Film | Nummer 289/290 - Juli/August 1998

Rückkehr zu den Waffen

Film zum Werdegang des Revolutionären Volksheeres (EPR)

Dario Azzellini

Die oder das EPR (je nachdem ob die Übersetzung Revolutionäres Volksheer oder Revolutionäre Volksarmee lautet) ist seit ihrem Auftauchen die umstrittenste Guerilla Mexikos. Als sie am 28. Juni 1996 auf einer Gedenkfeier zum ersten Jahrestag eines durch die Polizei an Bauern der OCSS (Organización Campesina de la Sierra del Sur) in Aguas Blancas verübten Massakers erstmals in Erscheinung trat, sprach der dort anwesende Cuauhtemoc Cardenas, Gallionsfigur der größten linken Oppositionspartei Mexikos PRD, von einer „Pantomime“. Er ging – wie viele andere auch – von einer Provokation seitens der Regierung aus. Kurze Zeit später mußte er jedoch seine Äußerung (die sofort ihren Platz im Diskurs der Regierungspartei PRI fand) zurücknehmen. Die Gerüchteküche brodelte dennoch weiter und das wahre Gesicht der EPR war aus einem Brei von gezielt gestreuten Regierungslügen und historisch bedingten Zweifeln einiger Linker kaum herauszudestillieren.
Doch die Zeit zeigte, daß die EPR offensichtlich in mehren Bundesstaaten existent und handlungsfähig ist, sie verfügt unter anderem in Oaxaca und Guerrero über eine beträchtliche soziale Basis und ist – ungeachtet der politischen Bewertung – alles andere als eine Pantomime.
Mißtrauen und Desinformation sind dennoch auch außerhalb Mexikos groß. Der Film „Rückkehr zu den Waffen“ leistet von daher einen wichtigen Beitrag zur Einschätzung der Guerillabewegung, indem er keine Urteile fällt, sondern den Ursprüngen der EPR nachgeht.
Der Film ist in verschiedene Blöcke unterteilt. Zum Einstieg zeigen Videoaufnahmen der Polizei, die seinerzeit der Öffentlichkeit zugespielt wurden, das Massaker von Aguas Blancas. Zu sehen ist, wie am 28. Juni 1995 Polizeitruppen wahllos in eine Gruppe von LandarbeiterInnen schießen, wobei 17 Personen getötet und 20 schwer verletzt werden. Es folgt eine Rückblende: In den gleichen Regionen waren bereits in den 60er und 70er Jahren mit den Gruppen um Genaro Vasquez und Lucio Cabañas Guerillas entstanden. Immer wieder war es das politische System, das die Dorfschullehrer und Bauernmilizen in die Sierra zwang und immer wieder entlud sich die Repression massiv an der Landbevölkerung.

Aus der Welt der Mythen in die Realität

Mit dem Historiker Lorenzo Meyer führt ein Interviewpartner durch den Film, der in diesen so gerne in die postmoderne Beliebigkeit abgleitenden Zeiten analytisch präzise noch Ursache und Wirkung zu unterscheiden vermag, der weder glorifiziert noch verurteilt, sondern erläutert. Er zeigt politische Dynamiken und Entwicklungsstränge auf, die die EPR in einen historisch-sozialen und kulturellen Kontext stellen und die „Pantomime“ aus der Welt der Mythen zurück in die Realität holen.
Der Film führt nochmals eindrücklich vor, wie das mexikanische System den verschiedenen Versuchen, Beteiligung, Mitbestimmung, Selbstbestimmung zu fordern und zu praktizieren immer wieder den Weg abgeschnitten hat. Wie die Studentenbewegung von 1968 zusammengeschossen und im Blut ertränkt oder die PRD 1988 um ihren Wahlsieg betrogen wurde. Optierte nach 1968 nur eine Minderheit von StudentInnen für den Weg der Waffen und wurde gnadenlos nahezu aufgerieben, zeigte sich 1988 auf den Straßen und in den Dörfern eine breitere Bereitschaft den Sieg an den Urnen bewaffnet zu verteidigen, doch der Konflikt eskalierte schließlich nicht auf der bewaffneten Ebene. Beide Male resultierte daraus eine große Frustration der Linken, doch die Geschichte der EPR und die aktuelle Entwicklung in Mexiko, im Rahmen derer Guerilla-Gruppen tatsächlich wie Pilze aus dem Boden schießen, zeigen, daß die strukturellen Ursachen der Konflikte sicher nicht mit „Panzern und Hubschraubern“ zu beseitigen sind, wie Lorenzo Meyer anmerkt.
Mit der Darstellung verschiedener Grundlagen und Aktionen der EPR, einem Exkurs über die zunehmende Militarisierung Mexikos, einem Bogen zur EZLN und der Darstellung der Regierungslinie ergibt der Film ein für 1996 rundes Bild, das heute zwar auf jeden Fall noch aktualisiert werden müßte, jedoch eine solide Informationsbasis darstellt.
So erinnerte zwar die anfänglich strenge ML-Rhetorik der EPR stark an die Guerillas der 70er Jahre und ihrem Vokabular haftete oft der Muff chinesischer Parteitage an. Doch schon in puncto „revolutionäres Subjekt“ bahnen sich Unterschiede zu den typischen Gruppierungen unter dem Banner bärtiger Männer an. Nicht nur von Arbeitern und Bauern ist die Rede bei der EPR, sondern auch von „Frauen, Indígenas, Behinderten, Marginalisierten, organischen Intelektuellen und Straßenkindern“.
Die EPR scheint eine Organisation zu sein, die wandlungsfähig ist und in der interne Diskussionen zu erheblichen Veränderungen führen können. Allzu gern wurde und wird vergessen, daß auch die Aussagen der EZLN zu Beginn härter waren und sich ihr Diskurs erst mit der Zeit änderte. Ein vehementer Kurswechsel ist zumindest seit den Wahlen in der mexikanischen Hauptstadt im Sommer 1997 auszumachen. Die EPR hatte im Vorfeld einen Waffenstillstand ausgerufen, um den Wahlvorgang in keiner Weise zu beeinflussen, und veröffentlichte im nachhinein eine sehr ausgewogene und verhältnismäßig moderate Erklärung in der der Wahlsieg der PRD in der Hauptstadt begrüßt und in einen breiteren Rahmen eines Kampfes um Veränderung gestellt wurde. Und ergingen zu Beginn noch verbale Schläge an die EZLN, wie etwa, daß „der Krieg nicht mit Gedichten gewonnen werde“, finden sich in aktuelleren EPR-Erklärungen Nahuatl-Verse und Bilder aus der Natur.
Die bei Pressekonferenzen vorgeführte gute Bewaffnung der EPR und einige militärische Aktionen, deren Härte schlecht in die politische Dynamik des jeweiligen Zeitpunktes paßten, machten die EPR schnell zu den „Bad Guys“. In den Hintergrund gerät dabei, daß die soziale Basis der EPR ebenfalls aus Indígenas und Campesinos besteht und, daß diese kaum weniger als in Chiapas von paramilitärischen Aktionen, willkürlichen Verhaftungen und Ermordungen, Repression sowie Militarisierung betroffen sind.

Film erhältlich bei: autofocus Videowerkstatt, Lausitzer Str. 10, Aufg. B, 10999 Berlin, Tel.: 030 / 61 88 002.

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