Guatemala | Nummer 305 - November 1999

Stagnation oder Rückschritt

Die Linke ist bei den Wahlen in Guatemala chancenlos

Am 7. November 1999 finden in Guatemala die ersten allgemeinen Wahlen seit Ende des bewaffneten Konfliktes statt. Die GuatemaltekInnen sind dazu aufgerufen, den Präsidenten, die Parlamentsabgeordneten sowie die Gemeindevertretungen neu zu wählen. Allerdings haben nur zwei der insgesamt elf PräsidentschaftskandidatInnen reale Aussichten auf das höchste Staatsamt: Oscar Berger, der bisherige Bürgermeister der Hauptstadt, der für die regierende Partei des nationalen Fortschritts (PAN) antritt und Alfonso Portillo von der Republikanischen Front (FRG), der Partei des ehemaligen Diktators Efraín Rios Montt. Letzerer lag den neuesten Umfragen zufolge mit 37 Prozent gegenüber 29 Prozent für Berger in Führung. Alvaro Colom, der Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses Allianz Neue Nation (ANN), das von der ehemaligen Guerilla URNG (Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas) angeführt wird, liegt mit 6 Prozent weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß keiner der beiden Favoriten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erzielen wird, womit im Januar eine Stichwahl fällig ist.

Christine Hatzky, Informationsstelle Guatemala

Allen bisherigen Prognosen und WählerInnenumfragen zufolge zeichnet sich ein düsteres Panorama für die Zukunft Guatemalas ab. Es ist zu befürchten, daß ein Sieg Portillos und der FRG den dreijährigen Friedensprozeß endgültig beenden würde. Bereits vor einigen Wochen verkündeten die zur Anhängerschaft der FRG gehörenden Mitglieder der ehemaligen Zivilpatrouillen (PAC) triumphierend, sie würden nach dem Sieg Portillos alle MenschenrechtsaktivistInnen umbringen. Die FRG selbst weigert sich kategorisch, über ihre Mitverantwortung bei den Menschenrechtsverletzungen der achtziger Jahre zu sprechen, und dementsprechend spielen die Friedensabkommen in ihrem Wahlprogramm auch keine Rolle. Hinzu kommt, daß kurz vor der letzten WählerInnenumfrage in Guatemala bekannt wurde, daß Portillo Anfang der achtziger Jahre in Mexiko bei einem privaten Streit zwei seiner Widersacher erschoß, sich dem Gerichtsverfahren entzog und die Tat mittlerweile verjährt ist.
Paradoxerweise führte dies dazu, daß seine Beliebtheit bei den Umfragen noch anstieg – obwohl in der gleichen Umfrage die große Mehrheit der Befragten angab, daß sie keine Partei wählen würden, die Menschenrechtsverletzer als Kandidaten aufstellt. Und gerade an solchen Kandidaten mangelt es der FRG nicht. Der bekannteste unter ihnen ist Rios Montt, auf dessen Konto die schwersten, in den achtziger Jahren begangenen Menschenrechtsverletzungen gehen und der den ersten Listenplatz als Parlamentskandidat besetzt.
Die seit Anfang 1996 regierende PAN unter Präsident Alvaro Arzú, die im Dezember 1996 mit der ehemaligen Guerilla URNG die Friedensabkommen unterzeichnete, bekannte sich bislang verbal zum Frieden. Sie zeigte sich aber in der politischen Praxis als unfähig und unwillig, die Vereinbarungen des Abkommens umzusetzen – was sie nicht davon abhält, sich in diesem Wahlkampf als Garant der Friedensabkommen zu präsentieren. Dieser offensichtliche Verlust an politischer Glaubwürdigkeit kommt jetzt den ultrakonservativen und rechten Kräften des Landes, sprich der FRG, zugute.

