Ecuador | Nummer 271 - Januar 1997

Schmutziger Krieg gegen imaginäre Feinde

Enthüllungen aus dem Innenleben der Sicherheitsorgane

Im Vergleich der lateinamerikanischen Nationen schien Ecuador lange Zeit von dra­stischen Menschenrechtsverletzungen verschont. Das Land wird seit nunmehr 17 Jahren als rechtstaatliche Demo­kratie gehandelt. Doch die dunklere Seite hinter den formalen Institutionen erahnten die Angehörigen von “Verschwundenen” schon länger. Insbesondere während der Präsidentschaft León Febres Corderos, die als Phase der Repression gegen – effektiv kaum je bedeutende – Guerillagruppen gelten kann.

Christian Roll

Der Protest der Hinterbliebe­nen und ihr Verlangen nach Aufklärung, hat jetzt brennende Aktualität durch zwei Publika­tionen erlangt, die erst­mals die syste­matische Praxis der Folter und des Ver­schwindenlassens durch staatliche Organe des Lan­des aufzeigen. Als Folge dieser Sensibilisie­rung der Öffentlich­keit sehen sich nun auch staatli­che Stellen dazu genö­tigt, Unter­suchungen zu den Vorwürfen einzuleiten. Die 1995 erschie­nene Doku­mentation von M. Neira, herausgege­ben von der öku­me­nischen Menschenrechts­kom­mission Ecuadors, berichtet exempla­risch von rund 20 Ein­zelfällen von Personen, für deren Verschwinden in den achziger- und frühen neunziger Jahren mit hoher Wahrschein­lichkeit Funk­tionsträger der Po­lizei und des Mili­tärs verantwortlich sind. Bei der über­wiegenden Zahl der Tat­be­stände liegt kein politischer Hin­tergrund vor. In den wenig­sten Fällen wurde eine Untersu­chung von staatli­cher Seite über­haupt je eingeleitet und in nur zwei Fällen kam es zu einer Ver­urteilung der beteiligten Tä­ter aus den Reihen der “Sicher­heits­kräfte”. Meist konn­ten nicht ein­mal die Leichen der Ver­schwun­de­nen aufgefunden werden. Ge­ra­de durch den ex­emplarischen Cha­rakter der unterschied­lichen Einzelfälle wird ein Bild der vor­herr­schen­den Ge­walt und Will­kür ge­zeichnet.

Foltermord in der Aus­bildung

Auf erschreckende Weise be­stätigt und ergänzt findet sich dieses Bild durch den im August 1996 unter dem Titel El Tes­tigo erschienenen persönlichen Be­richt des Ex-Polizisten Hugo España Torres, in dem die Sys­te­matik staatlicher Terrorprakti­ken deutlich wird. Wie der Sprecher der nichtstaatlichen Versamm­lung für Menschen­rechte (APDH), Alexis Ponce, im Vor­wort bemerkt, läßt sich aus die­sen Aufzeichnungen nur allzu deutlich able­sen, daß wäh­rend der Repressions­phase der späten 80er Jahre die An­wendung von Folter und Mord geradezu als professio­nelle, ausgefeilte Tech­nik von Elitesicher­heitskräften be­trachtet und staat­licherseits ange­ordnet wurde. Vor diesem Hintergund kann sich die Regie­rung kaum mehr un­ter Hinweis auf ver­meintlich indi­viduelles Fehlver­halten in Ein­zelfällen aus der Verantwortung zie­hen. Viel­mehr wird klar, daß es sich um po­li­tisch zu verant­wortende Staats­verbrechen handelt.
Im ersten Teil berichtet España über die Inhalte und Ziele seiner Aus­bildung bei der Po­lizei und seine Tä­tigkeit in ge­hei­men Spezialeinheiten zur Auf­standsbekämpfung. Bereits die Schil­derung der durch stän­dige physische Gewalt gegen die Rekruten gekenn­zeichneten Lehr­zeit verweist auf ein System entwürdi­gender Praktiken und insti­tutionalisierten Machtmiß­brauchs. Aufgezeigt wird die schon gewohnheits­mäßige Ak­zep­tanz der tief verwurzelten Korruption auf allen Ebenen der Diensthierarchie, ebenso wie die ab­solute Verpflichtung zur strikten Ein­haltung von Befehls­ketten im Sinne eines Korpsgei­stes, der zu vielfältigen unge­setzlichen Handlun­gen geradezu auf­ruft.
Nach Aussagen Españas lag die nachfolgende Aus­bildung zum Einsatz in geheimen Poli­zei­einheiten, die er selbst als To­desschwadronen be­zeichnet, in Verant­wortung offizieller Ex­perten aus den USA und Israel. Auf der Grundlage einer ständi­gen ideologi­schen Indoktrinie­rung beinhaltete die Schulung neben Grausamkeiten gegen Tie­re vor allem das Erlernen grau­samster Folter­techniken und de­ren Übungsanwendung an ein­fachen Häftlingen. Als Ab­schluß­prüfung wurde der ak­kurat aus­geführte Folter­mord an einem Ge­fangenen verlangt.

