Aktuell | Nummer 571 - Januar 2022 | Venezuela | Wahlen

SHOWDOWN IN BARINAS

Bei den Regional- und Kommunalwahlen in Venezuela siegt die Regierungspartei deutlich

Es waren für Venezuela die ersten Wahlen seit vier Jahren, an denen große Teile der Opposition teilnahmen. Landesweit holte diese zwar die Mehrheit der Stimmen, doch da sie nicht geeint auftrat, gingen die meisten Ämter an die regierende PSUV. In Barinas kommt es am 9. Januar 2022 zu einer umstrittenen Wahlwiederholung. Anschließend muss sich die Opposition über ihre künftige Strategie klar werden.

Von Tobias Lambert

Vor 9 Jahren noch deutliche Hochburg Präsidentschaftswahlkampf von Hugo Chávez in Barinas (Foto: Prensa Miraflores via Flickr, CC BY-NC-SA 2.0)

Nach der Wahl ist vor der Wahl. In Venezuela gilt diese Floskel für den westlichen Bundesstaat Barinas tatsächlich. Denn die Abstimmung über den dortigen Gouverneursposten wird kurzerhand wiederholt. Bei den Regional- und Kommunalwahlen am 21. November 2021 hatte die regierende „Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas“ (PSUV) 19 von 23 Gouverneurs- und über 200 von 335 Bürgermeister*innenposten errungen. Neben dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Zulia im Westen des Landes gewann die Opposition nur im zentral gelegenen Cojedes sowie dem Inselstaat Nueva Esparta. „Mit diesem Wahlsieg werden wir den Frieden und die Stabilität in Venezuela konsolidieren“, verkündete der venezolanische Präsident Nicolás Maduro feierlich. Die Vorkommnisse rund um die Gouverneurswahl in Barinas werfen jedoch einen größeren Schatten auf die Wahl.

Am 30. November stoppte das regierungstreu besetzte Oberste Gericht (TSJ) die Auszählung der Stimmen in Barinas. Zu dem Zeitpunkt lag der Oppositionelle Freddy Superlano mit 37,6 Prozent der Stimmen knapp vor dem Regierungskandidaten Argenis Chávez, einem Bruder von Ex-Präsident Hugo Chávez. Kurz darauf ordnete das TSJ eine Wiederholung der Wahl am 9. Januar 2022 an. Zur Begründung hieß es, der Oberste Rechnungshof habe Superlano die Ausübung politischer Ämter untersagt. Derartige Antrittsverbote sind in Venezuela prinzipiell möglich, etwa wenn potenzielle Kandidat*innen Geld veruntreut haben. Diese administrativen Entscheidungen, die häufig intransparent erfolgen, sind sehr umstritten. Tatsächlich aber durfte Superlano seit 2017 kein öffentliches Amt mehr bekleiden. Ende August 2020 erlangte er sein passives Wahlrecht, durch eine Begnadigung von Präsident Maduro, zurück. Von einem neuen Antrittsverbot war öffentlich nichts bekannt, auch Superlano beteuert, davon nichts zu wissen. Der Nationale Wahlrat (CNE) hatte seine Kandidatur im August akzeptiert, er konnte normal Wahlkampf führen.

Barinas – den Geburtsstaat von Hugo Chávez – zu verlieren, wäre für die Regierung einem symbolischen Desaster gleichgekommen. Zumal Superlano dem rechten Flügel der Opposition und der Partei Voluntad Popular angehört, der auch Juan Guaidó entstammt. Seit 1999 regiert in Barinas durchgehend die Familie von Hugo Chávez (Vater Hugo de los Reyes sowie die Brüder Adán und Argenis). Mit Ex-Außenminister Jorge Arreaza, der bis 2017 mit Hugo Chávez’ Tochter Rosa Virginia verheiratet war, stellte die regierende PSUV nun einen vergleichsweise schwergewichtigen Kandidaten auf. Nachdem Superlanos Ehefrau Aurora Silva ebenfalls untersagt wurde anzutreten und weiteren Kandidat*innen das gleiche Schicksal blühte, tritt die Opposition mit dem gerade ins Regionalparlament gewählten Sergio Garrido an. Zwar gibt es noch fünf weitere Kandidaten. Doch Garrido erhält innerhalb der Opposition lagerübergreifend erstaunlich breite Unterstützung.

