Alternative Medien | Nummer 299 - Mai 1999

Theoretischer Gipfelsturm

Globalisierung und Internationalismus im Zentrum der BUKO-Broschüre

Die im Juni in Köln anstehenden Gipfel von EU-Ministerrat und der G 7 plus Rußland werfen ihre Schatten voraus. Die Vorbereitungen zu Gegengipfeln, Demos und Karawanen laufen auf Hochtouren. Mit seiner Broschüre “kölngehen – Erkundungen zu Globalisierung und Internationalismus” will der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) Diskussionen anregen, die zeitlich und thematisch über die Kölner Gipfel hinausgehen.

Martin Ling

Ob es die Omnipräsenz des Kölner Doms war, die den Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft des BUKO dazu bewegte, ihre Broschüre in drei einige Teile zu gliedern, läßt der Herausgeber offen. Die Dreigliedrigkeit beginnt mit dem Versuch, „die Krisen, Strategien und Institutionen der kapitalistischen Globalisierung zu interpretieren“.
Als zentrale These wird vertreten, daß „die neoliberale Globalisierung Ergebnis und Teil sozialer Kämpfe ist“. Sie wird also nicht als zwangsläufige Folge technisch-ökonomischer Entwicklungen verortet, sondern zeigt vielmehr reale Veränderungen und damit Handlungsbedingungen auf. Mit den realen Veränderungen sind die Strukturbrüche der Weltwirtschaft gemeint, insbesondere die Krise des fordistischen Kapitalismus. Der Begriff „Fordismus“ steht für das Zeitalter der industriellen Massenproduktion und wurde in Anlehnung an die ursprünglich von Henry Ford entwickelte Fließbandproduktion vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci geprägt. Zusammen mit den sozialstaatlichen Politiken des sogenannten keynesianischen Wohlfahrtsstaates und der repräsentativen parlamentarischen Demokratie bildete die industrielle Massenproduktion quasi einen fordistisch-keynesianischen Klassenkompromiß. In den Industriestaaten war diese Konstellation bis Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre hegemonial, während sich der Fordismus in der Peripherie nur bruchstückhaft manifestierte. Sinkende Produktivitätszuwächse und Proteste gegen die immer rigideren Arbeitsformen ließen den Kompromiß erodieren und riefen eine Krisenbewältigung auf den Plan. In diesem Sinne werden Neoliberalismus und Globalisierung von den AutorInnen „als konflikthafte Suche nach einer Antwort auf die Krise des fordistischen Modells“ verstanden.

Reagonomics und Thatcherismus

Das Projekt des Neoliberalismus ist in den Zentren mit den Regierungen Reagan und Thatcher verknüpft, in den Peripherien mit der Schuldenkrise ab 1982. Den neoliberalen Strategen ging es insbesondere um eine Verschiebung der sozialen Kräfteverhältnisse zuungunsten der subalternen Klassen, vornehmlich der Gewerkschaften. Die neoliberale Globalisierung „hat jedoch nicht nur zu einer Restrukturierung gesellschaftlicher Institutionen geführt“, sondern darüber hinaus „eine Art Wahrheitsregime“ (Foucault) herausgebildet. Gemeint ist damit, daß gewisse Aspekte über herrschende Diskurse nicht mehr hinterfragt, sondern als gegeben hingenommen werden. So vor allem die Effizienz- und Wettbewerbsorientierung, „der sich alle gesellschaftlichen Aktivitäten unterzuordnen haben.“ Gleiches gilt für die Akzeptanz zunehmender gesellschaftlicher Spaltung und der Grundstrukturen kapitalistischer Gesellschaften als „naturwüchsig“, wie zum Beispiel die „ungleiche Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums“.
Der Prozeß der Globalisierung führt dabei nicht zu einer Vereinheitlichung in Richtung einer Weltgesellschaft. Vielmehr bleibt der Nationalstaat und seine Institutionen erhalten, allerdings mit neuer Gestalt. Die AutorInnen greifen hierbei auf den von Joachim Hirsch geprägten Begriff des „nationalen Wettbewerbstaates“ zurück, dessen Politik sich demnach verstärkt an den Kriterien der internationalen Wettbewerbsfähigkeit orientiert. Die Förderung von Innovationen drängt verteilungspolitische Aspekte in den Hintergrund. Der Staat bleibt als zentraler Träger des Gewaltmonopols erhalten und trägt wesentlich zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts bei.
Dem teilweise angestimmten Chor hinsichtlich eines bevorstehenden Endes des Neoliberalismus schließen sich die VerfasserInnen nicht vorbehaltlos an. Die Ablösung der konservativen Regierungen durch Mitte-Links Bündnisse in den europäischen und amerikanischen Zentren sowie das Ende der lateinamerikanischen Diktaturen böten keine hinreichenden Argumente für ein Ende des Neoliberalismus, sondern eher für eine Verschiebung des Projekts von einer neokonservativen zu einer sozialdemokratischen Ausrichtung.
Die weitere Entwicklung des Neoliberalismus wirft Fragen auf. Einige davon stellen die AutorInnen, und im Sinne der Broschüre sollten sie weit über die (Gegen-)Gipfel hinaus diskutiert werden.

