Sandinisten akzeptieren Wahlergebnis
Dialogbereitschaft löst anfängliche Empörung über den Wahlbetrug ab
Nachdem der Oberste Wahlrat am 22. November die teilweise Anfechtung der Wahlen vom 20. Oktober 1996 abgewiesen und den 50-jährigen Arnoldo Alemán Lacayo als Sieger proklamiert hatte, blieb den Sandinisten nichts anderes übrig, als das Ergebnis zu akzeptieren. 51 Prozent der gültigen Stimmen waren nach der offiziellen Auszählung auf den liberalen Caudillo entfallen, 37,7 Prozent auf seinen sandinistischen Rivalen Daniel Ortega. Da half es nichts, daß in manchen Wahllokalen, wo 150 Personen ihre Stimme abgegeben hatten, über 700 Stimmen für die Liberalen gemeldet wurden, 2522 Akten ohne Unterschriften, mit illegalen Korrekturen oder Schmierereien in der Rechenzentrale eintrafen und 500 Urnen schlicht unauffindbar blieben. In einem Lokal in Jinotega, wo 230 Stimmberechtigte gemeldet waren, wurden gar 1085 Voten für die Liberale Allianz gezählt. In einem Lokal in Condega “verlor” die FSLN bei der telegraphischen Durchgabe der Daten 50 von 53 Stimmen. Der Oberste Wahlrat annullierte zwar eine Anzahl von Teilergebnissen, urteilte aber, daß die zahlreichen Unregelmäßigkeiten das Gesamtergebnis nicht veränderten. Zwar versuchte Vilma Núñez, die Vorsitzende des unabhängigen Zentrums für Menschenrechte, CENIDH, durch eine Beschwerde vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission in Washington den Skandal warmzuhalten. Doch selbst Mariano Fiallos, der sandinistische Ex-Präsident des Wahlrates, der 1990 einen untadeligen Ablauf der Wahlen organisiert hatte, glaubt nicht, daß der Betrug das Gesamtergebnis verändert hat.
Der offensichtlich systematisch vorbereitete Wahlschwindel wird dennoch nicht ohne Auswirkungen auf die politische Moral in Nicaragua bleiben. Wie schon 1989/90 hatten die Sandinisten darauf vertraut, der Gegner würde sich an die Spielregeln halten, und wurden hereingelegt. Damals ließ sich Präsident Daniel Ortega von den zentralamerikanischen Präsidenten überreden, die Wahlen vorzuverlegen und der Opposition alle Freiheiten zu gewähren. Die Gegenleistung, nämlich die Entwaffnung der Contras vor den Wahlen, fand aber nicht statt. Während Violeta Chamorro mit dem Friedensticket Wahlkampf machte und die Contras in ihrem Einflußgebiet alle sandinistischen Wähler mit dem Tode bedrohten, konnte Ortega sich nicht entschließen, den unpopulären Wehrdienst abzuschaffen. Die Folgen sind bekannt. Auch diesmal spielte der Gegner mit gezinkten Karten, allen voran Kardinal Obando y Bravo, der unmittelbar vor dem Wahltag in seiner Messe den Kandidaten Arnoldo Alemán das Evangelium verlesen ließ. Deutlicher konnte der Oberhirte seine Präferenz nicht ausdrücken. Verbittert resümierte Daniel Ortega später in einem Interview: “Ich glaube, wir müssen uns zuerst fragen, welchen Sinn die demokratischen Spielregeln überhaupt haben. Und ob die fortschrittlichen Kräfte in der Bevölkerung, die Kräfte der Linken, darin überhaupt einen Platz haben oder ob das demokratische Spiel nur für das Kapital, für die Kräfte der Rechten da ist? Denn diese haben die Gesetze ganz offensichtlich gebrochen. Ich beziehe mich vor allem auf die Haltung der Kirche, des Privatunternehmerverbandes COSEP und des State Department, die durch ihre Einflußnahme den Geist der Demokratie bei diesen Wahlen verletzt haben.”
