Brasilien | Nummer 334 - April 2002

Schlammschlacht im Regierungslager

Wie sich der „offizielle“ Präsidentschaftskandidat José Serra den Weg freiräumt

In Brasilien hat der Wahlkampf begonnen. Nicht nur der Staatsapparat arbeitet für Ex-Gesundheitsminister José Serra. Oppositionskandidat Lula ist wieder nur Außenseiter.

Gerhard Dilger

Das Feld im brasilianischen Wahlkampf beginnt sich zu lichten. Zwar findet die erste Runde der Präsidentschaftswahlen erst am 6. Oktober statt, doch bereits jetzt scheint klar, zwischen wem die Entscheidung über die Nachfolge von Präsident Fernando Henrique Cardoso fallen wird. Für die Regierung tritt der ehemalige Gesundheitsminister José Serra an, für die Linksopposition steigt Luiz Inácio „Lula“ da Silva von der Arbeiterpartei PT in den Ring – nach vergeblichen Anläufen 1989, 1994 und 1998 bereits zum vierten Mal.
Der unterschiedliche Politikstil der beiden Lager zeigte sich schon bei der Kandidatenkür. Zum ersten Mal organisierte die PT eine Vorwahl unter ihren Mitgliedern, bei der sich Lula gegen den Senatoren Eduardo Suplicy mit knapp 85 Prozent der Stimmen durchsetzte. Der 56-jährige Ehrenpräsident der PT und ehemalige Gewerkschaftsboss Lula war in den letzten Monaten einem direkten Schlagabtausch mit Suplicy ausgewichen und hatte stattdessen mit der kleinen Rechtspartei PL (Partido Liberal) geliebäugelt, die ganz unter dem Einfluss der evangelikalen „Universellen Kirche des Gottesreichs“ steht, aber nicht zur Regierungskoalition gehört.
Das von der Lula-freundlichen Parteispitze verhängte interne Diskussionsverbot machte die Grenzen der innerparteilichen Demokratie deutlich – trotz seiner drei Niederlagen und konstanten Umfragewerten zwischen 25 und 30 Prozent gilt Lula vielen immer noch als unantastbare Symbolfigur.

Caudillismo auf brasiliansich

Wunschpartner von Lula, der in einem zweiten Wahlgang auf die Stimmen jenseits des traditionellen Linkslagers angewiesen sein wird, sind die sozialdemokratisch-populistischen Kleinparteien PPS (Partido Popolar Socialista), PDT (Partido Democratico Trabalhista) und PSB (Partido Socialista Brasileria). Doch zwei von ihnen verfügen selbst über ehrgeizige Präsidentschaftskandidaten, die sich kaum vor der ersten Runde zurückziehen werden: Für die PPS zieht der Ex-Kommunist Ciro Gomes in die Wahl, der zu Beginn der Cardoso-Ära Finanzminister war und 1998 immerhin auf Platz drei landete. Der Kandidat der PSB ist Rios populistischer Gouverneur Anthony Garotinho, ein bekennender Evangelikaler, der sich mit PDT-Übervater Lionel Brizola zerstritten hatte und von der PSB mit offenen Armen aufgenommen wurde. Er versucht sich sowohl gegen die Bundesregierung als auch gegen seine Ex-Koalitionspartner von der PT zu stellen.
Vor allem wird jedoch mit einem Duell zwischen Lula und dem ehemaligen Gesundheitsminister José Serra gerechnet. Es wird ein ungleicher Kampf. Noch im Februar rangierte Serra, ein Parteifreund des Präsidenten Cardoso, in sämtlichen Umfragen weit abgeschlagen unter zehn Prozent. Doch in den letzten Wochen wurde dem eher blassen Kandidaten des Establishments der Weg nach oben gebahnt – umstritten ist dabei nur, ob durch eine massive Anhäufung von Zufällen oder durch den ein oder anderen Fingerzeig aus dem Umfeld des Präsidentenpalastes.