Globalisierung als Strategie

Heiko Wegmann setzt sich in seinem Beitrag mit den Globalisierungsstrategien der Transnationalen Konzerne (TNC) auseinander. Im Mittelpunkt der Konzernstrategien steht das Bemühen um eine Flexibilisierung der Arbeit einschließlich einer strukturellen Senkung der Arbeitskosten sowie die Eroberung von Marktanteilen und neuen Märkten. Die Bedeutung der TNCs läßt sich mit zwei Angaben eindrucksvoll illustrieren: sie wickeln etwa ein Drittel des Welthandels untereinander und ein weiteres Drittel mit anderen Unternehmen ab. Die tendenzielle Liberalisierung des Welthandels und die neuen Technologien eröffneten den TNCs Möglichkeiten, durch neue Konzernstrukturen zwei Strategien miteinander zu verknüpfen: eine globale und eine transnationale. Bei der globalen Strategie handelt es sich um das sogenannte global sourcing. Dabei setzt die zentrale Konzernführung auf dezentrale Produktionsstätten, die zu Zuliefererketten zusammengefaßt sind. Das bedeutet verkürzt, daß die dezentralen Produktionsstätten ihre für die Produktion benötigten Güter von Zulieferern aus der ganzen Welt beziehen, je nachdem wer am günstigsten anbietet. Selbst produzieren sie wenige, spezifische Produkte in Massenproduktion, um so Kostenvorteile über die sinkenden Stückkosten zu realisieren. Ergänzt wird die globale Strategie um die transnationale. Sie resultiert aus den widersprüchlichen Anforderungen des Weltmarktes, einerseits über Spezialisierung weltweit Kostenvorteile zu realisieren und andererseits regionalen Gepflogenheiten wie Konsumgewohnheiten und gesetzlichen Vorschriften genügen zu müssen. Um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, versuchen die Konzerne Netzwerke aufzubauen, mit denen eine Kooperation und Abstimmung der Unternehmenseinheiten angestrebt wird. Der Austausch über Forschungsergebnisse sowie unterschiedliche kulturelle Gegebenheiten und Formen der Arbeitsorganisation ist zum Beispiel Gegenstand solcher Netzwerke. Wenn auch die Konzernstrategien sich länderspezifisch unterschiedlich auswirken, so macht Heiko Wegmann eine Gemeinsamkeit aus: Die Strategien zielen überall „auf eine nachhaltige soziale Kräfteverschiebung zuungunsten der ArbeiterInnen und sozial Benachteiligten“.
Zu diesen sozial Benachteiligten gehören vor allem Frauen, wie Brigitte Young in ihrem Beitrag über Gender-Perspektiven im ökonomischen Wandel deutlich macht. Wenn auch Frauen nicht automatisch zu den Verliererinnen des Globaliserungsprozesses gehören, so führe die Arbeitsmarktsegmentierung in eine hochbezahlte Dienstleistungsökonomie und einen expandierenden informellen Sektor doch auch zunehmend zu mehr Ungleichheiten zwischen Frauen, so die zentrale These.
Das erste Kapitel der Dreigliedrigkeit umfaßt noch diverse Beiträge, nicht alle so spannend wie die hier angeführten, aber doch einige. Wer wissen will, welche das sind und wer sich näher mit den herrschenden Diskursen zur Regulierung der Globalisierung und Überlegungen zum alten und neuen Internationalismus auseinandersetzen will, der muß die Broschüre schon selbst lesen – und nicht vergessen: kölngehen.

Bezug: BUKO-Geschäftsstelle, Nernstweg 32–34,
22765 Hamburg, Tel. 040-393156

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren