Land und Freiheit | Nummer 454 - April 2012

Saudis träumen vom Chaco

Im Norden Argentiniens möchte die peronistische Provinzregierung riesige Flächen an eine saudi-arabische Unternehmensgrupppe verpachten

Steigende Lebensmittelpreise treiben die Staaten des Persischen Golfs massiv dazu an, in Übersee in die Landwirtschaft zu investieren. In El Impenetrable, dem Armenhaus Argentiniens, will eine saudische Unternehmensgruppe über 200.000 Hektar Land pachten, um Lebensmittel für das Königreich zu produzieren. Doch die Bewohner_innen des Chaco leisten Widerstand.

Thilo F. Papacek

Der Name des Orts klingt nicht gerade einladend: El Impenetrable, der Undurchdringliche. Die Region in der Provinz Chaco im Nordosten Argentiniens bekam den Namen für den scheinbar undurchdringlichen Chaco-Buschwald, der hier überall wächst. Doch wenn es nach Jorge Capitanich und der Al-Khorayef-Gruppe geht, soll sich das bald ändern.
Capitanich ist der Gouverneur der argentinischen, peronistisch regierten Provinz Chaco und die Al-Khorayef Gruppe eine breit aufgestellte Unternehmensgruppe aus Saudi-Arabien. Zusammen wollen sie in El Impenetrable, einem besonders armen Teil der ohnehin armen Provinz Chaco, ein riesiges Landgut aufbauen, um Lebensmittel für Saudi-Arabien zu produzieren. Über 200.000 Hektar Land sollen der saudischen Al-Khorayef-Gruppe verpachtet werden, damit es Saudi-Arabien mit Weizen, Rindfleisch und Sorghumhirse versorgen kann.
Abdullah Ibrahim Al-Khorayef gründete das Unternehmen 1957 und wurde mit Investitionen in den Agrarsektor reich. Inzwischen liegt der Hauptgeschäftsbereich der Gruppe allerdings in Wasseranlagenbau, Maschinenbau und Papierproduktion. Nun soll das Unternehmen im argentinischen Chaco an seine frühen Erfolge anknüpfen.
Doch dagegen regt sich zunehmend Widerstand der Bevölkerung von El Impenetrable. Am 10. und 11. März trafen sich im Chaco in dem Ort Wíchi-el Pintado Gewerkschaften und Gruppierungen von Kleinbäuerinnen und -bauern und Indigenen sowie Menschenrechtsorganisationen aus der Region Gemeinsam verfassten sie eine Protestschreiben gegen das Abkommen mit der saudischen Unternehmensgruppe. „Nach umfassenden Beratungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen haben wir beschlossen, uns dem saudischen Mega-Vorhaben in „El Impenetrable“ zu widersetzen“, heißt es in dem Abschlussdokument der Versammlung. „Die Regierung der Provinz Chaco hat sich mit ihrer Entscheidung für dieses Unternehmen zu einem sozialen Risikofaktor für die Bevölkerung entwickelt.“
Seit 2010 verhandelt die peronistische Provinzregierung mit der Unternehmensgruppe Al-Khorayef. Dennoch kam der Widerstand erst in den letzten Monaten in Gang. Das liegt vor allem an der intransparenten Informationspolitik der Regierung. War zu Beginn der Verhandlungen noch von 40.000 Hektar Staatsland die Rede, die an die Saudis verpachtet werden sollen, spricht man inzwischen von 212.000 Hektar. Für wie lange die Ländereien verpachtet werden sollen oder welche genau im Gespräch sind, ist weiterhin unbekannt.
Klar ist aber: Für die Bevölkerung von „El Impenetrable“ wird der Riesendeal wenig Vorteile bringen. Bis zu 2.000 Arbeitsplätze sollen durch die Investitionen der Saudis geschaffen werden – angesichts der Größe der Fläche eine äußerst geringe Zahl. Die von der geplanten Riesenfarm produzierten Lebensmittel werden jedenfalls nicht die Bewohner_innen von „El Impenetrable“ ernähren; die Produkte der Al-Khorayef-Gruppe sollen alle nach Saudi-Arabien exportiert werden. 400 Millionen US-Dollar sollen im Chaco investiert werden – kommen sollen sie von der Saudischen Entwicklungsbank.
Dies entspricht dem Gedanken der „König Abdullah-Initiative für saudische Ernährungssicherheit“, zu dem das Abkommen zwischen der Provinz Chaco und der Al-Khorayef-Gruppe explizit gezählt wird. Die „König Abdullah-Initiative“ wurde 2010 von der saudischen Regierung in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen ins Leben gerufen. Es ist eine strategische Reaktion auf den enormen Anstieg der Lebensmittelpreise in den Jahren 2007 und 2008. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO stiegen die Preise für zahlreiche Grundnahrungsmittel in diesen Jahren um bis zu 200 Prozent. Langfristig geht man von noch höheren Preissteigerungen aus.
Gerade die Golfstaaten mit ihren wachsenden Bevölkerungszahlen und kleinen landwirtschaftlichen Flächen sind vom Lebensmittelimport abhängig. Um die Ernährungssicherheit des Landes in der Zukunft zu garantieren, fördern die saudische Regierung und angeschlossene Institutionen wie die Entwicklungsbank Investitionen saudischer Unternehmer_innen in die Landwirtschaft in anderen Teilen der Welt. Als Ziele für die strategischen Investitionen wurden 2010 verschiedene Länder genannt wie Brasilien, Äthiopien und Sudan. Insbesondere in Afrika haben die riesigen saudischen Investitionen schon massive soziale Konflikte verursacht. Der Chaco in Südamerika gehört nun also auch zu diesen Regionen.