Viermal Rückenwind für Serra

Zunächst untersagte der Oberste Wahlrat, dass die Parteien bei den zeitgleich stattfindenden Präsidentschafts-, Gouverneurs- und Parlamentswahlen unterschiedliche Allianzen bilden – eine eklatante Änderung der Spielregeln mitten im Wahlkampf. Bei der extrem zersplitterten Parteienlandschaft bedeutet dies eine Stärkung der „Sozialdemokraten“ von der PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira), die innerhalb des regierenden Mitte-Rechts-Lagers die geschlossenste Kraft darstellen. Größte Verlierer sind die kleinen Parteien zwischen den Blöcken, die gerade dabei waren, auf Bundesebene und in vielen Bundesstaaten unterschiedliche Wahlbündnisse auszuhandeln, aber auch die PT und die rechte PFL (Partido da Frente Liberal) sind unzufrieden, weil ihnen in den Bundesstaaten manche bereits geplante Allianz vermasselt würde. Mit dem letzten Wort des Obersten Bundesgerichtshofs wird allerdings erst im April gerechnet.
Dann ein Paukenschlag: Am 1. März durchsuchte die Bundespolizei eine Firma von Roseana Sarney, dem Shootingstar der konservativen Regierungspartei PFL. Die Gouverneurin des nordöstlichen Bundesstaates Maranhão und Tochter des Ex-Präsidenten José Sarney war früher als Serra in den Wahlkampf gestartet und hatte plötzlich überraschend als aussichtsreichste Kandidatin des Regierungslagers gegolten. Die Ermittler stießen auf 1,34 Millionen Reais (650.000 Euro), die Sarneys Ehemann von „Freunden“ für die heiße Phase des Wahlkampfs bekommen haben will, und auf handfeste Hinweise, dass sich die Firma an der Veruntreuung von Staatsgeldern beteiligt haben könnte. Daraufhin wurde bekannt, dass das Unternehmen zuvor monatelang illegal abgehört worden war – offenbar mit Serra-Freunden als Auftraggeber. PSB-Kandidat Garotinho will von dem Mittelsmann eines Serra-Vertrauten ein umfangreiches Dossier mit Details aus Roseana Sarneys Privatleben angeboten bekommen haben.
Immer wieder flimmerten die Bilder von dem Millionenfund in der Sarney-Firma Lunus in die Wohnzimmer der Nation. Nach drei Wochen und sieben verschiedenen Versionen über Herkunft und Zweck des Geldes räumte die Kandidatin ein, dass es sich um Mittel für den bevorstehenden Wahlkampf handle – die Namen der Spender wollte sie jedoch nicht preisgeben. Die PFL kündigte wegen der Durchsuchung die siebenjährige Koalition mit Cardosos PSDB auf.
In einem Punkt geht die Rechnung der Sozialdemokraten bisher auf: Serra und selbst Garotinho zogen in den Umfragen an Sarney vorbei. Voll Empörung zog Senator und Ex-Präsident José Sarney im Kongress Parallelen mit Watergate, verglich die Demontage seiner Tochter mit dem Druck auf Oppositionskandidaten in Simbabwe, Mexiko oder Kolumbien und forderte schließlich die Entsendung internationaler Wahlbeobachter.
Der zeitweilige Medienliebling Roseana Sarney hat wohl ausgespielt. Vor allem die Organe des einflussreichen Globo-Konzerns, aber auch das Nachrichtenmagazin Veja treten nun ungeniert als Sprachrohre des Gespanns Cardoso/Serra auf. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Mitte März griff die staatliche Entwicklungsbank BNDES erneut der hoch verschuldeten TV-Firma Globocabo unter die Arme, womit sich die staatlichen Kredite für das Unternehmen seit 1997 auf 310 Millionen Euro erhöhten. Gleichzeitig werden alle Mainstream-Medien mit einer großzügigen Anzeigenserie bedacht, in der die Regierung eine selbstgerechte Bilanz von fast acht Jahren Cardoso zieht.
Und schließlich konnte Serra die neben PSDB, PFL und PT vierte Großpartei PMDB ( Partido do Movimento Democrático Brasileiro) an sich binden, indem er den Noch-Gouverneur Pernambucos, Jarbas Vasconcelos (PMDB), als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft gewann. Die regierungskritische PMDB-Minderheit um Ex-Präsident Itamar Franco wird sich wie schon vor vier Jahren zähneknirschend fügen.
Selbst Otavio Frias Filho, Chefredakteur der linksliberalen Folha de São Paulo, sieht eine „Dampfwalze“ am Werk, die den „offiziellen Kandidaten” begünstige. Neben Partei und Regierung werde eine „beispiellose Parallelstruktur“ aufgebaut. Und Lula befürchtet nach dem Hauen und Stechen im Regierungslager „den niveaulosesten Wahlkampf in der brasilianischen Geschichte“.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren