Bewegung | Guatemala | Nummer 543/544 - September/Oktober 2019 | Politik

„TÄGLICH SIND WIR BESSER ORGANISIERT“

Studierende besetzten in ganz Guatemala Universitäten – mit Erfolg

Am 1. August besetzten Studierende die staat-lichen San-Carlos-Universitäten im ganzen Land. Auslöser dafür waren die drastischen Erhöhungen der Gebühren, Studierende befürchten damit einen Schritt in Richtung Privatisierung der öffentlichen Universität. Die LN sprachen mit Rolando*, Carlos* und Antonio* vom Kollektiv der Studierenden von Cunoc. Sie hielten zusammen mit anderen die staatliche San Carlos Universität in Quetzaltenango besetzt. Ende August – kurz nach dem Interview – kam es zu einem Einlenken der Regierung und der Beendigung der Besetzungen (siehe Kasten).

Interview: Thorben Austen

„Wir sind die Angst der Regierungen, die im Namen der Wahrheit lügen.“ Am Eingangstor einer besetzten Universität

Was sind die Gründe für die Besetzung der Universität?
Rolando: Die Gründe sind vielfältig, ein zentraler Punkt ist aber die geplante Privatisierung der San Carlos Universität, der einzigen öffentlichen Universität des Lande (mit Standorten in verschiedenen Städten; Anm d Red.). Die Universitätsleitung hat eine Erhöhung der Gebühren für jedes Examen von 50 auf 100 Quetzales (etwa 6 € bzw. 12 €, die Red.) beschlossen und die Kosten für notwendige Kurse vor Beginn des Studiums von 350 auf 1.000 Quetzales pro Kurs erhöht (etwa 41€, bzw. 118€). Wenn man zum Beispiel fünf Kurse machen muss, sind das 5.000 Quetzales (590€). Viele Studenten haben nicht die Möglichkeit, das zu bezahlen.
Carlos: Ein anderer Punkt ist ein Abkommen der Universitätsleitung mit der Industriekammer: Praktika sollen in privaten Firmen gemacht werden. Medizinstudenten werden ihre Praktika dann zum Beispiel nicht mehr in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen auf dem Land machen, wo der Bedarf am größten ist, sondern zum Beispiel im privaten Krankenhaus hier in Quetzaltenango.

Wie ist die Situation der Besetzer*innen und was sind ihre Forderungen konkret hier für Quetzaltenango?
Rolando: Die Besetzung der San Carlos Universität hier in Quetzaltenango ist Teil eines landesweiten Kampfes, es gibt Besetzungen überall im Land. Wie gesagt: die zentrale Forderung ist das Nein zur Privatisierung, als regional größtes Universitätszentrum außerhalb der Hauptstadt sind wir an der Seite des Kampfes an der Universität in der Hauptstadt. Wir in Xela (Kurzform für Quetzaltenango; Anm d. Red.) haben noch eine Reihe weiterer Forderungen, zum Beispiel die der besseren Qualifizierung der Dozentinnen und Dozenten, von denen viele nicht in ihrem Fachgebiet unterrichten und nicht ausreichend vorbereitet sind für ihren Unterricht. Des Weiteren fordern wir, weitere Studiengänge zu schaffen. Fächer wie zum Beispiel Geschichte, Sozialwissenschaft oder Politik fehlen hier völlig, dabei ist in Xela der zweitgrößte Standort der San Carlos Universität im ganzen Land.
Carlos: Wir wollen auch mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung schaffen, zum Beispiel bei der Universitätsleitung. Der aktuelle Rektor für Quetzaltenango ist seit acht Jahren im Amt, aber er wurde nie von den Studenten gewählt.

Gibt es Unterstützung aus der Bevölkerung?
Rolando: Ja, es gibt viel Unterstützung, viele Personen solidarisieren sich mit uns, kommen hier an das Tor der Universität und bringen Lebensmittel vorbei. Die Mehrheit der Studentinnen und Studenten und auch der Dozentinnen und Dozenten unterstützt den Kampf, nicht alle, aber die große Mehrheit. Es gibt Veranstaltungen, Foren und Kulturveranstaltungen hier vor den Toren der besetzten Universität.

Und die Unterstützung durch Organisationen?
Rolando: Auch die ist gut, allen voran seitenss der Gewerkschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter der Universität. Ein Vertreter des Menschenrechtsobmannes für Guatemala war die ersten Tage der Besetzung hier vor Ort und hat uns unterstützt.

Die Tendenz zur Privatisierung der Universitäten ist in Guatemala kein Einzelfall…
Carlos: Die Privatisierung der Bildung, Gesundheit et cetera. ist eines der zentralen Geschäfte heute in Guatemala. Seit Jahren betreiben alle Regierungen in Guatemala diese Politik der Privatisierung. Die öffentliche Bildung und Gesundheit werden jahrelang nicht verbessert, um dann die Privatisierung als angeblichen Ausweg zu präsentieren. Neben großen Teilen der Gesundheitswesens und des Bildungssystems sind beispielsweise die Strom- und Wasserversorgung seit langem privatisiert. Jetzt geht es um die staatlichen Universitäten – aktuell die Gebührenerhöhung und in ein paar Jahren dann wahrscheinlich die vollständige Privatisierung.

Wie lange wollen Sie die Proteste fortsetzen?
Antonio: Wir setzen die Proteste fort, bis die Universitätsleitung die Gebührenerhöhung zurücknimmt. Bisher gab es keine direkten Gespräche zwischen uns und der Universitätsleitung, für die kommende Woche ist aber ein Gespräch geplant.

Gibt es Repression gegen Sie?
Rolando: Bisher gab es keine Drohungen oder Konfrontation von Seiten der Polizei oder der Armee. Die San Carlos Universität hat einen Autonomiestatus und ist öffentliches Eigentum. Auf Beschluss der gewählten Gremien der Studierenden wurde es jetzt besetzt. Zurzeit versuchen sie eher, uns mit Desinformation zu schaden und zu spalten, aber das wird ihnen nicht gelingen, täglich sind wir besser organisiert.
Antonio: Aber wir kennen natürlich die Geschichte unseres Landes, wir wissen wie viele politisch aktive Studierende ermordet wurden während des Bürgerkrieges. Daher treten wir in der Öffentlichkeit zurzeit auch nur maskiert auf. Die Repression in der Vergangenheit hat auch die Privatisierung gefördert, viele Leute hatten Angst vor der Repression und haben es deshalb vorgezogen, an einer privaten Universität zu studieren.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

 

 


Abkommen erreicht

Kurze Zeit nach dem Interview ist es auf nationaler Ebene zu einem Abkommen gekommen, bei dem die Studierenden viele ihrer Forderungen durchsetzen konnten. Die Regierung sieht mittlerweile von einer Erhöhung der Gebühren ab und verspricht mehr Mitbestimmung sowie die Beibehaltung der staatlichen Finanzierung. Es soll auch ein Frauenbüro eröffnet werden, das gegen sexuelle Belästigung im Uni-Alltag vorgeht. Den Studierenden wurde außerdem zugesagt, dass es keine Repressionsmaßnahmen gegen sie geben würde – seitdem treten die Besetzer*innen nicht mehr maskiert auf. Die Studierenden sind zunächst optimistisch über ihren Erfolg, bleiben aber skeptisch, ob die Punkte tatsächlich auch praktisch umgesetzt werden. Die Besetzungen an den verschiedenen Standorten der San Marcos Universität wurden inzwischen vollständig beendet.

 

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