Chile | Dossier 21 - Das Gleiche in Grün | Europa

Translokal gegen Greenwashing

Von Lithiumabbau betroffene Gemeinden vernetzen sich über Kontinente hinweg

Weltweit dringen Unternehmen in Gebiete vor, um im Namen von grüner und sauberer Energie Lithium, Kupfer oder Kobalt zu fördern. Doch hinter der grünen Fassade verbergen sich altbekannte Ausbeutungsmuster. Lokale Gemeinden aus Chile, Serbien, Portugal und Spanien organisieren sich zunehmend gemeinsam in ihrem Widerstand gegen den Lithiumbergbau. Über Grenzen hinweg kämpfen sie für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen und gegen falsche technologische Lösungen. Juan Donoso hat Aktivist*innen aus Chile und Serbien begleitet.

Von Juan Donoso (Übersetzung: Tininiska Zanger Montoya)
Kollektiver Widerstand In Belgrad fanden massive Proteste gegen die Lithiumförderung statt (Foto: Juan Donosso)

Der Boom der Elektromobilität, der vor allem von der Automobilindustrie in Europa, den Vereinigten Staaten und China vorangetrieben wird, hat zu einer steigenden Nachfrage nach Mineralien wie Lithium geführt. Das Leichtmetall wird in Batterien für Elektroautos verwendet. Chile beherbergt im Salar de Atacama eines der weltweit größten Vorkommen dieses Minerals und ist so zu einem strategischen Partner für die Versorgung dieses ständig wachsenden Wirtschaftszweigs geworden. Der Salar de Atacama, ein empfindliches Ökosystem, das bereits von einer Wasserkrise betroffen ist, erfährt gegenwärtig eine übermäßige Ausbeutung seiner Gemeingüter.

Leyla Noriega ist Aktivistin und Journalistin in der Stadt Arica im Norden Chiles. Sie beschreibt, wie sich die Strategie der Bergbauunternehmen seit den 1990er Jahren verändert hat: „Zuerst waren sie distanziert und sprachen nur mit den Behörden, aber dann begannen sie, staatliche Aufgaben zu übernehmen. Sie versorgten Dörfer mit Strom, stellten Wasser bereit, vergaben Stipendien und verbesserten die Infrastruktur. Die Leute sagten: ,Wow, endlich haben wir Licht und Wasser‘.“ Diese Maßnahmen, die unter dem Deckmantel der sozialen Verantwortung umgesetzt wurden, seien den lokalen Gemeinschaften aber nicht wirklich zugute gekommen. „Denn in Wirklichkeit war das alles nicht für die Menschen, sondern um ihren Konzern zum Laufen zu bringen“, so Noriega. Angesichts der Notwendigkeit einer Energie- wende wird die Förderung von Lithium – wie auch Kobalt, Nickel oder Kupfer – zu einem vertretbaren Extraktivismus, weil diese Rohstoffe für eine angebliche Verringerung der Emissionen notwendig sind.

Anstatt mit dem extraktivistischen Modell zu brechen, legitimieren Staaten und Unternehmen die Ausbeutung von Gemeingütern in gefährdeten Gebieten unter dem Vorwand der Nachhaltigkeit. Für soziale Bewegungen besteht in diesem Phänomen eine Fortsetzung kolonialer Praktiken: Es verdeutlicht die Spannung zwischen dem Globalen Norden und seiner Forderung nach „Ressourcen für eine grüne Wirtschaft“ auf der einen Seite und andererseits dem Globalen Süden sowie den Peripherien Europas, die weiterhin ihrer Territorien, Lebensgrundlagen und angestammten Rechte beraubt werden.

„Sie retten den Kapitalismus, nicht die Welt“

Diese Dynamik ist nicht nur in Chile zu beobachten. In Serbien, einer weiteren Frontlinie im Kampf gegen den Extraktivismus, sind die Gemeinden mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Im serbischen Jadar-Tal ist Rio Tinto, ein weltweit operierendes britisch-australisches Bergbauunternehmen, aktiv. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz unterzeichnete im August 2024 eine Vereinbarung über die Förderung von Lithium mit der zunehmend autoritär agierenden serbischen Regierung. Daraufhin kam es im Land zu massiven Demonstrationen. Bojana Novakovic, eine der Anführer*innen der Protestbewegung, die seit mehreren Jahren gegen die Lithiumförderung kämpft, kritisiert die Logik, mit der die Umweltzerstörung im Namen des Fortschritts gerechtfertigt wird: „Sie kommen an und sagen, sie müssten hier eine Mine in Betrieb nehmen, dort eine Mülldeponie, und das alles, um den Lebensstandard der anderen zu erhalten. Wie kann das nicht extrem sein? Für mich ist es wirklich extrem, all das im Namen der Automobilproduktion zu zerstören.“