Kopfgelder von höchster Regierungsebene

Die Beschreibungen der Ein­sätze der erlernten Methoden zur “Aufstandsbekämpfung” in der Pro­vinzhauptstadt Cu­enca gegen die kaum einflußreichen Gueril­lagruppen AVC und MPL lassen das Ausmaß der von staatlicher Seite begangenen Grau­samkeiten nur erahnen. Einsatzbe­fehle zum Mord an ganzen Familien ver­meintlicher Subver­siver, gezielte nächtliche Mordein­sätze gegen Ver­dächtige, die der Öffentlich­keit dann als im Kampf gefal­lene Guerilleros präsentiert wurden, und die dauerhaft genutzten ge­heimen Folterlager er­scheinen in der Darstellung nur noch als Routinevorkomm­nisse in der tägli­chen Dienst­pflichterfüllung in der SIC 10, einer “Anti­sub­ver­sionseinheit” der Polizei. Die wohl brisanteste und das Ver­trau­en in die staatlichen Organe am stärksten erschüt­ternde Ent­hüllung liegt in der Aussage Españas, die geheimen Poli­zei­schwa­dronen seien wäh­rend der Prä­sidentschaft Febres Corderos (1984-88) direkt dem Innenmi­nisterium unter­stellt ge­wesen. Von diesem hätten die Spe­zi­al­agen­ten auch ein geson­dertes Kopf­geld für jeden ermor­deten “Sub­versiven” er­halten.
1987 ließ sich España zur Krimi­nalpolizei nach Quito ver­setzen und wurde Anfang 1988 in der Dienststelle zufällig Zeuge der Folter und des Mordes an den min­derjährigen Restrepo-Brü­dern.
Dem folgte die Be­seitigung der Lei­chen und die offi­zielle Vertuschung möglicher Spuren und Beweise. Die Tatsa­che, daß das “Vergehen” der bei­den Ju­gendlichen scheinbar in einer Spritztour im Auto ihres Vaters be­standen hatte oder darin, einen ver­dächtigen Eindruck auf die Polizisten gemacht zu haben, verdeutlicht, wie sehr die Bru­talität der verrohten Sicherheits­organe sich verselbständigt hatte und quasi Amok gegen die Be­völkerung lief. Da die Familie der Ver­schwundenen recht ein­flußreich ist und so der Fall ein er­hebliches öffentli­ches Interesse her­vorrief, brachte sich España auch noch anderthalb Jahre spä­ter mit einigen unvorsich­tigen Bemerkungen über seine Kennt­nisse des tatsäch­lichen Hergangs selbst in Lebens­gefahr. 1991 machte er schließlich eine um­fas­sende Aussage vor der inter­na­tionalen Untersuchungskom­mis­sion zu diesem Fall.

Schlampige Aufarbeitung im Restrepo-Fall

Der zweite Teil seines Buches be­schäftigt sich aus­schließlich mit den Maßnahmen der Unter­su­chungskommission zum Re­stre­po-Fall, mit der mühsa­men Ermittlung und Auf­klärung trotz aller institutionellen Ver­schlei­er­ungsbemühungen und trotz der Mordversuche an España als ein­zi­gem direkten Zeugen.
Im Zuge der Spu­rensuche wurde die Existenz von Massen­grä­bern auf­gedeckt. Weitere Nach­forschungen zu den Ver­brechenshintergründen und Op­fern fanden jedoch offenbar nicht statt.
So bleibt die Auf­arbeitung dieser Übergriffe in vielen Aspekten unbefrie­digend: nach Mög­lichkeit verschlei­ert, daß es sich um Staatsverbrechen han­delt, was durch Vernichtung von Beweis­mitteln und das Beseiti­gen von Zeugen, sowie durch dienstin­terne Re­pression erreicht wird. Auffällig ist vor allem, daß der Schwerpunkt der Unter­su­chun­gen sehr einseitig auf unpo­litische Menschenrechts­ver­let­zungen gelegt wird, wohin­gegen die staatlichen Verbre­chen im Na­men der inneren Sicherheit kaum beleuchtet werden. Doch der Boden für die minde­stens ebenso bru­tale politische Repres­sion wird gleichzeitig weiter­hin vor­bereitet, indem indigene Or­ganisationen, die Land- und Minder­heitenrechte ein­fordern, als kommu­nistisch inspirierte Um­stürzler diffa­miert werden.

