Brasilien | Nummer 455 - Mai 2012

Rio Minus 20

Der Uneinigkeit bei den Regierungen im Vorfeld des „Rio Plus 20“-Gipfels steht die Entschlossenheit der Organisator_innen des Gegengipfels gegenüber

„Rio Plus 20“ ist schon lange nicht mehr Synonym für Aufbruchstimmung. Zwei Monate vor Beginn des Jubiläums-Gipfels der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro macht in Brasilien vermehrt der Begriff „Rio Minus 20“ die Runde.

Andreas Behn

Im Vorfeld der im Juni stattfindenden UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung löst vor allem die schleppende Vorbereitung des offiziellen Teils der Konferenz Enttäuschung aus. Geprägt von Streit unter den Mitgliedsstaaten offenbart sich allenthalben ein Unwillen zu konkreten politischen Vorschlägen. Statt effektivem Umweltschutz sollen die Vermarktung der Naturressourcen und Freihandel die ökologische Krise lösen – so kritisieren soziale Bewegungen und Organisationen die Vorschläge des offiziellen Gipfels. Im Fortgang der Verhandlungen versuchen die Industriestaaten alle Bezüge auf umfassende Menschenrechte sowie zentrale Errungenschaften von „Rio92“ – insbesondere den „Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ für den Zustand des Planeten – aus dem Entwurf zu streichen.
Zudem beharren die Staaten des Nordens darauf, den Umweltaspekt stärker zu betonen. Dies führte bei der letzten Verhandlungsrunde in New York Ende März zu einer Neuauflage des Nord-Süd-Konflikts: Die in der G77 organisierten Entwicklungs- und Schwellenländer bestehen auf klare Formulierungen zu Armutsbekämpfung, Technologietransfer und nationale Wirtschaftsentwicklung.
Die Kritik der Regierungen im Süden richtet sich dabei vor allem gegen Europa und die USA: Diese setzten auf Umweltrichtlinien, um damit letztlich ihre eigenen Industrien zu schützen. Diese Kritik greift freilich ein wenig zu kurz. So kritisieren Umweltgruppen im Gastgeberland, dass nationale Umweltpolitik bei der brasilianischen Regierung schlicht keine Rolle spiele. Jüngstes Beispiel dafür ist ein milliardenschweres Industrie-Förderprogramm der Regierung Rousseff von Anfang April, bei dem kein einziges ökologisches Kriterium zum Tragen kam. Auch Infrastrukturprojekte zur Erschließung des Amazonas, die Subventionierung der Erdöl- und Agrospritindustrie oder die konsequente Bevorzugung des Individualverkehrs seien keine zukunftsträchtigen Modelle, kritisieren die sozialen Bewegungen ihre eigene Regierung in Brasília.
Im Gegensatz zum offiziellen UN-Gipfel laufen die Vorbereitungen des von der Zivilgesellschaft organisierten Peoples‘ Summit auf vollen Touren. Das breite Bündnis strahlt dabei politischen Konsens aus – vor allem in der Ablehnung der marktwirtschaftlichen „Green Economy“. In dem Maß, in dem zur Zeit auf UN-Ebene keine konkreten und wenig ambitionierte Positionen beschlossen werden, werden offenkundig die alternativen Lösungsvorschläge und Analysen der Krisenursachen des Parallelgipfels politisch relevanter – nicht zuletzt, weil sie konkreter sind. Marcelo Durão von der Landlosenbewegung MST und einer der Sprecher_innen des Zivilgesellschaftskomitees bringt die Kritik auf den Punkt: „Wir werden gegen die Themen von ‚Rio Plus 20‘ protestieren, da dort nur marktgerechte Lösungen debattiert werden“, so Durão. „Rio Plus 20“ liefere die falschen Lösungen, kritisiert er. „Es ist ein großes Treffen von Regierungen und dem Unternehmertum – daher werden wir unsere Visionen auf der Straße vertreten“, kündigte Durão an.
Eine dieser „falschen Lösungen“ sei die weitere Förderung von industrieller Landwirtschaft, die nicht der Bekämpfung des Hungers diene. Statt dessen setzt die Landlosenbewegung MST auf familiäre und ökologische Landwirtschaft. Marcelo Durão gibt dafür ein konkretes Beispiel: Die Versorgung der rund 10.000 Teilnehmer_innen des Peoples‘ Summit wird mit den Produkten von kleinen Landwirt_innen bestritten.

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