Literatur | Nummer 272 - Februar 1997

… soll sie doch selbst etwas tun

“Frauenhaut” – eine Autobiographie aus Peru

“Die Kollegin verhält sich nörglerisch und besserwisserisch. Wenn sie so viel auszusetzen hat, soll sie doch selbst etwas tun.” Während die – männliche – Gewerkschaftsspitze beleidigt zum Bier zieht, nimmt Delia Zamudio den Generalsekretär beim Wort. Kurze Zeit später hat die Betriebsgewerkschaft der peruanischen Schering-Werke einen Frauenvorstand unter Leitung von Delia Zamudio. “Wir werden niemals eine Frau als Vorsitzende akzeptieren, und erst recht keine Schwarze”, so die aufgebrachten Herren, die daraufhin den neuen Vorstand boykottieren. Eine Szene aus dem Jahr 1972, erzählt von Delia Zamudio in ihrer Autobiographie “Frauenhaut”.

Ulrich Goedeking

Schwarze, Arbeiterin, Frau – das vielstrapazierte Schema der “dreifachen Unterdrückung” drängt sich auf, aber Schablonen haben im Erzählen von Delia Zamudio keinen Platz. Sie berichtet nicht nur von ihrer Rolle als Gewerkschaftlerin und Feministin, sondern erzählt von ihrer Kindheit, von alltäglicher Gewalt in der Familie und am Arbeitsplatz, sie spricht über ihre Beziehungen und über Versuche, sich weiterzubilden. Dabei wird ihre Schilderung nie eindimensional, und darin liegt die Stärke der kaum 100 Seiten umfassenden Autobiographie. Delia Zamudio zeichnet ein dichtes, vielschichtiges Bild von sich und ihrer Gesellschaft, sowohl, wenn sie von ihrem Privatleben erzählt, als auch in den Berichten vom politischen Engagement in Gewerkschaften und Frauenbewegung.
So spricht Delia Zamudio nicht nur von den Machos in der Gewerkschaftsspitze, sondern auch von den Schwierigkeiten, als schwarze Arbeiterin in der Frauenbewegung ihren Platz zu finden. Beim lateinamerikanischen Feministischen Treffen 1985 in Brasilien ist ein Workshop “Frau und Arbeit” nicht vorgesehen, beim nächsten Treffen 1987 wird sie von der peruanischen Delegation geschnitten, nachdem sie offen über Massaker in Peru gesprochen hat.
In den 80er Jahren fanden autobiographische Berichte aus Lateinamerika in der deutschen Linken große Verbreitung. Damals machte vor allem das Bedürfnis, “authentische Zeugnisse von den Unterdrückten” zu vernehmen, Bücher wie das von Domitila Chungara aus den bolivianischen Minen zu alternativen Bestsellern. Die deutsche Ausgabe von Delia Zamudios Buch trifft jetzt auf ein verändertes Publikum: Akzeptieren manche mit bemerkenswerter Leichtigkeit den Status Quo des Neoliberalismus in Lateinamerika, befinden sich andere verklärend-nostalgisch auf der Suche nach neuen Objekten für ihre vereinsamte Solidarität. Delia Zamudios Buch ernüchtert demgegenüber im positiven Sinne: Sie verklärt kein “Subjekt des Widerstandes”, aber sie erzählt vom politischen und privaten Alltag im real existierenden Kapitalismus in Peru, von Machtverhältnissen und von der Gewalt, die die ganze Gesellschaft durchzieht: ein Stück Realität eben.

Delia Zamudio: Frauenhaut – Eine Autobiographie, hg. von Katharina Müller und Reinhart Hoß. Neuer ISP-Verlag, Köln, ISBN 3-929008-29-7; Atlantik, Bremen, ISBN 3-926529-12-1; Oktober 1996, 144 S.

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