Kolumbien | Nummer 483/484 - Sept./Okt. 2014

Schokolade für den Frieden

ein Großteil der kolumbianischen Bevölkerung ist skeptisch gegenüber den Friedensverhandlungen

Die mittlerweile mehr als zwei Jahre andauernden Friedensverhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung kommen trotz aller Bemühungen nur schleppend voran. Gründe hierfür sind diplomatische Patzer, die Kritiker_innen um Álvaro Uribe und ein Akzeptanzproblem in der kolumbianischen Bevölkerung.

David Graaff

Es scheint derzeit nicht gut bestellt um die Akzeptanz des Friedensprozesses zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung von Juan Manuel Santos. Anders ist es kaum zu erklären, dass Anfang September hunderte Radio- und Fernsehstationen, Zeitungen sowie zahlreiche kolumbianische Unternehmen eine Kampagne zur Unterstützung der seit Ende 2012 im kubanischen Havanna stattfindenden Friedensgespräche starteten. Unter dem Hashtag #SoyCapaz (deutsch: „Ich kann es“) sollen die Menschen ihre Unterstützung für den Friedensprozess kundtun und die Bereitschaft signalisieren, Feindschaften und Konkurrenzen im Sinne der Versöhnung zu überwinden. Fußballmannschaften der kolumbianischen Profiliga kündigten an, beim Stadioneinlauf in den Trikots des jeweiligen Gegners aufzulaufen und zahlreiche Lebensmittelfirmen wollen einen Tag lang ihre Produkte in den LKWs der Konkurrenz ausliefern. In den Regalen der großen Supermarktketten können die Kund_innen nun Produkte in weiß gehaltenen Verpackungen erwerben, auf die die Herstellerfirmen Sprüche gedruckt haben. „Ich schaffe es, die Hoffnung zu nähren“ heißt es da auf einer Tüte mit Kakaopulver, und die Verpackung eines Schokoriegels behauptet, dieser könne„Freude ins Leben bringen“.
Ziel der Kampagne sei es, die Kolumbianer_innen anzuregen, über ihren eigenen Beitrag zum Frieden im Land nachzudenken, hieß es von Seiten der Organisator_innen. Ins Leben gerufen wurde die Kampagne von einem Journalisten und dem mächtigen Unternehmerverband ANDI Neben zahlreichen Medien ließ sich auch die katholische Kirche einspannen. Kardinal Rubén Salazar, immerhin Erzbischof der Hauptstadtdiözese Bogotá, zog sich symbolisch die Stiefel eines Guerillero an. „Die Schuhe eines anderen anzuziehen, bedeutet, sich in die Situation dieser Person zu versetzen, sie zu verstehen und ihr die Hand zu reichen“, sagte Salazar.
Zumindest in den ersten Tagen erhielt die Kampagne viel Aufmerksamkeit in den großen Medien des Landes: Der Hashstag #SoyCapaz war – ebenso wie zahlreiche Verballhornungen – viele Tage unter den beliebtesten Tagesthemen in Kolumbien wiederzufinden.
Mehr noch als den nun bald zwei Jahre dauernden Verhandlungen zu einem Popularitätsschub zu verhelfen, gibt die Kampagne Aufschluss über eines der größten Probleme der Friedensgespräche: Auch wenn Umfragen zufolge eine Mehrheit der Kolumbianer_innen immer noch eine politische Lösung des Konfliktes unterstützt, ist die Skepsis groß, wenn es darum geht, den FARC Zugeständnisse in Form von Sitzen im Kongress oder Strafminderungen für die von ihnen begangenen Verbrechen zu gewähren. Diese Skepsis spiegelte sich auch in den guten Wahlergebnissen wider, die die Friedenskritiker_innen der extremen Rechten um Álvaro Uribe zum Teil bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen einfahren konnten.
