Nicaragua | Nummer 474 - Dezember 2013

„Sie haben unsere Regeln nicht respektiert“

Interview mit den indigenen Mayangna-Aktivist_innen Ester Melba McLean und Mainor MaiBeth Salomon

Es war ein spektakuläres Urteil des Inter­amerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs, das 2001 die nicaraguanische Regierung verpflichtete, den Mayangna Landtitel über ihr Territorium an der Atlantikküste auszustellen. Seither ist wenig passiert. Seit Anfang des Jahres spitzt sich der Konflikt zwischen indigener Bevölkerung und illegalen Siedler_innen zu. Die LN sprachen mit Esther Melba McLean Cornelius und Mainor Maibeth Salomon von der Gemeinde Awastingni über die Situation.

Interview: Markus Zander

Vor welchen Problemen stehen die Mayangna in ihrem Territorium?
Esther Melba McLean: Wir Mayangna haben große Probleme mit der Invasion von Fremden in unserem Territorium. Vor der Titulierung unseres Territoriums gab es schon welche, aber nur wenige. In einer Studie aus dem Jahr 2003 wurden 46 Familien gezählt. Schon damals wurden sie da­rüber informiert, dass sie auf Territorium der Mayangna lebten und dass die Dokumente, die sie vorwiesen – einige hatten Bestätigungs- oder Erlaubnisschreiben von irgendeiner Behörde, einer Kreisverwaltung oder dem Regionalgouverneur – nicht rechtsgültig waren. Ihnen wurde auch mitgeteilt, dass sie keine größeren Landflächen nutzen und nur wenig Wald fällen dürfen.
Seitdem, auch nach der Anerkennung unseres Landtitels im Jahr 2008, sind immer mehr Fremde auf unser Territorium gekommen. In den Jahren 2011 und 2012 wurde eine Studie der Situation in unserem Territoriums durchgeführt, dabei stießen wir auf 400 Familien von Eindringlingen. Fast jeden Tag dringen neue Fremde in unser Land ein, aus verschiedenen Departements der Pazifikküste und aus dem Minendreieck Nicaraguas.

Wie erklärt sich diese Zunahme?
EMM: Diese zunehmende Landbesetzung hat mehrere Gründe: Einmal haben dieselben Fremden, die schon vor der Anerkennung unseres Landtitels hier waren, noch mehr Land besetzt. Andere haben von irgendwelchen lokalen Behörden Dokumente erhalten, sind hierher gekommen und haben noch weitere Fremde mitgebracht. Und dann gibt es noch Leute, die einer Organisation von ehemaligen Kriegsteilnehmern angehören, die im letzten Jahr 12.000 Hektar Land verkauft haben.

Darf das Land indigener Territorien denn überhaupt verkauft werden?
Mainor Maibeth Salomon: Nein, nach dem Gesetz Nummer 445 darf das Land indigener Territorien weder verkauft noch anderweitig veräußert werden. Das wissen diese Leute auch, aber sie brechen das Gesetz immer wieder. Ich glaube, dass die Regierung da eine gewisse Mitverantwortung hat. Die das Land verkaufen, gehören einer Organisation ehemaliger Kriegsteilnehmer namens YATAMA an. Es ist eine Miskito-Organisation.
EMM: 2011 wurden uns mit dem Landtitel 73.000 Hektar zuerkannt. Darin enthalten waren 12.500 Hektar, die schon von der vorherigen Regierung der Organisation YATAMA übertragen worden waren. Und deren Führung verkaufte das ihnen zustehende Gebiet an ein Holzunternehmen mit dem Namen MAPINITA. Wir zeigten diesen illegalen Verkauf bei der Zentralregierung an. Daraufhin erklärten die Bundesanwaltschaft und die Zentralregierung, dass sowohl das Unternehmen als auch die Organisation YATAMA mit dem Ankauf, beziehungsweise Verkauf des Landes einen Rechtsbruch begangen und von daher beide ihre Rechte an diesem Land verloren hatten. Auf diese Weise wurde dieses Land vollständig unserem Territorium zugeschlagen. Dennoch machen die Mitglieder des Kollektivs YATAMA mit dem Verkauf des Landes weiter, nun an mestizische Familien von der Pazifikküste. Diese Leute verkaufen unser Land, Fremde an Fremde. Aber auch staatliche Behördenvertreter sind verwickelt, da sie Kaufbescheinigungen über unser Land ausstellen. Und leider müssen wir zugeben, dass es auch Mitglieder unserer Gemeinden gibt, die sich mit den Fremden verbündet haben und an den Landverkäufen beteiligt sind.
MN: Jedes Jahr nimmt die Zahl der Eindringlinge zu, die schon etwa 90 Prozent unseres Territoriums besetzt haben. Die Mestizen sind schon auf etwa zwei Kilometer an unsere Gemeinde herangerückt. Wir haben traditionellerweise immer von der Landwirtschaft, der Fischerei und der Jagd gelebt, aber jetzt ist es sehr schwierig für uns geworden, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. In der Praxis haben wir keinen Ort mehr für die Jagd und den Fischfang. Die ganzen natürlichen Ressourcen sind verschwunden, weil die Eindringlinge einfach schon zu nahe leben.

