Schmutziger Krieg gegen imaginäre Feinde
Enthüllungen aus dem Innenleben der Sicherheitsorgane
Der Protest der Hinterbliebenen und ihr Verlangen nach Aufklärung, hat jetzt brennende Aktualität durch zwei Publikationen erlangt, die erstmals die systematische Praxis der Folter und des Verschwindenlassens durch staatliche Organe des Landes aufzeigen. Als Folge dieser Sensibilisierung der Öffentlichkeit sehen sich nun auch staatliche Stellen dazu genötigt, Untersuchungen zu den Vorwürfen einzuleiten. Die 1995 erschienene Dokumentation von M. Neira, herausgegeben von der ökumenischen Menschenrechtskommission Ecuadors, berichtet exemplarisch von rund 20 Einzelfällen von Personen, für deren Verschwinden in den achziger- und frühen neunziger Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit Funktionsträger der Polizei und des Militärs verantwortlich sind. Bei der überwiegenden Zahl der Tatbestände liegt kein politischer Hintergrund vor. In den wenigsten Fällen wurde eine Untersuchung von staatlicher Seite überhaupt je eingeleitet und in nur zwei Fällen kam es zu einer Verurteilung der beteiligten Täter aus den Reihen der “Sicherheitskräfte”. Meist konnten nicht einmal die Leichen der Verschwundenen aufgefunden werden. Gerade durch den exemplarischen Charakter der unterschiedlichen Einzelfälle wird ein Bild der vorherrschenden Gewalt und Willkür gezeichnet.
Foltermord in der Ausbildung
Auf erschreckende Weise bestätigt und ergänzt findet sich dieses Bild durch den im August 1996 unter dem Titel El Testigo erschienenen persönlichen Bericht des Ex-Polizisten Hugo España Torres, in dem die Systematik staatlicher Terrorpraktiken deutlich wird. Wie der Sprecher der nichtstaatlichen Versammlung für Menschenrechte (APDH), Alexis Ponce, im Vorwort bemerkt, läßt sich aus diesen Aufzeichnungen nur allzu deutlich ablesen, daß während der Repressionsphase der späten 80er Jahre die Anwendung von Folter und Mord geradezu als professionelle, ausgefeilte Technik von Elitesicherheitskräften betrachtet und staatlicherseits angeordnet wurde. Vor diesem Hintergund kann sich die Regierung kaum mehr unter Hinweis auf vermeintlich individuelles Fehlverhalten in Einzelfällen aus der Verantwortung ziehen. Vielmehr wird klar, daß es sich um politisch zu verantwortende Staatsverbrechen handelt.
Im ersten Teil berichtet España über die Inhalte und Ziele seiner Ausbildung bei der Polizei und seine Tätigkeit in geheimen Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung. Bereits die Schilderung der durch ständige physische Gewalt gegen die Rekruten gekennzeichneten Lehrzeit verweist auf ein System entwürdigender Praktiken und institutionalisierten Machtmißbrauchs. Aufgezeigt wird die schon gewohnheitsmäßige Akzeptanz der tief verwurzelten Korruption auf allen Ebenen der Diensthierarchie, ebenso wie die absolute Verpflichtung zur strikten Einhaltung von Befehlsketten im Sinne eines Korpsgeistes, der zu vielfältigen ungesetzlichen Handlungen geradezu aufruft.
Nach Aussagen Españas lag die nachfolgende Ausbildung zum Einsatz in geheimen Polizeieinheiten, die er selbst als Todesschwadronen bezeichnet, in Verantwortung offizieller Experten aus den USA und Israel. Auf der Grundlage einer ständigen ideologischen Indoktrinierung beinhaltete die Schulung neben Grausamkeiten gegen Tiere vor allem das Erlernen grausamster Foltertechniken und deren Übungsanwendung an einfachen Häftlingen. Als Abschlußprüfung wurde der akkurat ausgeführte Foltermord an einem Gefangenen verlangt.
Kopfgelder von höchster Regierungsebene
Die Beschreibungen der Einsätze der erlernten Methoden zur “Aufstandsbekämpfung” in der Provinzhauptstadt Cuenca gegen die kaum einflußreichen Guerillagruppen AVC und MPL lassen das Ausmaß der von staatlicher Seite begangenen Grausamkeiten nur erahnen. Einsatzbefehle zum Mord an ganzen Familien vermeintlicher Subversiver, gezielte nächtliche Mordeinsätze gegen Verdächtige, die der Öffentlichkeit dann als im Kampf gefallene Guerilleros präsentiert wurden, und die dauerhaft genutzten geheimen Folterlager erscheinen in der Darstellung nur noch als Routinevorkommnisse in der täglichen Dienstpflichterfüllung in der SIC 10, einer “Antisubversionseinheit” der Polizei. Die wohl brisanteste und das Vertrauen in die staatlichen Organe am stärksten erschütternde Enthüllung liegt in der Aussage Españas, die geheimen Polizeischwadronen seien während der Präsidentschaft Febres Corderos (1984-88) direkt dem Innenministerium unterstellt gewesen. Von diesem hätten die Spezialagenten auch ein gesondertes Kopfgeld für jeden ermordeten “Subversiven” erhalten.
