Dossier | Dossier 22 - Letzte Ausfahrt Belém?

Schutzmaßnahmen auf dem Papier

REDD+ – Projekte nutzen vor allem Unternehmen

Bei der COP 30 in Belém, Brasilien, jährt sich zum zehnten Mal das Pariser Klima-Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Dort wurden die Grundlagen zur Etablierung eines globalen Handels mit Emissionen auf Kohlenstoffmärkten geschaffen. Der REDD+ Mechanismus ist im globalen Klimaregime verankert und im Pariser Abkommen explizit aufgeführt. Damit verbundene Projekte sind problembehaftet und nutzen oftmals mehr den Käufern der Kohlenstoffkredite, als der lokalen Bevölkerung oder dem Klimaschutz. Dieser Bericht zeigt dies anhand konkreter Beispiele auf Basis der Reihe „Carbono opaco“.

María Ángela Torres-Kremers (Übersetzung von Johanna Fuchs)
Palmira, Kolumbien Unterwegs im Naturschutzgebiet, um Kohle-Messungen zu machen (Foto: 2011CIAT/Neil Palmer, CC BY-SA 2.0))

In Peru, Kolumbien, Brasilien, Honduras, Panama und anderen Ländern wurden Projekte für freiwillige Kohlenstoffmärkte, vor allem REDD+-Projekte (siehe S.22 und S.25), die in ländlichen Gebieten durchgeführt werden, praktisch ohne Beteiligung der dort lebenden Gemeinden formuliert und umgesetzt. Dies belegen zahlreiche journalistische Recherchen, darunter die in der Reihe Carbono Opaco (Undurchsichtiger Kohlenstoff des Lateinamerikanischen Zentrums für journalistische Recherche (CLIP) veröffentlichten Beiträge.


Das Landproblem in Lateinamerika – eines der konfliktreichsten sozialen und ökologischen Probleme – taucht auch im Zusammenhang mit den politischen Maßnahmen und Mechanismen zum Klimawandel auf, die die Natur monetarisieren und ihre Bewohner*innen, größtenteils gefährdete ländliche Gemeinschaften, ausschließen. „Das System der ‚Kohlenstoffmärkte‘ hat eine enorme Schwäche, zum Teil aufgrund der mangelnden Fähigkeit des Staates, alle Prozesse dieser Märkte zu registrieren, zu überwachen und zu kontrollieren, insbesondere im Hinblick auf Indigene Völker“, erklärt Rodrigo Botero, Direktor der Stiftung für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung in Kolumbien (FCDS) im Interview. In Lateinamerika, einer Region, die Kohlenstoffgutschriften bereitstellt, gibt es nur wenige Länder, die Fortschritte bei der Entwicklung regulierter Märkte erzielt haben. Zugleich wächst die Zahl der freiwilligen Marktinitiativen in der Region, die flexibler sind, aber auch enorme soziale Kosten mit sich bringen.

In Peru wurde die Kichwa-Gemeinschaft im Departement San Martín weder zur Schaffung des Nationalparks Cordillera Azul (2001) noch zur Entwicklung und Umsetzung des gleichnamigen REDD+-Projekts angemessen konsultiert, wie ein Bericht von Miguel Valderrama aufzeigt. Das Projekt wurde 2008 ins Leben gerufen. Die ansässigen Kichwas fordern seit mehreren Jahren die offizielle Abgrenzung ihrer Gebiete. Im vergangenen August wurde jedoch eine gerichtliche Entscheidung, die die lang ersehnte Abgrenzung anordnete, aufgehoben. Die Kichwas profitieren auch nicht von dem REDD+-Projekt, das in den Gebieten umgesetzt wird, die sie traditionell bewirtschaftet haben.