Dass die Regierungsgegner*innen bei den Regional- und Kommunalwahlen insgesamt kein besseres Ergebnis erzielen konnten, obwohl sie erstmals seit vier Jahren wieder fast komplett antraten, lag vor allem an ihrer Spaltung. Während die PSUV für jedes der 3.082 zu vergebenden Ämter nach internen Vorwahlen exakt eine*n Kandidat*in aufstellte, standen dem insgesamt etwa 67.000 oppositionelle Kandidat*innen gegenüber. Auch die schwer nachvollziehbaren oppositionellen Strategiewechsel der vergangenen Jahre und die mangelnde Unterstützung durch den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó, der weiterhin einen Boykott bevorzugt hätte, kostete wichtige Wähler*innenstimmen. „Aufgrund der fehlenden Einheit haben wir mehr als zehn der Gouverneurswahlen verloren“, bemängelte der Wahlsieger aus Zulia, Manuel Rosales. Der Soziologe Damián Alifa hatte in einer Debatte auf dem linksalternativen Internetportal PH9 vor der Wahl zudem betont, dass die Opposition Probleme habe, ihre Klientel zu mobilisieren: „Sie kann die Frage, warum die Leute zuvor nicht, nun aber schon wählen sollen, nicht beantworten.“

Das Endergebnis zeigt Verschiebungen innerhalb der Opposition

Neben dem von der PSUV dominierten Regierungsbündnis „Großer Patriotischer Pol“ nahmen an den Wahlen drei weitere Parteienbündnisse teil. Hinzu kommen zahlreiche unabhängige, teils nur lokal verankerte Gruppierungen wie etwa die „Fuerza Vecinal“, die im Juni maßgeblich von den Bürgermeistern des wohlhabenden Ostens von Caracas gegründet wurde. Der Großteil des Oppositionssektors, der bisher hinter Juan Guaidó stand, trat als „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) an. Heute wird der MUD mehr denn je von den rechten Flügeln der vier größten Oppositionsparteien Primero Justicia, Voluntad Popular, Acción Democrática und Un Nuevo Tiempo dominiert, die auch als „G4“ bekannt sind. Das zweite Bündnis „Demokratische Allianz“ ist ein Zusammenschluss moderater Oppositionsparteien, die sich im vergangenen Jahr von der Boykottstrategie der großen Parteien distanzierten und bei der Parlamentswahl Ende 2020 einige Sitze gewinnen konnten. Links von der PSUV trat wie schon bei der letzten Parlamentswahl das Bündnis „Revolutionär-Populäre Alternative“ (APR) um die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) an, blieb jedoch chancenlos.

Das Endergebnis zeigt auch Verschiebungen innerhalb des oppositionellen Lagers auf. In Zulia und Cojedes setzten sich jeweils die Kandidaten des „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD) durch, dem Bündnis der vier größten Oppositionsparteien. In Nueva Esparta hingegen gewann mit Unterstützung des Oppositionsbündnisses „Demokratische Allianz“ der Kandidat der neu gegründeten Partei „Fuerza Vecinal“. In allen drei Fällen handelt es sich allerdings um etablierte Politiker und keine neuen Gesichter.