Amoklauf im Parlament
Diese Frustration über den schlechten Lohn für das Fair Play mag den Amoklauf der sandinistischen Parlamentsfraktion erklären. Sekundiert von einer Anzahl Kleinparteien, die durch die Wahlen von der politischen Landkarte gefegt wurden, verwandelte sie die alte Nationalversammlung in einen Komödienstadel. Nach Beginn der Parlamentsferien am 15. Dezember wurden kurzerhand außerordentliche Sitzungen anberaumt, bei denen ohne Quorum, ohne Tagesordnung und ohne Saalmikrophone nicht weniger als 81 (!) Gesetze und Legislativdekrete durchgepeitscht wurden. Die meisten zielten darauf ab, die Macht und die Handlungsspielräume des neuen Präsidenten zu beschneiden. So wurde die Bestellung des Generalstaatsanwaltes und des Zentralbankchefs vom Präsidialamt in die Nationalversammlung verlagert, mehrere verstaatlichte Unternehmen wurden zugunsten sandinistischer Gruppen privatisiert, und für sich selbst beschlossen die Abgeordneten eine Abfindung von je 10.000 Dollar sowie die Verlängerung der parlamentarischen Immunität. Zum Zentralbankpräsidenten bestellten sie ausgerechnet den politischen Verwandlungskünstler Alfredo Cesar, der 1982 bereits in dieser Funktion von der sandinistischen Regierung abgesprungen war und später zu einem der politischen Führer der Contras avancierte. Nach mehrmaligen Allianzenwechsel während der Chamorro-Jahre gründete er schließlich das Parteienbündnis UNO-96, das am 20. Oktober weniger als ein Prozent der Stimmen erzielte.
Violeta Chamorro war von dieser Gesetzesflut derart überwältigt, daß sie gar nicht erst ihr Veto einlegte, sondern das Paket schnurstracks an den Obersten Gerichtshof weiterleitete. Der fand denn auch am 7. Januar, daß alle nach dem 22. November beschlossenen Gesetze verfassungswidrig und daher null und nichtig seien. “Diese Entscheidung kommt einem Staatsstreich gleich”, tobte der sandinistische Abgeordnete Rafael Solis in ohnmächtiger Wut.
Zwei Tage später folgte im neuen Parlament bereits die nächste Kraftprobe: Um die Wahl des erzkonservativen Anwalts Iván Escobar Fornos zum neuen Parlamentspräsidenten zu verhindern, beantragten die Sandinisten eine – geschäftsordnungswidrige – geheime Abstimmung. Als die Liberale Mehrheitsfraktion erwartungsgemäß ablehnte, zog die FSLN-Fraktion geschlossen aus dem Plenum aus und boykottierte die Wahl. Damit verzichtete sie auch auf ihr zustehende Posten im Parlamentsvorsitz und machte die legislative Staatsgewalt neuerlich zum Gespött der Nation. Gleichzeitig forderte Daniel Ortega die Bevölkerung auf, den Rechtsstaat “mit allen möglichen Kampfmitteln” zu verteidigen und kündigte Protestaktionen für den Tag der Amtsübergabe an.
Kaum Proteste bei Alemáns Amtseinführung
Doch im Baseballstadion, wo Alemán am 10. Januar vor tausenden geladenen Gästen seinen Amtseid ablegte, blieben zwar die für die sandinistische Opposition reservierten Ränge frei, doch sonst passierte nichts. Acht lateinamerikanische Staatspräsidenten und Inneninister Bruce Babbit in Vertretung von Bill Clinton legitimierten mit ihrer Anwesenheit die Amtsübergabe von Violeta Chamorro an Arnoldo Alemán. Wer Massenproteste vor dem Stadion erwartet hatte, wurde enttäuscht: Das gigantische Polizeiaufgebot, das den Schauplatz der Zeremonie und die wichtigsten Hotels vor unerwünschten Zwischenfällen schützen sollte, blieb eindrucksvolle Dekoration. “Die Sandinisten hören nicht mehr auf ihre Führer”, frohlockte der frischgebackene Präsident, “Daniel und Humberto Ortega sollten Jüngeren Platz machen”. Und auch der linke Ökonom Oscar Rene Vargas meinte in einem Kommentar: “Der Sandinismus hat viel von seiner Fähigkeit, die Massen zu Protesten auf die Straße zu rufen, verloren. Wenn die Partei sich nicht erneuert, wird sie noch mehr verlieren.”
