Nummer 385/386 - Juli/August 2006 | Sport

Soca Warriors gewinnen torlos

Trinidad & Tobagos WM-Auftritt stellte fast alle zufrieden

Das größte Ziel hat Trinidad & Tobago bei der Weltmeisterschaft verpasst: die drei Punkte und drei Tore des karibischen Rivalen Jamaica bei der WM 1998 in Frankreich zu übertreffen. Mit dem Abschneiden sind dennoch alle zufrieden: ob auf den Zwillingsinseln selbst oder in der Diaspora.

Martin Ling

Zwischen der 80. und der 83. Minute erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt: Trinidad, Trinidad-Sprechchöre hallen durch das Café Nollendorf in Berlin. Schließlich sind die Soca Warriors schon seit 170 Minuten bei der Fußballweltmeisterschaft ohne Gegentor und nun bereits seit 80 Minuten gegen die einstige Kolonialmacht England, von der man 1962 in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Vor dem Turnier wurde die Fußballmannschaft der Trinis, wie sich die BewohnerInnen der Zwillingsinseln Trinidad & Tobago generell unter Missachtung der kleineren 50.000 Menschen-Insel Tobago nennen, als Kanonenfutter gehandelt.

Verzweifelte Favoriten

Nun waren nach den Schweden auch die Engländer der Verzweiflung nahe, weil sie den meist in dritt- oder viertklassigen englischen Vereinen spielenden Warriors nicht beikommen konnten. Bis sich in besagter 83. Minute Englands 2,02 Meter Hüne Peter Crouch in einem Akt unfairsten Neokolonialismus auf dem 1,85 Meter kleinen Verteidiger Brent Sancho aufstützte, kräftig an dessen Dreadlocks zog, um dann das 1:0 zu köpfen. Dieser ungeahndeten erneuten historischen Ungerechtigkeit zum Trotz versuchten die Karibikkicker das Schicksal nochmals zu wenden, doch zu mehr als einem schönen Hackenabseitstor von Stern John beim Stand von 0:2 reichte es nicht mehr.
Gefeiert wurden in Nürnberg nach dem Schlusspfiff beide Teams und nicht nur dort waren die Sympathien der Nicht-Voreingenommenen auf Seiten der Soca Warriors. Auch wenn sie über die Vorrunde nicht hinausgekommen sind, im Endspiel der Weltmeister der Herzen würden sie unbestritten auf Ghana treffen, woher im Zuge der Sklaverei nicht wenige Vorfahren der Trinis auf die Inseln verschleppt worden waren.
Gegen England sind von den 49 StaatsbürgerInnen von Trinidad & Tobago in Berlin mehr im Frankenstadion als im Café Nollendorf. Wenn ich mich umschaue, bin ich die einzige, meint Margarete mit Blick auf die ihr wohl bekannten mehr als ein Dutzend deutschen Trini-Fans, deren Sympathie für die Zwillingsinseln auf Urlaubserfahrungen beruhen dürfte. Einige der echten Trinis, die beim Auftaktspiel gegen Schweden noch hier waren, sind in Nürnberg, weiß Margarete, und überdies wohnten die Trinis über die ganze Großstadt verteilt und schauten dezentral.
Die Stammfans sind trotz der Niederlage gegen die Engländer auch beim dritten Gruppenspiel gegen Paraguay alle wieder da – schließlich könnten die Soca Warriors die karibische Fußballgeschichte wieder gerade rücken. Ein Sieg gegen Paraguay, eine Niederlage der Schweden, und der Einzug ins Achtelfinale wäre im Bereich des Möglichen. Das hatte aus der Karibik noch kein Team geschafft. Erst als vierte Mannschaft von den karibischen Inseln nahm T & T an einer Weltmeisterschaft teil. Nur die jamaicanischen Reggae Boyz schafften 1998 mit einem 2:1 gegen Japan einen karibischen Sieg bei einer Weltmeisterschaft, während Haiti 1974 in Deutschland als Punktelieferant diente und Kuba 1938 in der ersten Runde ausschied.
Dass sich Jamaica und nicht Trinidad & Tobago als erste englischsprachige Mannschaft aus der Karibik für eine Fußballweltmeisterschaft qualifizieren könnte, kam bei manchen BewohnerInnen des 1,3 Millionen-Staates, dem bevölkerungskleinsten, der je an einer WM teilnahm, nicht gut an.

