Kolumbien | Nummer 417 - März 2009

Signale ohne Wert

Die Freilassung von sechs Geiseln durch die FARC gilt als letzter Akt politischer Zugeständnisse der RebellInnen

Das Scheitern war nahe, doch am Ende erlangten sechs Geiseln der kolumbianischen FARC-Guerilla Anfang Februar die Freiheit wieder – ohne Gegenleistung der Regierung. Doch zukünftige Freilassungen sind laut FARC an einen Gefangenenaustausch geknüpft, wovon die Regierung momentan jedoch nichts wissen will. Ein Massaker der Guerilla an Indígenas liefert der Regierung zusätzliche Argumente für die Verschärfung ihres Kriegskurses.

Tommy Ramm

Der Argwohn innerhalb der kolumbianischen Regierung sitzt tief. Auch nach der Freilassung von sechs Geiseln – drei Polizisten, zwei Politiker und ein Soldat – in den ersten Februartagen durch die Guerilla Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) schwor der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe seine Landsleute weiter auf seinen harten Kurs gegen die Rebellen ein. Die Regierung werde trotz der Freilassungen auch weiterhin versuchen, die verbliebenen Entführten durch Armeeoperationen zu befreien und die RebellInnen militärisch in die Enge zu treiben. „Wir sind bereit zum Frieden, aber nicht zur Täuschung. Wir sind bereit für einen Gefangenenaustausch, jedoch nicht zum Erstarken des Terrorismus“, so Uribe.
Die Geschehnisse während des Prozesses der Freilassungen ließen anmerken, dass sich die Regierung als Beobachterin in der zweiten Reihe unsicher fühlte. Die Zivilorganisation Kolumbianer für den Frieden, die sich aus Intellektuellen des Landes zusammensetzt, leitete gemeinsam mit Brasilien als Unterstützerland und dem Internationalen Roten Kreuz IRK die Freilassungsaktion, während die Regierung keine konstruktive Rolle spielte . Schon bei der ersten Freilassung am 1. Februar brachte die kolumbianische Luftwaffe die Übergabe beinahe zum Scheitern. Denn ihre Aufklärungsflüge über dem Gebiet ließen Angst vor der Präsenz regulärer Truppen unter den RebellInnen aufkommen und verzögerten die Übergabe der drei entführten Polizisten und des Soldaten. Verteidigungsminister Santos entschuldigte sich öffentlich für den Zwischenfall, erklärte aber, dass sich die Maschinen oberhalb von rund 3500 Höhenmeter befanden, was als Toleranzbereich ausgemacht worden sei. Dagegen erklärten Vertreter des IRK, dass zuvor absolutes Flugverbot vereinbart worden sei.
Damit wurde deutlich, dass die Regierung den Prozess zu torpedieren versuchte. Denn schon in der gleichen Nacht legte Präsident Uribe nach. Er erkannte der Organisation Kolumbianer für den Frieden ihre Rolle als Vermittlerin ab und erlaubte nur noch Brasilien und dem IRK die Begleitung der noch ausstehenden Freilassungen. Begründung: Allen voran die Gründerin der Organisation, Senatorin Piedad Córdoba, die schon vor eineinhalb Jahren gemeinsam mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez Freilassungen ermöglichte, sei daran interessiert, den FARC eine „politische Show“ zu gestatten, erklärte Uribe. Ausschlaggebend sei die Präsenz zweier Journalisten gewesen, was die Regierung als „Vertrauensbruch“ seitens der Vermittlungskommission bezeichnete, da sie darüber nicht informiert worden sei. So hatte der Journalist Jorge Botero die Vermittlungskommission im Hubschrauber begleitet und anschließend die Aktionen der Luftwaffe denunziert. Allerdings stellte sich später heraus, dass Botero zuvor um Erlaubnis gefragt hatte und diese auch bekommen hatte.
Außerdem befand sich der Journalist Hollman Morris im Guerillacamp, um RebellInnen und Entführte zu interviewen, was die Regierung als eine von langer Hand geplante Kampagne darstellte, obwohl sie zuvor von der Pressebegleitung informiert worden war.