Keine Alternative in Sicht

Aber auch das Vakuum links von PAN und FRG, das Fehlen einer politischen Alternative, die der Bevölkerungsmehrheit einen realen Ausweg aus ihrem wirtschaftlichen und sozialen Dilemma zeigen könnte, begünstigt diese Entwicklung. Daran konnte auch die im April gegründete ANN, ein Bündnis zwischen der URNG, der Demokratischen Front Neues Guatemala (FDNG) – die bei den Wahlen 1995 sechs Parlamentssitze errang – sowie den beiden Parteien DIA (Authentische Integrale Entwicklung) und UNID (Einheit der Demokratischen Linken), nichts ändern. Als Alternative zu den etablierten Parteien angetreten, legte die ANN bereits im Mai ihr Regierungsprogramm und die Wahlplattform vor, die ein klares Bekenntnis zu den Friedensabkommen und ihrer Umsetzung enthalten. Das Bündnis war allerdings nur von kurzer Dauer und spaltete sich im August. URNG, DIA und UNID gehen als ANN weiterhin mit ihrem Präsidentsschaftskandidaten Colom, einem fortschrittlichen Unternehmer, der in der Vergangenheit den Friedensfonds (FONAPAZ) und die Schlichtungsstelle für Landkonflikte (CONTIERRA) leitete, und Vitalino Similox, einem indigenen Priester und Sprecher der Protestantischen Kirchenkonferenz (CIEDEG), als Vizepräsidentschaftskandidat ins Rennen. Die FDNG hingegen, die Teile ihre AnhängerInnenschaft, unter ihnen die Kongreßabgeordnete und bekannte Menschenrechtlerin Nineth Montenegro, an die ANN verlor, hat als Präsidentschaftskandidatin die frühere christdemokratische Politikerin Catalina Soberanis aufgestellt und als Vizepräsidentschaftskandidaten Juan León, indigener Vertreter der Defensoría Maya. Die Abspaltung der FDNG, die insbesondere unter der indigenen Bevölkerung Vertrauen genoß, könnte jetzt dazu führen, daß diese ein noch größeres Desinteresse an den Wahlen zutage legt als 1995. (Näheres zur Spaltung siehe Kasten)

Ungünstige Vorzeichen

Es zeichnet sich ab, daß die Mehrheit der Bevölkerung den Urnen fernbleiben wird. Bereits im Mai, als das Referendum zur Änderung der Verfassungsreformen scheiterte, womit unter anderem die rechtliche Gleichstellung der indigenen Bevölkerung verhindert wurde, hatten sich über 80 Prozent der Bevölkerung der Stimme enthalten. Das niederschmetternde Ergebnis gab konservativen Kräften im Lande einen enormen Auftrieb, es verdeutlichte die Schwäche des Friedensprozesses und die Spaltung Guatemalas in eine weiße städtische Minderheit der Mittel- und Oberschicht gegenüber dem Gros der verarmten indigenen Bevölkerung ländlicher Regionen.
Die Ursachen für diese Abstinenz sind vielschichtig. Abgesehen vom Fehlen einer glaubwürdigen Politik, die die Interessen der Bevölkerungsmehrheit vertritt, hat vor allem die ländliche Bevölkerung kaum Zugang zu Informationen, geschweige denn die Möglichkeit, sich überhaupt an den Wahlen zu beteiligen. Die Einschreibung ins Wahlregister ist ein komplizierter, mit hohen Kosten verbundener Vorgang, und die Wahlurnen, die sich nur in den Bezirksstädten befinden, sind für die BewohnerInnen abgelegener Landstriche kaum zu erreichen.
Trotz der Anstrengungen, die der Oberste Wahlrat und verschiedene Volks- und Basisorganisationen in den letzten Monaten unternahmen, um die Zahl der Einschreibungen ins Wahlregister zu erhöhen, waren nach Ablauf der Frist im August lediglich 4,3 der 6 Millionen Wahlberechtigten registriert.
Entscheidend für das Desinteresse an den Wahlen ist jedoch die Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerungsmehrheit seit dem Friedensschluß. Der neoliberale Wirtschaftskurs der PAN-Regierung führte zunehmend in die ökonomische Krise und jüngst gar zu einer dramatischen Abwertung der nationalen Währung. Auch die vorherrschende Straflosigkeit wurde von der Regierung nicht bekämpft – als ein Beispiel sei hier nur der bis heute ungeklärte Fall der Ermordung von Bischof Juan Gerardi im April 1998 genannt. Die Regierung hielt es ebensowenig für nötig, auf die Empfehlungen des im Februar 1999 veröffentlichten Berichts der Wahrheitskommission zu antworten, die der Aufklärung der Verbrechen der Vergangenheit und der Entschädigung der Opfer der Repression dienen sollen. Die zunehmende Lynchjustiz innerhalb der Bevölkerung zeigt, daß es die Regierung noch nicht einmal geschafft hat, das korrupte und ineffiziente Justizsystem so weit zu verbessern, daß wenigstens der normalen Delinquenz Einhalt geboten wird. Gerade dies begünstigt den rechten Populismus des FRG-Kandidaten Portillo, der sich als ein Schwerpunktthema seiner Wahlkampagne die Schaffung von Sicherheit und Ordnung auf die Fahnen geschrieben hat.