Alemán konnte sich als strahlender Triumphator in die Pose des Landesvaters werfen, die revanchistischen Töne aus dem Wahlkampf ad acta legen und in seiner anderthalbstündigen Ansprache allen Kleinhäuslern, die während der Revolution ein Dach über dem Kopf bekommen hatten, versichern, daß sie nichts zu befürchten hätten. Den Sandinisten bot er großmütig die Hand der Versöhnung an: “Das historische Gedächtnis soll uns nicht verleiten, alten Haß wiederzukäuen, Leidenschaften und Rachegelüste aufzuwärmen. Vielmehr müssen wir nachdenken und die Zukunft entwerfen. … Laßt die Vergangenheit zurück! Begehen wir nicht dieselben Fehler noch einmal!” Die freiwillig Exilierten, denen Violeta Chamorro nicht radikal genug mit den Überresten des Sandinismus aufgeräumt hatte, forderte er zur Rückkehr auf.
Technokraten und Ideologen
Die Erklärungen zur Wirtschaft lassen noch wenig Rückschlüsse auf die tatsächliche Politik zu. In seinem Kabinett hat sich Alemán jedenfalls mit gestandenden Neoliberalen wie Mario de Franco, der von Violeta Chamorros Team nach einem Jahr abgesprungen war, und Francisco Lainez (Wirtschaft und Entwicklung), Zentralbankchef unter Somoza, umgeben. Die Arbeitslosigkeit will er vor allem durch die Förderung der transnationalen Fertigungsindustrien in den Freihandelszonen bekämpfen.
An den Grundsätzen der Marktöffnung und Privatisierung auf allen Ebenen wird sich nicht viel ändern. Wie teuer die Anpassungspolitik der Regierung Chamorro gewesen ist, geht aus dem Geschäftsbericht hervor, den der Minister für Zusammenarbeit, Erwin Krüger, Anfang Januar vorlegte. Von 4,47 Milliarden Dollar ausländischer Hilfe (54 Prozent als Schenkungen gekommen, der Rest in Form von Krediten) seien nicht weniger als 43 Prozent für den Schuldendienst und die Stabilisierungspolitik aufgewendet worden während nur 21 Prozent in den produktiven Sektor flossen. Das Kreditvolumen für die Bauern, im besonderen die Kleinproduzenten, ist von Jahr zu Jahr knapper geworden. Erfolge sind aber bei der Verhandlung der Außenschuld zu vermelden. Diese wurde von mehr als zehn Milliarden Dollar im Jahre 1990 durch Umschuldung und Zahlungserlaß auf 3,86 Milliarden reduziert. Der Schuldendienst beträgt aber immer noch 258 Millionen Dollar jährlich – mehr als 40 Prozent der Exporteinnahmen.
In den übrigen Ministerien und Institutionen hat in den letzten Wochen offenbar die schon traditionelle Selbstbedienung stattgefunden. Von den 71 Behörden hat weniger als die Hälfte ihre Abschlußberichte beim Rechnungshof abgegeben. In vielen Institutionen, so eine Sprecherin des obersten Prüfungsbüros, fehlen Fahrzeuge, Computer und sogar Häuser, “die im Inventar aufscheinen aber nicht physisch vorhanden sind.”
