Revolution in der Revolution
Havanna öffnet sich dem progressiven Teil der US-Exilgemeinde
In welchem Maße hat die US-Politik einen Einfluß auf die Veränderungen, die in Kuba gerade vonstatten gehen?
Valdes: Historisch betrachtet haben die USA immer auf zwei Wegen ihre Macht auf Kuba ausgeübt: aktiv und mit der Macht des Vetos. Seit Beginn dieses Jahrhunderts heißt aktive Politik im wesentlichen: Die USA haben alle Antworten; sie stülpen Kuba einfach ihre rechtlichen Rahmenbedingungen, ihre politischen Ziele und Werte über. Selbstverständlich kann man realistisch betrachtet einer anderen Gesellschaft nicht einfach etwas überstülpen, für dessen Verwirklichung man selbst Jahrhunderte benötigte. Ich glaube, eine ganze Reihe Menschen tendiert dazu, das zu vergessen.
Der andere Ansatz der USA ist die Macht des Vetos. Das heißt folgendes: Immer dann, wenn die USA versuchen, Kuba ein bestimmtes Muster aufzudrängen, die soziale Wirklichkeit in Kuba das aber nicht erlaubt und Kuba dann versucht, seinen eigenen Weg fortzusetzen, setzt die Macht des Vetos ein. Die USA sagen dann einfach:”Wir werden es nicht zulassen”.
Das Ergebnis ist in beiden Fällen dasselbe: Die tragische bilaterale Geschichte von Kuba und den USA verdichtet sich zu einem Gleichgewicht des Scheiterns. Kubanischer Nationalismus kann immer wieder von den USA mit einem Veto gekontert werden. Kuba ist einfach nicht stark genug, um dieses Veto zu überrollen. Auf der anderen Seite sind die USA nicht stark genug, um ein Kuba nach ihren Vorstellungen zu schaffen. Die kubanische Wirklichkeit wird immer darauf aufbauen, US-Ideale zu besiegen.
Es erscheint vielleicht etwas merkwürdig, aber die einzige Möglichkeit, die den USA bleibt, kubanischen Nationalismus zu absorbieren oder zu integrieren, liegt darin, ihm die Hand zu reichen. Die USA sind schon viel länger Regionalmacht als Kuba. Man muß sich einfach klarmachen: Kuba ist erst seit 34 Jahren wirklich unabhängig, vor 1959 war es das nie. Die Unabhängigkeit der USA geht zurück bis ins Jahr 1776, also über 200 Jahre. Deshalb sollten die USA als die “Älteren” dem gerade mal 34 Jahre jungen Kuba die Hand reichen.
Nach 34 Jahren scheinen die USA nun einige ihrer Ziele in Kuba erreichen zu wollen. Ist unter der neuen Clinton-Regierung so etwas wie eine neue Politik sichtbar geworden?
Die Clinton-Administration folgt einer Politik, die im Grunde genommen während der Reagan-Jahre praktiziert wurde. Damals gab es eine dramatische Wende in der US-Politik gegenüber Kuba.
Vor 1981 (dem Amtsantritt Reagans, LN) richtete sich die US-amerikanische Kuba-Politik danach, ob Kuba gewisse Vor-bedingungen für normale Beziehungen erfüllte. Diese Vorbedingungen orientierten sich am Verhältnis Kubas zum Rest der Welt. Die USA sagten damals: “Uns stehen Entschädigungen für den Besitz zu, den ihr verstaatlicht habt” oder “Ihr müßt Eure Truppen aus Angola abziehen” oder “Ihr müßt Eure Beziehungen zur Sowjetunion abbrechen”.
Es gab niemals eine Situation, in der die USA sagten: Wir werden die Beziehungen mit Kuba nur verbessern, wenn das wirtschaftliche, soziale und politische System Kubas ein Ende findet. Nicht einmal unter den konservativsten Regierungen der US-Nachkriegszeit, auch nicht unter Eisenhower oder Nixon, machten die USA die Normalisierung der bilateralen Beziehungen von Veränderungen in Kuba abhängig. Aber als Reagan sein Amt antrat, änderte sich das. Er machte die Normalisierung der Beziehungen von fundamentalen inneren Veränderungen auf der Insel abhängig. Seine Politik basierte auf präsidialen Anweisungen und Kabinettsbeschlüssen, Gesetze gab es noch keine. Die kamen erst mit dem Cuban Democracy Act, den Bush 1992 unterzeichnete. Damit wurde die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas zu einer Politik, an die sich sowohl Republikaner als auch Demokraten halten mußten – denn nun ist sie Gesetz.
Das bedeutet, auch wenn Clinton gern eine andere Politik gegenüber Kuba machen wollte, müßte er zuerst dieses Gesetz ändern. Zwar verfügt er über einen gewissen präsidialen Spielraum, aber er ist dennoch in einer sehr schwierigen und ungewöhnlichen Position.
