Guatemala | Nummer 354 - Dezember 2003

Rios Montt ist politische Geschichte

Schlappe für Regierungspartei bei den Präsidentschaftswahlen in Guatemala

Bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen in Guatemala Anfang November sind die Gewinner die Parteiallianzen UNE (Nationale Einheit der Hoffnung) und GANA (Große Nationale Allianz Guatemalas) und ihre Kandidaten Alvaro Colom und Oscar Berger, die am 28. Dezember in der Stichwahl gegeneinander antreten müssen. Ex-Diktator Rios Montt und seine FRG (Republikanische Front Guatemalas) mussten hingegen herbe Stimmeinbußen hinnehmen.

Frank Garbers

Rios Montt ist fertig“. Die Schlagzeilen in der guatemaltekischen Presse spiegeln das Auf-atmen weiter Teile der guatemaltekischen Bevölkerung wieder, als am Tag nach den Präsidentschafts- und Kongresswahlen vom 9. November die ersten Ergebnisse bekannt wurden. In einem spannungsgeladenen und von großer Unsicherheit über die Zukunft des Landes geprägten Wahlgang landete Ex-Diktator Rios Montt, der Kandidat der rechtsgerichteten Republikanischen Front Guatemalas (FRG), mit nur 18 Prozent der abgegebenen Stimmen überraschend deutlich abgeschlagen auf dem dritten Platz. Mit rund 37 Prozent ging Oscar Berger von der Parteienallianz GANA (Gran Alianza Nacional de Guatemala) als eindeutiger Sieger aus den Wahlen hervor. In einer Stichwahl am 28. Dezember wird er sich allerdings mit Alvaro Colom, Kandidat von der Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE), messen müssen, der auf 28 Prozent der Stimmen kam.
Die Kandidatur Rios Montts hatte im Vorfeld für Aufsehen und Polemik gesorgt. An der Spitze einer Militärjunta hatte er 1981 nach einem Staatsstreich die Regierungsgeschäfte übernommen. Er wird für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, die sich während seiner Amtszeit bis 1982 ereigneten. Die Verfassung von 1985 verbietet zwar ehemaligen Putschisten, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Rios Montt schaffte es jedoch, diesen Mechanismus durch Manipulation des Verfassungsgerichtes auszuhebeln. Weitere Wahlmanipulationen wurden der FRG zugetraut, um sich nach vier Jahren krisengeschüttelter Regierungszeit unter Alfonso Portillo an der Macht zu halten.
Die Wahlen verliefen jedoch weitgehend korrekt und wiesen mit knapp 60 Prozent eine höhere Wahlbeteiligung auf als seit der Demokratisierung üblich. Allerdings zeigten sich erhebliche organisatorische und logistische Mängel im Wahlablauf. Während einige Wahltische kaum frequentiert wurden, stauten sich vor anderen oft Hunderte von Menschen. War-tezeiten von zwei bis drei Stunden waren keine Seltenheit. Internationale WahlbeobachterInnen bemängelten in diesem Zusammenhang, dass tausende Wahlwillige ihre Stimme nicht abgeben konnten.
Unter diesen Bedingungen ist die relativ hohe Wahlbeteiligung um so bemerkenswerter und deutet auf den mobilisierenden Charakter der Kandidatur Rios Montts hin. Zur Abstimmung stand nicht nur die politische Zukunft Guatemalas, sondern mit der Figur Rios Montt auch ein Teil der Geschichte des Landes. Der erste Wahlgang hatte deshalb in hohem Maße den Charakter einer Anti-Rios-Montt-Wahl.

Keine eindeutigen Kongressmehrheiten
Die künftige Zusammensetzung des Kongresses zeigt jedoch, dass es verfrüht wäre, die FRG politisch abzuschreiben. Nach vorläufigen Ergebnissen ging sie in den Departements Huehuetenango und El Quiché erneut als stärkste politische Kraft hervor, in der Legislative wird sie mit 44 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion stellen. Während die GANA mit 49 Kongressabgeordneten vertreten sein wird, erreichte die UNE 34 Mandate. Als vierte politische Kraft konnte sich die ehemalige Regierungspartei PAN mit 15 Abgeordneten positionieren. Die verbleibenden 16 Mandate teilen sich auf weitere sieben Parteien auf, darunter die ehemalige Guerilla URNG mit zwei und die aus ihr hervorgegangene ANN mit sieben Abgeordneten.
Keine politische Kraft des Landes verfügt damit über eine parlamentarische Mehrheit. Der zukünftige Präsident wird sich die Mehrheiten für seine politischen Vorhaben suchen müssen, was zu einem destabilisierenden Element der zukünftigen Regierungsarbeit werden könnte. Hinzu kommt, dass ungewiss ist, ob die FRG nach dem Machtverlust ihren internen Zusammenhalt sicherstellen kann. Aber auch die Parteienallianz GANA könnte auseinander brechen, sollte ihr Kandidat Berger in der Stichwahl scheitern. Es droht, was politische Analysten im Vorfeld der Wahl als Zersplitterung des Kongresses bezeichnet haben. Dies könnte zu einer Lähmung der Legislative führen.