Was haben Sie außer den Anzeigen beim Staat noch getan, um Ihr Land zu schützen?
EMM: Seit 2009 haben wir sehr viel unternommen. Als uns klar wurde, dass so viele Fremde auf unserem Territorium leben, haben wir zunächst alle heiligen Stätten markiert. Danach informierten wir alle, dass diese Markierung dem Schutz dieser für uns so wichtigen Orte dient. Als wir 2010 unsere eigenen Waldhüter einführten, mussten wir allerdings feststellen, dass weitere Menschen gekommen waren und noch mehr Wald zerstört worden war. Also zeigte die Gemeinde noch einmal bei der Staatsanwaltschaft, der Armee und dem Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen die Zerstörung des Waldes und seiner Tierwelt an.
Die Gemeinde kämpft darum, das Gebiet zu schützen und die Austrocknung der Flüsse zu verhindern. Wir versuchen, den Fremden bewusst zu machen, dass sie zu große Flächen besetzt halten, angeblich für die Viehzucht.

Wir haben gehört, dass es schon gewaltsame Zwischenfälle gab und die Invasoren sich organisieren und Drohungen gegen die Ankündigung von Räumungen aussprechen.
EMM: Bis Juni 2013 gab es immer wieder Diskussionen, wenn unsere Waldhüter auf dem Territorium patroullierten, aber sie eskalierten nie. Einige der Invasoren wollen keine Waldhüter oder Mitglieder unserer Gemeinde sehen. Viele Mestizen-Familien akzeptieren uns aber auch, selbst wenn ihnen gesagt wird, dass sie dort weggehen müssen.
Im Juni wurden einige der Siedler benachrichtigt, dass sie in diesem Jahr unser Territorium verlassen oder definitiv mit der Zerstörung des Waldes aufhören müssen. Sie befinden sich schon sehr nah an unserem Dorf und halten einen Ort besetzt, an dem die Quelle eines Flusses entspringt. Daraufhin wurden sie sehr zornig und sagten, dass ihnen das egal sei und sie tun würden, was sie wollten. Bei einem Besuch der Waldhüter in Begleitung unserer Gemeinderäte sowie von Polizei und Militär in der ersten Juniwoche griffen die Eindringlinge die Gruppe an. Dadurch war es nicht möglich, mit ihnen zu reden. Danach versuchten unsere Autoritäten, in Koordination mit der regionalen und nationalen Regierung, die Sanierung unseres Territoriums einzuleiten – und das heißt die Räumung der Besetzer. Sie haben keine der Regeln des Zusammenlebens des Volks der Mayangna respektiert und haben es damit auch nicht verdient, hier bleiben zu dürfen.