Mit ihrer Wahlteilnahme beendeten die vier großen venezolanischen Oppositionsparteien letztlich ihre gescheiterte Boykottstrategie und de facto auch das Kapitel Juan Guaidó. Als sich dieser im Januar 2019 mit Rückendeckung der US-Regierung zum Interimspräsidenten erklärte, zog noch die gesamte Opposition mit. Heute wirkt Guaidó, der sich bis zuletzt gegen eine Wahlteilnahme ausgesprochen hatte, weitgehend isoliert. Das Lager des zweifachen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles hatte bereits seit vergangenem Jahr gefordert, die Opposition solle trotz widriger Bedingungen an Wahlen teilnehmen, um politische Räume nicht kampflos aufzugeben. Nach Verhandlungen mit moderateren Regierungsgegner*innen gehören seit Frühjahr zwei von fünf Mitgliedern des Nationalen Wahlrats (CNE) der Opposition an. Zuvor war das Verhältnis jahrelang vier zu eins zugunsten des Chavismus gewesen. Ende August erklärte sich die Opposition dann mehrheitlich zur Wahlteilnahme bereit. Erstmals seit 15 Jahren war die EU mit einer Beobachtungsmission präsent. Und auch das US-amerikanische Carter Center und die Vereinten Nationen hatten Wahlbeobachter*innen vor Ort. Die EU-Wahlbeobachtermission übte in ihrem vorläufigen Bericht zwar die bekannte Kritik an den Wahlbedingungen. Dazu zählen etwa Eingriffe des Obersten Gerichts in rechte und linke Oppositionsparteien und die administrativ verhängten Antrittsverbote des Obersten Rechnungsprüfers, die mit 15 Fällen überwiegend die Kommunistische Partei betrafen. Gleichwohl betonte die EU aber klare Fortschritte im Vergleich zu den vergangenen Wahlen.

Die Wählerbasis der PSUV schrumpft

Der Sieg der PSUV entpuppt sich bei genauerem Hinsehen indes als weniger überzeugend, als es die Verteilung der Ämter suggeriert. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 42 Prozent. Damit stieg sie im Vergleich zu den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr zwar um zwölf Prozentpunkte und war immerhin fast so hoch wie bei den zeitgleich stattfindenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Chile, wo 48 Prozent der Wähler*innen abstimmten. Sie blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Von den landesweiten Stimmen entfielen auf die PSUV lediglich 45 Prozent. Mit 3,7 Millionen Wähler*innen oder 17 Prozent aller Wahlberechtigten erreicht der Rückhalt für die regierenden Chavist*innen den bis dato schlechtesten Wert seit der Parteigründung 2007. Zwar ist dies nach Jahren einer schwerer Wirtschaftskrise und US-Sanktionen noch immer beachtlich. Doch die feste Wählerbasis schrumpft sichtlich.

Die Opposition hingegen kann zurzeit weder programmatisch, noch personell oder strategisch überzeugen. Ein Abberufungsreferendum gegen Maduro, das die Opposition nach der Hälfte von Maduros Amtszeit am 10. Januar 2022 beantragen könnte, wäre riskant. Denn die Regierungsgeg-ner*innen können momentan nicht aufzeigen, wie es nach einer möglichen Abwahl Maduros weitergehen sollte. Kurzfristig wären sie nicht einmal in der Lage, sich auf eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur zu einigen. Es spricht daher aus Sicht der Opposition viel dafür, sich auf die nächste reguläre Präsidentschaftswahl 2024 zu konzentrieren und bis dahin einen glaubwürdigen Vorwahlprozess zu organisieren.

Zunächst stellt sich aber die Frage, ob die seit Mitte Oktober 2021 unterbrochenen Gespräche zwischen Regierung und den großen Oppositionsparteien in Mexiko weiter gehen. Der Opposition geht es dabei vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihnen als politische Gefangene betrachteten Personen. Für die Regierung steht ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung der gewählten Institutionen im Mittelpunkt. Laut Umfragen fühlt sich die Mehrheit der Bevölkerung heute weder von der Regierung noch dem dominierenden Sektor der rechten Opposition repräsentiert. Um die Legitimität der Gespräche zu erhöhen, müssten diese daher um weitere gesellschaftliche Gruppen erweitert werden. Ob die Verhandlungen noch Erfolg haben können, hängt zudem vor allem von der US-Regierung ab, da nur sie die Sanktionen aufheben kann. US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Regionalwahlen schon bevor sich die Wahlwiederholung in Barinas abzeichnete als „weder frei noch fair“. Nun sind zunächst alle Augen auf die Wahlwiederholung gerichtet. Ein oppositioneller Wahlerfolg in Barinas könnte den Regierungsgegner*innen auch landesweit Schwung verleihen und die Vorzüge einheitlichen Auftretens verdeutlichen. Ein Sieg des PSUV, auf welche Weise er auch zustande kommt, könnte die rechte Opposition hingegen in eine neue Sinnkrise stürzen.

 

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