1987 ließ sich España zur Kriminalpolizei nach Quito versetzen und wurde Anfang 1988 in der Dienststelle zufällig Zeuge der Folter und des Mordes an den minderjährigen Restrepo-Brüdern.
Dem folgte die Beseitigung der Leichen und die offizielle Vertuschung möglicher Spuren und Beweise. Die Tatsache, daß das “Vergehen” der beiden Jugendlichen scheinbar in einer Spritztour im Auto ihres Vaters bestanden hatte oder darin, einen verdächtigen Eindruck auf die Polizisten gemacht zu haben, verdeutlicht, wie sehr die Brutalität der verrohten Sicherheitsorgane sich verselbständigt hatte und quasi Amok gegen die Bevölkerung lief. Da die Familie der Verschwundenen recht einflußreich ist und so der Fall ein erhebliches öffentliches Interesse hervorrief, brachte sich España auch noch anderthalb Jahre später mit einigen unvorsichtigen Bemerkungen über seine Kenntnisse des tatsächlichen Hergangs selbst in Lebensgefahr. 1991 machte er schließlich eine umfassende Aussage vor der internationalen Untersuchungskommission zu diesem Fall.
Schlampige Aufarbeitung im Restrepo-Fall
Der zweite Teil seines Buches beschäftigt sich ausschließlich mit den Maßnahmen der Untersuchungskommission zum Restrepo-Fall, mit der mühsamen Ermittlung und Aufklärung trotz aller institutionellen Verschleierungsbemühungen und trotz der Mordversuche an España als einzigem direkten Zeugen.
Im Zuge der Spurensuche wurde die Existenz von Massengräbern aufgedeckt. Weitere Nachforschungen zu den Verbrechenshintergründen und Opfern fanden jedoch offenbar nicht statt.
So bleibt die Aufarbeitung dieser Übergriffe in vielen Aspekten unbefriedigend: nach Möglichkeit verschleiert, daß es sich um Staatsverbrechen handelt, was durch Vernichtung von Beweismitteln und das Beseitigen von Zeugen, sowie durch dienstinterne Repression erreicht wird. Auffällig ist vor allem, daß der Schwerpunkt der Untersuchungen sehr einseitig auf unpolitische Menschenrechtsverletzungen gelegt wird, wohingegen die staatlichen Verbrechen im Namen der inneren Sicherheit kaum beleuchtet werden. Doch der Boden für die mindestens ebenso brutale politische Repression wird gleichzeitig weiterhin vorbereitet, indem indigene Organisationen, die Land- und Minderheitenrechte einfordern, als kommunistisch inspirierte Umstürzler diffamiert werden.
Betätigungsfeld für den “Weltpolizisten” USA
Trotz der deutlichen Konzentration auf den offensichtlich unpolitischen Fall der Restrepo-Brüder enthält die schriftliche Zeugenaussage des Ex-Polizisten España einige Brisanz. Denn dieser zufolge versammelte der Kommandant der Polizeieinheit wenige Tage nach dem Vorfall sämtliche Diensthabenden, die durch Beteiligung oder Anwesenheit während des Foltermordes Kenntnis vom Schicksal der Opfer hatten, um alle zur absoluten Verschwiegenheit über die Vorkommnisse zu verpflichten.
Zudem läßt die von España erwähnte Anwesenheit zweier Agenten der US-Drogenbehörde DEA an diesem Treffen vermuten, daß zumindest in den 80er Jahren eine über die zuvor dargestellte Kontinuität der speziellen Folterausbildung durch US-Personal hinausgehende, dauerhafte Zusammenarbeit in der systematischen Anwendung staatsterroristischer Methoden gegen die Bevölkerung gegeben war, die sich keineswegs auf die sogenannte “Aufstandsbekämpfung” beschränkte. Nur allzu deutlich wird hier die Menschenverachtung der Sicherheitsdoktrin der USA: in offiziellen US-Einheiten wurde ganz offenbar auf keine Mittel und Methoden verzichtet, um schnelle Erfolge in der vor allem in den 80er Jahren weitgehend aus innenpolitischen Motiven dramatisierten Bekämpfung des Drogenhandels und linker Gruppierungen in Lateinamerika präsentieren zu können. So erscheint es geradezu als Hohn, daß seit einigen Jahren offizielle Vertreter von US-Behörden Einheiten der Polizei und der Streitkräfte der lateinamerikanischen Länder Unterricht in Sachen Menschenrechte geben.
Obwohl die in speziellen Foltertechniken ausgebildeten Sondereinheiten der Polizei Ecuadors 1991 auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Borja aufgelöst und die Verantwortlichen und Mittäter im Restrepo-Fall durch die Strafjustiz verurteilt wurden, bleibt es fraglich, ob in den Behörden und Regierungskreisen inzwischen tatsächlich ein ernsthaftes Aufklärungsbedürfnis besteht. Über Rücktritte oder Amtsenthebungen in den verschiedenen militärischen Einrichtungen, wo ebenfalls Folterzentren existierten, ist jedenfalls nichts bekannt geworden.
Aufklärung unerwünscht
Die Einrichtung einer weiteren, internationalen Untersuchungskommissionen zur Aufklärung des Verschwindens von Einzelpersonen, deren Angehörige weniger gesellschaftlichen Einfluß geltend machen konnten als die Restrepo-Familie, wurde von Präsident Borja zwar angekündigt, aber nie realisiert. Die den Demonstrationen der Madres de la Plaza de Mayo in Argentinien ähnlichen Versammlungen von Angehörigen der Verschwundenen mittwochs auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast in Quito wurde von Borjas Nachfolger im Amt, Durán Ballén, 1993 untersagt, das Versammlungsverbot mit Polizeigewalt zeitweise auch durchgesetzt. Hier offenbart sich die Absicht, staatliche Institutionen und auch hochrangige Personen innerhalb des Staatsapparates zu schützen, die den Terror anordneten und unter Hinweis auf die “innere Sicherheit” rechtfertigten. Nach wie vor scheint diese dem Recht der Bevölkerung übergeordnet, Rechenschaft über die staatlichen Verbrechen gegen die Menschen- und Bürgerrechte zu erhalten. Ecuador wird weiterhin als formale Demokratie betrachtet, in deren Rahmen der Staat das Gewaltmonopol als Vertreter der öffentlichen Interessen und des Gemeinwohls für sich beansprucht.
Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als könnten sich die Befürworter eines Schlußstriches durchsetzen, die die Verbrechen möglichst unter den Teppich gekehrt lassen und damit ein System schützen wollen, in dem die willkürliche Gewaltanwendung gegen die Bevölkerung als notwendig erachtet wurde. Schützenhilfe erhielten diese Kräfte durch die eher abwiegelnde Haltung der Präsidenten Borja und Durán Ballén. Angesichts dessen ist es zumindest ein hoffnungsvolles Zeichen, daß infolge der Aussagen Hugo Españas die Regierung sich nun zu konkreten Maßnahmen veranlaßt sah, um dem Eindruck entgegenzutreten, sie bagatellisiere die Verbrechen und decke die Schuldigen. Zu erhöhtem Handlungsdruck hat sicherlich auch ein Anfang September im Privatsender Ecuavisa ausgestrahlter Fernsehbeitrag unter dem Titel “Nunca más” beigetragen. Hiernach könnten zwei weitere Massengräber ausfindig gemacht werden, deren Lage España in jüngsten Aussagen bezeichnet hat. Wenn auch Febres Cordero, der frühere Staatspräsident, die Anschuldigungen Españas als Hirngespinste abtut und für viele die Glaubwürdigkeit des Ex-Polizisten aufgrund seiner Vergangenheit und eventueller Ungereimtheiten seiner Aussagen insbesondere zur eigenen Person in Zweifel steht, heben andererseits Kommentatoren in der ecuatorianischen Presse hervor, daß die Detailkenntnis in Españas Aussagen für dessen Glaubwürdigkeit spricht. Vor dem Hintergrund einer durch den erwähnten Fernsehbeitrag hellhörig gewordenen Öffentlichkeit sind im September zwei mit der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen befaßte Kommissionen ins Leben gerufen worden. Während eine Mehrparteienkommission des Kongresses den Vorwürfen Españas nachgeht, soll eine durch Ministerbeschluß und mit Unterstützung des Präsidenten Abdalá Bucaram eingerichtete “Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit” innerhalb der nächsten 12 Monate alle nicht geklärten Fälle grober Menschenrechtsverletzungen der letzten 17 Jahre – das heißt, seit das Land formal demokratisch regiert wird – untersuchen. Positiv hervorzuheben ist, daß dieses Organ prinzipiell mit der Befugnis ausgestattet ist, Fälle an die Strafjustiz zu übertragen. Es wird interessant sein, weiter zu verfolgen, mit welchem Nachdruck diese Untersuchungen durchgeführt werden und ob sie tatsächlich jemals strafrechtliche Konsequenzen zeitigen. Skepsis in dieser Hinsicht ist angebracht, wenn man sich vor Augen hält, wie die Arbeit der Untersuchungskommission zum Fall der Restrepo-Brüder ganz strikt auf den vermeintlichen Einzelfall begrenzt wurde und alle Versuche zur Offenlegung der Strukturen, aufgrund derer dieser sich hatte ereignen können, im Sande verliefen. Das Drängen auf lückenlose Klärung der Vorfälle und Offenlegung der Verantwortlichkeiten ohne Schonung der obersten Befehlsgeber ist eine zentrale Forderung von amnesty international. Wie von der Ecuador-Koordination der Organisation mitgeteilt wurde, ist einer Delegation des BMZ, die Ecuador im November bereist hatte, die Aufgabe mit auf den Weg gegeben worden, diese Anliegen bei ihren Treffen mit Vertretern der ecuatorianischen Regierung anzusprechen.