Umstrittenes Urteil im Bergbaukonflikt
Proteste von Gemeinden im guatemaltekischen Altiplano gegen Bergbauprojekte werden kriminalisiert
Fernando Pérez und Francisco Bamaca sind Bauern. Seit Ende des letzten Jahres sind sie vorbestraft – sie sollen zwei Mitarbeiter der Sicherheitsfirma eines Bergbaukonzerns angegriffen und verletzt haben. Beide campesinos leben im Hochland der Sierra Madre im Departement San Marcos, das im Westen an Mexiko grenzt. Wie viele andere Kleinbauern und -bäuerinnen ihrer Gemeinde verkauften Pérez und Bamaca ihr Land vor ein paar Jahren unter massivem Druck an das Bergbauunternehmen Montana Exploradora. Wer sein Land verkaufte, dem wurden im Gegenzug Arbeitsmöglichkeiten versprochen. Geld gab es hingegen nicht viel: etwas mehr als einen US-Dollar pro Quadratmeter zahlte das Unternehmen. Montana Exploradora ist eine Tochterfirma des US-kanadischen Konzerns Glamis Gold und erwarb seit 1999 insgesamt rund 100.000 Hektar für das Goldbergbauprojekt Marlin in der Region des westlichen Altiplano.
Im Dezember 2007 wurden Pérez und Bamaca – beide indigene Maya Mam – von einem Gericht der Region San Marcos wegen leichter Körperverletzung zu zwei Jahren Gefängnis oder ersatzweise zu fünf Queztales pro Tag und drei Jahre auf Bewährung verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft warf den beiden Männern vor, im Januar letzten Jahres nach einem Treffen mit UnternehmensvertreterInnen in das Bergwerk eingedrungen zu sein. Dort hätten sie Mitarbeiter des Sicherheitspersonals angegriffen. Die Bauern und Bäuerinnen sagten aus, dass sie nach dem ergebnislosen Treffen auf dem Nachhauseweg von Mitgliedern der Sicherheitskräfte angegriffen worden seien. Sie hätten sich verteidigt, wären dann jedoch in ihre Häuser geflohen. Grundlage des Urteils bildeten schließlich die Zeugenaussagen von zwei Mitgliedern der Sicherheitskräfte sowie ein ärztliches Attest über die Schwere der angeblichen Körperverletzungen. Zwar wurden fünf weitere Angeklagte frei gesprochen und auch Pérez und Barnacas Urteil fiel deutlich milder aus als von der Anklage gefordert, aber dennoch löste ihre Verurteilung große Bedenken aus. Nationale und internationale Organisationen äußerten ihre Besorgnis, dass das Urteil einen Präzedenzfall schaffen könne. Es sei zu keinem gerechten Prozess gekommen und diente dem einzigen Ziel, soziale Proteste im Keim zu ersticken und die indigene Maya-Mam-Bevölkerung zu kriminalisieren und einzuschüchtern.
„Das Projekt Marlin ist ein Testfall für das Investitionsklima in Guatemala.“
Tatsächlich gibt es innerhalb der Gemeinden von San Miguel immer mehr kritische Stimmen bezüglich der Bergbauunternehmen. Auch auf besagtem Treffen zwischen VertreterInnen der vom Bergbauprojekt betroffenen Gemeinden und Montana Exploradora im Januar 2007 wurde über zuvor überreichte Petitionen diskutiert. In diesen forderten die GemeindenvertreterInnen unter anderem neue Verhandlungen über den Wert des früher verkauften Landes. Außerdem verlangten sie Kompensationen für Risse in den Hauswänden, die durch Sprengarbeiten des Unternehmens entstanden waren. Das Unternehmen habe sie „beim Landkauf getäuscht, ihre Armut und ihren Analphabetismus missbraucht und seine zahllosen Versprechen, wie den Bau von Gesundheitszentren und die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten, nicht erfüllt“. Außerdem seien „die Gemeinden nie über die negativen Auswirkungen der Abbauarbeiten auf die Umwelt und über den Gebrauch von Zyanid bei der Gewinnung von Gold und Silber informiert worden“, so die GemeindevertreterInnen.