Betätigungsfeld für den “Weltpolizisten” USA

Trotz der deutli­chen Konzen­tration auf den offensicht­lich un­politischen Fall der Restrepo-Brüder enthält die schriftliche Zeu­gen­aussage des Ex-Po­lizisten España ei­nige Brisanz. Denn dieser zufolge ver­sammelte der Kom­mandant der Polizei­einheit wenige Tage nach dem Vorfall sämtliche Dienstha­benden, die durch Beteiligung oder Anwe­senheit während des Foltermor­des Kenntnis vom Schick­sal der Opfer hat­ten, um alle zur abso­luten Ver­schwiegenheit über die Vorkommnisse zu verpflichten.
Zudem läßt die von España erwähnte An­wesenheit zweier Agen­ten der US-Drogenbehörde DEA an diesem Treffen vermu­ten, daß zu­mindest in den 80er Jahren eine über die zuvor dar­gestellte Kontinuität der spe­zi­ellen Folter­ausbildung durch US-Personal hin­ausgehende, dau­er­hafte Zusammenar­beit in der sy­ste­matischen Anwendung staats­ter­roristischer Methoden gegen die Bevölkerung ge­geben war, die sich keineswegs auf die sogenannte “Auf­stands­be­kämp­fung” be­schränkte. Nur allzu deutlich wird hier die Men­schen­ver­ach­tung der Sicherheitsdok­trin der USA: in offiziellen US-Ein­heiten wurde ganz offenbar auf keine Mittel und Methoden verzichtet, um schnelle Erfolge in der vor allem in den 80er Jahren weitge­hend aus innen­po­li­tischen Moti­ven dramatisierten Be­kämpfung des Dro­genhandels und lin­ker Gruppierungen in La­tein­amerika prä­sentieren zu können. So er­scheint es geradezu als Hohn, daß seit einigen Jahren offizielle Vertreter von US-Behörden Ein­heiten der Polizei und der Streit­kräfte der la­tein­amerikanischen Länder Un­ter­richt in Sachen Menschen­rechte ge­ben.
Obwohl die in spe­ziellen Fol­ter­tech­niken ausgebildeten Son­dereinheiten der Polizei Ecua­dors 1991 auf Veranlas­sung des da­ma­ligen Präsidenten Borja aufgelöst und die Verantwortli­chen und Mittäter im Restrepo-Fall durch die Strafjustiz verur­teilt wurden, bleibt es fraglich, ob in den Behörden und Regie­rungs­kreisen inzwi­schen tat­säch­lich ein ernsthaftes Auf­klärungs­bedürfnis besteht. Über Rück­trit­te oder Amtsenthebun­gen in den ver­schiedenen militä­rischen Ein­richtungen, wo eben­falls Fol­ter­zentren existierten, ist jedenfalls nichts bekannt gewor­den.

