Kolumbien | Nummer 585 - März 2023 | Politik

STOCKENDE REFORMEN

Kolumbiens Präsident Petro plädiert mit einer langen Rede für seine Arbeitsreform und sein ambitioniertes Reformpaket

Weniger Arbeitsstunden pro Woche und bezahlte Überstunden. All das soll die Arbeitsreform der Regierung Petro bringen, die am 16. März 2023 dem Kongress zur Debatte vorgelegt wird. Diese ist nur ein Teil des ambitionierten Reformpakets, mit dem der kolumbianische Präsident sein Versprechen auf einen tiefgreifenden Wandel des Landes nachzukommen versucht. Doch die Herausforderungen für seine großen Pläne sind nicht zu übersehen: Den Zusammenhalt seiner Regierungskoalition sollte Petro dabei nicht aus den Augen verlieren.

Von Anderson Sandoval

Steht vor großen Herausforderungen Petro bei seiner Amtseinführung (Foto: Raúl Ruiz-Paredes via Flickr, CC BY-SA 2.0)

„Der kürzlich veröffentlichte Index für ungewöhnliche Arbeitsbedingungen bezüglich der Arbeitszeiten in den OECD-Ländern (Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) zeigt bedauerlicherweise, dass Kolumbien zusammen mit der Türkei auf dem letzten Platz liegt. Im Vergleich zu den anderen Ländern in der OECD sind wir Gesellschaften, die ihre Arbeitnehmer am meisten ausbeuten, obwohl sie den Reichtum produzieren“ – sagte Präsident Petro vom Balkon des Regierungspalast aus, in einer langen Rede am 14. Februar.

In seiner Rede versuchte er die Menge seiner Anhänger*innen zu begeistern, und somit seiner Arbeitsreform breite Unterstützung zu verschaffen. Seine Absicht ist es, einen Großteil der Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeit umzukehren, die von Präsident Álvaro Uribe im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ergriffen wurden. Damit soll die Prekarisierung der Arbeit bekämpft und Arbeit würdevoller gestaltet werden.

Obwohl der Entwurf der Reform noch nicht vorliegt, hat die Regierung bereits begonnen, erste Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Ende 2022 schlug Petro vor, den öffentlichen Dienst in Rekordzeit zu professionalisieren. Sein Plan sieht vor, die Verträge zur Erbringung von Dienstleistungen – kurzzeitige Werkverträge – im öffentlichen Dienst abzuschaffen. Mit diesen Verträgen kann eine Person nur für ein paar Monate eingestellt werden, also nur für eine kurze Zeit ohne Anrecht auf soziale Leistungen. Dadurch erspart sie dem Arbeitgeber, Urlaub zu bezahlen oder das Gehalt aufgrund von Betriebszugehörigkeit zu erhöhen. Wenn diese Regelung abgeschafft wird, müssen Arbeitskräfte nicht befürchten, ihren Job nach einigen Monaten zu verlieren, wenn sie sich einer Gewerkschaft anschließen oder Urlaub fordern.

Laut dem Plan der Regierung sollen alle Staatsangestellten innerhalb weniger Monate eine feste Anstellung bekommen. Allerdings haben Stimmen innerhalb derselben Regierung diesen Plan in Frage gestellt. Zum Beispiel glaubt César Manrique, Direktor der Verwaltungsabteilung des öffentlichen Dienstes, dass dieser Wechsel sehr viel langsamer sein wird, da sechs von zehn öffentlichen Angestellten über diese Form der Anstellung verfügen – fast eine Million Arbeiter*innen. „Außerdem werden viele dieser Werkverträge verwendet, um politische Gefälligkeiten zu bezahlen“, sagte Manrique dem Magazin Cambio. Die Arbeitsministerin Gloria Inés Ramírez, ehemalige Gewerkschafterin und Mitglied der kommunistischen Partei, sagte ebenfalls, dass die Reform in wenigen Monaten „unmöglich umzusetzen ist“ und warnte davor, dass Eile in dieser Angelegenheit zu einer Lähmung des Staates führen kann. Trotzdem teilt auch Ramírez Petros Ambitionen. Im Februar sagte sie der Zeitung El Tiempo: „Alle Verträge müssen unbefristet und mit Sozialversicherung sein. Wir müssen die Prekarisierung der Arbeit beenden.“ Verträge mit befristeter Laufzeit sollten nur in Ausnahmefällen abgeschlossen werden, so die Ministerin. In Kolumbien arbeiten rund 2,5 Millionen Menschen, etwa 20 Prozent der Arbeitskräfte des Landes (laut dem staatlichen Statistikamt DANE), im Rahmen dieser Regelung.

Darüberhinaus begeisterte Petro in seiner Ansprache die Menge mit der Forderung, dass „der Arbeitstag um 18 Uhr enden sollte, nicht um 22 Uhr.“ So wird erwartet, dass Arbeitskräfte ab 18 Uhr Nachtzuschläge erhalten. Dies würde auch für die Arbeit an Samstagen oder Sonntagen gelten, Tage, die laut Petro „als Ruhezeit betrachtet werden sollten.“ Diese Maßnahmen würden auch Änderungen rückgängig machen, die Uribe vor 20 Jahren einführte, welche die Arbeitgeber*innen von Überstundenzahlungen bis 21 Uhr befreite. Außerdem soll die Reform unter anderem die Beschäftigung bei digitalen Plattformen wie Uber reglementieren. Voraussichtlich sind dadurch keine großen Maßnahmen zur Lösung der informellen Beschäftigung zu erwarten. Denn 58,2 Prozent der kolumbianischen Arbeitnehmer*innen haben keinen Arbeitsvertrag oder ein festes Gehalt, und zahlen auch keine Sozialabgaben. Dabei handelt sich meistens um Menschen wie beispielsweise Straßenverkäufer*innen und Schwarzarbeitende.