Gibt es dennoch Bruchstellen innerhalb der US-amerikanischen Außenpolitik? Gibt es Alternativvorschläge, die diese Zwangsjacke in Frage stellen?
Beinahe jede bedeutende Analyse zu Kuba erkennt an, daß die US-amerikanische Kuba-Politik nicht funktioniert. Auch stimmen die meisten darin überein, daß, selbst wenn diese Politik “funktionieren” würde, Kuba aller Voraussicht nach vor einem Bürgerkrieg stünde und eine Massenflucht in die USA einsetzen würde. Sie werden Leute im Außenministerium und im Nationalen Sicherheitsrat finden, die mit der augenblicklichen Kuba-Politik nicht gerade zufrieden sind.
Das Problem ist, daß die Kuba-Politik nicht von den Profis aus dem Außenministerium oder dem Nationalen Sicherheitsrat gemacht wird, noch wird sie von der aktuellen Lage in Kuba bestimmt. Kuba-Politik wird bestimmt von den alle vier Jahre wiederkehrenden Präsidentschaftswahlen und den alle zwei Jahre stattfinden Kongreßwahlen. Sie ist eine Geisel des amerikanischen Wahlkampfes. Florida zum Beispiel ist wegen seiner vielen Wahlmännerstimmen gerade im Präsi-dentschaftswahlkampf äußerst wichtig. Diese Ausgangslage geht weit über die Tatsache hinaus, daß die Cuban American National Foundation, CANF, den Wahlkampf Clintons durch Spenden mitfinanzierte (die CANF mit dem Exilkubaner Jorge Mas Canosa an der Spitze verkörpert die unversöhnliche Anti-Castro Hardliner-Position, LN). Die Essenz ist: Es gibt zu viele mit verbrieften Interessen, die am meisten gewinnen, wenn die Politik so weitergeführt wird wie bisher. Veränderungen in Kuba, von Kubanern initiiert, werden also keinen signifikanten Einfluß auf die US-Politik haben.
Man muß sich klar machen, welche Interessen hier im Spiel sind. Ist es im Interesse des Staates Florida, ein freies Kuba vor der Haustür zu haben, mit dem man um Touristendollars konkurrieren müßte? Ist es im Interesse der Immobilienmakler des Großraums Miami, in eine Situation zu geraten, in der Strandhäuser in der Nähe von Havanna zum Billigstpreis zu bekommen sind? Ich bezweifle das. Was würde mit dem Wert von Immobilien in Südflorida passieren, was mit dem Glücksspiel in New Jersey, wenn sich Kuba öffnet? Was macht die Drug Enforcement Agency (die us-amerikanische Antidrogenbehörde, LN), wenn Kuba ein offenes Land würde? Wird sie mehr oder weniger zu tun haben? Wenn die “kubanische Bedrohung” verschwände, was würde mit dem Budget des Pentagon oder der CIA passieren? Was würde mit den Zuckerexporten der Dominikanischen Republik geschehen? Ich denke, es gibt zu viele verbriefte Interessen, die besser gesichert sind, wenn Fidel nicht gestürzt wird und sich die bilateralen Beziehungen nicht entscheidend verbessern. Die ausweglose Situation kommt diesen Kreisen gerade recht und dient ihren Interessen. Für Kuba ist es besser, damit fortzufahren, wie bisher ins 21. Jahrhundert zu hinken.
Was müßte passieren, damit es eine Änderung der US-Politik gibt?
Zuerst müßte sich das Weiße Haus endlich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß innerhalb der kubanischen Gemeinde in den USA die konservative Perspektive nicht die einzige ist. Genauso wie konservative US-Amerikaner die CANF zu dem gemacht haben, was sie heute ist, könnte das Weiße Haus den Aufbau einer liberalen, vielleicht leicht nationalistischen, kubano-amerikanischen Organisation unterstützen, die sich für eine solche Änderung einsetzte. Dann müßte die kubanische Regierung die Organisation als legitimierten Gesprächspartner anerkennen. Entscheidend wäre die Etablierung einer Verbindung, die einen Prozeß des Gebens und Nehmens auf beiden Seiten erlauben würde. Beide Länder müßten eine Prioritätenliste entwickeln und sich zusammensetzen, um diese abzugleichen. Ein Beispiel: Nehmen wir an, es wäre den USA wirklich wichtig, daß Kuba eine freie Presse hat. Die USA könnten Gelder bereitstellen, damit Kuba Papier zum regelmäßigen Druck der Tageszeitung Granma kaufen kann, was zur Zeit nicht immer möglich ist. Ein bestimmter Prozentsatz des Gedruckten müßte dann aus Meinungen bestehen, die nicht von den offiziellen Stellen stammen.
