Mexiko | Nummer 322 - April 2001

Schlingerpartien einer politischen Klasse

In letzter Minute bewegt ein Vorschlag der sozialdemokratischen PRD die Zapatisten zum Bleiben

Fast wären die Zapatisten am 23. März wieder abgereist, ohne vor dem Kongress für die verfassungsrechtliche Anerkennung der indigenen Rechte und Kultur ihre Stimme erheben zu können. Doch nach zwei Wochen politischem Gerangel, bei dem vor allem die Macht- und Fraktionskämpfe innerhalb der rechtskonservativen PAN und die Doppelschneidigkeit von Präsident Fox ersichtlich wurden, entschieden die Abgeordneten in einem zweiten Anlauf unerwarteter Weise und mit nur knapper Mehrheit, dem Zapatistischen Befreiungsheer (EZLN) die Möglichkeit, die Tribüne des Kongresses zu besteigen, doch noch einzuräumen.

Anne Becker

Mit Spannung erwarteten das EZLN und große Teile der Bevölkerung die Antwort der Parteifraktionen auf das Gesuch der Zapatisten, in einer Plenarsitzung des Kongresses die Gesetzesinitiative der parlametarischen Friedenskommission COCOPA (siehe LN 321) über indigene Rechte und Kultur zu verteidigen. Um so größer war die Ernüchterung, als dann die Antwort kam. Parteiführung von PAN (Partei der Nationalen Aktion) und PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution), allen voran Fraktionsvorsitzender der PAN im Senat, Fernández de Cevallos, hatten eine Ablehnung der Forderung durchgesetzt. Nur Mitgliedern der Legislative sei es erlaubt, von der Rednertribüne Gebrauch zu machen, erklärte dieser. Stattdessen könne aber eine Kommission aus zehn Senatoren und zehn Kongressabgeordneten einberufen werden, die sich anhören würde, was das EZLN und Vertreter des Nationalen Indígena Kongress CNI zu sagen haben.
Diese lehnten jedoch den Vorschlag ab und bezeichneten es als „erniedrigend“, dass „eine historische Forderung so am Rande verhandelt werden soll“. Am 18. März erklärte Marcos: “In Anbetracht dieser parteipolitischen Verdunkelung werden wir Ende der Woche abreisen.“ Diese Entscheidung war bei aller Enttäuschung nicht nur eine moralisch notwendige, sie war auch ein strategisch kluger Schachzug. Der unmissverständlich verdeutlichte, „dass im Kongress mehr die internen Streitigkeiten und Machtkämpfe zählen, und dass die konservativen Gruppen, die die Tribüne mit einem Exklusivclub verwechseln, gesiegt haben“, so Marcos weiter. Auch zeige sich, dass Fox´ Friedensbekundungen nur leere Worte gewesen seien.

PAN macht gegen EZLN mobil

Denn wem unter welchen Umständen erlaubt werden kann, vor dem Kongress zu sprechen, sei nirgends endgültig geregelt, erklärte auch Emilio Ulloa, Abgeordneter für die sozialdemokratische PRD. „Die panistas wollen damit versuchen, eine sachliche Diskussion zu verhindern. Cevallos will einen Zusammenstoß zwischen Vicente Fox und den Zapatistas provozieren“.
Cevallos ist erbitterter Gegner der Zapatisten, mehrmals bezeichnete er diese als Erpresser und sogar als Mörder. Wichtiger aber noch ist, dass Cevallos auch ein bekannter Gegner von Fox ist. So hatte er schon gegen dessen Präsidentschaftskandidatur mobil gemacht. Seine politischen Freunde hat er außerhalb seiner Partei vor allem im konservativen Klerus und in Unternehmerkreisen. Als Anwalt von großen Unternehmen, darunter auch vermeintlichen Geldwäschefirmen, hat er es in der Öffentlichkeit zu einiger Berühmtheit gebracht. Mit einem Scheitern des Treffens hätte er gleichzeitig den Zapatisten, allen voran aber Fox´ nationalem und internationalem Ansehen einen heftigen Schlag versetzt.

Fox wie eh und je

Fox hatte sich hingegen auf eine dreigleisige Strategie eingelassen. Gegenüber den Zapatisten und der Öffentlichkeit inszenierte er sich weiterhin als der große Friedensbringer und Zapatistenfreund. Gleichzeitig bastelte er mit Großunternehmern an dem Entwicklungsplan Puebla-Panama, einem neoliberalen Megaprojekt zur Modernisierung ganz Südmexikos und Mittelamerikas. Die Finanzierung des Planes ist noch ungeklärt. Würde es jedoch zu seiner Umsetzung kommen, so wären Mitbestimmungsrechte in Entwicklungsfragen und über natürliche Ressourcen, die in den Beschlüssen von San Andrés festgehalten sind, verletzt.
Gegenüber seiner Partei wiederum verhielt sich Fox möglichst bedeckt. Obwohl es seine Pflicht gewesen wäre, suchte er nicht die Debatte über die Frage der indigenen Rechte und Kultur mit seiner Partei. Dies zeigt, dass es ihm mit seiner Friedenskampagne nicht ernst gewesen sein kann. Als das EZLN seine Abreiseabsichten bekannt machte, gab sich Fox unverständlich.

