Sonne trifft auf Berggeschrey
Die Photovoltaik in Chile unterbietet herkömmliche Energiepreise – zum Wohlgefallen der Bergbaukonzerne
Es gibt in Chiles Bergbaugebieten ein neues Berggeschrey. Das Berggeschrey der Bergbaukonzerne ruft nach Photovoltaik. Im März dieses Jahres überraschte das US-amerikanische Medienportal für grünes Investment, Greentech Media, mit den neuesten Zahlen zu Verkaufspreisen bei Photovoltaik-Modulen. Die billigsten Solarmodule aus chinesischer Produktion sind nicht in China, sondern in Chile erhältlich: Dort lag der unterste Verkaufspreis der Module bereits Ende 2014 bei umgerechnet 56 US-Cent je Watt, während der Preis in China selbst für die gleichen Module bei 57 US-Cent lag. In Europa gingen zeitgleich chinesische Module für umgerechnet 65 US-Cent über den Großhandelstisch. Warum die chinesischen Module in Chile am billigsten angeboten wurden? Zum einem werden beim Import von Modulen keine Zölle erhoben. Des Weiteren ist es durch die Währungsaufwertung des chilenischen Peso und zu kostensparender Verschiebung zwischen Kauf- und Bezahldatum gekommen, was an die Kund*innen weitergegeben wurde. Es wird „alles durch Großprojekte großer Energieversorger dominiert“, so fasste Greentech Media die drei Argumente zusammen, warum die Module in Chile so billig verkauft werden.
Einer der größten Fische in Chiles boomenden Solarbusiness ist der US-amerikanische Projektierer von Solargroßanlagen Sun Edison. Dessen Tochterunternehmen in Chile verkündete 2014 erst den Bau von einer Photovoltaikanlage mit 70 MW, dann die nächste mit 100 MW, dann eine mit 350 MW und munter so weiter. SunEdisons Chile-Chef heißt bezeichnenderweise: Alfredo Solar. Und im Dezember vergangenen Jahres hatte Alfredo Solar überaus Grund zur Freude. „Selbst ohne Anreize und Subventionen, sind die Erneuerbaren [hier in Chile] zehn bis fünfzehn Prozent günstiger als fossile Energieträger!“. Chile – das neue El Dorado der solaren Energiewende! Und zeitgleich tauchten die ersten Pressemitteilungen aus dem Bergbausektor auf, in denen von der Photovoltaik als game changer die Rede war – weltweit, aber derzeit vor allem in Chile, genauer in Chiles Norden.
Denn dort in der trockenen Atacama-Wüste herrschen die weltweit besten Bedingungen bei Sonneneinstrahlung vor. Sogar die Solarstromgestehungskosten (s. Kasten) liegen mittlerweile unter den Preisen anderer Energieträger. Es geht um die sogenannte Netzparität, also den Zeitpunkt, ab dem es billiger ist, Solarstrom selbst zu produzieren als Strom vom Energieversorger zu kaufen. „Der Norden von Chile hat die Netzparität erreicht!“, jubelte auch die spanische Energiekonsulting Creara, die gemeinsam mit der Industrie eine neue Studie zu Photovoltaik und Bergbau in Chile erstellt hatte. Insbesondere den Großprojekten mit ihren großflächigen Freifeldanlagen im Norden des Lands wird eine hohe Wettbewerbsfähigkeit zugesprochen. Gebrauch davon machen vor allem die Bergbaukonzerne. Kein Monat vergeht ohne eine neue Meldung über den Bau einer weiteren Photovoltaikanlage, die ihren Strom an eine weitere Mine verkaufen wird. Die Anlagen speisen zunächst den Strom in das Stromnetz ein, das dann die Minen versorgt.