Schlammschlachten

Abgesehen von der Spaltung der Linken, die die ANN zahlreiche Stimmen kosten wird, sind auch ihre Wettbewerbsbedingungen gegenüber einer PAN oder FRG extrem ungleich. Die Bedrohungen gegenüber AktivistInnen der Linken waren in den vergangenen Monaten ungleich höher als gegen die AnhängerInnen der rechten Parteien. Hinzu kommt, daß die in den Friedensabkommen vereinbarte Reform des Wahlgesetzes, womit die (finanziellen) Wahlkampfbedingungen für alle Parteien definiert werden sollten, bisher nicht realisiert wurde. Die beiden Rechtsparteien verfügen über einen großen finanziellen und politischen Rückhalt ihrer jeweiligen Klientel. Bei der PAN sind dies die Modernisierer unter den Unternehmern, die den neoliberalen Wirtschaftskurs der Regierung Arzú unterstützen, wohingegen die FRG auf die Unterstützung der Oligarchie, der Großgrundbesitzer und der Militärs zählen kann. Die Wahlkampagnen beider Parteien werden dementsprechend mit großem finanziellen Aufwand betrieben und „Wahlkampfgeschenke“ großzügig verteilt.
Bis auf die ANN hielten es alle anderen Parteien nicht für nötig, ihr Regierungsprogramm vor Mitte September zu präsentieren. Die Programme unterscheiden sich nicht wesentlich und beinhalten wahlkampftaktische Themen wie die Schaffung von Arbeitsplätzen, Sicherheit, Korruptionsbekämpfung, Erziehung und Gesundheit – allerdings ohne darauf einzugehen, wie diese Ziele konkret erreicht werden könnten. Überhaupt sind Inhalte im Wahlkampf Mangelware, wie einer der gängigen Wahlkampfslogans „Wir alle lieben die PAN!“ verdeutlicht. In erster Linie geht es darum, den jeweiligen politischen Gegner zu vernichten. Die Präsidentschaftskandidaten ersetzen ernsthafte politische Debatten durch gegenseitige Beschuldigungen, die Wahlkampftrupps von PAN und FRG liefern sich Straßenschlachten.
In den Tenor der rechten Propaganda reihen sich noch weitere kleine Parteien ein, wie die Acción Reconciliadora Democrática (ARDE) mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Francisco Bianchi. Der evangelikale Sektenführer Bianchi, der erfolgreich eine millionenschwere Propagandakampagne gegen die Volksabstimmung im Mai führte, setzt sich für die vollständige Erhaltung der Struktur und der Funktion des Militärs ein. Und die Liberale Progressive Partei (PLP), die den ehemaligen Generalstaatsanwalt Acisclo Valladares als Präsidentschaftskandidaten aufgestellt hat, plädiert gar für die konsequente Anwendung der Todesstrafe, „um den Respekt vor dem Leben zu retten“.

