Berlinale

Steine im Gepäck

O Estranho beleuchtet die indigene Vorgeschichte des größten Flughafens von São Paulo

Von Dominik Zimmer

Foto: Flora Dias, Juruna Mallon

Der Flughafen Guarulhos in São Paulo ist der größte Airport Lateinamerikas. Sein Bau wurde von der Militärdiktatur beschlossen und 1985 begleitet von Protesten abgeschlossen: Für den Aeroporto Guarulhos musste eines der letzten Schutzgebiete des atlantischen Regenwaldes in Brasilien abgeholzt werden. Die Siedlungen auf dem Gelände wurden zerstört, viele Indigene verloren dadurch ihre Heimat. Einige von ihnen fanden später auf dem Flughafengelände Arbeit.

Der Film O Estranho (Der Fremde) folgt den beiden indigenen Frauen Alê und Sílvia, die in Guarulhos geblieben sind. Alê (Larissa Siqueira) arbeitet in der Gepäckabfertigung, Sílvia (Patrícia Saravi) betreibt ein Nagelstudio. Das läuft aber nicht mehr so richtig und sie plant deshalb, mit ihrer Tochter in die Stadt zu ziehen. Obwohl Sílvia eigentlich gute Gründe hat, zu bleiben: Mit Alê beginnt sie gerade eine Beziehung und außerdem ist sie aktiver Teil der Candomblé-Religionsgemeinschaft in der Nähe. Alê ist dagegen fest entschlossen, zu bleiben. Für sie ist Guarulhos nach wie vor das Land, auf dem sie geboren ist und sich heimisch fühlt. Als kleine Rache klaut sie Passagier*innen Fotos aus dem Reisegepäck im Fundbüro und lässt dafür Steine dort zurück – eine Erinnerung an das indigene Erbe von Guarulhos.

Die Regisseur*innen Flora Dias und Juruna Mallon lassen O Estranho wie eine Dokumentation aussehen, obwohl Charaktere und Handlung fiktional sind. Ihre Figuren wandern über das Flughafengelände und die umliegende Natur und stoßen immer wieder auf Spuren und Hinterlassenschaften der indigenen Geschichte. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Flüsse, früher Lebensadern, heute zubetoniert und verschmutzt. Der Blick schwenkt auch zu den Flughafenarbeiter*innen, die in dünn besetzten Teams arbeiten und für ihre Rechte kämpfen müssen. Und zu den heutigen Indigenen, die sich nicht vertreiben lassen und auf dem Rest des ihnen einst zugewiesenen Gebietes eine neue Siedlung errichten.

Die dokumentarische Herangehensweise – es werden auch Archivmaterial und zu Beginn nicht-chronologische Momentaufnahmen aus der Geschichte von Guarulhos gezeigt – kann ab und zu etwas verwirren. Das gleiche gilt für die Erzählweise: Ein durchgehender Plot ist nicht wirklich auszumachen, stattdessen springt der Film zwischen verschiedenen Personen und Episoden hin und her. Das macht O Estranho vor allem für Zuschauer*innen außerhalb Brasiliens etwas herausfordernd, denn nicht jede*r dürfte beispielsweise mit der indigenen Geschichte des Landes tiefer vertraut sein. Dennoch ist der Film eine weitgehend interessante Lektion über ein Stück brasilianische Geschichte, das bislang noch wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.


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