Zwar erklärte Morris seinerseits, dass er weder von der Ankunft der Vermittlungskommission noch von der unmittelbar bevorstehenden Freilassung seiner Interviewpartner genau an diesem Ort gewusst habe, doch derzeit lässt die Regierung prüfen, ob sie gegen Morris ein Verfahren anstrengt und ihm den staatlichen Begleitschutz aberkennt.
„Hollman Morris verschanzt sich hinter seinem Titel eines Journalisten, um Komplize des Terrorismus zu sein“, erklärte Uribe, der daraufhin prompt von UNO und VertreterInnen der Organisation Amerikanischer Staaten zurechtgewiesen wurde, da seine Äußerungen das Leben des Journalisten in Gefahr brächten. Doch auch die Organisation um Piedad Córdoba ließ Uribe bei seinem Rundumschlag nicht aus: Die FARC hätten eine „intellektuelle Kampffront“ gegründet, die für sie arbeite. Zwar nannte der Präsident die Organisation nicht beim Namen, doch ist klar, dass Uribe auf ebendiese mit seinen verhängnisvollen Anschuldigungen abzielte. Erst auf Druck des IRK und Familienangehöriger von Entführten ließ Uribe von seiner Blockadehaltung ab und gab Córdoba ihr Mandat zur Fortführung der Befreiungen zurück.
Der nächste Eklat folgte am 3. Februar. Der kolumbianische Hochkommissar für Frieden, Luis Carlos Restrepo, wollte verhindern, dass die von Uribe vermutete „politische Show“ innerhalb der Medien eine Fortsetzung findet und verbot der Presse „aus Sicherheitsgründen“ den Zugang zum Flugplatz in der Stadt Villavicencio, wo der entführte Politiker und Ex-Gouverneur Alan Jara erwartet wurde. Selbst die regierungstreuen Kanäle RCN und Caracol nannten das Verbot eine klare Einschränkung der Pressefreiheit, worauf Bogotá seinen Hochkommissar in die Schranken wies. Dieser kündigte seinen umgehenden Rücktritt an und Uribe sollte Tage benötigen, um den gekränkten Restrepo zur Rückkehr in sein Amt zu bewegen.
Unterdessen landete Alan Jara in Villavicencio und sparte nicht mit Kritik an der Regierung. „Die Regierung hat nichts für die Freilassung der Entführten unternommen“, erklärte Jara und versicherte, dass sich die FARC und Uribe gegenseitig nützten. Er rief die Regierung zu einem Gefangenenaustausch auf, der die einzige sichere Möglichkeit sei, die noch verbliebenen Entführten lebend frei zu bekommen.
Am 5. Februar folgte mit Sigifredo López die Befreiung des letzten Politikers in den Händen der FARC. López war der einzige Überlebende aus einer Gruppe von zwölf LokalpolitikerInnen aus Cali, welche die FARC 2001 aus dem Stadtrat im Herzen der Metropole entführt hatten. 2007 erschossen die RebellInnen elf von ihnen, da sie eine Befreiungsaktion der Armee vermuteten, die sich aber schließlich als irrtümliches Gefecht unter zwei FARC-Einheiten herausstellte. Nach der Freilassung von Sigifredo López bleiben neben hunderten „kommerzieller“ Geiseln 22 Militärs und Polizisten in den Händen der FARC, die für einen Gefangenenaustausch gegen inhaftierte RebellInnen in Frage kommen. In einem Kommuniqué erklärte die Guerilla, dass es keine weiteren einseitigen Freilassungen geben wird und ein Austausch an Verhandlungen sowie eine entmilitarisierte Zone geknüpft seien. Piedad Córdoba rief die Rebellen zwar dazu auf, weitere Entführte auf freien Fuß zu setzen, doch damit ist nicht mehr zu rechnen.
Für die Ex-Geisel Luis Eladio Pérez hatte die Freilassung der drei Polizisten, des Soldaten und den letzten zwei Politikern strategische und politische Bedeutung. Der Soldat und die Polizisten seien unter den entführten Sicherheitskräften diejenigen mit dem niedrigsten Rang gewesen, womit nun nur noch Offiziere und Unteroffiziere in Gefangenschaft verbleiben würden, die für einen geforderten Gefangenenaustausch unter Einhaltung internationaler Regeln in Frage kämen. Die einseitige Freilassung lässt sich daher als Versuch der FARC verstehen, ihr international ramponiertes Image aufzupolieren.
Dies wird ihr kaum gelingen: Denn noch während der Freilassungen richteten die RebellInnen vermutlich zwei Massaker unter Indígenas an. Am 4. Februar hatten laut Angaben des linksorientierten Gouverneurs der Provinz Nariño, Antonio Navarro Wolff, RebellInnen der FARC ein Massaker an Indígenas der Awa verübt. „Ich bin absolut sicher, dass es sich bei den Tätern um die FARC gehandelt hat“, erklärte Navarro, der sich auf ZeugInnenberichte bezog. Demnach besetzten RebellInnen eine Siedlung der Indígenas im Bezirk Barbacoas nahe der Pazifikküste und töteten 17 BewohnerInnen, nachdem diese zuvor stundenlang gefoltert worden seien. Die RebellInnen hätten die Indígenas als KollaborateurInnen der Armee bezeichnet und sie wegen fehlender Unterstützung bestraft. Nur drei Tage zuvor soll eine Armeeeinheit durch die Gegend gezogen sein, was als Auslöser der Guerillaaktion vermutet wird.
Kurz nachdem das Massaker bekannt wurde, meldeten die lokalen Behörden und Indígenaverbände ein weiteres: Zehn Awa-Indígenas, die wegen der Morde geflüchtet waren, seien von den Rebellen eingeholt und ebenfalls umgebracht worden. Allerdings konnten bisher keine der Opfer geborgen werden, da die Region mit Landminen kontaminiert ist und seit Jahren sowohl von RebellInnen, neuen Paramilitär-Gruppen und DrogenhändleInnen beherrscht wird. Bereits 2007 sendeten Behörden, welche die Situation der Menschenrechte im Land beobachten, Warnungen vor möglichen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung an die Regierung. Mehr als 60.000 Menschen hätten in der Region inmitten von Gefechten und vermintem Land auszuharren, ohne dass der Staat außer durch mobile Armee-Einheiten Präsenz zeige.
Doch auch nach dem Massaker zeigte die Regierung wenig Verständnis. „Ich glaube, die Awa-Indígenas sind nicht zur Kollaboration bereit, um die Toten zu bergen“, erklärte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, der Armeeeinheiten in die Region sandte. Sollten die Indígenas nicht zu einem Dialog bereit sein, so Santos, könne die Armee nicht deren Rechte schützen. Was die Indígenas strikt ablehnen: Seit Jahren kämpfen sie darum, dass bewaffnete Kräfte nicht ihr Territorium betreten, was auch die Armee einschließt und auf Ablehnung innerhalb der Regierung stößt.
Die Organisation Kolumbianer für den Frieden forderte von den RebellInnen Aufklärung über die „beschämende Tat“: „Das ist weit davon entfernt, Wege hin zum Frieden zu konstruieren“, erklärte Luis Eladio Pérez. „Das Einzige, was es bestätigt, ist der terroristische Geist, der die FARC beherrscht.“ Die Rebellen bekannten sich wenige Tage später zu der Tat, erklärten aber, dass nur acht Indígenas hingerichtet wurden. „Unsere Aktion war nicht gegen Indígenas gerichtet, sondern gegen Personen, die – unabhängig ihrer Rasse, Religion oder sozialen Position etc. – Geld akzeptierten und sich in die Dienste der Armee in einem Gebiet stellten, das Ziel militärischer Operationen ist“, hieß es. Die Beschuldigten hätten zugegeben, die Armee mit Informationen über Rebellenstellungen versorgt zu haben. Eine Indígena-Kommission wollte Ende Februar in das betreffende Gebiet vordringen, um die Leichen zu bergen und um Klarheit über das Ausmaß der Gräueltat zu erhalten. Dagegen nutzte Präsident Uribe die Gunst der Stunde, um seinen Kurs gegen die FARC zu verschärfen. Einen Dialog gäbe es erst dann, wenn die Rebellen alle Geiseln freilassen und von Gewalt und Entführungen Abstand nehmen würden.

//Tommy Ramm

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