Nummer 407 - Mai 2008 | Sachbuch

Rohstoffinteressen und Süd-Süd-Rhetorik

In Chinas Engagement in Lateinamerika untersucht Jörg Husar kenntnisreich die neuen Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Lateinamerika

Vera Lehmann

In jüngerer Zeit haben sich die Beziehungen Chinas zu Lateinamerika deutlich vertieft. Dies hat nicht nur Interesse, sondern mittlerweile auch Besorgnis erregt, da sich die volkswirtschaftliche Struktur und das Leben der Menschen in Lateinamerika dadurch dauerhaft verändern könnten. Anlass für den Lateinamerikaexperten Jörg Husar, diese Entwicklung und ihre Konsequenzen näher zu beleuchten. In seinem Buch „Chinas Engagement in Lateinamerika. Rohstoffbedarf, Versorgungssicherheit und Investitionen“ untersucht er die rohstoffpolitische Dimension der neu belebten Beziehungen zu China und trifft damit deren Kern.
Das theoretische Fundament der Arbeit bildet die Internationale Politische Ökonomie. Husar trägt der Verflechtung von Politik und Ökonomie Rechnung, indem er das Faktorproportionentheorem von Heckscher/Ohlin mit den neorealistischen Annahmen der Interdependenztheorie verknüpft und gekonnt anwendet. Der diplomierte Kulturwirt argumentiert dabei fundiert und anschaulich, ohne sich jedoch in Details zu verlieren.
Nachdem der theoretische Rahmen umrissen ist, bekommen die LeserInnen einen Einblick in den historischen Hintergrund der sino-lateinamerikanischen Beziehungen. Darauf baut der Hauptteil auf, in dem zunächst die unterschiedliche Ausstattung Chinas und Lateinamerikas mit Wirtschaftsfaktoren als Ursache für die Zunahme der wirtschaftlichen Transaktionen dargestellt wird. Daran anschließend arbeitet der Autor der Verwundbarkeit Chinas hinsichtlich bedeutender Rohstoffe heraus, um daraus dessen rohstoffpolitische Strategie in ausgewählten Ländern zu erklären. Im Vordergrund stehen dabei Brasilien, Argentinien, Chile, Kuba und Venezuela. Besondere Beachtung erfährt die Rolle der Staatsbetriebe. Ein Vergleich mit dem japanischen Engagement in den 1970er Jahren zeigt Parallelen, aber auch Unterschiede auf, die die Bewertung des chinesischen Vorgehens vereinfachen. Darauf folgt eine detaillierte Analyse der Chancen und Herausforderungen, die – ebenso wie das gesamte Buch – auch für nicht wissenschaftliches Publikum sehr lesenswert ist.
Hinsichtlich der politischen Relevanz der Transaktionen vermerkt Husar sehr treffend, dass es sich zwar von chinesischer Seite um eine langfristig geplante Strategie handele, die allerdings noch recht „unprofessionell orchestriert“ sei. Die Süd-Süd-Rhetorik fungiere hauptsächlich als Legitimationsgrundlage der Ressourcendiplomatie; für ein echtes kohärentes strategisches Zusammenwirken fehle noch die Substanz. Es müsse am gegenseitigen Verständnis gearbeitet werden, wenn Lateinamerika nicht in der Rolle eines Rohstofflieferanten stecken bleiben wolle. Im wesentlichen ist die „Bereitschaft Chinas […] über die Bedingungen der Kooperation [zu verhandeln] vom Grad der Verwundbarkeit Chinas bezüglich des jeweils betreffenden Rohstoffes abhängig.“
Jörg Husar warnt hinsichtlich der an Metallen, Erdöl und -gas sowie Soja reichen Länder vor einer voreiligen Euphorie ob der chinesischen Nachfrage und mahnt eine nachhaltige Investition der durch die steigenden Exporte gewonnenen Mittel an. Gleichzeitig stellt er zu Recht in Frage, ob Mexiko, das aufgrund seiner ähnlichen Außenhandelsstruktur mit China am stärksten in Konkurrenzdruck geraten ist, dadurch nur verlieren kann und unterbreitet Vorschläge für politische Entscheidungsträger.
Chinas Engagement in Lateinamerika birgt viele erhellende Einblicke und schließt eine wichtige Lücke in der gegenwärtigen Diskussion. Die hervorragend recherchierte Arbeit verharrt nicht im Deskriptiven und dürfte gerade deshalb auch in einigen Jahren noch interessant sein.

Jörg Husar // Chinas Engagement in Lateinamerika Rohstoffbedarf, Versorgungssicherheit und Investitionen // Verlag für Entwicklungspolitik // Saarbrücken 2007 //
167 Seiten // 22 EUR

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