In welchem Ausmaß gibt es Risse oder Fraktionen in den Strukturen der kubanischen Exilgemeinde, die solche Prozesse in Gang setzen könnten?
Die kubanische Exilgemeinde war, politisch betrachtet, immer sehr facettenreich. Vor den Achtzigern gab es über 200 politische Gruppierungen: Anarchisten, Sozialdemokraten, Konservative und sogar einige Fidelistas. Die Exilgemeinde ist insgesamt sehr interessant und vielfältig. Politisch konservativ ist sie in Bezug auf Kuba. Aber sie ist nicht konservativ, wenn es sich zum Beispiel um soziale Werte dreht.
Die CANF wurde 1981 mit dem Machtaufstieg Reagans geboren. Sie ist eigentlich eine sehr merkwürdige Organisation, fast eine Mißbildung innerhalb der kubano-amerikanischen Gemeinde. Zum Beispiel mit der Vorstellung des freien Marktes, wie sie die CANF hat, identifizieren sich nicht viele Kubano-Amerikaner. Die CANF ist eine Kreation der Neuen Rechten, der Moral Majority, der Reagan-Revolution und all diesen Dingen. Sie hatten die Tür zum Weißen Haus geöffnet und Jorge Mas Canosa reingezogen. Es ist eben nicht so, daß er genug Kraft gehabt hätte, seinen Weg ins Weiße Haus selbst zu gehen. Sie haben ihn aufgebaut, darauf vorbereitet.
In diesem Sinne müßte die Clinton-Administration nun die Türen im linken Flügel des Weißen Hauses öffnen und einige Kubano-Amerikaner aus diesem Teil der Gemeinde hereinziehen.
Was, wenn die kubanische Regierung anerkennen würde, – und das wäre weit entfernt vom augenblicklichen bilateralen Verhältnis – daß es in den USA eine kubanische Gemeinde gibt, die in gewissem Sinne Teil Kubas ist? Sie weiß, daß es innerhalb dieser Gemeinde einige sehr konservative Menschen gibt, die die Revolution und alles, wofür sie steht, zerstören wollen. Aber sie weiß auch, daß nicht alle Kubano-Amerikaner so sind. Die kubanische Regierung könnte beginnen mit diesen Teilgruppen zu reden. Sie könnte ihnen helfen, innerhalb der kubano-amerikanischen Gemeinde einflußreicher zu werden.
Ich denke, wenn die kubanischen Stellen dies tun würden, wäre Clinton mit einer neuen Realität konfrontiert, und er könnte gezwungen sein, entsprechend zu antworten. Auch wenn sonst nichts dabei herauskäme, müßte er sich dann wenigstens mit den zwei Strömungen auseinandersetzen, wie sie sich in Miami und anderswo herausbilden und gegenseitig widersprechen – anders als jetzt, wo die CANF das Monopol auf die ganze Show hat.
Gibt es denn Anzeichen dafür, daß die kubanische Regierung bereits solche Annäherungsversuche an die Exilgemeinde gestartet hat?
Ja, es gibt Anzeichen, man muß nur warten, was daraus wird. Zum Beispiel besteht eine Möglichkeit darin, daß die kubanische Regierung nicht nach einem politischen Pendant in den USA sucht, sondern sich nach einer ganzen Reihe verschiedener Stimmen umsieht: aus unterschiedlichen Gemeinden oder auch einzelne Persönlichkeiten. Fragen wie die nach den Bedürfnissen und Interessen von Kubano-Amerikanern, die nach Kuba gehen wollen, könnten ein Aspekt sein. Reisen, Lebensmittel, humanitäre Hilfe, Familienzusammenführung – die Liste ließe sich fortsetzen.
Es kann gut sein, daß die kubanische Regierung nur wünscht, die Beziehungen zwischen dem kubanischen Staat und den Kubano-Amerikanern zu normalisieren und es dann dabei zu belassen; also den ökonomischen Nutzen einzustreichen, aber den nächsten Schritt nicht zu gehen: die politischen Kosten zu bezahlen. Denn die kubano-amerikanischen Gesprächs-partner würden sich wohl nicht nur über ihren Einfluß in Washington freuen, sondern könnten Ansprüche stellen, den Weg in Kuba mitzubestimmen.
Kuba steht vor dem Problem, daß es einer politischen Front bedarf, wenn es das Embargo loswerden will. Diese Front muß aus den Reihen der Kubano-Amerikaner gebildet werden.
Kuba könnte all dies tun, um eine Aufhebung des Embargos zu erreichen, aber es kostet seinen Preis: Dem, daß die Kubano-Amerikaner in gewisser Weise mitbestimmen, was in Kuba passiert.