Das Reformpaket stellt Petro und seine VErbündeten vor Herausforderungen

Die Arbeitsreform ist nur eine von vielen Reformen, die die Regierung in der ersten Hälfte des Jahres 2023 vorlegen will. Eine Reform des Gesundheitssystems soll die enormen Korruptionsprobleme der privaten Krankenkassen (Empresa Prestadora de Servicios, EPS) angehen. Eine Reform des Rentensystems soll das private individuelle Sparmodell reduzieren, und ein öffentliches, solidarisches System stärken.

Am Tag von Petros Rede wurde dem Kongress auch der Entwurf für die Gesundheitsreform vorgelegt. Diese Reform sieht vor, dass der Staat die Verwaltung des Gesundheitsbudgets wieder übernimmt. Die Kritik sowohl aus der Regierungskoalition als auch von der Opposition ließ nicht lange auf sich warten. Einen Tag nach Petros Rede sprach sich die Opposition mit Demos gegen die Reformen aus. Sogar Roy Barreras, der Präsident des Kongresses und ein Verbündeter von Petro, hat den Vorschlag der Ministerin heftig kritisiert: der Staat habe nicht die Kapazität, eine Milliarde Vorgänge wie Arztbesuche und Rezepte pro Jahr zu kontrollieren und zu verwalten, deshalb sei ein privater Vermittler notwendig.

Dieser Entwurf hat auch die erste Krise im Kabinett verursacht, denn Alejandro Gaviria, zwischen 2012 und 2018 Gesundheitsminister und heute Bildungsminister unter Petro, hat in zwei vertraulichen Dokumenten die Reform unter scharfe Kritik gestellt. Diese Dokumente wurden geleakt, was das Misstrauen des Präsidenten Gaviria gegenüber weckte. Am 27. Februar, nach etwa einem Monat Krise, kündigte Petro den Rücktritt Gavirias an. Auch die geplante Rentenreform hat zu Konflikten zwischen dem Präsidenten und seinem Finanzminister José Antonio Ocampo geführt. Die Dissonanz beruht darauf, dass Petro will, dass nur Personen mit hohen Einkommen privat für ihr Alter sparen. Ocampo hingegen ist der Meinung, dass individuelles Sparen nicht zu sehr eingeschränkt werden sollte. Laut Ocampo könnten durch die Gesetzesänderung und den Wegfall ihrer jetzigen Klient*innen, die Privatfonds gefährdet werden. Nicht zu vergessen ist hierbei, dass die privaten Rentenfonds zu den größten Kreditgebern des Staates gehören. Petro und Ocampo sind sich jedoch darin einig, dass Geringverdiener*innen in einem öffentlichen und solidarischen Rentensystem besser geschützt wären.

Es wird Regierbarkeit benötigt, aber es ist Wahlzeit

Petro plant, dieses umfangreiche Reformpaket vor Mitte des Jahres zu verabschieden. Aber die Kongresskoalition, die er zu Beginn seiner Regierung aufgebaut hat und die sich gegen die extreme Rechte durchsetzen konnte, besteht nicht nur aus Sympathisant*innen. Auch die Konservativen und die Liberalen gehören dazu: etablierte Parteien, die bis zum letzten Jahr auf einer anderen Seite als Petro standen. Diese fragile Allianz scheint zuweilen zu schwanken. Einerseits hat die Konservative Partei eine neue Führung gewählt: Efraín Cepeda, der ein harter Kritiker von Petro war. Andererseits hat der Präsident der Liberalen Partei, Cesar Gaviria, ein umfangreiches Dokument veröffentlicht, in dem er das von der Regierung vorgeschlagene Reformpaket kritisiert.

Vielleicht liegt hier der Grund, warum die Regierung es mit ihrem Reformpaket so eilig hat: Sie will um jeden Preis vermeiden, dass die Debatten im Kongress mit den im August beginnenden Wahlkämpfen zusammenfallen. Im Oktober 2023 werden in ganz Kolumbien Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen gewählt. Es ist vorhersehbar, dass die Parteien der Koalition versuchen könnten, sich im Wahlkampf voneinander abzugrenzen, um ein gutes Ergebnis bei den Wahlen zu erzielen.

Laut Umfragen verliert Petro an Popularität, da im Februar nur noch 39 Prozent der Kolumbianer*innen seine Regierung unterstützten, während es im Oktober noch etwa 51 Prozent waren. Wenn die Beliebtheit von Petro weiter sinkt, ist ungewiss, was für seine Koalitionsparteien wie die Konservativen und die Liberalen wichtiger ist: die Zukunft der Reformen oder sich von der Regierung zu distanzieren, um bei den lokalen Wahlen im Oktober gut abzuschneiden.

Bei all diesen Risiken ist es immer noch zu früh, zu beurteilen, was mit den geplanten Reformen passieren wird. Bisher hat die Regierungskoalition in den vergangenen Monaten trotz schlechter Aussichten solide Mehrheiten für andere wichtige Gesetze sichern können, wie zum Beispiel beim „Gesetz des totalen Friedens” (LN 584) und für eine progressive Steuerreform. Schon bald wird der Ball erneut auf Seiten des Kongresses sein. Dort scheint es ein grundsätzliches Verständnis für die Notwendigkeit der Reformen zu geben. So hat es zumindest der Präsident des Kongresses, Roy Barreras, deutlich gemacht, indem er sagte, dass die Reformen verabschiedet werden müssen¸ weil „der Wandel nicht aus Reden besteht, Wandel besteht aus Reformen.“ Sicher ist eines: Zum Erfolg der Reformen wird Petro jetzt – mehr denn je – sein kompromissbereitestes Gesicht zeigen müssen.

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