Aufklärung unerwünscht

Die Einrichtung einer weite­ren, in­ternationalen Untersu­chungs­kommissionen zur Auf­klä­rung des Verschwindens von Ein­zelpersonen, de­ren Angehö­rige we­niger gesellschaft­lichen Einfluß gel­tend machen konnten als die Restrepo-Familie, wurde von Präsident Borja zwar ange­kündigt, aber nie realisiert. Die den Demonstra­tionen der Mad­res de la Plaza de Mayo in Ar­gen­ti­nien ähn­lichen Versamm­lungen von Angehörigen der Ver­schwundenen mittwochs auf dem Platz vor dem Präsi­den­ten­pa­last in Quito wurde von Borjas Nach­folger im Amt, Du­rán Ballén, 1993 untersagt, das Ver­samm­lungsverbot mit Poli­zei­ge­walt zeitweise auch durch­gesetzt. Hier offenbart sich die Absicht, staatliche Institutionen und auch hochrangige Personen innerhalb des Staatsapparates zu schützen, die den Terror anord­neten und unter Hinweis auf die “innere Si­cher­heit” rechtfertig­ten. Nach wie vor scheint diese dem Recht der Bevölkerung überge­ordnet, Re­chen­schaft über die staatli­chen Verbrechen gegen die Men­schen- und Bürgerrechte zu er­hal­ten. Ecuador wird wei­terhin als for­male Demokratie betrach­tet, in deren Rahmen der Staat das Gewaltmonopol als Vertreter der öffentlichen Inter­essen und des Ge­meinwohls für sich bean­sprucht.
Lange Zeit hatte es so ausge­sehen, als könnten sich die Be­fürworter eines Schlußstriches durchsetzen, die die Verbrechen möglichst unter den Teppich ge­kehrt lassen und damit ein Sy­stem schützen wollen, in dem die will­kürliche Gewaltanwendung ge­gen die Bevölkerung als not­wendig er­achtet wurde. Schüt­zenhilfe er­hielten diese Kräfte durch die eher ab­wiegelnde Haltung der Präsidenten Borja und Durán Ballén. Angesichts dessen ist es zu­mindest ein hoff­nungsvolles Zeichen, daß infolge der Aussagen Hugo Españas die Regie­rung sich nun zu konkreten Maßnahmen veranlaßt sah, um dem Eindruck ent­gegenzutreten, sie bagatellisiere die Verbrechen und decke die Schuldi­gen. Zu er­höh­tem Handlungsdruck hat sicher­lich auch ein Anfang Sep­tember im Privatsender Ecuavisa ausge­strahlter Fernseh­beitrag unter dem Titel “Nunca más” beigetragen. Hier­nach könnten zwei weitere Massengrä­ber aus­findig ge­macht werden, deren Lage España in jüngsten Aussa­gen bezeichnet hat. Wenn auch Febres Cordero, der frü­here Staatspräsi­dent, die Anschuldi­gungen Españas als Hirngespin­ste abtut und für viele die Glaubwürdigkeit des Ex-Polizi­sten auf­grund seiner Vergangen­heit und eventueller Ungereimt­heiten seiner Aussagen insbe­sondere zur eigenen Person in Zweifel steht, heben andererseits Kom­mentatoren in der ecuato­rianischen Presse hervor, daß die Detailkenntnis in Españas Aus­sagen für dessen Glaubwürdig­keit spricht. Vor dem Hinter­grund einer durch den erwähnten Fernsehbeitrag hellhörig gewor­denen Öffentli­chkeit sind im Septem­ber zwei mit der Aufar­bei­tung der Menschenrechtsver­letzungen be­faßte Kommissionen ins Leben gerufen wor­den. Wäh­rend eine Mehrparteien­kom­mis­sion des Kon­gresses den Vor­würfen Españas nachgeht, soll eine durch Ministerbe­schluß und mit Un­terstützung des Präsi­den­ten Abdalá Bucaram einge­rich­te­te “Kommission für Wahr­heit und Gerechtigkeit” in­nerhalb der näch­sten 12 Monate alle nicht geklärten Fälle grober Men­schen­rechtsverletzungen der letz­ten 17 Jahre – das heißt, seit das Land for­mal demokratisch re­giert wird – un­tersuchen. Po­sitiv hervorzuheben ist, daß die­ses Organ prinzipiell mit der Be­fugnis ausge­stattet ist, Fälle an die Strafjustiz zu übertragen. Es wird interessant sein, weiter zu verfolgen, mit wel­chem Nach­druck diese Untersuchun­gen durch­geführt werden und ob sie tatsächlich jemals strafrechtliche Kon­sequenzen zeitigen. Skepsis in dieser Hinsicht ist ange­bracht, wenn man sich vor Augen hält, wie die Arbeit der Untersu­chungskommission zum Fall der Restrepo-Brüder ganz strikt auf den vermeintli­chen Einzelfall be­grenzt wurde und alle Versu­che zur Offenlegung der Struk­turen, aufgrund derer dieser sich hatte ereignen kön­nen, im Sande ver­liefen. Das Drängen auf lüc­kenlose Klä­rung der Vor­fälle und Offenlegung der Ver­ant­wortlichkeiten ohne Scho­nung der obersten Befehls­geber ist eine zen­trale Forderung von amnesty interna­tional. Wie von der Ecuador-Koordina­tion der Organisa­tion mitgeteilt wurde, ist einer Delegation des BMZ, die Ecuador im No­vember be­reist hatte, die Aufgabe mit auf den Weg gegeben worden, diese An­liegen bei ihren Treffen mit Vertretern der ecuatorianischen Regierung anzu­sprechen.


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