Ein neuer Stern am linken Firmament?
Für eine Überraschung sorgt das Ergebnis der ANN, die sich als Abspaltung der URNG im vergangenen Jahr neu formiert hatte. Die ANN wird voraussichtlich mit sieben Abgeordneten in den Kongress einziehen, unter ihnen der ehemalige Kommandant der Guerilla FAR, Jorge Soto. Im Wesentlichen beruht dieses unerwartet gute Abschneiden auf der Zugkraft von Nineth Montenegro, die auf der Hauptstadtliste rund ein Fünftel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die ehemalige Menschenrechtsaktivistin der „Gruppe für Gegenseitige Hilfe“ (GAM) erntete mit diesem Ergebnis die Früchte ihrer professionellen Oppositionsarbeit der letzten Jahre im Kongress, die ihr Anerkennung und WählerInnenstimmen bis weit ins bürgerliche Lager einbrachten. Wichtig erscheint der Erfolg Montenegros auch deshalb, weil ihr Beispiel zeigt, dass die politische Linke Guatemalas mit einem offenen und unideologisch vorgetragenen Politikansatz durchaus erfolgreich sein kann.
Die URNG erlebte hingegen ein regelrechtes Wahldebakel. Ihr Präsidentschaftskandidat Rodrigo Asturias, Ex-Kommandant der Guerillaorganisation ORPA, vereinigte weniger als drei Prozent der Stimmen auf sich. Schwerer wiegt jedoch, dass sie auch bei den Stimmen für die Kongresswahl in ihren Hochburgen im Landesinneren WählerInnen einbüßte. Nur der voraussichtliche Gewinn von zwei Abgeordnetenmandaten, eines davon im Departement Huehuetenango, verhindert die schlimmste Konsequenz, die Streichung aus dem Parteienregister und damit die formale Auflösung, die alle Parteien trifft, die unter vier Prozent der Stimmen bleiben beziehungsweise kein Abgeordnetenmandat erringen können.
Obwohl Oscar Berger im ersten Wahlgang rund acht Prozent vor Colom lag, kann er sich eines Sieges in der Stichwahl keineswegs sicher sein. Berger profitierte in hohem Maße vom „Anti-Montt“ Charakter der Wahl, da er insbesondere in städtischen Kreisen als die sicherste Alternative galt, Rios Montt zu verhindern. Im direkten Vergleich mit Colom verliert er nun diese Qualität. Zudem gilt Berger als klassischer Vertreter der ökonomischen Eliten des Landes. Sein Rivale hingegen kann als ehemaliger Direktor des Entwicklungsfonds FONAPAZ und der Schlichtungsinstanz für Landkonflikte CONTIERRA Erfahrungen in Politikfeldern vorweisen, die ihn für breite, ökonomisch und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen interessant machen. Als einziger Amtsbewerber hatte Colom seinen Stimmenanteil in den Prognosen im Vorfeld der Wahl kontinuierlich ausbauen können. Bei den Präsidentschaftswahlen 1999 war er noch als Kandidat eines linken Parteienbündnisses unter Beteiligung der URNG ins Rennen gegangen. Obwohl er sich nach dem Bruch mit der URNG und mit der Gründung der UNE nach rechts bewegte, verfügt er weiterhin über ein soziales Image.
Dieses soziale Image versucht sich Oscar Berger mit der Aufstellung Eduardo Steins als Vizepräsidentschaftskandidat zu geben. Stein, der von 1995 bis 1999 das Amt des Außenministers bekleidete, gilt als seriöse politische Figur und ist ebenfalls im gemäßigten linken Spektrum anzusiedeln. Vizepräsidentschaftskandidat der UNE ist mit Fernando Andrade Díaz-Durán ebenfalls eine bekannte, allerdings auch umstrittene politische Persönlichkeit. Díaz-Dúran bekleidete zu Zeiten der Militärdiktatur Anfang der 1980er Jahre das Amt des Außenministers.
Die großen Unbekannten hinsichtlich beider Kandidaten sind allerdings die Parteien, die hinter ihnen stehen. Weder die in der GANA zusammengeschlossenen Parteien noch die UNE können auf eine längere politische Vergangenheit zurückblicken, beide sind erst in den letzten vier Jahren in Erscheinung getreten. Sie stehen in keiner politischen Tradition und sind infolgedessen schwer einschätzbar. An dieser Schwäche des politischen Systems Guatemalas, in dem Parteien lediglich die Funktion von Wahlplattformen für ihre Kandidaten einnehmen, änderte sich auch im Zuge der aktuellen Wahlen kaum etwas.
Entscheidend wird sowohl für Colom als auch für Berger sein, ob es ihnen gelingt, ihre Wählerschaft nochmals zu mobilisieren. Das Datum der zweiten Wahlrunde, der 28. Dezember, könnte dafür kaum ungünstiger sein. Einmal der Gefahr Rios Montt entledigt, könnte den meisten Guatemaltekinnen und Guatemalteken der politische Unterschied zwischen Colom und Berger nicht erheblich genug erscheinen, um für diese Wahl ihren traditionellen Weihnachtsurlaub zu opfern.


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