Für die kleinen Privatverbraucher in Chile kann man hingegen noch lange nicht vom Erreichen der Netzparität sprechen. Im Gegenteil. Die Probleme derjenigen, die sich Photovoltaikanlagen auf ihre Dächer bauen wollen, sind um einiges größer. Erst seit Oktober vergangenen Jahres dürfen Privatleute, die ihre eigene Solaranlage haben, überschüssigen Strom ins Netz einspeisen – und ihr Stromzähler läuft dann rückwärts. Dieses Net-Metering genannte Verfahren wird vor allem in den USA angewandt, in Australien oder auch seit vergangenem Jahr in Brasilien. In Brasilien ist der Erfolg bislang dürftig. Denn die bürokratischen Hürden sind ebenso hoch wie die von den großen Energieversorgern zwischen die Beine der Solarenthusiasten geworfenen Knüppel knorrig sind. In Chile ist das derzeit auch noch so.
So sind es die Großen, die in Chile von der Photovoltaik profitieren, nämlich die Bergbaukonzerne. Bergbau verbraucht Energie, viel Energie. Es ist vor allem das Zerkleinern des Erzes, das so energieintensiv ist. Neuesten Berechnungen der Deutsch-Chilenischen Industrie- und Handelskammer zufolge werden in Chiles Bergbau im Jahre 2020 rund 56 Prozent des Stromverbrauchs im Bergbau für die Verarbeitung des Erzes in den sogenannten Konzentratoren verbraucht werden, sowie in geringerem Maße mit vierzehn Prozent für die Wasserzufuhr und -bearbeitung. Der Minenbetrieb an sich schlägt demnach mit rund sieben Prozent zu Buche. Weltweit gehen zwischen acht und zwölf Prozent des gesamten Primärenergieverbrauchs auf den Bergbau zurück. Das spanische Forschungsinstitut CIRCE prognostizierte unlängst einen Anstieg auf 15 bis 20 Prozent bis zum Jahre 2035. In Chile verbraucht die Bergbauindustrie laut Zahlen des staatlichen Kupferriesen Codelco ein Drittel des im Land produzierten Stroms. Im Norden Chiles aber steigt dieser Wert rapide an. In der Antofagasta-Region verbraucht der Bergbau 85,5 Prozent des Stroms. In einigen Regionen explodiert dieser Wert auf satte 94 Prozent.
Chile besitzt schätzungsweise ein Drittel der weltweiten Kupferreserven und ist mit einem Drittel der Weltproduktion auch der weltweit größte Kupferproduzent. Diese Gier nach Kupfer verlangt nach Energie. Bereits in den letzten zehn Jahren stieg der Strombedarf des dortigen Kupferbergbaus um mehr als die Hälfte, Tendenz bei einer jährlichen Wachstumsrate von sechs Prozent weiter steigend. Dort in der Region der Atacama und um Antofagasta herum werden gegenwärtig über 70 Prozent der Investitionen in den Ausbau von Chiles Kupferbergbau getätigt – und dort boomt die Photovoltaik.
Dies liegt auch an den vergleichsweise teuren Netzanschlusskosten und den teureren Strompreisen im Norden Chiles. Der Codelco-Vorstandsvorsitzende sprach bereits 2012 von einer Verdreifachung der Stromkosten binnen eines Jahrzehnts, die seiner Firma mehr und mehr zu schaffen machen. Dabei liegt der Anteil der Stromkosten am Gesamtumsatz in Codelcos Kupferbergbau mit zwölf Prozent noch deutlich unter dem Branchendurchschnitt in Chiles Bergbau bei 20 Prozent. So suchen die Konzerne nach Alternativen – und finden sie in der Photovoltaik. Berechnungen zufolge werden dieses Jahr 800 Megawatt Photovoltaik in Chile neu installiert werden. Dies wäre hundertmal mehr als die im Jahre 2013 insgesamt installierte Menge von acht Megawatt Photovoltaik im Lande. Die Solarfachzeitschrift Photon errechnete für Chile eine Pipeline bei Photovoltaik-Projekten von insgesamt knapp dreizehn Gigawatt. Dies entspräche umgerechnet der Kapazität von dreizehn Atomkraftwerken. Gelingt der solaren Energiewende hier der Durchbruch zu einer umweltfreundlicheren Gesellschaft?
Nicht unbedingt, denn die Wermutstropfen sind allzu offensichtlich. Es sind keine dezentralen Kleinanlagen, sei es auf den Dächern der Häuser, wo sie passiv, ohne Landnutzungskonflikte, ihren umweltfreundlicheren Strom produzieren. Es sind vielmehr nahezu ausschließlich Großanlagen, die das Modell der zentralen Stromproduktion in den Händen einiger weniger vorschreiben. Nur weil die Photovoltaik als die sauberere Alternative zur herkömmlichen Stromproduktion gilt, verheißt die Verwendung der Technologie an sich noch nicht den Übergang zu einer dezentraleren und somit demokratischeren Stromproduktion. Und sie alimentiert den umweltzerstörendsten aller Wirtschaftsbereiche, den Bergbau. Dessen Hunger nach Rohstoffen, Energie, Land und Wasser geht ungebremst weiter. Nur erscheint die Produktion in Zukunft nach außen ein wenig grüner.
„Wir werden in der Nutzung sauberer Energiequellen einer der führenden Bergbaukonzerne werden“, rühmt sich der Manager der Kupfermine Los Pelambres, Robert Mayne-Nichols, gegenüber dem pv magazine. Neben anderen erneuerbaren Energien nutzt Los Pelambres seit 2015 auch Photovoltaik. Die Kupfermine Los Pelambres in der Coquimbo Region, die der in Chile größten privaten Bergbaugruppe Antofagasta Minerals S.A. gehört und zu den neun größten Kupferproduzenten weltweit, hat mit SunEdison einen Vertrag für die Stromversorgung durch eine 69,5 Megawatt-Anlange geschlossen. Die Bevölkerung der Gemeinde Caimanes hat von der so publicitywirksamen umweltbewussten Energieversorgung der Mine jedoch nichts. Sie kämpft seit 14 Jahren gegen die Wasserverschmutzung, die Los Pelambres verursacht. Im Jahr 2014 und jüngst im März dieses Jahres haben die Anwält*innen der Gemeinde Caimanes in den zwei Klagen recht bekommen. Los Pelambres legte in beiden Fällen Widerspruch ein. Der Rechtsstreit dreht sich um das Deponiebecken El Mauro, in dem die hochgiftigen Schlammabfälle gelagert werden. Zum einen fordert die Gemeinde sauberes Wasser und zum anderen den Umbau des neu geplanten El Mauro, sodass das Flussbett vom Pupío frei bis zur Gemeinde fließen kann. Ohne den Zugang zu sauberem Wasser werden die Lebensgrundlagen der Bewohner*innen von Caimanes zerstört. „Saubere“ Energiequellen trumpfen bei Los Pelambres sauberes Wasser – „grün“ ist die Produktion nur, wenn sich Kapital daraus schlagen lässt. Das, was in diesem Sektor derzeit in Chile passiert, zeichnet sich dem Branchenmagazin Energy and Mines zufolge auch in Afrikas Minensektor ab. Und Lobbyist*innen aus dem erneuerbaren Energiesektor bescheinigen dem Minensektor für die nächsten fünf Jahre weltweit einen Boom von satten 350 Milliarden US-Dollar Investitionen in die Stromversorgung allein durch die „Erneuerbaren“. Die Photovoltaik wird bei diesen Marktpreisen davon einen deutlichen Anteil haben. Eine Änderung des Wirtschaftsmodells steht damit aber nicht auf der Agenda. Der game changer ist die Photovoltaik so nicht.
Netzparität und Solarstromgestehungskosten
Im Bereich der erneuerbaren Energien bezeichnet der Begriff Netzparität (grid parity) den Zeitpunkt, ab dem die Kosten für Strom aus erneuerbaren Energiequellen genauso hoch sind wie der Einkauf von herkömmlichem Strom vom Netzversorger. Dies ist der Fall, sobald die Solarstromgestehungskosten – also alle Kosten von Planung, Kauf, Aufbau, Kredit, Wartung, Rückbau und Entsorgung umgerechnet auf die erwartete Lebensdauer und Strom-Output geteilt auf die Kilowattstunde – gleich den oder unter den Preisen anderer Energieträger liegen.