Steuerreformen mit deutscher Hilfe
Renaissance der Steuern im Land der bärtigen Revolutionäre
Steuern waren in Kuba seit langem aus der Mode. Zwar wurde das Steuersystem nach der Revolution von 1959 nicht abgeschafft, aber da Steuern aus Sicht der Revolutionäre um Fidel Castro als “kapitalistisches Instrument” galten, blieben im Laufe der Jahre nur noch Rudimente davon übrig. Parallel zum Steueraufkommen sank auch die Zahl der Selbständigen auf nahe Null.
Erst im September 1993 sollte sich daran etwas ändern. Um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, entschloß sich die Regierung einige Berufsgruppen für die Eigeninitiative freizugeben: Klempner, Schuster und Seifensieder konnten sich genauso selbständig machen wie die Anbieter sogenannter leichter Lebensmittel. Die ungenaue Definition ließ den findigen KubanerInnen vielfältige Möglichkeiten der Interpretation: StraßenverkäuferInnen, die bis dato illegal Kuchen und Süßigkeiten feilboten, fühlten sich genauso angesprochen wie Imbiß- oder RestaurantbetreiberInnen. Dies zog eine anfängliche Flut von Anträgen für die Lizenz zur “Arbeit auf eigene Rechnung”, wie das ganze offiziell heißt, nach sich.
Damit stellte sich allerdings die Frage, wie der sich nun entwickelnde Privatsektor einen Beitrag zur Konsolidierung des hoch defizitären Staatshaushalts leisten könne – die Erhebung von Steuern kam erstmals seit Mitte der sechziger Jahre wieder ins Gespräch und dann schneller als erwartet zum Einsatz. Die nahezu symbolischen Gebühren, die mit der Bewilligung für die Arbeit auf eigene Rechnung monatlich fällig wurden, markierten den Beginn der Wiedereinführung eines mehrschichtigen Steuersystems.
Deutsche Hilfe
“Die kubanische Regierung wollte sich bei der Einführung der Steuern von Fachleuten – vorzugsweise Deutsche – beraten lassen. Die Mitglieder einer Bundestagsdelegation und die Friedrich-Ebert-Stiftung fragten dann bei mir an, und seit April 1995 bin ich als Berater des kubanischen Finanzministeriums tätig”, erklärt der sechzigjährige Horst Gobrecht, ehemaliger Finanzsenator der Stadt Hamburg. Viel hat sich seit Gobrechts erstem Besuch in Kuba getan. Während 1993 gerade fünf Prozent der Staatseinnahmen Steuereinnahmen waren, kalkulierten die Fachleute der nationalen Steuerverwaltung 1996 schon mit 50 Prozent. Ohne die Steuereinnahmen wäre die Konsolidierung des Staatshaushalts nicht zu realisieren gewesen.
Noch 1993 belief sich das Haushaltsdefizit auf fünf Milliarden Peso oder 30 Prozent des kubanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Bereits im folgenden Jahr konnte das Defizit durch strikte Sparmaßnahmen und Einnahmesteigerungen auf 1,4 Milliarden Peso gesenkt werden. 1995 belief es sich dann nur noch auf 775 Millionen, und 1996 waren es nur noch 570 Millionen Pesos.
“Der sprunghaft wachsende Steueranteil am kubanischen Haushalt zeigt, wie sehr die Gesetze bereits gegriffen haben, obgleich sie alle noch taufrisch sind. Am 1. Januar 1996 wurde das erste Einkommensteuergesetz in Kraft gesetzt, wenige Monate später folgte das zweite und auch das Körperschaftssteuergesetz wurde vor fast einem Jahr verabschiedet,” erklärt Gobrecht rückblickend.
Allerdings stöhnen die KubanerInnen auch über die Höhe der Steuern und Gebühren, die sie zu entrichten haben. Internationale BeobachterInnen spekulierten deshalb, ob der noch kleine kubanische Privatsektor nicht via Steuerschraube erdrosselt werden sollte. Von den Mitte 1996 rund 200.000 Selbständigen in Kuba haben der Wochenzeitung tribuna zufolge bis zum Jahreswechsel etwa 43.000 ihre Lizenz zurückgegeben und der Selbständigkeit den Rücken gekehrt. Für Gobrecht ist dies allerdings kein Grund zur Beunruhigung.