Bei drei von insgesamt fünf vereinbarten Verhandlungspunkten – der Agrarpolitik, dem Drogenhandel und der politischen Teilhabe – haben die Verhandlungsparteien bereits Einigungen erzielt. Um dem politischen Druck gerecht zu werden, schnellstmöglich weitere Ergebnisse präsentieren zu können, konnte sich die Regierungsseite damit durchsetzen, über die zwei verbleibenden Themen parallel zu verhandeln: den Umgang mit den Opfern und die Frage nach dem Vorgehen im Falle eines Friedensschlusses, worunter unter anderem die Niederlegung der Waffen durch die Guerilla fällt. Dazu haben die Delegationen in Havanna in den vergangenen Wochen mehrfach Besuch erhalten: Zunächst reiste eine Gruppe hochrangiger Militärs in Kubas Hauptstadt, um direkt mit den Kommandeur_innen der FARC zu sprechen. Es sei einzigartig in der Geschichte der weltweiten Friedensprozesse, dass sich die Feinde gegenübersitzen und miteinander sprechen, kommentierte der für Kolumbien zuständige UN-Beauftragte Fabrizio Hochschild.
Ende August reiste nach mehreren Regionalforen erstmals eine Gruppe von Opfervertreter_innen nach Havanna, um mit ihrer Sicht auf den Friedensprozess einen Beitrag zur Überwindung des jahrzehntelangen Konflikts und der Entschädigung der Opfer zu leisten. Darunter waren nicht nur Opfer der FARC-Guerilla, sondern auch Personen oder deren Angehörige, die Menschenrechtsverletzungen von Militärs und Paramilitärs zum Opfer gefallen waren.
Rund um den ersten Besuch hatte es eine angeregte, teils heftige Debatte über den Umgang mit den Opfern gegeben. Der uribismo – dem dank zahlreicher Sitze im Senat noch mehr mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde als ohnehin schon – kritisierte, die Opfer der FARC würden bei der Auswahl der insgesamt 60 Opfervertreter_innen, die nach Kuba reisen sollten, nicht genügend berücksichtigt. Im Rahmen der Foren kam es teils zu tumultartigen Szenen. Die FARC hingegen, die kurz vor der Präsidentschaftswahl anerkannt hatten, für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein, bekräftigten im Rahmen des Aufeinandertreffens mit der ersten, 15-köpfigen Opferdelegation ihren Willen zur Versöhnung. „Iván Márquez ist auf mich zugekommen und hat mich um Entschuldigung gebeten. Und es war keine automatisierte Entschuldigung“, sagte Constanza Turbay, deren Brüder und Mutter Ende der 90er Jahre von den FARC getötet wurden.
Wenige Tage später allerdings machten die Gueriller@s das möglicherweise gesunkene Misstrauen in der Bevölkerung durch gravierende Fehler in der Öffentlichkeitsarbeit wieder zunichte. Sie veröffentlichten ein Schreiben, in dem eine Rebellin, die an der Bewachung der langjährigen Geiseln Ingrid Betancourt und Clara Rojas beteiligt gewesen war, teils private Details über deren Alltag während der sechsjährigen Gefangenschaft kundtat. Über einen Polizisten, der beinahe zehn Jahre Gefangener der Guerilla war, machte sich die Kämpferin mit einem zweifelhaften Geschlechterverständnis lustig: Luis Mendieta habe „wie eine Frau geheult“. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, ein Zurückrudern durch die FARC-Delegation wenige Tage darauf kam viel zu spät. Da hatten die Medien bereits mit empörten Kommentaren reagiert und den Kritiker_innen der Friedensgespräche die Mikrofone vor die Nase gehalten. Clara Rojas, seit wenigen Wochen Kongressabgeordnete, erklärte ihr freiwilliges Ausscheiden aus der Friedenskommission, die als Stimme des Parlaments im Rahmen der Verhandlungen gilt. „Meiner Ansicht nach ist das nicht der Weg, der uns zur Versöhnung führt“, hieß es in ihrem kurzen Statement.
Ein erfolgreicher Abschluss der Gespräche noch in diesem Jahr ist trotz des beschleunigten Verhandlungsprozesses nicht in Sicht. Selbst die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos scheint nicht mehr so recht daran zu glauben, dass sie bereits 2015 damit beginnen muss, die in Havanna beschlossenen Maßnahmen umzusetzen. Der Jahresetat für das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, das für den Frieden wohl am entscheidendsten ist, wurde um mehr als 20% auf umgerechnet rund 1,2 Milliarden Euro gekürzt. Optimismus sieht anders aus.

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