeutsam Klassenzugehörigkeit und Herkunft für persönlichen Aufstieg in Lateinamerika sind – und, dass Talent allein nicht immer ausreicht.

Von Joana Muñoz Pájaro

Bogotá 2022. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, da bricht Karina, eine der beiden Protagonistinnen (gespielt von Sängerin Greeicy Rendón), bereits zur Arbeit auf. Tagsüber geht sie einem Fabrikjob nach, nachts verfolgt sie ihre Träume als Tänzerin mit ihrer Tanzgruppe Pura Kaye. Karina und ihre Freundinnen lernen auf den Straßen Bogotás tanzen, während Antonia, die zweite Protagonistin (Paulina Dávila) der Serie, Tanz an der prestigeträchtigen Akademie „El Royal” studiert. Im Gegensatz zu Karina mangelt es ihr nicht an Zeit, um ihre Träume zu verfolgen. Sie merkt jedoch, dass ihr etwas fehlt, sie sich neu erfinden muss, um die Hauptrolle in dem neuen Stück der Akademie zu ergattern.

Unüberwindbare Klassengegensätze

Als sich die beiden Frauen bei einem von Karinas Auftritten kennenlernen, ist Antonia begeistert von Karinas einzigartigem Tanztalent. „Ich muss werden wie du”, sagt sie. Antonia möchte Teil von Karinas Welt werden, die nicht wie ihre eigene nur aus ihrem Tanzstudium besteht. Denn Karina drückt etwas aus, was Antonia begehrt: Eine bestimmte Art von Street Style, dessen Aneignung ihr den Weg zur ersehnten Hauptrolle ebnen könnte. Karina und ihre Freundinnen hingegen können von der glanzvollen Welt, in der Antonia zuhause ist, nur träumen. Über Ximena (Ángela Cano), ein Gruppenmitglied von Pura Kaye, erfahren die Zuschauer*innen, wie unüberwindlich der Klassengegensatz zwischen der Tanzgruppe und Antonia ist: „Natürlich will ich alles für Pura Kaye tun. Wenn wir zusammen sind, ist alles toll, aber wenn wir es nicht sind, ich arbeiten muss und mich kaputt schufte, ist es das eben nicht. Uns ist es nicht erlaubt, zu träumen.“ Jeder einzelne der Charaktere in Ritmo Salvaje führt jenseits der Tanzfläche ihren eigenen Kampf. Dabei geht es um Träume, Freund*innenschaft, Solidarität und Klasse.

Ritmo Salvaje zeigt neue Narrative für kolumbianische Serien auf


Reggaeton vermittelt diese Geschichten deshalb so gut, weil er mittlerweile internationale Bedeutung erlangt hat, aber auch weil das Thema Klassenunterschiede in dem Genre eine große Rolle spielt. Reggaeton ist, dem Hip-Hop ähnlich, entstanden, um marginalisierten Gruppen der Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Dass Antonia schließlich Reggaeton wählt, um sich an ihrer prestigeträchtigen Akademie neu zu erfinden, ist außergewöhnlich. Das Tanzdrama überzeugt besonders, weil es bis zur letzten Folge spannend bleibt, ohne dabei kitschig zu werden.

Ritmo Salvaje zeigt mit interessanten Dialogen und dem Abbild eines echten Alltags neue Narrative für kolumbianische Serien auf. Besonders schön an der Serie ist, dass nichts gekünstelt wirkt. Für manch eine*n geht es womöglich zu viel ums Tanzen, für andere ist es eine interessante erfrischende Geschichte über die Vielseitigkeit Bogotás kreativer Szene.

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