Geschichtsfälscher Caligiuri

1997 schaute der schwarze Journalist neben mir im Pressesektor des Kingstoner National Stadiums reichlich verdrießlich drein, als Jamaica mit einem Sieg gegen Costa Rica einen entscheidenden Schritt Richtung WM-98 in Frankreich getan hatte. Kam er etwa aus Costa Rica? Nein, ich komme aus T & T, beschied er meine Frage. Und warum dann keine Freude, wo doch die innerkaribische Solidarität gemeinhin groß geschrieben wird? So tritt beim traditionellen Volkssport Nummer eins Cricket nach wie vor eine gemeinsame Mannschaft der West Indies bei Weltmeisterschaften und bei den so genannten Testserien zwischen Ländern an. Alle Cricketfans der anglophonen Inseln fiebern dann mit. Gelten beim Fußball andere Gesetze? Nicht wirklich, aber kannst du dich an 1989 erinnern, fragte er mich? Ich konnte, auch wenn er nicht auf den Fall der Mauer anspielte, sondern auf ein für Trinidads Fußballwelt ähnlich erschütterndes Ereignis. Wenige Tage nach den weltbewegenden Ereignissen in Berlin schoss der Meppener Zweitligaprofi Paul Caligiuri in Port of Spain ein Tor für die USA. Es blieb das einzige im letzten WM-Qualifikationsspiel für Italien 1990 und Trinidad & Tobago hätte schon ein Unentschieden genügt, um dort dabei zu sein. Verstehst du mich jetzt? Wir sind die besten der karibischen Inseln, haben die Karibikmeisterschaft viel öfter gewonnen als Jamaica und jetzt schreiben sie die Geschichte, die wir 1989 hätten schreiben müssen. Das tut weh und deswegen kann ich mich nicht richtig freuen.

Bravouröser Kampf

Mit Italien 1990 hat es nicht geklappt, mit Frankreich 1998 auch nicht, aber bei der dritten seit dem Mauerfall in Europa ausgetragenen Fußball-WM war Trinidad & Tobago erstmals in seiner Geschichte bei einer Endrunde dabei – ausgerechnet in Deutschland, dem Land in dem Caligiuri, der Geschichtsfälscher aus trinidadischer Sicht, lange Zeit seine Brötchen verdiente.
Ganz gerade gerückt haben die Soca Warriors die Geschichte in Deutschland freilich nicht. Zwar hatte man im dritten Spiel im Gegensatz zu Jamaica noch eine theoretische Chance auf die zweite Runde, doch die wurde gegen Paraguay nach abermals bravourösem, ungewohnt offensivem Kampf nicht genutzt. Erst in den letzten 20 Minuten brachte der holländische Coach die Legende Russell Latapy, der ebenso wie der damals 16-jährige Tobagoer Dwight Yorke bereits 1989 dabei war. Latapy setzte bei seinem Kurzeinsatz mehr Offensivakzente als der Rest der Mannschaft während des ganzen Turniers. In das auf Schadensminimierung zielende Defensivkonzept des Trainers hatte der 37-Jährige nicht gepasst, weswegen er zu seinem und dem Frust vieler Trini-Fans die ersten zwei Spiele komplett auf der Bank versauerte.

Nationalfeiertag für Kicker

Obwohl Jamaica nicht übertroffen wurde, überwiegt bei den Trini-Fans ob der ansprechenden Leistungen die Freude – im Café Nollendorf und auf den Inseln. Premier Patrick Manning jedenfalls war begeistert: „Ich wünsche mir, dass die Mannschaft einen Empfang erlebt, wie ihn unser Land noch nicht erlebt hat.“ Kein einfaches Vorhaben, wenn man sich an November 2005 zurück erinnert. Nicht nur die Hauptstadt Port of Spain stand da Kopf, wo sich zigtausende versammelten, um mit Autokorsos und in die rot-schwarz-weißen Nationalfarben gehüllt die historische Qualifikation zu feiern. Der Premierminister Patrick Manning rief wie einst sein jamaicanischer Kollege Percival James Patterson einen Nationalfeiertag aus, damit die Bevölkerung die heim kehrenden Kicker gebührend feiern konnte.

Zwei große Ethnien

Ganz so weit wie Patterson ging Manning dann aber doch nicht: Der nützte die Gunst der Stunde, rief gleich vorzeitige Neuwahlen aus, die seine People‘s National Party haushoch gewann. Manning ist froh, überhaupt über eine knappe Mehrheit im Parlament zu verfügen, war das Land doch ein paar Jahre in einem Patt zwischen dem afro-trinidadischen People‘s National Movement (PNM) und dem indo-trinidadischen United National Congress (UNC) gefangen – einschließlich mehrerer Verfassungskrisen und mehrfacher vorzeitiger Neuwahlen. Denn noch immer wählen die beiden größten Ethnien Trinidads vorwiegend entlang der ethnischen Linien, die Afrikanischstämmigen das PNM, die Indischstämmigen, Nachkommen der nach Abschaffung der Sklaverei 1834 angeworbenen Vertragsarbeiter, den UNC. Und da beide Ethnien rund 40 Prozent der Bevölkerung stellen, ist ein Patt oder Beinahe-Patt im Parlament die Regel. Grund genug für Manning seine Regierung nicht aufs Spiel zu setzen. Und auch der Grund, weshalb es Fußball auf Trinidad allen Erfolgen zum Trotz schwer haben wird, Cricket den Rang abzulaufen. Denn wie der Karneval ist beim Fußball die afrotrinidadische Dominanz ungebrochen.


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