Die neue Regierungsmannschaft ist eine Mischung aus Technokraten und Ideologen. Mit Wilfredo Navarro und Carlos Quiñónez stehen dem Arbeits- und Gesundheitsressort altbewährte Sandinistenfresser vor. Der konservative Außenminister Emilio Alvarez Montalván, als Senior des Teams, garantiert einen Kurs ohne außenpolitische Kapriolen. Mit Jaime Cuadra Somarriba hat Nicaragua wieder einen Verteidigungsminister – ein Amt, das Violeta Chamorro auf Druck der Sandinisten unbesetzt gelassen hatte. Einziger überlebender aus dem alten Kabinett ist Unterrichtsminister Humberto Belli, ein ehemaliger Trotzkist, der zum charismatischen Katholiken bekehrt wurde und seit vielen Jahren die Interessen Kardinal Obandos wahrt. Mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Kaffeepflanzervereinigung, David Robleto, fand Alemán für das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit einen Parteilosen, in dem die ausländischen Geldgeber unzweifelhaft einen kompetenten Gesprächspartner haben werden. Für das mittel- und bedeutungslose Kulturministerium gewann der Präsident gar die rührige Blanca Rojas, deren Zentralamerikanische Vereinigungspartei zwischen den Extremen aufgerieben wurde. Tourismusminister ist der ältere Chamorro-Sohn Pedro Joaquín, der sich zwar weder politisch noch journalistisch als große Leuchte profiliert hat, aber einige Kompetenz zur Insel Ometepe beanspruchen kann, seit er vor vielen Jahren im Familienblatt La Prensa seine erste Reportage über dieses Naturparadies im Nicaraguasee veröffentlichen durfte.
Sandinisten gehen zum Dialog über
Als sich die von den Sandinisten angedrohten Ungewitter als harmloses Wetterleuchten entpuppten, ließen Daniel Ortega und seine Leute die Drohgebärden fallen und schritten zum Dialog. Wenige Tage nach Amtsantritt konnte Arnoldo Alemán in seinen Amtsräumen die Gebrüder Ortega empfangen. Während Daniel noch immer spröde von Gesprächen “mit Dr. Alemán” berichtet, hat der pragmatische Ex-Armeechef Humberto keine Hemmungen, den übergewichtigen Wahlsieger als “Präsident” anzusprechen. Erstes Ergebnis der Verhandlungen ist die zügige Vergabe von Eigentumstiteln an 51.000 Familien, die während der Revolution Häuser bekamen. Weitere 7000 Anträge sind bei der von Violeta Chamorro geschaffenen Prüfungskommission noch anhängig, 1200 wurden zurückgewiesen. Wer größere Villen zu deutlich niedrigen Preisen erworben hat, darunter die meisten coman- dantes und sandinistischen Funktionäre, soll die Differenz zum Marktpreis nachzahlen. Wo Rückgabe nicht möglich ist, werden die Opfer von Konfiszierungen angemessen entschädigt.
Auch den Rechtsstaat will Daniel Ortega nicht mehr “mit allen Kampfmitteln” verteidigen. Eine biedere Kommission unter Vizepräsident Enrique Bolaños und dem FSLN-Abgeordneten Bayardo Arce soll sich darum kümmern.
Mit Arnoldo Alemán und Daniel Ortega haben sich zwei Männer gefunden, die die großen Entscheidungen lieber im Hinterstübchen auf höchster Ebene fällen, als sie den Institutionen zu überlassen. Unter diesen Umständen wird sich die prekäre Institutionalität Nicaraguas schwerlich festigen können. Dementsprechend lächerlich bleibt auch die Rolle der Nationalversammlung. Momentan gibt es dort offenbar keine wichtigeren Fragen zu klären als die Bekleidungsordnung. Parlamentspräsident Iván Escobar Fornos versuchte das Tragen von Schlips und Anzug, das er seinen Mannen zwecks Hebung der Würde des Hohen Hauses verordnet hat, auch gesetzlich zu verankern. Er scheiterte allerdings an der Sperrminorität der Sandinisten, die sich zumindest im Habitus weiterhin lieber tropisch geben: Sie erscheinen nach wie vor in bunten Hemden oder bestenfalls weißen Guayaberas.