Novakovic bringt ihre Frustration deutlich zum Ausdruck: „Ich bin für Entwicklung, aber nicht für die Entwicklung des Bergbaus!“ Denn globale Konzerne und ausländische Investoren hätten schon genug Rohstoffe ausgebeutet. „Sie kommen hierher und sagen: ,Wir sind für die grüne Wende hier, um die Welt zu retten‘. Nein, sie retten den Kapitalismus, nicht die Welt.“ Ein Beispiel für das, was Novakovic meint, ist das Engagement der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in der chilenischen Region Salar de Atacama. Deutsche Unternehmen wie Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW haben gemeinsam mit der GIZ die Responsible Lithium Partnership gegründet. Diese Plattform fördert unter dem Deckmantel der sozialen Verantwortung den Abbau von Lithium unter vermeintlich nachhaltigeren Bedingungen. Lokale Bewegungen prangern dieses Projekt jedoch als eine Form des Greenwashing an. Laut Ramón Balcázar, Wissenschaftler und wichtiger Aktivist in der Atacama-Wüste, finde das auf verschiedenen Ebenen statt: „Es geht nicht nur um die Ausbeutung von Rohstoffen und ihre Folgen, sondern auch um die Art und Weise, wie die Auswirkungen sowohl von den Bergbauunternehmen als auch von den Regierungen und internationalen Organisationen versteckt oder verschleiert werden.“ Unternehmen fördern Dialoge mit Gemeinden und finanzieren wissenschaftliche Studien, die beschwichtigen sollen und in Frage stellen, ob die ökologischen und klimatischen Veränderungen in der Region durch den Rohstoff-abbau zu erklären sind. Gleichzeitig beklagen die betroffenen Gemeinden, dass ihnen nicht das Recht eingeräumt wird, den Bergbau in seiner Gesamtheit abzulehnen. Ihnen würden lediglich finanzielle Entschädigungen oder technologische Verbesserungen angeboten, die die strukturellen Probleme nicht lösen.

Vor diesem Hintergrund ist die Jadar-Erklärung entstanden. Darin unterzeichneten neun Organisationen aus Portugal, Deutschland, Serbien, Chile und Spanien eine gemeinsame Verpflichtung zum Kampf gegen die Ausbeutung von Lithium und zum Schutz der Umwelt. Die Vereinbarung soll einen Rahmen für die Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und die gegenseitige Unterstützung im Kampf gegen die Ausweitung des Lithiumabbaus und anderer Formen des Extraktivismus schaffen.

Für die Unterzeichner*innen hat sich der translokale Aktivismus als ein wirkungsvoller und notwendiger Ansatz etabliert. Dieses Konzept beinhaltet die Schaffung von Widerstandsnetzwerken, die lokale Gemeinschaften aus verschiedenen Regionen der Welt miteinander verbinden. Dadurch wird der Austausch von Erfahrungen und Strategien im Kampf gegen ähnliche Probleme ermöglicht. Der translokale Widerstand gegen den Lithiumabbau bringt Gemeinden in der chilenischen Atacama-Wüste, im serbischen Jadar-Tal und im portugiesischen Covas do Barroso zusammen, um eine stärkere Front zu bilden.

Front der Opfergebiete

Diese Art der Vernetzung ist von entscheidender Bedeutung. Sie hat es den lokalen Gemeinschaften ermöglicht, ihr Wissen und ihre Taktiken auszutauschen sowie Kontakte zu Journalist*innen, Akademiker*innen und anderen an diesem Thema Interessierten zu knüpfen. Das entstandene Netzwerk ist darüber hinaus auch ein Raum der Freundschaft und Fürsorge, insbesondere angesichts der Schikanen und Morddrohungen, denen Aktivist*innen des Netzwerks ausgesetzt sind. Auf diese Weise wird der Widerstand gegen die Bergbaukonzerne gestärkt, indem sich Menschen aus unterschiedlichen Regionen mit ähnlichen Problemen gegenseitig begleiten und auf internationaler Ebene Alternativen schaffen können. Es ist eine Front der sogenannten Opfergebiete (Gebiete, die der Zerstörung durch Extraktivismus freigegeben werden, Anm. d. Red.) sowie der Orte und Gemeinschaften, die nicht zu solchen werden wollen.

Die Schaffung translokaler Netzwerke wie die der Jadar-Erklärung ermöglicht es den Gemeinschaften, sich in einem gemeinsamen Kampf zu vereinen. Sie bieten eine Gegenerzählung zum vorherrschenden Diskurs, der unter dem Deckmantel der nachhaltigen Entwicklung den Extraktivismus fördert. Die Gemeinschaften können mit gemeinsamen Kräften ihre Territorien schützen, indem sie ihren Stimmen mehr Gehör verschaffen und Druck auf Regierungen und Unternehmen ausüben, damit diese ihren Forderungen Aufmerksamkeit schenken. In dem Maße wie der grüne Kapitalismus – oder welche Farbe auch immer man ihm geben will – weiter voranschreitet, werden wohl auch die Bewegungen dagegen wachsen.

Der Kampf für Klima- und Umweltgerechtigkeit wird durch die Vernetzung gestärkt, diversifiziert und bietet einen gerechteren und dezentralisierten Weg hin zu einer Energiewende, die dem Leben Vorrang vor dem Bergbau einräumt.

Juan Donoso ist Co-Regisseur des Dokumentarfilms Nuestros Patios über translokale Kämpfe gegen Lithiumabbau (siehe Kasten).

NUESTROS PATIOS

Der Dokumentarfilm Nuestros Patios folgt einer Journalistin aus einer Aymara-Gemeinde, einem Imker aus dem ländlichen Raum, einem akademischen Aktivisten und einer Hollywood-Schauspielerin. Sie kommen zusammen, um ihre Gebiete gegen den Lithiumabbau in Chile und Serbien zu verteidigen. Durch ihre Geschichten deckt der Dokumentarfilm das Greenwashing der Unternehmen auf. Der Film zeigt auch, wie diese weit entfernten Orte durch ihre Methoden der sozialen Organisation, ihre Ernährungssysteme, religiösen Praktiken und traditionellen Tänze unter dem Dach der Umweltgerechtigkeit vereint sind. Der Film ist ein starkes Zeugnis des kollektiven Widerstands und zeigt eine tiefe Verbindung zwischen Menschen und Ökosystemen. Die Dokumentation befindet sich aktuell in der Phase der Postproduktion.


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