Resignation vor den Wahlen
Das Wahlverhalten der EcuadorianerInnen ist auch einen Monat vor dem Wahltermin nicht vorhersehbar
Neuwahlen scheinen in Ecuador nötiger denn je zu sein, zieht man Zahlen zur Regierungsperiode von Präsident Alfredo Palacio heran. Laut dem Statistikinstitut Cedatos-Gallup gab es allein unter leitenden FunktionärInnen in nur 16 Monaten Regierungszeit 333 Neubesetzungen. Zuletzt wurde Ende August der ecuadorianische Verteidigungsminister Oswaldo Jarrín entlassen. Er warf der Regierung vor, nicht konsequent genug die militärische Bekämpfung des Drogenhandels zu unterstützen. Des wirbelnden Ministerkarussells müde, verwahrte sich die Regierung jeglicher Stellungnahme dazu. Offenbar will Palacio, der die Regierungsgeschäfte nach dem Sturz von Präsident Lucio Gutiérrez im April 2005 übernahm, nur noch stillschweigend bis zur Amtsübergabe im Januar 2007 durchhalten.
Gekennzeichnet war die Amtszeit Palacios von einem politischen Schlingerkurs. Versuche, die sozialen Forderungen breiter Bevölkerungsschichten umzusetzen, die sich immer wieder durch Straßenproteste Gehör verschafften, blieben zumeist auf der Strecke. Stattdessen arrangierte sich Palacio zusehends mit der etablierten politischen Elite des Landes, die im Nationalkongress dominiert. Nie kam es zur versprochenen Reform der ecuadorianischen Verfassung. Der Kongress hatte diese Initiative stets erfolgreich blockiert. Nur den Rausschmiss des US-Erdölmultis OXY aus dem Land, dem Vertragsbruch vorgeworfen wird, konnte der Präsident als konsequentes politisches Durchgreifen präsentieren. Das Stigma eines lavierenden Übergangspräsidenten dürfte ihm aber bis zuletzt anhaften. Zum Schaden für den Ruf der Demokratie: Rund 85 Prozent der Bevölkerung haben laut Cedatos-Gallup das Vertrauen in die Politik verloren. Offen ist deshalb nach wie vor, welcheR KandidatIn bis zu den Wahlen am 15. Oktober das Vertrauen des Volkes gewinnen wird.
Sozialdemokratie auf Erfolgskurs
Bisher aussichtsreichster Kandidat ist León Roldós, ehemaliger Vizepräsident von der sozialdemokratischen Partei Izquierda Democrática (ID) und dem Wahlbündnis „Netzwerk Ethik und Demokratie“. León Roldós war von 1981 bis 1984 Vizepräsident und zunächst Mitglied der Sozialistischen Partei PS. Mit der Annäherung an Banken- und UnternehmerInnenkreise schlug er jedoch früh einen pragmatischen Weg ein, der jetzt, ergänzt durch die Zusammenarbeit mit der etablierten sozialdemokratischen ID, endlich sein lang gehegtes Ziel der Präsidentschaft zeitigen soll. Der Kern seines Wahlkampfes ist die „Menschliche Entwicklung Ecuadors“ mit konkreten Punkten wie einem Wohnungsbauprogramm, einem besseren Gesundheitsprogramm und der Verbesserung der Bildung. Gleichzeitig stehen auf Roldós’ Agenda das Abzahlen der Auslandsschulden, das Verhandeln eines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten und der Kampf gegen die weitreichende Korruption. Der Kandidat der ID steht hingegen weder für radikale Reformen der instabilen Demokratie im Land noch für fundamentale Veränderungen in der Außenpolitik. Für eine Stabilisierung und Demokratisierung der immer noch blockierten Politik gilt er aber als geeigneter Kandidat.
Linkskandidat mit
Chancen auf Stichwahl
Unter den aussichtsreicheren KandidatInnen tritt links von Roldós der ehemalige Wirtschaftsminister Rafael Correa mit seinem Wahlbündnis Alianza PAÍS an. Rafael Correa war unter Interimspräsident Palacio drei Monate Minister – äußerte jedoch kritische Vorstellungen bezüglich Auslandsverschuldung und internationalem Wirtschaftssystem, was letztlich zu seinem Abgang als Regierungsmitglied führte. Im Wahlkampf setzt Correa nun auf radikale Veränderungen „Der Staat ist zusammengebrochen. Wir wissen alle, dass nichts besser werden wird, wenn kein Wandel an der Wurzel der Probleme stattfindet, wenn es keine radikalen Veränderungen gibt, die auf die Parole der Bürger in den Straßen im April letzten Jahres eingehen: ¡Qué se vayan todos!“ (Sollen doch alle abhauen!), erklärte der Kandidat der Alianza PAÍS Ende August. Correa versucht damit, sich zum Garanten des demokratischen Neuanfangs zu machen – eines Neuanfangs, den die Forajidos, die DemonstrantInnen des Präsidentensturzes im letzten Jahr durch vorgezogene Neuwahlen von Parlament und Präsident bereits im April 2005 erreichen wollten. Besuche von Correa in Venezuela und Argentinien machten darüber hinaus deutlich, dass er verstärkt auf eine alternative südamerikanische Zusammenarbeit setzt.
Das Scheitern der Populisten?