Das Marlin-Projekt ist nicht nur ein Projekt des Unternehmens Montana Exploradora. Die Weltbank riet schon bald nach Abschluss der Friedensabkommen von 1996, die den mehr als 30 Jahre dauernden Bürgerkrieg Guatemalas offiziell beendeten, der guatemaltekischen Regierung, den Bergbausektor zu modernisieren. Um Anreize für Unternehmen zu erhöhen, wurde die Rohstoffsteuer auf noch immer gültige ein Prozent gesenkt. Die Gewinnertragssteuer setzte man von 58 auf 31 Prozent herab. Der Bergbau als Zukunftssektor der guatemaltekischen Wirtschaft? Die mineralischen Rohstoffe liegen überwiegend im westlichen Altiplano – genau dort, wo der größte Teil der indigenen Bevölkerung des Landes lebt.
Die Genehmigung für das Marlin-Projekt wurde im November 2003 erteilt. Im Juni 2004 bewilligte die Finanzierungsinstitution für private Unternehmen der Weltbank (IFC) dem Projekt einen Kredit über 45 Millionen US-Dollar. 2005 begann der Abbau von Gold und Silber – nach mehr als 20 Jahren war es der erste große Tagebau in Guatemala, der in die Phase der Produktion überging. Der IFC bezeichnete das Projekt Marlin als einen „Testfall für das Investitionsklima in Guatemala, dessen Erfolg weitere Investitionen im Land auslösen wird.” Heute zieht er eine durchweg positive Bilanz: 800 Jobs seien geschaffen worden, die traditionelle Migration an der Küste während der Erntezeit in die Kaffee- und Zuckeranbaugebiete sei nahezu gestoppt und über zahlreiche soziale Projekte habe Montana Exploradora seine gesellschaftliche Unternehmensverantwortung erwiesen. Außerdem sei die Bevölkerung adäquat konsultiert und informiert worden. Wer dies bezweifelt und auf die drohenden Umweltauswirkungen hinweist, wie VertreterInnen der vom Marlin-Projekt betroffenen Gemeinden San Miguel Ixtahuácan und Sipakapa, dem wird von Vertretern des IFC schon mal entgegnet: „Wollt ihr Bergbau, oder wollt ihr weiter arm bleiben?”
Der zivile Widerstand gegen Marlin und weitere Bergbauprojekte geht dennoch weiter. Seit Mai 2005 fanden auf Gemeindeebene 17 Abstimmungen in den Regionen San Marcos und im nördlich angrenzenden Huehuetenango statt. Bergbauprojekte wurden in diesen allesamt deutlich abgelehnt. Im Mai 2007 wies das Verfassungsgericht Guatemalas die Klage eines Beratungsunternehmens von Montana Exploradora gegen die Verfassungsmäßigkeit der Abstimmung in Sipakapa aus dem Jahr 2005 zurück.
Ob die aktuelle Regierung diese Stimmen aus der vor allem indigenen Bevölkerung anhören wird, wenn es um die Genehmigung von kommenden Bergbauprojekten geht? Immerhin erkannte Vizepräsident Rafael Espada kürzlich die Bedeutung lokaler Abstimmungen in vom Bergbau betroffenen Dörfern an, da diese die BesitzerInnen des Landes seien.
Das Land hat zur Zeit mit Marlin nur einen aktiven Großtagebau. Nach den aktuellen Politikrichtlinien für den Bergbausektor für 2008 bis 2015 bestehen jedoch Konzessionen für 370 Minen 300 weitere sind bereits beantragt. Und Montana Exploradora verkündete erst jüngst, länger als die vorgesehenen 13 Jahre im Land zu bleiben. Die Rohstoffreserven seien umfassender als bisher erwartet. In Zeiten hoher Rohstoffpreise klingt das eher nach schweren Zeiten für das westliche Altiplano.