Viele Aktivist_innen im Chaco kritisieren das Abkommen auch, weil es ihrem Verständnis nach gegen geltendes Recht verstößt. Im Dezember vergangenen Jahres hatte die Zentralregierung Argentiniens ein Gesetz verabschiedet, das den Landbesitz von ausländischen Firmen und Privatpersonen auf höchstens 1.000 Hektar beschränkt. Da das Staatsland in El Impenetrable nicht verkauft werde, sei dies aber kein Problem, so die Verteidiger_innen des Abkommens mit der Al-Khorayef-Gruppe.
Ramón Vargas, Geologe und Mitglied der Nichtregierungsorganisation Fundación Encuentro por la Vida sieht das anders. Da über die verhandelte Pachtdauer Stillschweigen bewahrt wird, erwartet er eine sehr lange Pacht, die nach Ablauf auch verlängert werden könnte. Die weitreichenden Rechte, die der Unternehmensgruppe eingeräumt werden, stellen de facto eine Inbesitznahme dar, glaubt der Geologe. „Effektiv wollen sie den Chaco dem Saudischen Königreich überlassen“, schreibt Ramón Vargas in einer Presseerklärung.
Auch „de facto-Enteignungen“ befürchtet die Bevölkerung des Chaco‘. Im Februar trafen sich zahlreiche Produktionsgenossenschaften von El Impenetrable in Misión Nueva Pompeya, um über das drohende Unheil zu beraten. „Wir lehnen diese Art von Projekten ab, denn sie haben immer nur die Zerstörung der Umwelt, Vertreibung der Landbevölkerung und den Verlust der Souveränität bedeutet, auch wenn das Land nicht verkauft, sondern in anderer Form veräußert wurde“, erklärten die Teilnehmer_innen in einer Pressemitteilung. Ihr Hauptargument war, dass der größte Teil des Staatslands gar keines ist. Der größte Teil des als Staatsland titulierten Gebietes werde bearbeitet und habe daher eine_n Besitzer_in. Dass die rechtmäßigen Besitzer_innen noch keine Landtitel hätten, läge an der Untätigkeit der Regierung, die es versäume, entsprechende Dokumente auszustellen. Dass nun diese Ländereien auch noch über ihre Köpfe hinweg verpachtet werden sollen, ängstigt und empört die Bevölkerung.
Zudem leben in der Region zahlreiche Indigene. Sie gehören den Ethnien der Wichí, Quom und Toba an. Sie verlangen ohnehin über 600.000 Hektar Land von der Chaco-Regierung, da es historisch ihnen gehört, wie sie argumentieren. Die meisten der Indigenen leben in ärmsten Verhältnissen. In den letzten Jahren gab es immer wieder Meldungen über extreme Unterernährung unter den Indigenen des Chaco‘. Aus all diesen Gründen glauben viele Organisationen, dass das Abkommen mit Al-Khorayef nicht legal sei. Die Provinzregierung von El Impenetrable messe der Ernährungssicherheit der Saudis offenbar mehr Bedeutung zu als der der eigenen Bevölkerung.
Fraglich ist aber nicht nur die Rechtmäßigkeit des Plans, sondern auch, ob er überhaupt funktionieren kann. Bislang galt der Chaco als uninteressant für die landwirtschaftliche Produktion. Dieser Naturraum, nach dem die argentinische Provinz benannt ist, erstreckt sich vom Norden Argentiniens durch den Westen Paraguays und Boliviens bis nach Brasilien. Nur im paraguayischen Chaco betrieben seit Mitte des letzten Jahrhunderts einige von Mennoniten, einer evangelischen Glaubensgemeinschaft, bewohnte Kolonien erfolgreich Landwirtschaft. In der Region regnet es meist nur wenige Wochen im Jahr. Im Sommer können die Temperaturen bis zu 60 Grad ansteigen. Zudem variiert die Bodenqualität im Chaco stark. Forschungsgruppen aus Australien, Frankreich und Israel kamen in den 1970er Jahren in die Provinz, um die landwirtschaftlichen Möglichkeiten zu untersuchen. Sie sind alle enttäuscht nach Hause gefahren, wie die Forschungs- und Menschenrechtsgruppe Nelson Mandela aus der Chaco-Provinzhauptstadt Resistencia in einem Bericht schreibt.
Selbst wenn das Riesenprojekt scheitere, wären die Folgen für die Region fatal. Zahlreiche Lebewesen finden in den noch sehr naturnahen Busch- und Dornenwäldern des Chacos Zuflucht. Die Wälder mit ihrer hohen Biodiversität stellen an sich ein erhaltenswertes Naturerbe dar, doch darüber hinaus haben sie auch eine wichtige Funktion für den Wasserhaushalt der Region. In ihrem Bericht schreiben die Aktivist_innen von Nelson Mandela, dass durch die Abholzung, die unweigerlich mit dem Vorhaben einhergehen würde, der Wüstenbildung in der ohnehin trockenen Region Vorschub geleistet würde. Dafür würden die Saudis niemals aufkommen. „Diese Kosten würden bei der öffentlichen Hand bleiben“, heißt es in dem Bericht. Angesichts dieser Gefahren können die Menschen, die im Chaco wohnen, nicht einfach hoffen, dass die saudischen Investoren scheitern und wieder abziehen werden. Die sich häufenden Treffen von unterschiedlichen Gruppierungen in „El Impenetrable“ zeigen, dass sie das auch nicht vorhaben.

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