Welche realen Möglichkeiten sehen Sie angesichts dieser Situation, die Invasor_innen tatsächlich vom Territorium vertreiben zu können?
EMM: Wir sind wirklich sehr besorgt, weil viele der zuständigen regionalen Instanzen des Staates nicht auf unsere Eingaben reagieren. Es gibt allerdings auch einige Institutionen, wie das Ministerium für Umwelt und Natürliche Ressourcen, die Polizei und das Militär, die ihre gesetzlichen Funktionen erfüllen und unsere Kommission bei der Sanierung des Territoriums begleiten und unterstützen. Der Rest kommt so gut wie nie.
MNN: Wir haben das Gefühl, dass wir den Verhandlungsweg mit den Invasoren bis zum Ende gegangen sind. Gleichzeitig kommen wir mit unseren Anzeigen wegen ihres Vordringens und des Landverkaufs an Dritte nicht mehr weiter. Der Zwischenfall, als die Invasoren Polizisten und Soldaten verletzten, war der schwerwiegendste. Angesichts dieser Situation ist unsere Strategie nun, dass wir selbst stärker auf dem gesamten Territorium präsent sein werden und Respekt vor dem Land und unseren Waldhütern einfordern müssen. Außerdem fordern wir vom Staat die Begleitung des gesamten Sanierungsprozesses. Wir fordern, dass die Räumung der Siedler auf jeden Fall begonnen werden muss. Wir sind dabei, an die Behörden zu schreiben, damit es kein weiteres Blutvergießen gibt, weder in unserer Gemeinde noch unter den Invasoren. Wir wollen, dass der Prozess legal abläuft und von der Regierung begleitet wird.

Haben Sie den Eindruck, dass die Zentralregierung die Probleme versteht und Ihnen helfen will?
MNN: Wir merken, dass einige der regionalen Institutionen sich nicht klar über ihre Rolle in dieser Phase sind. Und wir spüren, dass einige der Autoritäten der Regionalregierung und des Regionalrats dem Thema der Sanierung und ihrer konsequenten Durchführung einfach keine Bedeutung beimessen. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir zunächst alle Möglichkeiten auf regionaler Ebene nutzen müssen. Da wir aber sehen, dass sie uns nicht so unterstützen, wie es nötig wäre, werden wir uns an das Sekretariat für die Karibikküste als nächsthöhere Instanz wenden. Dieses Sekretariat kümmert sich als Teil der Zentralregierung ausschließlich um Angelegenheiten der Atlantikküste. Das hat bisher am Besten funktioniert.

Infokästen:

Esther Melba McLean ist Lehrerin und hat als Aktivistin den Kampf der Mayangna um ihr Territorium von Anfang an begleitet.

Mainor Maibeth Salomon ist Sekundarschullehrer in Awastigni und beendet gerade sein Englisch-Studium an der autonomen Universität URACCAN. Er gehört der Regierung des Territoriums von Awastigni an.

Spektakuläres Urteil – Gefährdete Umsetzung

Erst im Dezember 2008 erhielt die indigene Gemeinschaft der Mayangna den Landtitel über ihr Territorium. Vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen ihnen und der nicaraguanischen Regierung, der im Jahr 2001 mit einem Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs zu Gunsten der Mayangna endete. Es war das weltweit erste bindende Urteil einer internationalen Instanz gegen eine Regierung wegen der Missachtung kollektiver Landrechte. Der Staat von Nicaragua wurde verpflichtet, innerhalb von 15 Monaten das Land der Mayangna zu demarkieren und zu titulieren. Dieser Prozess zog sich jedoch wegen des Widerstands der nicaraguanischen Regierung weitere sieben Jahre hin. Außerdem wurde das ursprünglich eingeforderte Territorium von 155.000 Hektar schließlich auf nur 73.394 verkleinert. Dort leben heute etwa 2.200 Mayangna. Doch selbst dieses Land ist bereits weitgehend von illegalen Siedler_innen besetzt, mit denen sich der Konflikt 2013 zuspitzte. Im November informierte Barlinton Salomón von der Gemeinde der Awastigni die Öffentlichkeit, dass Siedler_innen Todesdrohungen gegen Repräsentant_innen der Mayangna ausgesprochen hatten. „Sie haben Geld und Waffen. Wir dagegen haben nicht mal ein Messer, um uns zu verteidigen“, sagte er auf einer Versammlung indigener Gemeinden.

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