Ecuador | Nummer 507/508 - Sept./Okt. 2016

STRAFTAT: ZIVILCOURAGE

INTERVIEW MIT MARIA LUISA LOZANO AUS SARAGURO

In Saraguro protestierten im August 2015 einige hundert Menschen mit einer Straßenblockade gegen die Regierungspolitik. Zwölf Frauen wurden festgenommen, als sie einer schwangeren Frau zur Hilfe eilten. Die LN sprachen mit einer dieser Frauen, Maria Luisa Lozana, die wegen der „Lahmlegung öffentlicher Dienste“ und der Anstiftung zum Tumult verurteilt wurde.

Von Interview: Susanne Schultz
Maria Luisa Lozano (Foto: Susanne Schultz)
Maria Luisa Lozano (Foto: Susanne Schultz)

Maria Luisa Lozano, Sie wurden vor kurzem zu vier Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Wie wurde dies begründet?
Maria Luisa Lozano: Verurteilt wurde ich wegen „Lahmlegung öffentlicher Dienste“ und dazu wegen „erschwerender Umstände“. Sie behaupten, dass ich am 17. August 2015 während der Straßenblockade an der Panamericana einen Tumult organisiert und die Leute zur Straßenblockade angestachelt habe. Zudem sei ich auch verantwortlich dafür, dass Polizisten verletzt worden seien. Inzwischen habe ich Berufung eingelegt.

Was ist tatsächlich geschehen?
Es ist mir ja etwas peinlich, denn normalerweise setze ich mich aktiv für die Rechte meiner Comunidad, also meiner Dorfgemeinschaft, ein. Aber an diesem Tag war meine Tochter krank und ich war nur zufällig in der Nähe der Demonstration, weil ich dort um die Ecke Geld abheben wollte. Dann siegte eben doch die Neugier, denn ich sah viele aufgeregte Personen und überall war Polizei. Etwa 300 Leute hatten die Straße blockiert, viele Personen kannte ich aus meiner Comunidad. Kaum war ich da, warf die Polizei die ersten Tränengasbomben. Als ich zu meinem Auto fliehen wollte, weil ich keine Luft mehr bekam, hörte ich Hilfeschreie. Eine schwangere Frau aus meiner Comunidad wurde von den Polizisten brutal über die Straße geschliffen. Da rannte ich zurück und rief: ‚Ihr seid unmenschlich, lasst sie los!‘ Daraufhin befahl einer der Polizisten: ‚Nehmt die Frauen fest!‘ Sie schlugen mich und eine ältere Frau aus der Comunidad versuchte mich zu beschützen. Letztendlich wurden zwölf Frauen festgenommen. Sie hielten uns 16 Tage in Untersuchungshaft in der Provinzhauptstadt Loja und ließen uns dann wieder frei.

Wogegen protestierten denn die Leute auf der Straße?
Gegen viele Aspekte der Regierungspolitik: Für den Respekt vor der Erde, gegen den Tagebergbau. Wir hatten in unserer kommunalen Versammlung gemeinsam beschlossen teilzunehmen. Wichtig ist uns, die bilingualen Dorfschulen zu verteidigen. Diese Schulen sind mit viel Minga, also gemeinschaftlicher Arbeit aufgebaut worden, und nun schließen die Bildungsbehörden sie und konfiszieren die Schulmaterialien. Bei uns wurde ein Gemeindekindergarten geschlossen – stattdessen sollen die Frauen die Kinder nun, bevor sie sich um ihre Tiere kümmern, in ein „Kinderzentrum“ bringen. Dahin dauert es hin und zurück eine Stunde zu Fuß. Wie soll das gehen? Außerdem werden unsere Kinder so von unserer Art zu leben und zu arbeiten entfremdet. Meine Kinder sind zum Beispiel immer bei mir und lernen alles über das Säen und Ernten.

Wie bereiten Sie sich darauf vor, vielleicht ins Gefängnis gehen zu müssen?
Für mich allein, als Maria Luisa, ist das Gefängnis nicht angsteinflößend. Ich bin stark und meine Eltern, besonders meine Mutter, haben mir beigebracht zu kämpfen. Was mir aber große Sorgen macht, sind meine drei kleineren Kinder. Bevor sie geboren wurden, war ich mit meinem Mann für sechs Jahre zum Arbeiten in Spanien und ließ damals meinen Ältesten, der jetzt schon 19 ist, bei der Schwiegermutter zurück. Ich weiß, wie lange es dauert, wieder eine starke gefühlsmäßige Bindung aufzubauen. Mein Ältester hat es uns damals nicht einfach gemacht. Die aktuelle Situation belastet besonders meinen achtjährigen Sohn. Er weint immer, wenn ich das Haus verlasse: ‚Geh nicht, sonst stecken sie dich ins Gefängnis!‘ Dummerweise haben meine Kinder mal bei Bekannten ferngesehen, sahen ein Foto von mir und hörten, dass ich verurteilt wurde. Auch mache ich mir Sorgen, dass ich meine Arbeit in der Schulverwaltung verliere, wo ich etwas mehr als den Mindestlohn verdiene. Meine ganze Familie hängt davon ab.

Kennen Sie die Initiative einer Abgeordneten der Partei Pachakutik, die sich für eine Amnestie der kriminalisierten Aktivist*innen vom August 2015 einsetzt?
Ja, diese Initiative gibt es. Ich will aber vor allem, dass vor Gericht meine Unschuld bewiesen wird und auch die der anderen aus Saraguro, die noch auf ihr Urteil warten. Schließlich haben sie keinerlei Beweise für ihr Urteil vorgelegt. Ich bekomme ja zum Glück viel solidarische Unterstützung. Als ich aus dem Untersuchungsgefängnis kam, wurde ich von hunderten von Leuten in Empfang genommen. Und auch mein ältester Sohn, der inzwischen in Quito studiert, ist stolz auf mich und sagt, auch seine Freunde solidarisieren sich mit mir. Das gibt mir Kraft.

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