Gegen die Kandidaten der Linken treten zwei Bewegungen an: Einerseits die populistische Strömung – mit Protagonisten wie dem weltweit viertgrößten Bananenproduzenten Álvaro Noboa und der Gruppe um den Ex-Präsidenten Lucio Gutiérrez. Aus der Mitte der Parteien-Kaste des Landes kommt Cynthia Viteri, die für die christlich-soziale Partei PSC antritt. Die Populisten Noboa und Gutiérrez unterzeichneten im Juli zunächst ein Wahlbündnis. Anfang August jedoch brach dieses Bündnis auseinander, als sich Noboas Partei PRIAN nicht mit der Bewegung um Gutiérrez über die KandidatInnen für die Wahlen einigen konnte. Nachdem Lucio Gutiérrez, der monatelang in Haft saß, die eigene Kandidatur untersagt wurde und für seine Partei der Patriotischen Gesellschaft jetzt sein wenig chancenreicher Bruder Gilmar antritt, könnte das Ende der politischen Karriere Lucios erreicht sein. Doch auch für Noboa könnte der Wahlkampf vorbei sein: Das Oberste Wahlgericht erklärte Anfang September, er habe die erlaubten finanziellen Ausgaben für den Wahlkampf überschritten. Dies könnte nun hohe Strafzahlungen und das Einfrieren seiner Konten zur Folge haben.
In Umfragen Ende August sprachen sich derweil zwischen 22 und 23 Prozent der Befragten für León Roldós aus. Für eine Zweitplatzierung kommen danach drei KandidatInnen in Betracht: Zwischen der christsozialen Cynthia Viteri, dem Populisten Noboa und dem Linken Rafael Correa geht es wohl um die Teilnahme an der zu erwartenden Stichwahl. Als weniger aussichtsreich gilt neben Gilmar Guitiérrez auch die Kandidatur von Luis Villacís von der Demokratischen Volksbewegung (MPD). Gleiches gilt für den Kandidaten der Indígena-Bewegung CONAIE/Pachakutik und Freihandelsgegner Luis Macas, der der „bolivarianischen Achse“ von Hugo Chávez, Evo Morales und Fidel Castro nahe steht.
Ungewisser Wahlausgang
Wichtiger Faktor einen Monat vor der Wahl ist jedoch die laut MeinungsforscherInnen weiterhin signifikant hohe Zahl der unentschlossenen WählerInnen. Cedatos-Gallup bezifferte sie auf 78 Prozent. Begründet sei dies vor allem durch den gering gebliebenen Bekanntheitsgrad der KandidatInnen.
Zu einem Denkzettel für die Abgeordneten des Kongresses rufen vermehrt PolitikerInnen und soziale Gruppen auf. Ungültig abgegebene Wahlzettel oder das Kreuz bei keinem der KandidatInnen sollen diese Proteststimmen zur Mehrheit bei den Parlamentswahlen machen. „Das Ziel ist, dass die Abgeordneten das herrschende Misstrauen anerkennen“, meint der Journalist Carlos Vera, der als Vorreiter der Initiative gilt. Er versichert, dass bis zu 60 Prozent der WählerInnen diesen Vorschlag unterstützen würden, was politisch einmalig in Ecuador wäre. Der Kongress gilt seit Jahren als die korrupteste und am wenigsten vertrauenswürdige Institution des Landes. Diese Ablehnung geht so weit, dass die Alianza PAÍS des Linkskandidaten Rafael Correa sogar davon absah, KandidatInnen für die Parlamentswahlen aufzustellen – und stattdessen unmittelbar nach einem eventuellen Amtsantritt als Präsident eine verfassungsgebende Versammlung einberufen will.
Sicher ist, dass in Ecuador von keiner allgemeinen Aufbruchsstimmung die Rede sein kann. Es dominiert die Unzufriedenheit mit den PolitikerInnen und das Misstrauen gegenüber der Politik. Mit Rafael Correa präsentiert sich zwar ein linker Kandidat für einen radikalen demokratischen Neuanfang Ecuadors. Dieser kann aber nicht über die Uneinigkeit innerhalb der Linken hinwegtäuschen.
Zwischen Hoffnung und Resignation
Paco Velasco, Leiter des unabhängigen Radio La Luna, das im April 2005 medial am Sturz des damaligen Präsidenten Lucio Gutiérrez beteiligt war, kritisierte die fehlende Zusammenarbeit zwischen den Kandidaten. Luis Macas, Luis Villacís, Rafael Correa und aus dem sozialdemokratischen Lager León Roldós seien individuell akzeptabel. „Diese Kandidaten treten jedoch gänzlich uneinig an und ohne sich in einer gemeinsamen Allianz organisiert zu haben“, so Velasco. Die Teilnahme an der Stichwahl stünde damit für die Linke auf dem Spiel.
Nach einem Jahrzehnt der staatlichen Instabilität, die sich vor allem in wiederholten Präsidentenstürzen und unvollständigen Amtsperioden manifestierte, bleibt einmal mehr nur die Hoffnung. Die zu großen Teilen in Armut lebende Bevölkerung wird darüber abstimmen, welche Bedeutung sie den Wahlen beimisst: Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung Ecuadors oder ein weiterer Grund für die schon jetzt überhand nehmende politische Resignation.