Ecuador | Nummer 525 - März 2018 | Wahlen

RITTERSCHLAG FÜR LENÍN

Interview mit der ecuadorianischen Meinungsforscherin Paulina Recalde über die Consulta Popular

Das Referendum (Consulta Popular, CP) über verfassungsrechtliche Fragen am 4. Februar ging mit einem klaren Sieg für Ecuadors Präsident Lenín Moreno aus. Im Machtkampf mit seinem einstigen Chef und Vorgänger, Rafael Correa, hatte dieser vor dem Referendum mitsamt einer Minderheit der Abgeordneten die Regierungspartei Alianza PAÍS (AP) im Streit verlassen und Moreno den Kampf angesagt. Die sieben Fragen der CP reichten von der Begrenzung der Wiederwahl für politische Ämter, über das Nicht-Verjähren von Sexualvergehen an Minderjährigen bis hin zu ökologischen Fragen. Trotz der „Nein“-Kampagne des Correa-Lagers überwogen die „Ja“-Stimmen schlussendlich in allen Fragen deutlich. Die Margen lagen zwischen gut 63 bis knapp 74 Prozent. LN sprachen mit der Meinungsforscherin Paulina Recalde über das Ergebnis und das neue politische Szenario Ecuadors.

Interview: Tobias Boos

Was sind die wichtigsten Schlussfolgerungen, die man aus dem Ergebnis der CP ziehen kann?
Erstens erlauben die Zahlen es, von einem gewissen Ritterschlag für den Initiator Lenín Moreno zu sprechen. Mit diesen Werten in allen Fragen zu gewinnen, ist bedeutend, vor allem, wenn man sie mit vorherigen Referenden vergleicht. Sie bedeuten eine signifikante Unterstützung für Moreno. Zweitens zeigt das Ergebnis eine sehr gute Landkarte des Disputs zwischen unterschiedlichen politischen Kräften. Es ist sehr relevant, dass obwohl das „Ja” in den meisten Provinzen gewonnen hat, es in der Provinz Manabí verloren hat – einer historischen Bastion von Alianza PAÍS. Zudem ist die Auseinandersetzung zwischen dem morenistischen und dem correistischen Flügel deutlich zutage getreten. Das „Nein“ zeigt einerseits an, welches politische Kapital der Correismus gewinnen könnte und andererseits welche Herausforderungen dem Morenismus in Zukunft bevorstehen. In diesem Sinn: Wenn man nach Guayas, Los Rios Santa Helena, El Oro schaut, übersteigt der Anteil des „Nein“ hier den Durchschnitt des Landes. Hier liegt das „Nein“ bei 40 Prozent oder ein wenig höher. Das zeigt erneut an, dass die Küste, politisches Territorium von AP, in jüngster Vergangenheit, weiterhin umkämpft ist zwischen den beiden Flügeln der Revolución Ciudadana (RC, „Bürgerrevolution“, von Correa neu gegründete Bewegung nach Austritt aus AP, Anm.d. Red.), den Morenisten und den Correisten.

Drittens erscheint es mir relevant, dass eine Neuformierung des Correismus stattgefunden hat. Später kann man diskutieren, wie weit dieser tragen wird, aber er hat sich zunächst einmal neu formiert und besitzt jetzt eine schärfer umrissene Identität als in der vergangenen Amtszeit von Correa.

Die Umfragen hatten bereits vorausgesagt, dass das „Ja“ in allen Fragen gewinnen würde. Was sind interessante Teilergebnisse?
Für mich verdient Aufmerksamkeit, dass es kein Einheitsvotum („voto en plancha“) bei den sieben Fragen gegeben hat, sondern ein differenziertes Votum. Die größte Überraschung bleibt aber wohl das Ergebnis an der Küste, speziell in Manabí, von dem ich bereits sprach. Das bedeutet auf jeden Fall einen ziemlichen Schlag für die Regierung.

Was bedeutet das Ergebnis für die zukünftige ecuadorianische Politik?
In der CP haben sich in gewisser Weise die zukünftigen Machtkämpfe abzuzeichnen begonnen. Im Lager der RC ist das offensichtlich. Darüber hinaus wird Moreno nun klarer haben, welche Allianzen er schmieden konnte und was an politischen Kräften rund um Correa noch bleibt. Das ist ein erster Saldo nach der Implosion der AP.

Hinsichtlich der Rechten haben wir nun erste Hinweise darauf, welches Verhältnis sie zur Regierung Morenos suchen wird. Auf der einen Seite Jaime Nebot, der darauf gesetzt hat, unter der Losung des „Konsens” und der „Rettung des Landes” das „Ja” zu unterstützen. Das Ganze zusammen mit einer gewissen Koketterie und dem Angebot, die Moreno-Regierung in der Legislative unter bestimmten Bedingungen zu unterstützen. Das könnte auch in Zukunft so bleiben. Im Fall von CREO (liberal-konservative Partei, Anm. d. Red.) war die CP die große Plattform, um wieder ins Rampenlicht zu treten. Guillermo Lasso und CREO waren nach ihrer Wahlbetrugs-These und der Niederlage in der Stichwahl sehr verloren. Anschließend ist dieses Lager für einen guten Zeitraum von der Bildfläche verschwunden. Die CP bot jetzt den Vorwand, wieder in die Öffentlichkeit zu treten. Allerdings, trotz der Unterstützung des „Ja“, wird deren Kritik an der Regierung immer lauter und es ist zu erwarten, dass es praktisch keine Unterstützung in der Legislative geben wird.

Außerdem bestätigt sich erneut, dass in der Rechten jene Kräfte, die irgendwann einmal den Versuch unternommen haben, gemeinsame Sache zu machen, dies schlussendlich nicht tun werden. Auf der Rechten haben wir zwei Akteure, die um den Protagonismus streiten und die wohl beide bei den Lokalwahlen 2019 antreten werden.

Das größte Fragezeichen für mich ist jedoch, was mit der Linken abseits der RC und der Regierung passieren wird? Zwar gibt es ein paar Statements einiger politischer Figuren, aber bisher gibt es kein wirkliches Zeichen einer soliden Organisierung. Ich würde sogar sagen, dass die Konstruktion eines linken Diskurses rund um die CP sehr schwach war. Das wirft Fragen auf hinsichtlich ihrer realen Möglichkeiten auf die Regierung und dessen Modell einzuwirken, aber vor allem auch ihrer Konstitution für die nächsten Wahlen. Für mich ist dieser Aspekt aktuell noch am diffusesten.

Wie es mit dem Correismus weitergeht, ist in Europa von speziellem Interesse. Welcher Horizont eröffnet sich hinsichtlich dieser politischen Kraft?
Seine extreme Abhängigkeit von der Figur Correa ist erneut evident geworden. Deshalb nehmen diverse Analysten aktuell an, dass das Überleben dieser politischen Kraft davon abhängt, ob der Ex-Präsident rechtliche Probleme bekommt. Wenn wir allerdings vergleichend analysieren, was der Correismus an politischer Kraft ohne die CP hätte und über welche er jetzt verfügt, erscheint es mir so, dass die CP ein Gewinn für ihn war: Er verfügt auf der Habenseite über einen vorläufigen Stimmenanteil, über Arbeit und Präsenz im Territorium und eine Kampagnenpraxis. Diese Kampagnenpraxis könnte konstitutiv sein für das, was dieses Lager künftig repräsentieren könnte.


PAULINA RECALDE ist Soziologin und Leiterin des ecuadorianischen Meinungsforschungsinstituts Perfiles de Opinión. In der Vergangenheit hat sie für unterschiedliche Wahlkampagnen gearbeitet.

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