Brief von Fox an das EZLN

In seinem Brief an Marcos schrieb er: „Das EZLN darf an unseren Worten nicht zweifeln, denn wir haben alle Bedingungen erfüllt.“ Er wünschte, dass sie nicht abreisten. Er würde sich für einen neuen Vorschlag einsetzen, meinte er. Auf jeden Fall aber, heißt es weiter, würde er sich gerne mit Marcos treffen, bevor er nach Chiapas abführe, „einfach so, ohne Verpflichtungen“.
Das EZLN reagierte eindeutig: Erstens sei nicht der Subcomandante Marcos der Ansprechpartner und zweitens werde das EZLN solange nicht mit der Regierung reden, wie die drei Bedingungen für die Aufnahme des Dialogs nicht erfüllt wären. Bis jetzt ist aber der Gesetzesvorschlag der COCOPA nicht verabschiedet. Auch warten noch 15 zapatistische Gefangene auf ihre Freilassung. Drei von sieben Militärstützpunkten sind noch immer nicht definitiv geschlossen. Das konnten auch Fox´ gegenteilige Vorgaben nicht vertuschen.

Zusammenstöße vor und im Kongress

So war es dann auch nicht der in Kalifornien weilende Fox, sondern der gesellschaftliche Druck und explizit die PRD, die zwei Tage später einen letzten Versuch startete. Es musste ein neuer Vorschlag zu Modalitäten für ein Treffen zwischen Legislative und EZLN her, um den Friedensprozess nicht schon in erster Instanz scheitern zu lassen. Zwei Tage lang lieferten sich die Parteifraktionen um die „Tribünenfrage“ erneut ein Gefecht. Für den Nachmittag des 22. März war die Abstimmung vorgesehen.
Zeitgleich versammelten sich vor dem Kongressgebäude Zapatisten, CNI und Tausende von SympathisantInnen zu einer letzten Protestaktion. In seinem Aufruf schreibt das EZLN: „Die mexikanische Gesellschaft, die indigenen Völker und die Zapatisten sind mit erhobenem Haupte hierhergekommen. Nicht um die Regierung zu stürzen, nicht um das System herauszufordern, nicht um eine Denkweise aufzuzwingen. Aber sehr wohl, um zu reden und um zu überzeugen, dass die Indígenas einen würdigen Platz neben allen MexikanerInnen verdienen.” Einer der comandantes die zu der Menge sprachen, erklärte in seiner Rede: „Wir werden nicht zulassen, dass uns erneut die Wege versperrt werden, die wir eingeschlagen haben.“
Aber dann kam die Überraschung. Mit 220 Stimmen und 210 Gegenstimmen (die geeinte PAN-Fraktion und 20 priístas) wurde der Vorschlag der PRD angenommen, die Zapatisten doch vor dem Kongress sprechen zu lassen. Letzendlich war es ironischerweise die Fraktion der PRI, die das Zünglein an der Wage zum Umschwenken bewegte. Anders fiel das Ergebnis allerdings im Senat aus, da wurde erneut beschlossen, dass „die Tribüne des Senats vor einer erniedrigenden Vereinnahmung durch das EZLN verteidigt werden müsse.“

Zapatisten im Kongress?

Doch vor dem Kongressgebäude brach bei der Verkündung der Nachricht Jubelgeschrei aus. Die comandantes berieten sich kurz bevor sie den Vorschlag annahmen. Sie werden von der Tribüne des Kongresssaals ihre Reden halten dürfen, allerdings nicht vor dem Plenum, sondern in einer Sitzung mit zwei Kommissionen. Diese wird aber für alle Parlamentsmitglieder offen sein. Darüber hinaus könne ab sofort mit Gesprächen über die Modalitäten der Beteiligung des EZLN an Arbeitsgruppen zur Verfassungsreform begonnen werden. Angesichts der veränderten Tatsachen verschob das EZLN seine Abreise, machte aber sogleich deutlich, wessen Verdienst dieses Ergebnis sei: „Das EZLN denkt, dass die Möglichkeit für dieses Übereinkommen dank der nationalen und internationalen Mobilisierung für die Anerkennung der indigenen Rechte und Kultur und dank der Sensibilität der Mehrheit der Kongressabgeordneten und einer Minderheit der Senatsabgeordneten zustande kommen konnte.“

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