Haiti | Nummer 201 - März 1991

” Titid ” – Haitis politischer Messias ?

“Wer einen Hund fertig machen will, der behauptet, er habe die Tollwut”. Mit diesem Satz antwortete Pere Jean-Bertrand Aristide auf die Vorwürfe des Erzbischofs von Port-au-Prince, Francois Wolf-Ligonde, der den 37-jährigen Präsidentschaftskandidaten Anfang Dezember einen “Demagogen” und “Sozialbolschewisten” genannt hatte.

Norbert Ahrens

Der Satz ist typisch für “Titid”: in einem einfachen, für alle verständlichen Bild drückt er zuweilen komplizierte politische Zusammenhänge aus. Daß die konservative haitianische Kirchenhierarchie das als “demagogisch” abqualifiziert, ist kaum verwunderlich. Aristides deutlich an der lateinamerikanischen Befreiungstheologie orientierte Ansichten über Staat und Gesellschaft, über Armut und Gerechtigkeit waren den Kirchenoberen schon lange ein Dorn im Auge. So schloß ihn sein Orden, die nicht gerade zum progressivem Flügel des katholischen Kloster-Spektrums zählenden Salesianer, 1988 kurzerhand aus. Doch Aristide blieb als katholischer Priester im Amt ( und wurde nicht, wie die Katholische Nachrichten-Agentur KNA mehrfach meldete, suspendiert) und predigte unerschrocken seine Botschaft von der christlichen Liebe als Bedingung für soziale Gerechtigkeit. Die Tontons Macoutes versuchten mehmals, ihn einzuschüchtern oder ihn für immer zum Schweigen zu bringen: kurz nach seiner Entlassung aus dem Orden drangen sie während der Sonntagsmesse in seine überfüllte Kirche ein und erschossen fünf Gottesdienstbesucher. Pere Titid trafen sie nicht. Er hatte sich vorher schon angewöhnt, jede Nacht in einem anderen Haus seiner großen Gemeinde zu Übernachten. Eine Woche nach dem Anschlag predigte er schon wieder öffentlich.

Selbstbewußte Arme gehen wählen

Sein Mut trug zu seiner steigenden Beliebtheit bei den Armen bei : sie sahen in Aristide einen, der nicht nur schöne Worte machte, sondern der auch für das einstand, was er predigte. Er gab ihnen wenigstens ein kleines Stückchen Selbstbewußtsein. Und so schrieben sie sich zu 80% in die Wahlregister ein. Das war die eigentliche Überraschung. Sein überwähltigender Wahlsieg war dann nur noch eine logische Folge daraus.
Während des Putschversuches von Roger Lafontant, dem vertrauten von Ex-Diktator Duvalier und der Chef der Tontons Macoutes, Anfang Januar, zündeten die aufgebrachten Massen die Kathedrale von Erzbischof Wolf-Ligonde in Port-au-Orince an und verprügelten den Sekretär des Apostolischen Nuntius, einen aus Zaire stammenden Priester. Offenbar sahen die Anhänger des gewählten Präsidenten Aristide einen Zusammenhang zwischen der öffentlichen Kritik der Amtskirche an ihrem Idol und dem Putschversuch Lafontans.
Aristide distanzierte sich von den Ausschreitungen und verurteilte das “abscheuliche Schauspiel”. Doch der Konflikt mit der Kirchenhierarchie ist noch nicht ausgestanden, wenngleich es erste Anzeichen des Einlenkens gibt: während Aristide zu seiner Wahl im Dezember lediglich Glückwünsche durch den Vorsitzenden der Bischöflichen Kommission “Gerechtigkeit und Frieden”, Bischof Willy Romelus, erhielt, gratulierte ihm zum Amtsantritt die gesamte haitianische Bischofskonferenz einschließlich Erzbischof Wolf-Ligonde. Auch in der Frage seiner Suspendierung vom Priesteramt-eine Konsequenz aus dem kanonischen Recht, das die Verknüpfung von Priesteramt und politischem Amt ausschließt- scheint sich eine einvernehmliche Lösung anzubahnen. “Ich bin bereit, auf meine Eigenschaft als Priester zu verzichten, um mein politisches Priesteramt erfüllen zu können, wenn Rom dies verlangt”, erklärte Aristide kürzlich bei einem Besuch in Frankreich. Er knüpfte jedoch an seine Bereitschaft die Bedingung, daß die haitianischen Bischöfe dem Volk, das ihn gewählt habe, diesen Schritt öffentlich erklären müßten. Dazu ist zumindest ein Teil der haitianischen Bischofskonferenz bereit.
Aber auch von Aristide kommen Zeichen der Annäherung: seine am 20. Februar vorgestellte Kabinettliste enthält nicht nur die Namen von drei Frauen und eines Arztes (als Minister für Gesundheit und Bevölkerung), der ein früherer Mitarbeiter von Nicht-Regierungs-Organisationen war, sondern zum Sozialminister ernannte Aristide den bisherigen Direktor des katholischen Caritas-Verbandes auf Haiti, Ernst Verdieu.

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