Die große Kluft

Die Stimmen der zivilen Gesellschaft, die an einer ernsthaften Fortführung des Friedensprozesses interessiert sind, kommen kaum gegen die Propagandamaschinerie der einflußreichen Parteien an. Verschiedene Menschrechtsorganisationen riefen im August die Bevölkerung dazu auf, keine Partei zu wählen, unter deren Kandidaten sich Menschenrechtsverletzer befinden – offenbar ein erfolgloses Unterfangen. Ein Bündnis von über 40 Organisationen der zivilen Gesellschaft, die sich zu der Koordination „Ja für den Frieden“ zusammenschlossen, stellte einen Minimalkatalog von Themen auf, die von der künftigen Regierung umgesetzt werden sollen. Die Themenliste fußt auf den Vereinbarungen der Friedensabkommen. Bislang verpflichteten sich nur ANN, FDNG und PAN, diese zu respektieren.
Auffällig ist auch, daß keine Partei das Problem der ungelösten Landfrage in den Vordergrund stellt. Der Dachverband der Campesino/a-Organisationen (CNOC) kritisierte dies in einem vor kurzem veröffentlichten Kommuniqué und rief Indígenas und Campesinos/as dazu auf, sich am 12. Oktober an einem landesweiten Sternmarsch zur Verteidung ihres Rechts auf Land zu beteiligen. „Von den Parteien, die darum kämpfen, an die Regierung zu kommen, hat keine einzige Vorschläge gemacht, wie die Inhalte des Friedensabkommens umgesetzt werden können. Keine der Parteien hat konkrete Vorschläge gemacht, wie die Landproblematik gelöst werden kann“. Damit benennt CNOC die große Kluft zwischen den Parteien und den Bedürfnissen der Bevölkerung, die auch die ANN nicht überwinden konnte.
Hinsichtlich der prekären wirtschaftlichen und sozialen Situation der Mehrheit der GuatemaltekInnen wird sich zukünftig weder unter einer PAN noch unter einer FRG-Regierung etwas ändern. Die Hauptgefahr ist jedoch, daß unter einer FRG-Regierung die Menschenrechtsverletzungen weiter ansteigen und die Vergangenheitsbewältigung kaum noch thematisiert wird – einhergehend mit der zu erwartenden Stärkung der Armee ein großer Rückschritt in die Vergangenheit.

KASTEN

Spaltung der ANN

Die wirklichen Gründe der Auseinandersetzungen innerhalb der ANN, die zum Ausschluß der FDNG führten, sind schwer nachzuvollziehen. Den offiziellen Erklärungen der ANN zufolge soll der aktuelle Generalsekretär der FDNG, Rafael Arriaga, versucht haben, den Einfluß seiner Klientel innerhalb der ANN zu stärken, was von der ANN strikt abgelehnt wurde. Arriaga entstammt der Partido Revolucionario (PR), die in den Jahren der Repression in Guatemala eine zwielichtige Rolle spielte. Allerdings hatte die FDNG bei ihrer Gründung 1995 das Problem, daß sie sich, um den für eine Aufstellung zu den Wahlen erforderlichen legalen Parteistatus zu erhalten, mit der PR zusammenschließen mußte. Der Rausschmiß Arriagas und der FDNG hatte zur Folge, daß innerhalb der FDNG auch Differenzen zutage traten, die dazu führten, daß etwa die FDNG-Abgeordnete Nineth Montenegro und ein Teil der Führungsspitze der FDNG zur ANN übertraten. Die restlichen fünf FDNG-Abgeordneten, unter ihnen Rosalina Tuyuc von der Witwenorganisation CONAVIGUA, verblieben bei der Partei, obwohl sie sich nicht hinter Arriaga stellen. Im Vorfeld der Spaltung des Bündnisses kam es außerdem zwischen der URNG und der FDNG zu Unstimmigkeiten über die zu vergebenden Listenplätze. Das deutlichste Beispiel hierfür ist wohl der Fall von Rosalina Tuyuc, die als sichere Kandidatin für die Vizepräsidentschaft galt, im Mai jedoch dem Favoriten der URNG, Vitalino Similox, weichen mußte. Dies löste allgemeine Verwunderung aus, da Tuyuc gerade innerhalb der indigenen Bevölkerung großes Vertrauen besitzt.

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