Streit um Landtitel In Kolumbien

haben mehrere Bäuer*innen in der Gemeinde Villarrica, Tolima, durch ihr Engagement für den Naturschutz und gegen die Ölförderung in ihrem Gebiet die Möglichkeit gefährdet, Eigentumsrechte an den Ländereien zu erhalten, von denen ihre Vorfahren vertrieben worden waren. Dort wurde 2018 der Regionalpark „Bosques de Galilea” gegründet. Das kolumbianische Recht verhindert aufgrund des Umweltstatus dieser Gebiete die Vergabe von Landtiteln. Die Bäuer*innen erfuhren von dem Redd+-Projekt Conservación del Bosque Galilea – Amé (Erhaltung des Waldes Galilea – Amé), wie es in einem der Presseberichte der Reihe Carbono Opaco von CLIP beschrieben wird, erst nachdem das Projekt vorgestellt worden war. Weder ihre Bemühungen um den Erhalt des Waldes noch die Unterstützung und Informationen, die sie den Initiatorinnen des Projekts zur Verfügung gestellt hatten, wurden berücksichtigt. Bis heute kämpfen zwanzig organisierte Bäuer*innen um Rechte und Beteiligung für die Gemeinschaft. Sowohl in diesem Fall wie auch bei dem Projekt „Cordillera Azul“ lieferten die betroffenen Gemeinden Informationen, die zur Formulierung der REDD+-Initiativen dienten. In der Umsetzung wurden ihre Interessen und Bedarfe jedoch ignoriert.

Stiftungen, Institutionen und Unternehmen profitieren


Es profitieren vor allem die formulierenden und entwickelnden Einrichtungen finanziell: In Peru das Zentrum für Naturschutz und Management von Naturgebieten (CIMA) und die Stiftung Amé zusammen mit der Universität Tolima in Kolumbien.
Doch auch der Kauf von Emissionszertifikaten in diesem Rahmen kommt vor allem Dritten zugute. Die über das REDD+-Projekt „Cordillera Azul“ erworbenen Zertifikate kompensieren die CO2-Emissionen von Unternehmen wie Total Energies oder Shell. „Immer mehr Unternehmen nutzen Kompensationsinstrumente nur, um ihre Aktivitäten grün zu färben“, sagt Thomas Brose, Geschäftsführer der Climate Alliance in Europa. Die Emissionszertifikate des REDD+-Projekts Bosques de Galilea, die von mehr als 50 Unternehmen des kolumbianischen Produktionssektors, Pensionsfonds, Banken, Ölvertriebsgesellschaften und sogar multinationalen Unternehmen wie Delta Airlines erworben wurden, ermöglichen es ihnen, ihre Emissionen zu kompensieren und zusätzlich die in diesem Land geltenden Steueranreize für Investitionen in Klimainitiativen zu erhalten.


Die Kichwas in Peru, die in diesem Gebiet leben oder es nutzen, dürfen dort nicht mehr wie bisher jagen und das Gebiet traditionell verwalten. In Kolumbien wurden die Bäuer*innen, die sich gemeinsam mit der regionalen Umweltbehörde für den Schutz des Hochanden-Ökosystems einsetzten, nicht zur Einweihung des Schutzgebiets eingeladen. Niemand informierte sie, dass diese Umweltmaßnahme die Vergabe von Eigentumsrechten verhindern würde. Plötzlich sahen sie sich mit einer REDD+-Initiative konfrontiert, von der sie nicht profitieren, obwohl sie seit Jahrzehnten in diesem Gebiet leben und es schützen. „In einigen konkreten Fällen dienten die von uns durchgeführten journalistischen Untersuchungen den Gemeinden als Grundlage für die Geltendmachung des Problems vor Gericht”, erklärt Andrés Bermúdez, Koordinator der investigativen Artikelreihe Carbono Opaco. „Wir sehen eine Vielzahl von Fällen, in denen die Gemeinden nicht wussten, worum es bei den Verhandlungen ging“, moniert Rodrigo Botero und fügt hinzu: „Ohne einen Plan zur Einbindung in die Gemeinden kommt es zu einem enormen Prozess der Korruption und zu riesigen internen Konflikten auf Gemeindeebene.“ Aufgrund der Neuartigkeit des Themas beschloss das Verfassungsgericht Kolumbiens, sich mit einem der Fälle zu befassen: der REDD+-Initiative Baka Rokaire. In diesem Fall beklagten Indigene aus dem Gebiet Pirá Paraná im kolumbianischen Amazonasgebiet, dass der Vertrag, auf dem die Initiative basiert, von einer Indigenen Führungsperson unterzeichnet wurde, die bereits aus der Vertretung des Gebiets ausgeschieden war, und dass das Projekt nie die höchste Regierungsinstanz von Pirá Paraná durchlaufen hatte. „Da keine Klarheit darüber herrscht und nicht verstanden wird, welche Indigenen Autoritäten Verhandlungsprozesse durchführen können, bietet dies Raum für jegliche Art von Manipulation“, kritisiert Rodrigo Botero weiter.

Überschneidungen mit Bergbau und Entwaldung

Aufgrund rechtlicher Probleme wurde das öffentliche Register für Kohlenstoffmarktprojekte in Kolumbien, RENARE, für mehrere Jahre bis Juli 2025 deaktiviert. „In diesem Zeitraum gab es keine anderen Informationsquellen als die Zertifizierungsstellen selbst. Das heißt, die Transparenz in diesem Markt hing weitgehend davon ab, was einer der Akteure in dieser Wertschöpfungskette meldete. Es gibt zudem Zertifizierungsstellen, die unvollständige Informa­tionen liefern“, sagt Andrés Bermudez.
Ende Juli 2025 wurde RENARE langsam wieder aktiviert. Besorgniserregend bleibt, dass Unternehmen und multinationale Konzerne wie Delta Airlines und Chevron in einem offensichtlichen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht weiterhin Kohlenstoffzertifikate von denselben Projektentwickler*innen mit schwerwiegenden rechtlichen Problemen in Kolumbien gekauft haben.

Die mangelnde Sorgfaltspflicht zeigt sich auch bei Unternehmen wie Google, Uber, Spotify, iFood und sogar Bergbauunternehmen wie Vale und Sigma, die versucht haben, ihre CO2-Emissionen zu kompensieren, indem sie Emissionszertifikate aus REDD+-Projekten in Brasilien gekauft haben. Kohlenstoffhändler hatten sie widerrechtlich für Regenwaldflächen verkauft, die im staatlichen Besitz sind und von lokalen Gemeinschaften bewohnt werden.
Die jüngste journalistische Recherche von Infoamazonia, die in der Reihe Carbono Opaco enthalten ist, hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Emissionszertifikate in Brasilien mit dem Bergbau in Verbindung stehen. Die Recherche berichtet von 114 REDD+-Projekten im Land, von denen 73 teilweise oder vollständig mit Bergbaukonzessionen übereinstimmen und 31 Emissionszertifikate verkauft haben.
Teil des Problems liegt in der Zertifizierung der Projekte: Untersuchungen von Expertinnen, Journalistinnen und Justizbehörden haben gezeigt, dass selbst bei den renommiertesten Unternehmen schwerwiegende Verfahrensfehler und in einigen Fällen Korruptionsprobleme in den Prozessen der Prüfung und Zertifizierung der Projekte vorliegen.


Die Sinnhaftigkeit der REDD+-Projekte ist mehr als zweifelhaft, denn die Probleme sind strukturell, wie Rodrigo Botero schließt: „Es gibt Leute, die sagen, dass es Projekte gibt, die in bestimmten Bereichen funktionieren können. Ich kenne sie nicht, aber man müsste erfolgreiche Fälle untersuchen. Was ich sehe, ist, dass es nicht nur zu Greenwashing kommen kann, sondern auch zur Geldwäsche illegaler Wirtschaftszweige, zu Piratenunternehmen und natürlich zu einer enormen Schwäche bei der Überwachung und Gewährleistung der Rechte der Bevölkerung, die oft nicht einmal die Mittel hat, sich über diese Angelegenheiten in ihrem Gebiet zu informieren.“

María Ángela Torres-Kremers ist seit 2012 Verlegerin und Umweltjournalistin der digitalen Zeitschrift YARUMO Internacional und Vorstand des Lateinamerika Forums Berlin.


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