Er sieht die eigentliche Ursache für ihr Aufgeben in den Risiken der Selbständigkeit. “Viele der neuen Selbständigen haben sich schlicht verkalkuliert. Mit allzu naiven Vorstellungen – der Hoffnung auf das große Geld – begaben sich viele in die Selbständigkeit und wurden enttäuscht. Ihre Kapitaldecke war oftmals zu dünn, so daß sich die Spreu vom Weizen trennte.” Auch die teilweise willkürliche Erhebung zusätzlicher Gebühren durch die Gemeinden sieht er nur als Übergangsproblem. Fälle, in denen die kleinen in Kuba weit verbreiteten Restaurants, die sogenannten paladares, mit Gebühren bedacht werden, die ihren Umsatz überschreiten, seien die Ausnahme und nicht die Regel. “Es mag sein, daß einzelne Unternehmer ihre Tätigkeit wegen dieser Gebührenschwemme eingestellt haben, vielleicht haben andere auch das Handtuch geschmissen, weil sie von staatlichen Kontrolleuren schikaniert wurden, an die sie nicht wie sonst üblich Schmiergeld gezahlt haben. Dies dürften allerdings die wenigsten sein. Was aber stimmt, ist, daß Grenzen der Gebühren festgelegt werden sollten und daß derartige Zahlungen von der Steuer voll abzugsfähig sein müssen. Bisher sind sie es leider nur zu zehn Prozent.”
Mit Steuern steuern
Die Grundlage des derzeitigen kubanischen Steuersystems bildet die Einkommenssteuer mit einem Eingangssatz von zehn und einem Spitzensatz von 50 Prozent, sowie die noch nicht vollständig eingeführte Umsatzsteuer. In absehbarer Zeit soll auch eine Lohnsteuer eingeführt werden, die aber erst verabschiedet wird, wenn der wirtschaftliche Aufschwung den Kuba momntan erlebt, anhält. Ihre Einführung soll mit spürbaren Lohnerhöhungen kombiniert werden, um für die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen.
Doch bis dahin könnte es noch ein wenig dauern. Die Arbeitslosigkeit steigt nämlich, ein Problem, das den Staatshaushalt erneut in eine Schieflage bringen könnte. Derzeit sind zwar nur rund acht Prozent der Erwerbstätigen ohne Arbeit, allerdings schätzen kubanische SozialwissenschaftlerInnen, daß rund 500 – 800.000 ArbeitnehmerInnen in den nächsten Jahren in die Arbeitslosigkeit entlassen werden müssen, um die staatlichen Betriebe effizienter zu machen. Wo diese ArbeitnehmerInnen unterkommen sollen, weiß derzeit niemand, denn Arbeitskräfte werden derzeit nur in den unattraktiven Berufen gesucht: in der Landwirtschaft oder auf dem Bau – unannehmbar für viele der von Entlassung bedrohten. Die dritte Alternative, die Privatwirtschaft, wurde noch 1995 von der Regierung als aussichtsreichste Alternative bezeichnet: hier sollte das Gros der Arbeitsuchenden Fuß fassen. Dazu jedoch müßte Gobrecht zufolge der Rahmen für die Privatinitiative weiter gefaßt werden. “Letztlich ist dies eine ideologische Frage: die einen wehren sich gegen eine “Kapitalisierung” der kubanischen Wirtschaft, die anderen betrachten sie als wirtschaftspolitische Notwendigkeit.” Keine der beiden Fraktionen hat sich bisher durchsetzen können. Die für 1996 angekündigte Entlassungswelle wurde zurückgenommen. Das Phänomen der Unterbeschäftigung aber ist allerorten in Havanna zu beobachten, wo die Menschen durch die Straßen flanieren, da sie schon nach ein, zwei Stunden Arbeit nach Hause geschickt werden. Eine Lösung dieses Problems ist auch nach Einführung von Steuern nicht in Sicht.