Ecuador | Nummer 382 - April 2006

Serie von Protesten

Straßenkämpfe in Quito und Blockaden in den Provinzen

Nach den zweiwöchigen Konfrontationen zwischen Polizei und protestierenden SchülerInnen und StudentInnen, die im Januar gegen die Erhöhungen der Preise des Öffentlichen Personennahverkehrs in Quito demonstrierten (siehe Kurznachrichten dieser Ausgabe), begann am 8. März mit erneuten gewalttätigen Zusammenstößen in der Hauptstadt eine Serie landesweiter Proteste. In der folgenden Woche setzten sich in den Provinzen die Proteste mit Ölstreiks und Straßenblockaden fort.

Jonas Henze

Gegen 7:30 Uhr begannen am Weltfrauentag (8. März) in Quito die Demonstrantionen gegen die Politik der Regierung Palacio und „für eine bessere Gegenwart und Zukunft des Volkes“. Verschiedene Demonstrationszüge begannen, im Süden der Stadt Straßen zu blockieren – so, wie es sich später im Zentrum der Stadt fortsetzen sollte. Etwa bis mittags handelte es sich um einen mehr oder weniger friedlichen Protest, der jedoch weite Teile der Nord-Süd-Verkehrsverbindungen lahmlegte. So fuhr beispielsweise der trolebus (Oberleitungsbus, wichtigste Verbindung zwischen den Teilen der Stadt) zuerst eingeschränkt, später für vier Stunden gar nicht mehr.
Während der Regierungspressesprecher Enrique Proaño süffisant erklärte, wenn drei oder vier Tränengasgranaten geworfen würden, könne man nicht von Repression sprechen, sah die Realität schon ein wenig anders aus: Wie schon im Januar verwandeln sich einige Straßen der Altstadt Quitos trotz des relativ friedlichen Beginns der Demonstrationen in ein Schlachtfeld aus Wasserwerfern und unzähligen Tränengas-Schwaden einerseits und den von den Protestierenden geworfenen Steinen und großen Rauchwolken von angezündeten Autoreifen andererseits.
Vertreten die flüchtenden Vermummten „das Volk“? Immerhin hatten verschiedene linke Gruppen zu den Demonstrationen aufgerufen – der Gewerkschaftsdachverband Frente Unitario de Trabajadores (Vereinigte Arbeiterfront, FUT), der Verband verschiedener kommunistischer und marxistischer Parteien Frente Popular (FP), der Verband der LehrerInnen (UNE), bis hin zur Frente Popular nahestehende Studierendenorganisation Federación de Estudiantes Universitarios del Ecuador (FEUE). Ähnliche Proteste wie in Quito gab es in der Küstenstadt Guayaquil, ebenso kleinere Demonstrationen in Städten wie Ambato oder Pastaza, hier vor allem gewerkschaftlich dominiert.

TLC, niedriger Mindestlohn und Oxy

Zentrale Ziele der Proteste waren das Verhindern des Beitrittes zum Freihandelsabkommen (Tratado de Libre Comercio, TLC) mit den USA, Peru und Kolumbien, das Aufkündigen des Vertrages mit der nordamerikanischen Ölfirma Occidental (Oxy) und das Bekämpfen der Politik des Plan Colombia (hier insbesondere die Existenz der US-Militärbasis nahe der ecuadorianischen Küstenstadt Manta).
Innenpolitisch gesehen waren die Forderungen nach einer Erhöhung des Mindestlohnes von 150 US-Dollar um 30 Dollar und nicht um 10 Dollar, wie es die Regierung Palacio plant. Zuvor hatte auch das nationale Beratergremium zum Mindestlohn CONADES (Consejo Nacional de Salarios) eine Erhöhungen um 30 US-Dollar vorgeschlagen. Außerdem forderten die DemonstrantInnen eine Anhebung des Bildungsetats (der laut Verfassung deutlich höher als derzeit liegen müsste. Damit wurden wichtige Kritikpunkte an der Politik des Präsidenten Palacio formuliert.

Straßenblockaden in den Provinzen

Währenddessen begannen am 7. März in den Erdölprovinzen Sucumbíos und Orellana Straßenblockaden und Streiks gegen die Lohnsituation bei der staatlichen Erdölgesellschaft Petroecuador und bei den unterfinanzierten Provinzregierungen. Allein bis zum 8. März haben diese Blockaden zu einem Verlust von etwa 20 Millionen US-Dollar bei der Rohölproduktion geführt.
Wie zuvor in Quito waren auch hier gewalttätige Auseinandersetzungen die Folge. Zeitweise wurden von der Regierung in den Bereichen der Erdölproduktion Bürgerrechte ausgesetzt und lokalen Autoritäten die Stellungnahme untersagt. Auch wurden an einigen Produktionsorten die streikenden ArbeiterInnen gewaltsam geräumt und die Einrichtung von Polizisten und Militärs besetzt.
Zeitgleich zu den Protesten am 8. März wurden für die Provinzen Bolívar, Cotopaxi, Chimborazo, Pastaza und Tungurahua Blockaden und Protestmärsche angekündigt. Diese begannen am 13. März, entsprechend den Ankündigungen, und führten zu Konfrontationen mit der Polizei. Die Forderungen beinhalten ebenfalls die Erhöhung des Haushaltes unterfinanzierter Provinzverwaltungen und Indígena-Kommunen. Nach letzten Verlautbarungen der CONAIE (Confederación de las Nacionalidades Indígenas, Indígena-Dachverband mit tendenziell chavistisch-sozialdemokratischer Ausrichtung) sollen die Proteste sich nun gegen den TLC richten und haben zum Ziel, die Regierung Palacio von ihrer derzeitigen schlussendlich affirmativen Postion abzubringen. Dieser Punkt ist gerade deswegen aktuell, weil innerhalb der folgenden zwei Wochen die nächste (und wohl letzte) Verhandlungsrunde zum TLC folgen soll.

Unzufriedenheit mit Palacio

Auch im Hinblick auf die Präsidententschafts-, Kongress- und Kommunalwahlen im Oktober diesen Jahres ist mit den wiederholten Protesten zumindest die weiterhin bestehende Unzufriedenheit mit der Politik der derzeitigen Regierung und der politischen Situation sichtbar.
Momentan ist jedoch kein Kandidat vorhanden, der gleichzeitig eine andere Politik betreiben wollte und gute Chancen auf einen Wahlsieg hätte: Abseits der etablierten oder finanzstarken Parteien hat sich keine Bewegung herausgebildet, die mit einer kontinuierlichen Arbeit die verschiedenen Teile des Volkes erreichen würde.
Bleibt abzuwarten, wie sich die politische Landschaft in Ecuador bis zum Wahltermin im Oktober 2006 entwickelt und welchen Einfluss die Proteste ausüben werden.

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